KdiH

KdiH

_ (der Unterstrich) ist Platzhalter für genau ein Zeichen.
% (das Prozentzeichen) ist Platzhalter für kein, ein oder mehr als ein Zeichen.

Ganz am Anfang und ganz am Ende der Sucheingabe sind die Platzhalterzeichen überflüssig.

ß · © ª º « » × æ œ Ç ç č š Ł ł ́ ̀ ̃ ̈ ̄ ̊ ̇ ̋ ͣ ͤ ͥ ͦ ͧ ͮ Α Β Γ Δ Ε Ζ Η Θ Ι Κ Λ Μ Ν Ξ Ο Π Ρ Σ Τ Υ Φ Χ Ψ Ω α β γ δ ε ζ η θ ι κ λ μ ν ξ ο π ρ σ ς τ υ φ χ ψ ω ͅ ̕ ̔

43.1.63. Freising, Privatbesitz

Bearbeitet von Regina Cermann

KdiH-Band 5

Datierung:

Um 1500 (nach 1494, vgl. 89v Annenablaß).

Lokalisierung:

Augsburg (112v Simpert, 114v Radegundis [von Wellenburg]; Werkstatt Hans Holbeins d. Ä.).

Besitzgeschichte:

17v männlicher Stifter. *Ir verschiedene Provenienzeinträge in Bleistift: Hand des 18. Jahrhunderts (unten) Von H. Rupp (?) / S[…] / mit Bewilligung der / gnädi-g[en] Frau Äbtissin (möglicherweise Hinweis auf das Kanonissenstift St. Stephan in Augsburg, 969–1802). Hand des 19. Jahrhunderts (oben) Hertlein gehörig / N 8. Anfang des 20. Jahrhunderts (obere Hälfte) Livre de prières / en allemand / XVe s. *Iv rotes Schildchen, auf das in einen Kreis von 15 mm Durchmesser die Buchstaben RD ineinandergesetzt in Gold gedruckt sind. *IIv modernes Holzschnitt-Exlibris: mittelalterlicher Gelehrter am Buchpult (55 × 37 mm).

Inhalt: Gebetbuch eines männlichen Laien

*Ir–*IIv

*Ir verschiedene Provenienzhinweise (s. o.), *Iv Schildchen (s. o.), *IIr leer, *IIv Holzschnitt-Exlibris (s. o.)

Ir–IIv

leer

1r–2r

leer

2v–7r

Johannes von Indersdorf, drei Gebete zur Hl. Dreifaltigkeit aus der Sammlung für Herzog Wilhelm III. von Bayern (Haimerl [1952] S. 155, Anm. 965)

2v

Miniatur: Hl. Dreifaltigkeit thronend

7r–17r

Thomas Peutner, ›Von der Liebhabung Gottes an den Feiertagen‹ (Webber [1990] S. 70–74; s. Nr. 43.1.168., 70v–76v; Nr. 43.1.202., 57r–64r)

11r

Federzeichnung: Anbetung der Hl. Drei Könige

11v

leer

17v–27v

Vier Gebete zu Christus bzw. Gottvater 18r O herr ihesu criste ain prun vnd vrsprung aller gütikait vnd genaden du hast nÿe verlassen die ir hoffnung in dich gesetzt haben …, 20v O Vatter almechtiger gott vnd ainiger schöpher aller creatur ewig on anfang vnd on end des gstalt vnd wesen kain gemüt betrachten noch dhain zung ausprechen mag …, 22v O Vatter almechtiger barmhertziger vnd gütiger gott gib vnd verleich vns ain vberwintlichs gemüt wider all sünd …, 27r O herr ihesu criste ain glori vnnd wort vnd ain Sun des waren liechtes vnd ain wares liecht des liechtes Wir pitten vnd rüffen dich an

