43.1.34.Budapest, Eötvös Loránd Tudományegyetem, Egyetemi Könyvtár, Cod. germ. 2
Bearbeitet von Regina Cermann
KdiH-Band 5
Datierung:
Ende 15., Anfang 16. Jahrhundert.
Lokalisierung:
Schlesien?
Besitzgeschichte:
Von Güntherová/Mišianik (1962) als Gebetbuch des Balthasar Blutfogel bezeichnet (geboren in Canth [Schlesien], 1516 gestorben als Presbyter in Bártfa [Bartfeld; Bardejov/Slovakei]). Derselbe hinterließ seine Bücher der Bibliothek der Aegidiuskirche in Bártfa (22 Inkunabeln lassen sich aufgrund ausführlicher Besitzereinträge identifizieren; vgl. Ábel [1885] S. 78–88; Soltész [1957]; Hoffmann/Wehli [1992] S. 272–274). 1786 als Geschenk von Martin Georg Kovachich an die Universitätsbibliothek Budapest gelangt. Bibliothekssignaturen des 19. Jahrhunderts auf Iv (XVI 4) und IIv (Inscriptus Catalogo Mss. sub Gebetbuch VII.d.).
Gebetsvorbereitung So du aber pettenn wilt So verlasß dye auffrur aller fliegenden gedancken …
7r–10r
Beichtformel Ich bekenne dem almechtigen vatter …
10r–10v
Segen Dye gebenedeyung gott des vatters …
11r–74v
Gebetszyklus, auf die Wochentage verteilt (ausführlich beschrieben bei Vizkelety [1969–1973]; parallel überliefert in einem Andachtsbuch von 1423 [Eger, Föegyházmegyei Könyvtár, B. X. 46, 16v–62r]; vgl. Vizkelety [1969–1973] Bd. 2, S. 141–146, bes. S. 142)
11r–19v
Sonntags O Du schöppfer aller geschöpffe Eyn aller vbertreffenlichister schatz …
11r
Historisierte Initiale: Sol, Wagen von Pferden gezogen, Sternzeichen Löwe im Rad
20r–30v
Montags O Du aller mechtigister kunigk aller kunige Der aller weysist furst aller fürstenn …
20r
Historisierte Initiale: Luna/Diana (mit Pfeil und Bogen, Mondsichel im Haar), Wagen von Jungfrauen gezogen
31r–39v
Dienstags O herre Jhesu criste ein ebenpild der güttigkaytt gottes …
31r
Historisierte Initiale: Mars, Wagen von Pferden gezogen
40r–47v
Mittwochs O Du aller höchste vnnd vnnd vnbegreyflichste weyßhaytt der almechtikaytt gottes …
40r
Historisierte Initiale: Merkur, Wagen von Falken (?) gezogen
48r–57v
Donnerstags O Du mein aller liebster herre Jhesu criste Mein peyttung mein frayd meyn süssigkaytt …
48r
Historisierte Initiale: Jupiter (mit rotem Turban, Pfeil im Arm), vor ihm Ganymed als Mundschenk, Wagen von Adlern gezogen
58r–64v
Freitags O Du höhe des göttlichenn rattes der du bist ein auff seczer vnnd regirer aller gedenckenn …
58r
Historisierte Initiale: Venus mit Amor, Wagen von Tauben gezogen
65r–74v
Samstags O du aller vberwintlichster syg gewinner Ein liecht der lebendigenn Ein hoffnung der sterbenden …
65r
Historisierte Initiale: Saturn/Chronos (schwarz gekleidet, mit Sense), Wagen von Drachen gezogen
74v
Kolophon Hye enden sich die gebett dy gottlichenn weyßhaytt zu erlan-genn … das gebet am ende sprich nach dem laus deo F[rater] A. O[rdinis] P[redicatorum]
75r–80v
Mariengebet, Petrus Diaconus zugeschrieben O Du aller seligste vnnd aller hayligiste Junckfrawe maria Nym war ich aller ermister vnd vnseligister dein knecht stee vor deynem angesicht …
Kurze Dankgebete für jeden Tag der Schöpfung Am suntag sprich Almechti-ger gott wir sagenn dir danck der du als hewt erschaffen hast die schöne der himel …
100v
leer
I. Kodikologische Beschreibung:
Pergament, 100 Blätter, je zwei Vor- und Nachsatzblätter aus Papier, moderne Bleistiftfoliierung, 142 × 100 mm. Lagenformel: 3 IV–121 (vor 1, 11, 20), IV29, 5 IV–164 (vor 31, 40, 48, 58, 65), 2 IV80, IV–187 (vor 81), IV95, IV–3100 (3 nach 100). Bastarda, nach Güntherová/Mišianik (1962) Hand des Balthasar Blutfogel, einspaltig, 22 Zeilen, Rubriken, rote Strichel, blaue Caputzeichen, zwei- bis dreizeilige rote oder blaue Lombarden.
