KdiH

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43.1.84. Kiel, Universitätsbibliothek, Cod. ms. KB 69

Begonnen von Regina Cermann, fortgeführt von Isabel von Bredow-Klaus

Ergänzung zum gedruckten KdiH

Datum der Veröffentlichung: 20.10.2015, letzte Bearbeitung 03.04.2019.

Datierung:

Um 1488.

Lokalisierung:

Köln.

Besitzgeschichte:

I * S, 1634 (Einbanddeckel). 1821 von Andreas Wilhelm Cramer (1760−1833), Professor für Römisches Recht und Oberbibliothekar in Kiel, in Köln erstanden (1*r). 1834 bei der Versteigerung von dessen Bibliothek durch die Universitätsbibliothek erworben (Signatur: Archiv V 7201−1834).

Inhalt: Stunden- und Gebetbuch
1*r

A. G. Crameri, Jcti Coloniae 1821

an 1r

Notizzettel Cramers zur Datierung (eingeklebt)

1v−13r

Kölner Kalender (s. Nr. 43.1.161.)

13v−14v

Komputus für die Jahre 1488−1526 (Jahreszahl, Goldene Zahl, Schaltjahr, Sonntagsbuchstabe, Wochen v−x, Tage i−vi)

15v

Miniatur: Verkündigung

16r−69r

Kleines Marienoffizium in der Übersetzung Geert Grootes (van Wijk [1940] S. 36–70)

69r−71r

Zwei Mariengebete A: GEgroit sijstu koningyn der barmhertzicheit des leuens suessicheit ..., ›Regina caeli alleluia‹, deutsch 70v A: Urureuwe dich koningynne der hemelem alleluya. want den du verdiendes tzo dragen alleluya. hey is vpgestanden als hey gesacht hait ...

73v

Miniatur: Volkreicher Kalvarienberg

74r−86v

Tagzeiten zur Passion/Heiligem Kreuz in der Übersetzung Geert Grootes (Hymnus ›Patris sapientia‹, deutsch, jede Strophe mit Vers und zwei Kollekten (van Wijk [1940] S. 87–91. Vgl. Nr. 43.1.26., 67r–77v, Nr. 43.1.41., 172r–245v, Nr. 43.1.54b., 60v−72r)

88v

Miniatur: David im Gebet

89r−110r

Sieben Bußpsalmen, Litanei, Fürbitten, Kollekten

111v

Miniatur: Gebet am Ölberg

112r−119v

Passionsgebet Ü: Dit is eyn goit gebet van dem lijden vns heren ihesu cristi A: O ewige wijsheit mijn hertze ermaint dich hude als du na dem lesten auentessen vp dem berge van anxten dijns zarten hertzen wordes ...

119v−127r

Zwei Gebete vom Mitleiden Mariens A: Eya zarte reyne moeder Ich ermanen dich huden dijns groyssen hertzen leijdens dat du vntfienges inden yrsten anblick ... 126r A: O mynnecliche reyne moeder bis huden ermaint der cleglicher handelingen die du hattes doe sy dijn dode kijnt van dyme hertzen braichen ...

127r−133r

15 Pater noster und Ave Maria zum Leiden Christi Ü: Dit sijnt xv pater noster und aue maria die sal eyn gerne alle dage sprechen up dat lijden vns leuen heren A: Here ihesu criste ich ermanen dich des lijdens da du ynne weres doe al dyne vrunt van dijr vluwen ind niemant by dijr en bleiff ... 127v ... der groisser ellendicheit da du yn weres doe dijr al dyne viande vmmestonden ... 128v ... enxstlicher erdenungen alle dijnre ledere doe du an dat cruce genagelt wordes ... 127v ... die stumpe nagele durch dijn hende ind voysse geslagen worden ... 128v ... intloesinge al dijnre ledere der gein yn sijnre stat en bleiff ... 129r ... des lijdens doe du spreches Mich dorst ... 129r ... des bitteren dranckes ... 129v der ellendiger trene die du schruwes doe du spreches Mijn got mijn got ... 130r ... dyner swarer pynen doe du hattes doe du seges in den spiegel ... 130r ... der vertzerynge al dijnre kreften ... 131r ... der verstortzungen dijns heiligen bloides ... 131v ... dijn hertze leit doe it van mynnen brach ... 132r ... der duyffden dyner heiliger wonden dijns zarten lyues ... 132v ... der diefden dijnre heiliger wonden ... 132v ... menchueldicheit dyner wonden ...