17v

Miniatur: Stifter kniet vor Schmerzensmann

28r

leer

28v–67v

Gebet zu den sieben letzten Worten Christi am Kreuz, Hieronymus zugeschrieben (›Erigo mentis oculos ad imaginem tuam‹, deutsch), am Freitag vor einem Kruzifixus zu sprechen O Jhesu ain gecreuczigter sun gotes Ich erhebe die augen meines gemüttes zuͦ deiner bildung Ich vmb fahe den baum des Creützes … (s. Nr. 43.1.34., 81r–94r)

28v

Miniatur: Hieronymus im Bußgewand vor einem Kruzifixus in rauher Berglandschaft kniend

68r

leer

68v–77r

Mariengebet, jeden Samstag zu sprechen O Maria ain ainige hoffnung vnd ain muͦter der genaden O du aller hailigiste muͦter gottes genczlichen erfüllt mit grosser guetikait

68v

Miniatur: Mondsichelmadonna

77v–85v

Sieben Ermahnungen an die hl. Anna, am Dienstag zu sprechen O hailige frau Sant Anna ich ermanen dich der grossen fraid die du vnd ioachim hettent do ir bekantent das euch der himlisch vater auß erwelt hat

77v

Miniatur: Anna selbdritt

85v–91r

Drei Gebete zur hl. Anna: Fraÿ dich o aller wirdigiste frau sandt Anna wenn die von dem edlen geschlecht kinig dauids geporen pist …, 89v Pestgebet, vor einem Annenbild zu verrichten, mit Ablaß (laut Haimerl [1952] S. 144 von Papst Alexander VI. 1494 erteilt; s. Dörfler-Dierken [1992] S. 17) Gegriest pist du maria vol genaden der herr ist mit dir dein genad seÿ mit mir gesegnet pist du vnder allen frowen vnd gesegnet seÿe dein hailige muͦter anna … (Haimerl [1952] S. 141, Anm. 873), 90v weiteres vor einem Annenbild zu verrichtendes Gebet O Gesegnet ist die müter die vns pracht hatt das Junckfrelich hercz

91r–123v

Sieben Bußpsalmen mit Litanei (… stephan, Lorentz, florian, vallenttein, wolffgang, vͦlrich, anthony, ludwig, franciscz, alexia, mang, cosma, damiano, priminius, Simprecht, Bernhart, Siluester, fabiani, Sebastian, martin, Rochee, Dursch [Ursus], mauricio, Bonifacÿ. Jeronimus, Augustin, Ambrosius, Gregorius, Caspar, Balthaser, melchior. [15 Nothelfer:] gregorium, blasium, erasum, vitum, Banthaleone, Cristofferum, dÿonisium, Ciriacum, achaczium, Eustachium, Egidium, leonhardum, katherinam, Barbaram, margretham. Anna, magdalena, helena, Klara, Affra, Brigida, maria egipciaca, Agatha, Dorothea, Elßbeth, Juliana, Appolonia, Ottilia, Brigida, Agnes, Genafeffa, Radigunda, Vrsula), Fürbitten, Kollekten

123v–128r

Gebet eines hohen Lehrers, nach der Beichte zu sprechen, verspricht soviel Ablaß, wie der Schächer am Kreuz empfing Allmechtiger ewiger gott vnd vater der barmherczigkaitt schöpfer hÿmel vnnd der erden vnd alles das dar Inne ist Ich danck dir aller der güthait vnd gnaden die du mir

128r–131r

Vierteilige Betrachtung zum Kommunionempfang Herr meiner sünden ist so vil das ich ir nit wol gepuͦssenn mag. Herr vater von hÿmelreich dauon wil ich dein sun heẅt empfahen …, 130r Darnach sollt du gedencken Werr der herr sey den er sol empfahen das er wirdiger werr der hell den das er gott soll empfahen … (vgl. München, Staatsbibliothek, Cgm 292, 34vb), 130v Darnach Sprich andechtiglichenn. Herr vater ich wil dein aingeporen sun empfahlen dir ze lob auf erdtrich