Schreibsprache:
bairisch-österreichisch (Vizkelety [1969–1973]).
II. Bildausstattung:
Neun Blätter wohl aufgrund ihrer Miniaturen herausgeschnitten (vor 1, 11, 20, 31, 40, 48, 58, 65, 81). Sieben historisierte Initialen (11r, 20r, 31r, 40r, 48r, 58r, 65r). Neun einseitige Akanthusranken (1r, 11r, 20r, 31r, 40r, 48r, 58r, 65r, 81r). Eine neun- (1r), eine acht- (75r), eine siebenzeilige (81r) Buchmalerinitiale. Von Güntherová/Mišianik (1962) Balthasar Blutfogel zugeschrieben.
Format und Anordnung:
Die verlorenen Miniaturen waren fest im regelmäßigen Quaternionenverbund verankert (Textverlust entstand nur nach 39v, 57v, 64v); die erste Miniatur eröffnete die zur Andacht einstimmenden Gebete (1r–10v), sieben untergliederten die Wochenandacht (11r–74v), eine ging dem Gebet zu den ›Sieben letzten Worten Christi am Kreuz‹ voran (81r–94r). Erhalten blieben die auf den gegenüberliegenden recto-Seiten befindlichen sechs- bis achtzeiligen historisierten Initialen (innerhalb der Wochenandacht) bzw. Buchmalerinitialen (1r, 81r), die allesamt am unteren Blattrand von zierlichen Akanthusranken begleitet werden. Nur eine Buchmalerinitiale zu einem Mariengebet blieb ohne Rankendekor (75r).
Bildaufbau und -ausführung:
Berkovits (1931) erkannte, daß sich die historisierten Initialen an Holzschnitte in dem Druck C. I. Hyginus, ›Poeticon astronomicon‹. Venedig: Erhardt Ratdolt, 14.10.1482, GW 13678 anlehnen (Hain Nr. 9062. Erneut: Venedig: Erhardt Ratdolt, 22.1.1485, Hain Nr. 9063. Deutsch: Augsburg: Erhart Ratdolt 1491, Hain Nr. 9067, s. Nr. 11.2.a.; Schramm Bd. 23, Taf. 29, Abb. 119–125). Die Motive erscheinen hier jedoch seitenverkehrt (Wagen nach rechts ausgerichtet) und sind zudem stark verkleinert. Auch die Vorlage für die Holzschnitte, eine florentinische Kupferstichfolge der Planetenkinder (Lippmann [1895]; Hind [1938–1948] Bd. 1, S. 77–82, Bd. 2, Taf. 114–128, Serie A und B), zeigt die Götter in ihren Wagen nach links ziehend.