133r−136v

Acht Verse St. Bernhards Ü: Dit sijnt die viij verssen sent bernartz. wie die alle dage spricht die en mach niet verdoymt werden

136v−138r

Sonntagsgebet für die kommende Woche Ü: Wilch mynsche dise senynge spricht an den sondage der is al die weche mil behoit vur synen vianden. Sprich vunff pter noster und v ave Maria dem lijden cristi tzo eren A: O here ich beuelen mich dijr dese echt dage yn al die heilige wort die alle priester sprechent ...

138r−140v

Sieben letzte Worte Christi am Kreuz Ü: Dit sijnt die seuen wort die cristus seluer an dem cruce sprach

140v−147v

Morgen- und Abendgebet Ü: Dit nageschriuen gebet sprich mit andacht des auontz ind des morgens so en wirtstu nummer verloren 141r A: Ich dancken dijr lieue here ihesu criste dat du dyne martilie begondes ..., tägliches Gebet 141v A: Ich bidden dich here ihesu xpe durch die mynne die du hattes zo allen mynschen ..., vier weitere kleine Gebete 142v A: Ich bidden ind gruessen dich here ihesu criste veil suysse giff mir dat ich dich werdenclichen louen moisse ... 143r A: O here ich byn der arme mynsche den du geschaffen hais van dijnre vederlicher kraft ... 144v A: Uader alre barmhertzichheit Ich arme vnwerdige sundige mynsche dancken dyr ... 146v A: O suesse vader ind getruwe liefhauer Ich sieche gewonte mynsche ermanen dich ...

148v

Miniatur: Gregoriusmesse

149r−150r

Ablassgebet ›Adoro te in crucem pendentem‹, deutsch (fünfteilig)

150r−154r

Fünf Pater noster zu den Wunden Christi, ähnlich des Kölnischen Paternosters, aber ohne die Segmentierung Ü: Dit sijnt vunff pater noster tzo den vunff wonden ihesu cristi A: Loff ind glorie sy dijr here ihesu criste vur die alre heilichste wonde dijnre rechter hant ...

154r−156v

Gebete zur Messe, während der Elevation Ü: Dit gebet sal man alle dage sprechen wanne men misse hoirt A: Almechtige hemelsche vader ich arme sundersse offeren dijr ...

156v−161r

Gebete an die Dreifaltigkeit Ü: Dit is eyn gebet van der heiliger dryueldicheit mit dry pater noster alle dage zo sprechen Dit is det vaders gebet ... A: O hemelsche vader ich hain gesundiget yn den hemel ind vur dyr ... 158v Ü: Tzo dem sone Sprich pater noster und bekenne dijn unwijsheit ind sijn ewige wijsheit A: O Du vederlijch wort dat vleisch gemacht is ... 159v Ü: Dit is det heiligen geistes gebet Den Sprich ein pater noster all dage. Ind bekenne dyne bossheit. Ind sijnre goedertierenheit... A: O lusticheit der begerden ind suessicheit der reyner hertzen genadegeuer heiliger geist ...

161r–162r

Befehlnis in Gott Ü: Eyne beuelinge tzo vnsen lieuen heren ihesu cristum A: Der suesse name vns heren ihesu cristi Ind der wonnencliche name sijnre lieuer moeder ...,

162r–163r

Gebet des hl. Gregorius Ü: Dit gebet plach sente Gregorius alle dage vp synen knyeen zo lesen Ind hey redet allen mynschen ouch tzo doyn A: O du alre oitmoedichste here ihesu criste want du ouer mitz dijn bitter lijden dyne dieffe wonden ...