131v–147v

Zyklus von Kommuniongebeten (erweiterte Fassung von Nr. 43.1.7., 133r–148r; Nr. 43.1.124., 77r–87v; Haimerl [1952] S. 84, Anm. 490) O Ewiger barmhercziger gott enzünd mich mit dem fewr deiner götlichen nymm (!) vnd liebin vnd begrab mich mit den genaden deiner milten barmherczigkait

147v–149v

Gebet Maria Magdalenas in der Wüste, auf ihrem Grabstein stehend O Du mein ainiger ewiger gott Nun trest mich huit mein herr vnnd mein gott Wann du bist allain mein trost vnd all mein trost leit allain an dir

149v–150v

Ablaßgebet von Papst Clemens VI. (andernorts Benedikt XII. zugewiesen) O Herr Jhesu criste siehe an mich armen sünder mit den augenn deiner erbärmde mit den du angesehen hast Petrum im vorhoff Mariam Magdalenam in der wirtschafft denn schacher am galgenn

150v–161r

Gebet zu Christus, Augustinus zugeschrieben O du aller süesister herr Jhesu criste der du in die weltt gesant bist von der schos deines almechtigen vatters auff das du abliessest die sünde

161r–167r

Ps 117, deutsch Bekenent dem herren wan er ist guͦtt wann sein erbermde ist in der welt

167v–170v

Nachtrag: Bittgebet an Gott um der sieben Freuden Mariens (gemäß Erscheinungs-Typus) und des Leidens Christi willen (Verkündigung/Beschneidung, Heimsuchung/Ölberg, Geburt/Geißelung, Anbetung der Hl. Drei Könige/Dornenkrönung, Darbringung/Entkleidung, Auffinden im Tempel/Kreuzannagelung) Allmechtiger gott ich bitt dich dz du vff wellist nemen dz gebett der in der gedechtnus der vij fröd die da hat gehept die Iunckfro maria Do sy dinem vnd iren Sun empfangen hat zuͦ danckberkait vmb den schmertzen dins lieben suns …, bricht 170v ab … dz hastu mit gedult gelitten durch miner

*IIIr–*IVv

leer
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, II + 170 Blätter, unfoliiert, je zwei Vor- und Nachsatzblätter aus Papier (*I–*IV), 138 × 105 mm, beschnitten. Lagenformel: I*II, III, V10, I-111, 15 V161, V-1170 (nach 170), I*IV. Professionelle Bastarda, zur Rotunda tendierend (typisch für Augsburg), eine Hand, einspaltig, 13–15 Zeilen, Rubriken, rote und blaue ein- bis dreizeilige Lombarden. 167v–170v Nachtragshand: Bastarda, einspaltig, 20–25 Zeilen, rote Strichel, zwei- bis dreizeilige rote Lombarden.

Schreibsprache:

ostschwäbisch.

II. Bildausstattung:

Fünf Miniaturen (2v, 17v, 28v, 68v, 77v), eine Federzeichnung (11r). Die Miniaturen sind alle ein wenig unterschiedlich gerahmt: Bis auf 2v werden sie zunächst von einer schmalen Bildleiste in Pinselgold bzw. Blau eingefaßt. Daran schließt sich auf 2v ein blaues Wolkenband an, auf 68v ein Wolkenband mit kleinen Sternchen auf dem unteren Rand, auf 28v ein mit sechs Nelken (negellîn) belegter blauer Streifen, der rot gesäumt ist. Nach außen, zum Blattrand hin werden alle Miniaturen von einer vierseitigen Akanthusbordüre gemäß dem Spätstil der Augsburg-Salzburger Missalien-Werkstatt umschlossen (stark beschnitten auf 2v, 28v, 68v). Drei Buchmalerinitialen, drei- bzw. vierzeilig (3r, 29r, 69r): blauer Buchstabenkörper auf pinselgoldfarbenem Grund, Türkisgrün gerahmt. Die kalligraphisch geformte O-Initiale auf 3r ähnelt denjenigen, wie sie später im ›Gilgengart‹ vorkommen (vgl. Clemen [1913]). – Zwei Hände: Miniaturen von einem Werkstattmitarbeiter Hans Holbeins d. Ä. Federzeichnung von einer Hand, der auch die hl. Katharina in Nr. 51.17.3., Christus in der Kelter in München, Staatsbibliothek, Cgm 4474, Iv (1507 datiert) sowie die Kreuzigung in Cgm 4475, 99v zuzuweisen ist (die beiden letztgenannten Handschriften stammen aus dem Münchner Pütrichkloster).