Soltész (1957), die als erste die Ausmalung der Inkunabeln aus Balthasar Blutfogels Bibliothek untersuchte, interpretierte eine Banderole mit der Inschrift ISTE LIBER EST DOMINI WALTAS (Soltész [1957] Nr. 4, Abb. S. 4 = Hoffmann/Wehli [1992] Nr. 8) und eine Initiale, in die der Buchstabe B eingezeichnet ist (Soltész [1957] Nr. 3, Taf. III,1 = Hoffmann/Wehli [1992] Nr. 9) dahingehend, daß der für sich im Explicit stets nur den labor rubricandi in Anspruch nehmende Blutfogel auch für das Illuminieren seiner Bände verantwortlich zu machen sei. Güntherová/Mišianik (1962) gesellten zu dieser Gruppe von Inkunabeln das vorliegende Gebetbuch hinzu, das durch keinerlei Eintrag für Balthasar Blutfogel gesichert ist. Die eigentümliche Art, bei seinen Datierungen in den Drucken den Zodiakus mit anzugeben, verrät allerdings ein astrologisches Interesse, das auch aus diesem Gebetbuch spricht. Nach den verfügbaren Abbildungen zu schließen, ist die Ausstattung der Bände jedoch keineswegs so einheitlich, wie dies Soltész (1957) und insbesondere Güntherová/Mišianik (1962) annahmen (danach lassen sich lediglich Soltész [1957] Nr. 3–5, 12, 13 = Hoffmann/Wehli [1992] Nr. 7–9, 18, 19 zusammenschließen; vgl. Soltész [1957] Abb. S. 4, Taf. II, III,1, IV,1; Güntherová/Mišianik [1962] Abb. 150, 151; Hoffmann/Wehli [1992] Abb. 3). Bei Hoffmann/Wehli (1992) wurde die Zuschreibungsfrage zu Recht strenger gehandhabt: Ausgehend von den beiden Bänden, die laut Soltész (1957) eine Signatur aufweisen, wurden im weiteren nur diejenigen Drucke mit einbegriffen, die sich eng an den dort vorzufindenden Dekor anschließen. Das Budapester Gebetbuch, das bei Hoffmann/Wehli (1992) keine Erwähnung findet, hebt sich mit seinen Rankenformen deutlich davon ab. Mit der Ablehnung von Blutfogel als Illuminist steht aber auch die Zugehörigkeit der Handschrift zu dessen Bibliothek in Frage – falls der Nachweis nicht noch durch einen genauen Schriftvergleich zu erbringen ist. Alle Versuche, die unspektakuläre Handschrift stilistisch genauer einzuordnen, blieben vage bzw. vermögen nicht zu überzeugen: So suchte Berkovits (1931) die Initialen und Ranken mit Nürnberger Eigenart zu verbinden, Soltész (1957) machte tschechischen Einfluß geltend, Güntherová/Mišianik (1962) beriefen sich auf böhmisch-schlesisch-polnische Traditionen, zuletzt vermeinte Török (in: Kódexek a középkori Magyarországon [1985] S. 44), den Stil vom Salzburger Illuministen Ulrich Schreier herleiten zu können.
Bildthemen:
Die sieben Wochentage werden durch die sieben Planetengötter in ihren Wagen mit davorgespannten Tieren personifiziert (dies Solis, Lunae, Martis, Mercurii, Jovis, Veneris, Saturni). Über die verlorenen Miniaturen lassen sich bis auf diejenige vor Blatt 81, auf der eine Kreuzigung dargestellt gewesen sein dürfte, keine Angaben machen.
Vizkelety (1969–1973) Bd. 2, Nr. 34, S. 74–80, Taf. II (11r). – Kovachich (1786) S. 234–239, Nr. VI.2; Szilagyi (1881) S. 111; Gragger (1921) S. 7; Berkovits (1931) S. 8–12, Abb. zwischen S. 16/17 (58r); Güntherová/Mišianik (1962) S. 16, 34 f., 37 f., Nr. 55, Abb. 152–155 (58r, 48r, 40r, 11r).