163r–164r

Befehlnis in Gott Ü: Eyne mynencliche beuelinge tzo gode A: Heilige maria moeder vns lieuen heren ihesu cristi In dijn hende ind yn dijns lieuen kijndes hende beuelen ich hude mijn siele ...

164r–167r

Morgengebet, fünfteilig, mit Ablass Ü: So wer vnsen heren synre pynen ermaint mit mit andacht der hait vimvic dage avlais van al synen sunden Ind man sal dit gebet sprechen des morgens als man vp steit A: Ich bidden dich lieue her ihesu criste durch dijn willige gehorsamheit durch dijn ynnich gebet durch dyne geduldicheit ... Here ich leuelen mich huden ind vmmerme ind sunderlingen yn mijnre lester noit ... Ich beuelen mich hude yn die kraft der heiliger dryer namen des eyn gewaren gotz ... Here ihesu criste wapen mich mit dijnre gedolt ... Leue here giff mir tzu smachen dyne suysse heilicheit ...

167r−171r

Gebete vor der Krippe Jesu, an Jesus, Maria und Josef Ü: Alsus sal man tzo der kribben gain ind groyssen dat nuwe geboren kijnt Ihesus A: Gegroit sijstu mynnenclijche Jhesus vmb vnsen willen wordestu gekundiget van dem ertschen engel ... 169r Ü: Nu groysse ouch die moeder des kijndes ind sprich A: O maria myrck dat du vmb vnsen willen bis geworden eyn moeder godes ..., 170r Ü: Nu gruest ouch den heiligen man Joseph A: O Alre heilichste ioseph eyn alre kuyschste brudergom der iunffrouwen ... (vgl. Nr. 43.1.26., 63r)

171r−188v

Gebete vor, während und nach Empfang der Kommunion, darunter Heinrich Seuses Kommuniongebet

189r−191v

Sieben himmlische Freuden Mariens (Überbietungs-Typus) mit zwei anschließenden Gebeten Ü: Dat sijnt die seuen vreuden vnser lieuer vrauwen der selichlichen gebruycht yn den ewigen leuen. Als sy den heiligen busschoff sent Thomas van cantelberch seluer geoffenbairt hait yrme lieueu diener ind liefhauer. A: Verblijde dich maria heilige moeder godes vmb dat du bouen allen choren der engelen ... 191r A: O alre sueste here ihesu criste die dijn alre selichste moeder die gloriose iunffrouwe maria mit ewiger ind vnbegrijflicher vreuden hais verblijt ...

191v–193r

Gebet über die irdischen Freuden Mariens A: Hertzeliche lieue moeder godes Ich arme mynsche ermanen dich der liefden ...

193r–194r

Gebet über die Schmerzen Mariens A: Hertzeliche lieue moeder godes Ich ermanen dich ouch al der vreuden die du ye haddes mit dyme lieuen kijnde ... Vnd ich ermanen dich ouch al des lijdens ind anxtes ...

194r–196v

Fünf Schmerzen Mariens Ü: So wie alle dage marien ermaint deser vunff lijden den erschijnt sy yn syme lesten ende A: Ich ermanen dich maria des eruernisse dat dijn hertze erueirt wart ... (auch in Nr. 43.1.90b., 178r–181r)

196v–198v

Mariengebet A: Eya moeder der barmhertzicheit iunffrouwe van vngelicher reynichheit ...

199r–203v

Dominikus von Preußen, Rosenkranzklauseln Mariens, 50-teilig A: Den du reyne iunffrouwe vntfemges van dem heiligen geist ...

203v–204v

Gebet über den Rosenkranz Mariens A: Got gruesse dich goeder tieren maria eyn vynster des hemelschen sails ...