Format und Anordnung:

Ganzseitige Miniaturen, 90–95 × 58–65 mm (entspricht ungefähr dem ausgegrenzten Schriftspiegel), im regelmäßigen Lagenverbund verankert, jeweils auf verso-Seiten zu Beginn eines neuen Textabschnitts positioniert, Vorderseiten leer (2r, 28r, 68r) oder nur z. T. beschrieben (17r, 77r fünf bis sechs Zeilen). Federzeichnung ganzseitig, oben in einen flachen Spitzbogen auslaufend, 138 × 100 mm, oben und unten beschnitten, als separates Blatt ohne konkreten Textbezug zwischen die ersten beiden Quinionen eingefügt (an den Falz geklebt, der ursprünglich zum heute verlorenen vorderen Innenspiegel gehörte), Rückseite leer.

Bildaufbau und -ausführung:

Die zart angelegten Miniaturen werden in ihrer Wirkung durch die unsensible Binnenrahmung auf 2v, 28v, 68v etwas beeinträchtigt; auch das trüb bunte Blättergewirr der Akanthusranken bildet keinen vorteilhaften Kontrast zu den auf wenige Töne abgestimmten Bildern (Gold, Ocker, Blaugrau, Blau, Rosa, Grün, Weiß). Eine Scheidung von Miniatur- und Bordürenmaler wäre deshalb zu erwägen, wobei für ersteren ein eigentümlicher Farbauftrag charakteristisch ist, der nicht unbedingt für einen professionellen Buchmaler spricht: Über die bereits leicht abschattierten bzw. aufgehellten Farbflächen hat dieser mit feinem Pinsel bzw. spitzer Feder eine Binnenzeichnung in Rot, Schwarz, Braun, Weiß, Pinselgold aufgetragen, die vom Charakter her eher einer sorgfältigen Unterzeichnung, denn einer abschließenden Oberflächenbehandlung gleicht. Außer auf 28v, wo die untere Hälfte des Bildes von einer steinigen Gebirgslandschaft eingenommen wird und nur der Himmelsraum durch poliertes Blattgold überirdisch erstrahlt, wurden die Figuren sonst stets vor eine Blattgold- bzw. ockerfarbene Folie gesetzt, auf die grisaillehaft mit Schwarz, Rot, Weiß eine situative Umgebung skizziert worden ist. Diese Technik sollte sich allerdings nicht als sonderlich dauerhaft erweisen: Auf 2v sind die architektonische Rahmung, das Ehrentuch, die Nimben und Kronen weitgehend, auf 17v das Ehrentuch fast vollständig, auf 77v der rechte Teil des Rundbogens verschwunden. Einigermaßen intakt blieb allein auf 68v der Strahlenkranz, der Brokatvorhang und die vegetabile Arkade.

Die hier geübte Kombination von malerischen und zeichnerischen Verfahrensweisen findet am ehesten in lavierten Federzeichnungen ihr Äquivalent. Nächste Vergleichsstücke stellen Zeichnungen von Hans Holbein d. Ä. und seiner Werkstatt aus den 90er Jahren des 15. Jahrhunderts bzw. der Zeit um 1500 dar:

So bietet sich für die Hl. Dreifaltigkeit auf 2v die Reinzeichnung von Holbeins Marienkrönung (Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 1662.216; vgl. Falk [1979] Nr. 145) für die rechte Flügelinnenseite des Augsburger Afra-Altars von 1490 an (Eichstätt, Bischöfliche Hauskapelle; vgl. Hans Holbein der Ältere [1965] Nr. 4). Insbesondere die Figur Gottvaters verfügt in Habitus und Haltung über große Ähnlichkeit. Bei genauerem Hinsehen offenbaren sich jedoch Unterschiede. Die Mantelfalten sind im Gebetbuch nicht so geradlinig gezogen und kräftig ausformuliert, sondern verlaufen eher etwas indifferent und flach; ihnen geht räumliche Tiefe und stoffliche Fülle ab; im Gegensatz zu den deutlich ausgebildeten Röhrenfalten bei der eigenhändigen Arbeit fehlt dem ausführenden Meister hier letztlich Sicherheit und Konsequenz beim Hinwerfen der Draperie. Dieser Eindruck wiederholt sich bei der Gegenüberstellung der Anna selbdritt auf 77v mit Holbeins Zeichnung einer Madonna auf der Rasenbank (Hamburg, Kunsthalle, Inv. Nr. 23905; vgl. Hans Holbein der Ältere [1965] Nr. 65). Beide Frauen sitzen, das eine Mal auf einem Thron mit Christus und Maria in den Armen, das andere Mal auf einer Rasenbank, das Jesuskind stillend. Mutter und Tochter haben ihre Füße jeweils auf ein vor ihnen liegendes Kissen gesetzt, wobei die rechte Fußspitze einer jeden leicht unter dem Gewand hervorlugt. Um den Fuß freizulegen, war es nötig, das Kleid über dem Knie hochzuraffen. Indem der Maler des Gebetbuchs aber zwischen grünem Unter-, blauem Oberkleid und rotem Mantelüberwurf unterscheidet, wirkt die kunstvolle Stauchung des Stoffes über dem Knie und zu den Seiten unmotiviert und nicht sonderlich plausibel. Dieses Mißverständnis ist im übrigen bereits in einer Werkstattreplik angelegt (vgl. Falk [1979] Nr. 188). Den Maler des Gebetbuchs schien überdies nicht zu irritieren, daß die ausladenden Muldenfalten des Mantels durch den Austausch der Rasenbank durch einen Thron mit Seitenwangen über keine Auflagefläche mehr verfügen. Den Herrschersitz mit charakteristischen Blütenknäufen entlehnte er vermutlich ohne große Überlegung aus einem anderen Zusammenhang (vgl. Falk [1979] Nr. 210, 262). Für die Maria in sole auf 68v kann ein mehrfiguriges Studienblatt aus der Werkstatt als Vergleichsstück herangezogen werden (Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. U.III.50; vgl. Falk [1979] Nr. 201), auf dem ganz links eine stehende Madonna mit Kind festgehalten ist. Auch hier fällt die Miniatur jedoch aufgrund der schwachen, undeutlich artikulierten Faltenbildung qualitativ ab, die nur wenig Plastizität zu erzeugen vermag. Die flankierenden Säulchen und den vegetabilen Rundbogen kennt man aus Straßburger ›Hortulus animae‹-Ausgaben, die ab 1498 nachweisbar sind (vgl. Oldenbourg [1973] L 2; Schramm Bd. 20, Nr. 584). Der Hieronymus auf 28v knüpft mit seinem anklagenden Gestus – dem ausgestreckten Arm und den in der Hand umklammerten Stein, mit dem sich der in der Wüste Kasteiende an die entblößte, magere Brust schlagen will – vielleicht ebenfalls an Graphik der Zeit an: Im Nürnberger ›Salus animae‹ von 1503 wird der Kirchenvater in einer ähnlichen Pose begriffen (vgl. TIB Bd. 10 [Commentary] S. 543, Nr. 526hh), jedoch fehlt dort die eindrückliche Landschaftsschilderung, die hier den Blick über einen steinigen Weg, vorbei an einem schroffen Felsmassiv, hinab zu in der Ferne liegenden blauen Bergketten gleiten läßt. Hierfür gibt es in Holbeins Œuvre offenbar kein direktes Pendant. Auf einem Dürer zugeschriebenen Gemälde wurde die Szenerie jedoch ebenfalls in eine stimmungsgeladene Gebirgsgegend verlegt (London, National Gallery, Inv. Nr. NG 6563; um 1495). Der in schöner Ponderation gezeigte Schmerzensmann auf 17v, vor dem ein in rosa Schaube mit baunem Pelzbesatz gekleideter Stifter in Adoration verharrt, erinnert wegen des langen, durch die Beine flatternden Lendentuchs an einen nur als Werkstattkopie tradierten Entwurf Holbeins (Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. U.VIII.28; vgl. Falk [1979] Nr. 213). Ansonsten aber sind die zierlichen, wohlproportionierten Gliedmaße dort extrem überlängt, abgesehen vom Standmotiv und der Armhaltung, die gleichfalls modifiziert wurden (eingesackte Knie, nach außen abgewinkelter linker Arm).