204v–211v

Mariengebet, vor einem Bildnis zu beten Ü: Ein Innich gebet van vnser lieuer frouwen. Dit sal man xxx dage lesen vur marien beilde A: O edel koningynne der hemelen in dreyne maget maria moeder ...

211v–214v

Mariengebet A: O hoge koningynne des ewigen reijchs O moegende vorstynne der hemelscher scharen ...

214v–218r

Gereimte Ave Maria-Paraphrase, Glossengedicht mit lateinischen Lemmata A: Ave lieue zarte reyne du bist maget alleyne vrouwe van hemelrijch dijre genaden begeren ich ynneclich ..., Maria zarte reyne maget ..., Gracia want du bis vol genaden ..., Plena O maria du bis vol glorien ...

Fassung II.7. (Wachinger [1981] Sp. 83)

219r−258v

Heiligengebete und -suffragien: Schutzengel, Petrus, Johannes d. Ev. (als Schutzpatron Ich erkiesen dich zo eyme sunderlingen patroin), Paulus, Apostel allg., Albuin, Sebastian, Märtyrer allg., Märtyrer-Gruppe, hl. Drei Könige, Martin, Severin, Nikolaus, Hubertus, Cornelius, Antonius, Quirinus, Bernhard, Joachim, Anna, Katharina, Barbara, Agnes, Maria Magdalena, Dorothea, 11.000 Jungfrauen, Margarete, Cecilie, Georg

241v

Miniatur: Anna Selbdritt

245v

Miniatur: Katharina, Barbara

250v

Miniatur: Maria Magdalena, Agnes

259r−262r

Dankgebet Ü: Alsus sal man gode dancken al sijnre waildait yn desem gebede herna geschreuen A: O lieue here almechtiger ewiger got Ich dijn arme sundige creature vyss gronde mijns hertzen dancken louen ind gebenedyen dich vur al dat goit ...

262r−263v

Anfang des Johannesevangeliums (1,1−4)

I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, 1* + 264 Blätter, 97 × 74 mm (seitlich und oben beschnitten), geübte Bastarda von einer Hand, einspaltig, 16 Zeilen, partiell moderne Bleistiftfoliierung oben rechts (Zählung nicht durchgängig korrekt), Lagenformel: IV6 (Innenspiegel, 1*), IV+115 (+15), 7 IV72 (36 ausgelassen), IV+181 (+73), III+188 (+88), 2 IV104, III+1111 (+111), 4 IV143, IV+1152 (+148), 11 IV239 (187a), IV+2249 (+241, 245), IV+1258 (+250), IV264 (zwei Blätter als Innenspiegel). Möglicherweise fehlt seit der Neubindung im 17. Jahrhundert vorne ein Doppelblatt mit dem Wappen des Erstbesitzers. Schriftspiegel 58 × 38 mm, violett ausgegrenzt, violettes Lineament, rote Versalien, zahlreiche zweizeilige Blattgoldinitialen mit rotem oder blauem Fleuronné, drei achtzeilige Buchmalerinitialen, deren Initialkörper aus blauem oder rotem Akanthus bestehen, weiß gehöht, auf Blattgoldgrund, in der Mitte gefüllt mit bunten Blüten und Blättern (16r, 74r, 89r), 15 vierzeilige Buchmalerinitialen aus blauem, blauviolettem, rotem oder grünem Akanthus, jeweils mit Weiß gehöht, auf Blattgoldgrund, in der Mitte gefüllt mit bunten Blättern, am Rand begleitet von einem Stück Bordüre (27v, 40r, 44v, 48v, 52v, 56v, 64r, 112r, 149r, 171v, 189r, 242r, 246r, 251r, 259r), eine dreizeilige Buchmalerinitiale (199r), sieben zweizeilige Initialen aus Blattgold, auf rot-blau geteiltem Grund, mit Gelb bzw. Weiß gehöht, am Rand kleine Rankenausläufer (76r, 77v, 79v, 81v, 83r, 84v, 101v), einzeilige Lombarden, wechselweise Rot oder Blau, Rubriken, zahlreiches Federwerk wie im Liber Precum St. Petersburg, Russische Nationalbibliothek, Lat.O.v.l.206 und in Nr. 43.1.161.

Schreibsprache:

niederrheinisch (Borchling [1900]), ripuarisch (Logutova/Marrow [2003]).

II. Bildausstattung:

Acht Miniaturen (15v, 73v, 88v, 111v, 148v, 241v, 245v, 250v), aus der Lochner-Nachfolge-Werkstatt, die auch den nichtfigürlichen Schmuck des Liber Precum gefertigt hat.

Format und Anordnung:

Die ganzseitigen Miniaturen, 48 × 38−42 mm, wurden als separate, auf dickerem Pergament gemalte Einzelblätter in die Handschrift eingebunden (recto-Seiten blieben leer). Jeweils auf verso-Seiten situiert, signalisieren sie den Beginn von längeren oder für den Eigentümer bedeutsameren Texten. Auffälligerweise fallen bei den drei ersten Abschnitten Lagen- und Textgrenze immer zusammen: So reicht das Marienoffizium von Lage zwei bis neun (wobei die letzten drei Seiten frei blieben), das Kreuzoffizium erstreckt sich über Lage zehn und elf (wobei die elfte nur aus einem Ternio besteht, von dem zwei Seiten unbeschrieben blieben), die Bußpsalmen beanspruchen Lage zwölf bis 14 (letztere wiederum nur ein Ternio mit einer frei gebliebenen Seite am Schluss). Das zweimalige Durchbrechen des Quaternionenschemas mit Ternionen, die Verschwendung von Pergamentseiten sowie die Gewohnheit, die einführenden Rubriken oben auf eine neue Lagenseite zu schreiben und nicht auf eine der vorangehenden leeren, legen nahe, dass diese Partien als voneinander unabhängige Einheiten auf Vorrat gefertigt worden sind, um sie bei Bedarf nach den Wünschen eines Kunden zusammenzufügen. In diesem Falle gab man sich mit drei grundlegenden Texten des Stundenbuches zufrieden und verzichtete auf das Totenoffizium. Mit Lage 15 beginnt der individuellere Teil des Gebetbuches: Die zum Passionsgebet gehörende Miniatur (111v) fällt noch zwischen eine Lagengrenze, die übrigen vier (148v, 241v, 245v, 250v) wurden in den Lagen 19, 31 und 32 eingeschaltet. Die Texte gehen von nun an über die Lagengrenzen hinweg und wurden bis auf eine leere Seite vor den Heiligengebeten, mit denen man offensichtlich nicht auf einer verso-Seite beginnen wollte, ohne einschneidende Unterbrechung geschrieben. Bis 218r könnte die Handschrift dennoch vorbereitet gewesen sein, dann aber zeugt die Auswahl der Heiligen und der Zusatz Ich erkiesen dich zo eyme sunderlingen patroin beim Gebet zu Johannes d. Ev. von einem persönlichen Zuschnitt, der auf den Erstbesitzer zurückgeführt werden muss. Aus dem Umstand, dass man vorab nicht wusste, ob und welche Texte dieser illustriert haben wollte, resultiert im hinteren Teil der Handschrift ein optisches Ungleichgewicht zwischen Bildseiten und gegenüberliegendem Text. Bei den einschlägigen Texten des Stundenbuches werden die Bild- und Textseiten harmonisch von vierseitigen Bordüren, gebildet aus Goldrispenflechtwerk, bewegtem Akanthus, phantastischen Blüten und kleinen Vögeln darinnen, umfasst (15v+16r, 73v+74r, 88v+89r) und die Textseiten werden mit einer achtzeiligen Initiale eingeleitet. Dagegen stehen sich in der zweiten Hälfte des Gebetbuches eine Miniatur mit in gleicher Weise opulenter Bordüre (111v, 148v, 241v, 245v, 250v) und eine nur mit einer vierzeiligen Initiale und einer kurzen achtzeiligen Bordüre am Innenrand bedachte Textseite (112r, 149r, 242r, 246r, 251r) gegenüber. Die Farbigkeit der Bordüren ist immer auf die Miniaturen perfekt abgestimmt, weshalb eine Anfertigung in einer Hand oder zumindest einer Werkstatt anzunehmen ist.