Pächt (1964) hat als erster versucht, Hans Holbein d. Ä. Miniaturen in einer 1492 entstandenen ›Vita Sancti Simperti‹ zuzuschreiben (München, Staatsbibliothek, Clm 30044). Sein Vorschlag ist von der Forschung weitgehend akzeptiert worden (vgl. z. B. Hans Holbein der Ältere [1965] S. 120, Nr. 111; Schmitt [1994] S. 134; Krause [2002] S. 26, 28, 48, 59, 76–79); allein Merkl ([1999] S. 142, Anm. 76) hat sich dezidiert dagegen ausgesprochen. Der Schule Hans Holbein d. Ä. wurde seither ein Fragment mit einer Kreuzigung zugewiesen (Baltimore, Walters Art Museum, W 732: durch Kolophon von Leonhard Wirstlin alias Wagner 1516 datiert; vgl. Miner [1966/67] S. 100–104, Abb. 23 f.). Außerdem hat man eine Folge von zehn lavierten Federzeichnungen mit Heiligendarstellungen als Buchillustrationen interpretieren wollen (Falk [1979] Nr. 152–161; 310–318 × 202–209 mm [!], jeweils mit H signiert, um 1500). Neuerdings wurden einige Deckfarbenmalereien im Turnierbuch des Marx Walther für Hans Holbein d. Ä. in Anspruch genommen (München, Staatsbibliothek, Cgm 1930; 1487–1489; vgl. Krause [2002] S. 57–63). Alle diese Werke haben untereinander jedoch kaum etwas gemein, obgleich in den Zuschreibungsargumentationen teilweise dieselben Werke als tertium comparationis bemüht werden. Aufgrund der unterschiedlichen Techniken gestaltet sich der unmittelbare Vergleich schwierig. Nur bei den Bildern in der Simpertus-Handschrift handelt es sich um regelrechte Miniaturen. Für die historisierten Initialen und Ranken dort hat Pächt ([1964] S. 22 f.) bezeichnenderweise aber nicht mehr Hans Holbein d. Ä., sondern einen ausgewiesenen Buchmaler, nämlich Georg Beck verantwortlich gemacht (vgl. auch Messling [2004] S. 75 f., 103). Das ausgereifte Rankenwerk in der ›Vita Sancti Simperti‹ stellt stilistisch kein Verbindungsstück zum vorliegenden Gebetbuch dar. Der gordische Knoten der Zuschreibungsfragen wird auch nicht durch Merkls ([1999] S. 34) Vorschlag gelöst, in den hiesigen Miniaturen den Illuministen von Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 84.4. Aug. 12° wiedererkennen zu wollen (s. Nr. 43.1.208.; 1499 datiert). Im Gegenteil: Die verhältnismäßig starre Komposition der Hl. Dreifaltigkeit, mit der beide Kodizes eröffnen, könnte im Detail nicht stärker differieren: Schlagartig offenbart sich feine Grandezza hier (Nr. 43.1.63., 2v) bzw. naive Derbheit dort (Nr. 43.1.208., 1v).