Bildaufbau und -ausführung:

Die fein ausgearbeiteten aber nüchternen Miniaturen zerfallen kompositorisch in zwei Gruppen. In der einen bespielen viele kleine Figuren eine enge Bühne (73v, 111v, 148v), in der anderen bestimmen zwei oder drei Protagonisten die Szene (15v, 88v, 241v, 245v, 250v). Auf den ersten Blick wirken die beiden Gruppen und diese zum Teil auch untereinander recht inhomogen: Am überzeugendsten fallen die zu Paaren zusammengestellten weiblichen Heiligen aus (245v, 250v). Ihre Gewänder zeigen einen reichen, kräftig durchformulierten Faltenwurf, vom Habitus her stehen sie festen Fußes in der Landschaft bzw. in einem Raum mit Fliesenboden, der im Hintergrund mit einem virtuos gemalten, golddurchwirkten Seidenstoff bespannt ist. Die Landschaftsdarstellungen dieser Gruppe fallen durch eine stilisierte Form mit runden, grünen Hügelkuppen auf. So kniet König David mittig mit seiner großen Leier nach rechts zum oben aus der Ecke hervorschauenden Gottvater vor einem Felsgestein in einer Landschaft aus grünen Hügeln und einem See, den Hut hat er vor sich abgelegt (88v). Die Landschaft hinter der auf einem flachen Mäuerchen sitzenden Figurengruppe der Anna Selbdritt (241v) besteht ebenfalls aus stilisierten Hügeln und einem schematisch sich dort hindurch windenden Gewässer. Die dritte Landschaft derselben Art erstreckt sich hinter dem Doppelbildnis der Maria Magdalena und der hl. Agnes (250v), die ein Komposit aus zwei Stichen Israhels van Meckenem ist (Lehrs 9 [1934] S. 311, Nr. 386, 387). Gegen die Heiligendarstellungen fällt die Verkündigung deutlich ab (15v); sowohl der Engel als auch Maria sind in der Raumtiefe des zentralperspektivisch angelegten Zimmers nicht sicher verankert. Sämtliche Personen haben recht flächige Gesichter mit hoher, runder Stirn und alle Heiligen tragen auffallend große Scheibennimben. Bei den Miniaturen der ersten Gruppe, die aufgrund ihrer Kleinteiligkeit vorsichtiger koloriert, teilweise aber auch durch Farbabrieb in Mitleidenschaft gezogen sind, kommen Vorzeichnungen zum Vorschein, die sich steif und unselbständig ausnehmen. Wahrscheinlich sind die Diskrepanzen unterschiedlichen Bildvorlagen zuzuschreiben. So sind bei der Kreuzigung (73v) die um den Rock Christi würfelnden Soldaten vorn rechts und die in Ohnmacht sinkende, von Johannes rücklings aufgefangene Maria vorn links aus einem großen Kupferstich vom Meister IAM von Zwolle um 1480 entlehnt (Lehrs 7 [1930] S. 186, Nr. 5); Longinus zu Pferde und ein weiterer Berittener im Mittelgrund links aber stammen aus einem Stich des Meisters WA (Lehrs 7 [1930] S. 25, Nr. 1, Taf. S. 178, Nr. 454). Diese volkreiche Kreuzigung ist zudem die einzige kölnische dieser Gattung in der Buchmalerei und damit auch die kleinste Darstellung des Sujets in Köln. Auch in den anderen volkreichen Miniaturen finden sich stilisierte Landschaften, z. B. kniet Jesus mittig beim Gebet am Ölberg mit erhobenen Armen, um von einem rechts oben herbeischwebenden Engel mit dem Kelch (ähnlich der Komposition bei David im Gebet) gestärkt zu werden (111v). Um ihn herum lagern die schlafenden Jünger, während im Hintergrund schon die Häscher herankommen. Erstaunlich ist, dass sogar noch eine Hügellandschaft und eine Stadtansicht integriert sind. Die Stadtansicht im Hintergrund ist identisch mit derjenigen auf dem Euskirchener Kanonblatt im Missale Cod. 1 (Euskirchen, Stadtmuseum) und wird für die Ansicht Euskirchens gehalten. Da auch die Maria des genannten Kanonbildes dasselbe Gesicht wie die hl. Agnes trägt und das Felsgestein von 88v mit dem im Kanonbild übereinstimmt, liegt die Kenntnis