Die Federzeichnung auf 11r gehört einem ganz anderen Stilkreis an: Grünes Maßwerk hängt vor einem weißgesprenkelten roten Gewölbe, das auf rosaroten bzw. grauen Säulen ruht. Maria hat links in der Halle unter einem eigens aufgespannten Baldachin auf einem Ziegelmäuerchen Platz genommen. Das nackt auf ihrem Schoß hockende, etwas spillerige Kind streckt sein linkes Ärmchen zu dem vom ältesten König devot dargebrachten Kelch aus. Dahinter drängt der mittlere König schon mit seiner Gabe heran, während der jüngste soeben erst hinter einer Säule zum Vorschein kommt. Ein solider Steinbau links sowie eine Reihe von tannenartigen Bäumen versperrt die weitere Sicht. Die bunt-überbordende architektonische Hoheitsformel scheint das Markenzeichen einer Werkstatt gewesen zu sein, die als universale Floskel in gleicher Weise zur Überhöhung der hl. Katharina, der mystischen Kelter oder des Sterbens Christi am Kreuz taugte (s. Nr. 51.17.3., 1v, Abb. 51.50; München, Staatsbibliothek, Cgm 4474, Iv, Cgm 4475, 99v).

Bildthemen:

Die wenigen Miniaturen illustrieren textkonform einzelne Gebete (18r–20v, 29r–67v, 69r–77v) oder Textabschnitte (3r–7r, 78r–91r). Allerdings begleitet die Strahlenkranzmadonna hier nicht das klassische Ablaßgebet Papst Sixtus’ IV. (›Ave sanctissima Maria‹, deutsch; vgl. Haimerl [1952] S. 121). Die Anna selbdritt steht einem größeren Komplex von Annengebeten voran, in denen das von Papst Alexander VI. (1492–1503) mit Ablaß versehene integriert ist, durch den die Verehrung der Großmutter Christi maßgeblich befördert wurde. Ihr Kult ist ein Phänomen des Spätmittelalters, der von den Humanisten tatkräftig propagiert worden ist (Dörfler-Dierken [1992] S. 165–203). Merkwürdigerweise finden sich im hinteren Teil der Handschrift gar keine Illustrationen, obwohl Bußpsalmen (91v–123v) und Kommuniongebete (131v–147v) sonst gewöhnlich mit Bildern introduziert werden. Die nachträglich eingefügte Federzeichnung mit den Hl. Drei Königen könnte für den Erstbesitzer von Belang gewesen sein, da ihre Namen auch in der Litanei auftauchen.

Farben:

Bei den Miniaturen kamen hauptsächlich Rosa, Blaugrau, Blau, Grün, lichtes Grün, blasses Orangerosa, Ocker sowie Blattgold zum Einsatz, ferner Braun, Weiß, Grau und Schwarz. Die minutiös mit schwarzer Feder vorgezeichneten Ranken sind dünnflüssig in verschiedenen Grüntönen, Orangerot, Blau, Rosa, Violett, Grau, Ocker, Gelb, Pinsel- und Blattgold ausgemalt und abschattiert. Die mit roter und schwarzer Feder angelegte Zeichnung auf 11r wurde kräftig mit Wasserfarben koloriert: Grün, Rot, Blau, Rosa, Grau, Gelb, zudem Blatt- und Pinselgold.

Literatur:

Merkl (1999) S. 34, Nr. 21, Abb. 20 (68v).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 93: 77v. Anna selbdritt.

Abb. 94: 28v. Hl. Hieronymus vor Kruzifix.

Abb. 95: 2v. Hl. Dreifaltigkeit thronend.

43.1.63._Abb._93.jpg
Abb. 93.
43.1.63._Abb._94.jpg
Abb. 94.
43.1.63._Abb._95.jpg
Abb. 95.