dieses 1480 entstandenen Missales bzw. die Anfertigung des Kieler Stundenbuches in derselben Kölner Werkstatt nahe. Die Gregorsmesse (148v) zeigt im unteren Teil den knienden Papst, flankiert von zwei Kardinälen vor dem Altar, auf dem der Gekreuzigte vor seinem Kreuz steht. Die obere Hälfte der Miniatur wird von einer ordentlich regalartig angeordneten Abfolge von Arma Christi unter anderem mit den Köpfen von acht Häschern eingenommen, wodurch auch diese Abbildung volkreich wirkt. Die Rückenfigur Gregors d. Gr. wurde aus einem Kupferstich Israhels van Meckenem kopiert (Lehrs 9 [1934] S. 289, Nr. 353). Es scheint zum Arbeitsstil dieser Werkstatt gehört zu haben, sich grafischer Vorlagen zu bedienen, die Entwürfe aber nicht komplett zu übernehmen, sondern einzelne Elemente aus ihnen in der Art eines Pasticcios neu zusammenzufügen. Ein Indiz für die Abhängigkeit der figürlichen Zeichnung besteht in der zurückhaltenden Wirkung der Miniaturen, die deutlich hinter den üppig wuchernden Bordüren zurücktreten. Diese überzeugen durch ein ausgereiftes, souverän beherrschtes Design. Zwei andere Handschriften, ein Stundenbuch, das ein Jahr vor dem Kieler entstanden, aber aller seiner Miniaturen beraubt worden ist (Nr. 43.1.161.), und ein Fragment einer nicht datierten Imitatio Christi, das mit Miniaturen eines anderen Ateliers ausgestattet worden ist (St. Petersburg, Russische Nationalbibliothek, Lat.O.v.I.206; vgl. Woronowa/Sterligov [1996] S. 242f., Abb. 312), weisen dieselben Typen von Bordüren auf. Das erstere hat zwei Flechtwerkbordüren wie das Kieler Stundenbuch, das zweite in St. Petersburg ist nur mit den ebenfalls im Kieler Stundenbuch vorkommenden Federranken in den Bordüren verziert. Beide Bordürenvarianten sind im Kieler Stundenbuch vereint. Die Art dieses Dekors entwickelte sich aus den rund vierzig Jahre zuvor entstandenen Lochner-Gebetbüchern (s. Nr. 43.1.43. Darmstadt, Hs. 70 und Berlin, 78 B 1a). In den achtziger Jahren hatten sich die filigranen Rispen zu einem kunstvoll geometrisch angelegten Flechtwerk verdichtet, um das sich bewegte Akanthusblätter, oft gefältelt, oder sogenanntes Buckellaub schlingen. Auch die Bordürengestaltung geht auf grafische Vorlagen zurück (z. B. vom Meister E. S. Lehrs 2 [1910] S. 385, Nr. 313, 314 und Lehrs 7 [1930] S. 159, Nr. 53, Taf. 188, Nr. 471 und Lehrs 7 [1930] Taf. 223, Nr. 539f.). Die Wirkung dieser Blätter ist eine stark plastische, die durch die Technik des Weiß-Höhens erreicht wird. Dieselbe Technik wird auch in Nr. 43.1.161. angewendet, ein Werkstattzusammenhang für das Kieler Stundenbuch, das Petersburger Liber precum und Nr. 43.1.161. ist somit naheliegend. Zudem sind viele Elemente der Gestaltung identisch mit dem Gebetbuch in München, Cgm 84, das aber aufgrund anderer stilistischer Unterschiede nicht aus derselben Werkstatt stammen kann. Dieser Stil hat sich zeitgleich auch im Kölner Buchdruck niedergeschlagen: Ein Stundenbuch aus der Terhoernen’schen Schule von ca. 1485 (Köln: Drucker der getzijden [Terhoenen’sche Schule], um 1485) und zwei Koelhoffsche Inkunabeln von 1487 und 1489 (Schreiber, Handbuch 4095, GW 7146; vgl. TIB 86, S. 26; TIB 87, S. 45) dokumentieren die Versuche von Reißern, das Schlingengewirr in das schwerfälligere Medium des Holzschnitts zu transportieren. Israhel van Meckenem publizierte darüber hinaus ein Kupferstichalphabet im Stil dieser Handschriften (Lehrs 9 [1934] S. 429ff., Nr. 566−571), das in den achtziger und neunziger Jahren in zahlreichen Drucken imitiert worden ist (Lehrs 9 [1934] S. 432−434, laut Lehrs nach verlorenem Original vom Meister der Berliner Passion).

Dieses Stundenbuch veranschaulicht ebenso wie die beiden Kölner Bordüren in Nr. 43.1.161. (Privatbesitz) den Übergang zwischen der Gruppe von Handschriften der Lochner-Nachfolge (z. B. Nr. 43.1.37. [Burscheid], Nr. 43.1.39. [Cape Town], Nr. 43.1.67. [Privat, ehem. Hamburg], Nr. 43.1.74. [Heidelberg], Nr. 43.1.78. [ehem. Anholt], Nr. 43.1.138. [München], Nr. 43.1.139. [München]) und der Lochner-Rezeption (z. B. Nr. 43.1.157. [Privat, ehem. Hamburg] und Nr. 43.1.184. [Utrecht]) aus der Zeit von 1498–1508.

Bildthemen:

Zum Standardrepertoire gehören die Verkündigung (15v) beim Marienoffizium, David im Gebet (88v) bei den Bußpsalmen, die Gregoriusmesse (148v) zum Ablassgebet ›Adoro te‹. Das Bild zum Kreuzoffizium (73v) fällt durch die Darstellung einer volkreichen Kreuzigung ein wenig aus dem Gewohnten heraus. Das Gebet am Ölberg (111v), das zu einem Passionsgebet gehört, wurde im Hintergrund um die herannahenden Häscher erweitert. Die übrigen drei Miniaturen dienen der Heiligendevotion (241v, 245v, 250v).

Farben:

Blau, Grün, Graublau, Grauviolett, Rosa, Orange, Ocker, Rehbraun, Braun, Grau, Gelb, sparsam auch Weiß und Schwarz. Blattgold auf weißem Bolus. Zum Teil sind die Farben abgeplatzt bzw. abgerieben (insbesondere das Blau).

Digitalisat:

dibiki.ub.uni-kiel

Literatur:

Ratjen (1834) S. 77, Nr. 4; Ratjen (1873) S. 29; Borchling (1900) S. 146; Gummlich (2003) S. 226f.; Glaube und Wissen (1998) S. 276; Hemfort (2001) S. 75 Anm. 439, S. 80, 83, 85, 116f. Anm. 612, S. 253; Logutova/Marrow (2003) S. 112f.; Cermann (2018) S. 264, Anm. 29.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus