KdiH

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43.1.52. Dresden, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, Mscr.Dresd.M.289 (ehem. M 139)

Bearbeitet von Regina Cermann

KdiH-Band 5

Datierung:

1519.

Lokalisierung:

Nürnberg.

Besitzgeschichte:

Laut Kolophon Geschriben vnnd geendet In der keyserlichen Stat Nuremberg Durch Bernhardum Gruber An sant Egidienn abent [31. 8.] Nach Christi geburt funffzehenhundert vnnd im neunzehenden Jar Laus deo (313v). Hergestellt für ein männliches Mitglied der Nürnberger Familie Wagner (95v, 265v Stifter, 293v Stifter mit Wappen). Nr. 509 in der Bibliothek des Ministers Graf Heinrich von Brühl, 1700–1763 (vgl. Dresden, Landesbibliothek, Bibliotheksarchiv, Vol. I B b 265, 39v), welche 1768 von der Kurfürstlichen Bibliothek Dresden erworben wurde. Im 2. Weltkrieg ausgelagert, beim Einmarsch der Roten Armee entwendet. 1956 als Geschenk von Hans Dieter Claus, Gut Filseck bei Göppingen, in die Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums gelangt (Innenspiegel: 8° Hs. 158088. Rl. 3681 t Gebetbuch 1519). Am 19. 4. 1995 vom Germanischen Nationalmuseum restituiert.

Inhalt: Gebetbuch eines Mitglieds der Familie Wagner, Texte wohl z. T. ausgezogen aus ›Salus animae‹- bzw. ›Hortulus animae‹-Drucken.

Ir–Vv

leer

VIr

Kupferstich (neuzeitlich): Dreiviertelfigur eines nimbierten Geistlichen mit Bischofs- oder Abtsstab, Buch und Kelch

VIv

Abklatsch von 1r

1r

Nachtrag: Schluß eines Gebets, Anfang eines Reisegebets, fortgeführt auf den heute mit Papier überklebten Rändern von 1v–6r

1v–30r

Sieben Bußpsalmen mit Litanei (Reihe entspricht der Aufzählung im ›Hortulus animae‹ [nur Cosmas und Damian fehlen]), Fürbitten und Kollekten

1v

Miniatur: König David im Gebet

1ar

Bordüre: zusammengerollter Fuchs

30r–47v

Zwei Gebete zur Hl. Dreifaltigkeit (Haimerl [1952] S. 53, Anm. 268; das folgende [33r–35v] wiederholt auf 44v–47r], je eines zu Gottvater, zum Sohn und Hl. Geist

30v

Miniatur: Gnadenstuhl in himmlischen Lüften

47v–85r

Ps.-Birgitta von Schweden, ›Fünfzehn Gebete zum Leiden Christi‹ (bestätigt durch Papst Bonifatius IX.), Schlußgebete

48v

Miniatur: Birgitta als Pilgerin vor der Vision des Schmerzensmannes kniend, nach einem ehem. Albrecht Dürer zugeschriebenen Holzschnitt (TIB Bd. 10 [Commentary] S. 544, Nr. 526ww)

85r–86r

Sogenannter Rosenkranz der Jungfrau Maria Der herr hat mich besessen … (Prv 8,22 paraphrasiert)

86r–95r

Betrachtung zum Leiden Christi Mit betrubtter sele mit erplichem anntlitz vnnd mitt erschrockem hertzen zuͦ lob Erenn vnd danckparkeyt deinem heyligenn fronn leydenn O herre Jhesu Christe betracht vnnd bedenck ich sundiger mensche

86v

Miniatur: Kleine Kreuzigung

95v–117v

Neun Kommuniongebete, darunter Seuses ›Abendmahlsgebet‹ (Bihlmeyer [1907] S. 303), Haimerl (1952) S. 49, Anm. 247, Nr. 7, 11, S. 143, Anm. 897, Nr. 5, 4, 7, 9

95v

Miniatur: Abendmahlsempfang von reich gekleidetem männlichem Stifter

117v–147r

Sechs Ablaßgebete, darunter ein Augustinus zugeschriebenes Passionsgebet nach einer Steininschrift in S. Giovanni in Laterano (Haimerl [1952] S. 140, Anm. 858), mit Ablaß von Papst Bonifatius VIII., bestätigt von Papst Benedikt XI., Gregors d. Gr. Passionsgebet ›Adoro te in cruce pendentem‹, deutsch (siebenteilig; Haimerl [1952] S. 139, Anm. 855), ›Acht Verse St. Bernhards‹ mit Kollekten Bischof Gerhards von Hildesheim, 1365–1398 (s. Nr. 43.1.156., 53v–58r)

136v

Miniatur: Gregoriusmesse

146v–208v

16 Mariengebete, darunter ›Sancta Maria‹, deutsch (Klapper [1935] Nr. 98,1), ›Goldenes Krongebet‹ (zehn Freuden Mariens), zwei als Pestgebete deklarierte (Frewe dich du aller gebenedeyste gepererin allezeyt Junckfraw Maria …, O Du heylige gottes gepererin Junckfraw maria deyn ewige außerwellung, deyn vnbefleckte empfenncknuß …), Ablaßgebet Papst Sixtus IV., vor vnser frawenn bild in der sunnen zu sprechen (Gegrusset seyest du aller heyligiste Maria du mutter gottes du königin des hymmels du port des paradis …), Bitte um Beistand in der Todesstunde (O Aller guttigiste Junckfraw Maria ich bit dich du wellest mir barmhertzigkeyt erzaigenn Inn der stunndt so mein zung vonn todes nottenn dich nit an ruffen mag oder kan …), Gebet von dem vesperbild vnser lieben Frawenn (O Du zuuersicht vnnd beschirmung aller der die in dich seufftzenn …), Gebet vom Mitleiden Mariens (Klapper [1935] Nr. 78), Gebete zu den Marienfesten Purificatio, Annuntiatio (zwei), Praesentatio, Fünf Schmerzen Mariens (Simeons Weissagung, Flucht nach Ägypten/Suche nach dem Zwölfjährigen, Gefangennahme, Kreuzigung, Grablegung; Haimerl [1952] S. 141, Anm. 870), Reimgebet Maria durch deines kyndes blut … (Wackernagel [1864–1877] Bd. II, Nr. 61; Nr. 43.1.56., 73r), ›Stabat mater dolorosa‹, deutsch (Krass [1995] Redaktion II,2) mit Ablaß von Papst Bonifatius VII.

146v

Miniatur: Halbfiguriges Marienbild, nacktes Kind kopiert nach einem Kupferstich vom Meister E. S. (Lehrs 73)

208v–233r

Rosenkranz Mariens (50 Artikel) Der erst Artickell Der mit dem vatter vnd heyligenn geyst von ewigkeyt Jme zw eynem schrein mutter vnnd Junckfraw dich erwelt

233r–245r

Johann von Neumarkt, Tagzeiten vom Leiden Christi (Klapper [1935] Nr. 1,7–13, Haimerl [1952] S. 139, Anm. 851)

245r–250r

›Bedas Gebet von den sieben letzten Worten Christi am Kreuz‹ (Haimerl [1952] S. 139, Anm. 852)

250r–251v

›Fünf Worte‹ O lieber herr Jhesu christ ich beger das deynn heyliger nam sey mein iungstes wort … (Haimerl [1952] S. 139, Anm. 853)

251v–255r

Gebet zu den fünf Wunden Christi Gegrusset seystu o heylbringende wunnd der rechtenn hand … (Haimerl [1952] S. 139, Anm. 854)

255r–266r

Sieben Seelengebete, das erste mit Ablaß von Papst Pius II.: Erbarm dich got mein herr vber all selenn die do gegen dir nit sunder furbitter haben …, Gegrussent seyent ir all glaubig selen deren leychnam hie vnd allenthalben ruwent …, Got gesegenn euch all glaubig selen die do in dem begryff des etreychs [!] veer vnd weyt ligen seind …, Almechtiger gott wir bittenn dich siche vber die selenn deyner diener vnnd dienerynn …, In eym gotlichenn wessenn drey personenn …, O ir glaubigenn selenn die do hie vnnd vber Inn dem sussenn namenn vnnsers herren Jhesu Christi begraben seynt …, O Du gewaltiger rychter barmhertziger vnnd gerechter got vnnd strenger herr ihesu chryste

255v

Miniatur: Rettung einer Seele aus dem Fegefeuer

265v–313r

Heiligensuffragien und -gebete: Schutzengel, Jakobus d. Ä., Johannes d. T., Jakobus d. J., Sebastian, Georg, Christophorus, Laurentius, Nikolaus, Andreas, Sebald, Anna, Barbara (Textverlust: 298v Wer das gebet mit andacht drey mal […], 299r […] wann du bist eynner ewigen gotheyt der heyligenn vnnd vngeteylten dryualtigkeyt eyn besunder wunderliche bekennerin …), Katharina, Apollonia, Dorothea, Margarete (Text bricht auf 311v ab … Vnnd dur), Maria Magdalena (Rubrik fehlt)

265v

Miniatur: Kniender männlicher Stifter richtet auf Weisung seines Schutzengels sein Gebet zur Erscheinung der Himmelskönigin

268v

Miniatur: Jakobus d. Ä., in Anlehnung an einen ehem. Albrecht Dürer zugeschriebenen Holzschnitt (TIB Bd. 10 [Commentary] S. 541, Nr. 5260)

270v

Miniatur: Johannes d. T.

274v

Miniatur: Martyrium des hl. Sebastian

276v

Miniatur: Kampf des hl. Georg mit dem Drachen, Ritter und Pferd nach einem Holzschnitt von Lucas Cranach d. Ä. (Bartsch 64), vgl. auch Wien, Nationalbibliothek, Cod. 1880, 179v

279v

Miniatur: Christophorus, nach einem Holzschnitt von Hans Springinklee (TIB Bd. 12, S. 94, Nr. 28 [bartsch 28])

281v

Miniatur: Laurentius

283v

Miniatur: Nikolaus

285v

Miniatur: Andreas, nach einem Holzschnitt von Hans Springinklee (TIB Bd. 12, S. 81, Nr. 15 [bartsch 15])

287v

Miniatur: Sebald, nach einem ehem. Albrecht Dürer zugeschriebenen Holzschnitt (TIB Bd. 10 [Commentary] S. 544, Nr. 526pp)

293v

Miniatur: Anna selbdritt, verehrt von männlichem Stifter, vor ihm sein Wappen

302v

Miniatur: Martyrium der hl. Katharina

305v

Miniatur: Martyrium der hl. Apollonia, Figuren nach einem ehem. Albrecht Dürer zugeschriebenen Holzschnitt (TIB Bd. 10 [Commentary] S. 544, Nr. 526uu)

308v

Miniatur: Dorothea, auf einem Renaissancethron sitzend, schmückt mit einem Blütenkranz den himmlischen Botenknaben, der ihr den Rosenkorb reicht

310v

Miniatur: Margarete, in modischer Frauentracht

313v

Kolophon, s. o. (Colophons [1965–1982] Nr. 2077)
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament (von feiner Güte), VI + 1a + 313 Blätter (I–VI aus Papier), moderne Bleistiftfoliierung oben rechts, 100 × 79 mm, beschnitten, von 1v bis 6r Ränder an drei bzw. zwei Seiten (1ar, 2r) mit Papierstreifen überklebt, um Handschrift des 17. Jahrhunderts (?) zu verdecken (Fortsetzung des Nachtrags von 1r). Lagenformel: III-1V (vor I), IV+17 (+VI; 1a), 36 IV295, IV-2301 (Doppelblatt vor 299), IV309, III-2313 (Doppelblatt vor 312). Fraktur, eine Hand, professioneller Schreiber namens Bernhard Gruber (313v), einspaltig, 14 Zeilen, ein- bis dreizeilige Lombarden mit Cadellen, im Wechsel Rot oder Blau, rote Strichel, Rubriken.

Schreibsprache:

nordbairisch (Montag [1968]), nürnbergisch (Kurras [1974], Krass [1998]).

II. Bildausstattung:

23 Miniaturen (1v, 30v, 48v, 86v, 95v, 136v, 146v, 255v, 265v, 268v, 270v, 274v, 276v, 279v, 281v, 283v, 285v, 287v, 293v, 302v, 305v, 308v, 310v), zwei weitere verloren (vor 299, 312). Ein Kupferstich des 18. Jahrhunderts (VIr). Zwei Streublumenbordüren (86v, 283v), sonst Rahmen aus vier über Eck zusammengebundenen Stäben, zumeist in Rot, aber auch Violett, Grün, Türkis, Ocker. 24 Buchmalerinitialen: 13 sechs- (271r, 275r, 277r, 280r, 282r, 284r, 286r, 294r, 303r, 306r, 309r, 311r, 312r), neun fünf- (31r, 49r, 87r, 96r, 137r, 147r, 256r, 266r, 269r), zwei vierzeilige (1ar, 288r). Buchstabenkörper aus Akanthus- oder Lorbeerblättern bzw. Trauben gebildet in Orange, Grün, Rosa, Grau, Blau, mit Pinselgold oder Silber gehöht und dunklerem Ton oder Schwarz kontrastiert, auf farbigem Grund (Rosa, Blau oder Orangerosa), der mit Filigran überzogen ist (Silber oder Pinselgold), um das Initialfeld rahmende rote Zierstriche. Nur gelegentlich kleine Akanthusrankenausläufer (1ar, 87r, 147r, 269r, 271r, 277r, 282r, 303r, 306r, 311r). Auf 1ar zusammengerollter Fuchs auf kleiner Bodenscholle. – Von Biermann ([1975] S. 226 f.) und Daentler ([1984] S. 85) Albrecht Glockendon d. Ä. (um 1495–1545) zugeschrieben, von Kurras ([1985] S. 345) nicht als eigenhändige Arbeit anerkannt, auch Merkl ([1999] S. 404) trägt Bedenken, hält dem ausführenden Künstler aber das kleine Format zugute (welches für Gebetbücher gängig ist).

Format und Anordnung:

Ganzseitige Miniaturen, 73–88 × 52–62 mm, fester Bestandteil des regelmäßigen Quaternionenverbunds (mit ausgegrenztem Schriftspiegel und gezogenem Lineament), stets auf verso-Seiten positioniert, wobei die Miniaturen nicht immer exakt mit den Textgrenzen zusammenfallen: So sind die Bilder auf 48v, 146v, 265v, 276v, 279v, 281v, 287v intermittierend in die Gebete auf 47v–85r, 139v–147r, 263v–266r, 273r–277r, 277r–280r, 280r–282r, 286r–288r gesetzt, um leere Seiten zu vermeiden bzw. Pergament zu sparen.

Bildaufbau und -ausführung:

Sechs Bildvorlagen sind zwei Nürnberger Drucken entlehnt: Vier Miniaturen (48v Birgitta von Schweden, 268v Jakobus d. Ä., 287v Sebald, 305v Apollonia) gehen auf Holzschnitte zurück, die 1503 im ›Salus animae‹ das Licht der Welt erblickt haben und in der Forschung mehrfach Albrecht Dürer zugeschrieben wurden (vgl. die Diskussion zuletzt bei SMS S. 494–511). Obwohl der Frühdruck nur eine Auflage erlebt hat (von der heute nur noch fünf Exemplare existieren), war er höchst folgenreich, da er von Reißern (vgl. Oldenbourg [1973] S. 208–210) und Buchmalern eifrig rezipiert wurde (vgl. Nr. 43.1.6., Nr. 43.1.62., Nr. 43.1.159., Nr. 43.1.167., Nr. 43.1.180., Nr. 43.1.197., Nr. 43.1.203.). Die Vorbilder zweier anderer Miniaturen (279v Christophorus, 285v Andreas) gehören zu einer von Hans Springinklee d. J. signierten Holzschnitt-Serie, die zuerst in einem ›Hortulus animae‹ mit Impressum vom 8. 5. 1518 gebraucht wurde – wobei an diesem Tag gleich zwei Ausgaben dieses Werks bei dem Verleger Johann Koberger erschienen sind (vgl. Oldenbourg [1973] S. 49 f., 117, 125–128): Bis 1519 tauchen beide Holzschnitte (Christophorus und Andreas) zusammen nochmals in vier weiteren ›Hortulus animae‹-Ausgaben auf (vgl. Oldenbourg [1973] L 79, L 81, L 85 und L 86). Des weiteren läßt sich ein Holzschnitt von Lucas Cranach d. Ä. (Bartsch 64) als Modell für den hl. Georg (276v) identifizieren. Das graphische Blatt muß nach 1505 entstanden sein, da es das kurfürstliche Wappen zeigt, welches den Künstler als sächsischen Hofmaler ausweist.

In der Handschrift sind so verschiedene Modernisierungsschübe nachvollziehbar: Vollkommen konventionell und uninspiriert muten die Kleine Kreuzigung (86v) und der steif in seinem Prunkornat vor einem Mäuerchen stehende hl. Nikolaus (283v) an. Vielleicht wurden die dürftigen Arbeiten deshalb als einzige mit einer Gent-Brügger Streublumen-Bordüre umgeben, um sie auf diese Weise etwas interessanter erscheinen zu lassen. Am oberen Ende der Skala stehen dagegen die dem ›Hortulus animae‹ verpflichteten Miniaturen. Welch frischer Schwung und fortschrittlicher Geist offenbart sich beim hl. Christophorus (279v): Springinklee hatte den Riesen in eine extravagante all’antica-Rüstung gesteckt und den Schöpfer der Welt auf seinen Schultern auf abenteuerliche Weise mit der Sphaira balancieren lassen. Auch wenn der ornamentverzierte eherne Brustpanzer, der durch seine körpernahe Form die Virilität des Kriegers herausstreicht, bei Albrecht Glockendon durch eine grell-rosa Färbung leicht karikiert wird, so hat derselbe doch das vom Wind hochgerissene Schultertuch des Knaben, den wie ein Segel aufgeblähten Mantel und das wegflatternde Unterkleid des dienstbaren Mannes sehr wohl zu übertragen gewußt. Das Gewässer indes, das beide hinter sich lassen, da sie das rettende Ufer erlangen, ist ein glatter Spiegel, und der sie am Ufer empfangende Eremit illuminiert mit seiner lodernden Fackel den lichten Tag. Hier verließ den Kopisten alle Imagination und er verfiel in gedankenlose Routine. Im Gegensatz zu der überraschend eleganten Erscheinung des hl. Christophorus ist die des hl. Andreas ( 285v) von ungewohnter Wucht: Bei Springinklee sitzt ein vierschrötiger Hüne, der seinen linken Arm lässig durch sein Marterinstrument, ein aus rohen Stämmen zusammengezimmertes x-förmiges Kreuz, gesteckt hat, geduckt auf einem Renaissancethron. Das wilde Aussehen des Apostels ist bei Albrecht Glockendon gemildert: So ist der zottelige Bart sorgsam gestutzt und das Haar ordentlich frisiert; die Gestalt wirkt weniger massig, weil die Rückenlehne des Sitzes schon auf Schulterhöhe endet und der Oberkörper nicht so stark in dem Gestühl versackt. Letztlich klingt bei dieser Komposition eine Kupferstich-Serie des Meisters E. S. nach, der über ein halbes Jahrhundert früher die zwölf Apostel als ausgeprägte Charaktere in eigenwilligen Posen auf diversen Sitzmöbeln plaziert hatte (Lehrs 112–123). Albrecht Glockendon aber adaptierte die Entwürfe eines etwa gleichaltrigen Zeitgenossen. Umso aufschlußreicher ist es, wie er die kraftvollen Formulierungen des Dürer-Schülers durch seine zu sehr auf das Gefällige ausgerichtete Art abschwächt.

Zu den nicht sonderlich überzeugenden Miniaturen gehören hinwiederum meist Szenen mit drei oder mehr Figuren, da Albrecht Glockendon die Interaktion zwischen diesen kaum mit Spannung aufzuladen wußte (vgl. 95v, 136v, 255v, 293v). Das Wunder der Erscheinung Christi wird bei der Gregoriusmesse z. B. gar nicht faßbar (136v): Unter völliger Mißachtung der Größenverhältnisse sind die vorderen Gestalten kleiner als die hinteren geraten. Der mit seinem Kopf nicht einmal bis zur Mensa reichende Papst wird so zur Nebenfigur, der umgeben von zwei Diakonen, einem ihm assistierenden, ihn an Wuchs aber überragenden Kardinal – der überdies völlig desorientiert in die entgegengesetzte Richtung schaut – und zwei Ministranten, im Prinzip eine gewöhnliche Messe zelebriert, weil er das außerordentliche Ereignis auf dem Altar gar nicht wahrnehmen kann. Etwas besser will die Dramaturgie gelingen, wenn er sich nur auf zwei Akteure zu konzentrieren hat ( 1v, 48v, 265v, 274v, 302v). Bei der ihrer Enthauptung stoisch und stolz entgegenharrenden hl. Katharina (302v) sehen wir den Scharfrichter ähnlich wie auf Dürers Holzschnitt (Bartsch 120) in Rückansicht, doch verzichtet der Buchmaler fast gänzlich auf Ponderation, obwohl die Mi-parti-Kleidung und die geraden Nähte der Beinlinge die schönste Exposition dafür liefern. Das zum Schlag erhobene Schwert wirkt daher wie festgefroren, derweil diese Hinrichtungsmethode doch gerade das Leben der Königstochter beenden sollte. Wie isoliert und unverbunden Albrecht Glockendons Figuren oft auf dem Pergament dastehen, zeigt sich auch an dem Schützen, der seinen Bogen auf den gefesselten Sebastian richtet (274v) und trotz größter Nähe das Opfer noch zu verfehlen scheint.

Um das sich aus unterschiedlichen Quellen speisende Vorlagenmaterial optisch zu vereinheitlichen, wurde es mit zahlreichen Renaissancemotiven aufgefrischt, so mit rahmenden Architekturbögen (1v, 30v, 146v, 255v, 265v, 268v, 270v, 274v, 281v, 285v, 302v, 305v), die mit Blattmasken (30v), stilisierten Delphinen (255v, 268v, 270v, 281v), Putten (265v, 302v), Festons (30v, 48v, 146v, 165v, 279v, 302v) versehen sind sowie mit diversen Realien, etwa Thronmöbel (293v, 308v), Rüstung (279v), Kleidung (95v, 265v, 276v, 293v, 302v, 308v, 310v). Der Eigentümer ließ sich z. B. in patrizischer Robe darstellen (95v, 265v, 293v schwarz-goldene Haube, Mantel aus schwarzem Tuch mit Pelzbesatz); die Märtyrerinnen Katharina (302v), Dorothea (308v), Margarete (310v) sind vornehm herausgeputzte Damen, wobei ihnen der chevalereske Retter Georg (276v) in Modedingen in nichts nachsteht.

All der aufgeführten Schwächen eingedenk, sind dennoch Merkls abfällige Beurteilung ([1999] S. 404 »steif und laienhaft«) wie auch Kurras’ ([1985] S. 345) Klassifizierung der Miniaturen als Arbeiten aus dem Umkreis der Glockendon-Werkstatt nicht gerechtfertigt. Vielmehr läßt sich die Handschrift entwicklungsgeschichtlich als Etappe auf dem Weg begreifen, dem äußerst routinierten, doch etwas kindischen Figurenstil des Frühwerks unter Hinzuziehung fortschrittlichen Vorlagenmaterials zu entwachsen. Der Handschrift unmittelbar voraus geht die mit der Ligatur AG versehene und 1518 datierte Miniatur aus dem Salbuch der Nürnberger Frauenkirche (Merkl [1999] Kat. 73, Abb. 132F). Zwei vermutlich für das Ehepaar Wolfgang († 1522) und Helena Hofmann († 1514/15) geschaffene Gebetbücher (Nr. 43.1.167. und Nr. 43.1.199.), die von Merkl ([1999] S. 96, S. 429–432, Kat. 92, 94) und Grebe ([2005] S. 114 f.) dem Bruder Nikolaus Glockendon zugesprochen werden, obwohl Nr. 43.1.199. zweifellos zur Gänze, Nr. 43.1.167. zur Hälfte (ab Lage 25) von der Hand Albrechts herrühren (man vgl. z. B. die Anbetung der Hl. Drei Könige in Nr. 43.1.167., 194r und die Anna selbdritt in Nr. 43.1.199., 158v mit der Folterung der hl. Apollonia im vorliegenden Stück [305v] oder das Martyrium der hl. Katharina bzw. des hl. Sebastian in Nr. 43.1.199., 230v, 240v mit den entsprechenden Szenen hier [302v, 274v], den Schmerzensmann in Nr. 43.1.167., 252v mit demjenigen in Nr. 43.1.199., 180v usw.), sind als repräsentative Vertreter seiner frühen Phase zu begreifen: Merkl (1999) datiert Nr. 43.1.167. um 1513/1515, Nr. 43.1.199. nur unwesentlich früher, nämlich um 1512/1514, Grebe (2005) setzt Nr. 43.1.167. um 1514/1515, Nr. 43.1.199. um 1512/1513 an. Da in Nr. 43.1.167. – wie bislang nicht wahrgenommen wurde – ausnahmsweise einmal beide Brüder zusammen gearbeitet haben (wobei der ältere Bruder Nikolaus den vorderen Teil, der jüngere Albrecht den hinteren Teil verantwortet hat), dürfte die Handschrift noch zu Lebzeiten des Vaters Georg Glockendon d. Ä. in der gemeinsamen Werkstatt illuminiert worden sein, also um 1513/1514, während das Gegenstück Nr. 43.1.199. vermutlich erst im Anschluß daran, um 1514/15 in Angriff genommen wurde, nachdem der Vater verstorben war († 1514) und sich der Bruder Nikolaus Glockendon selbständig gemacht hatte (1515).

Die unterschiedlich gelagerten Temperamente der beiden Brüder treten beispielsweise bei einer motivischen Gegenüberstellung zutage: Während Nikolaus Glockendon in einem um 1519 anzusetzenden Gebetbuch zwischen Stifter und Schutzengel eine anrührende Intimität aufkommen läßt und dem Betenden fast individuelle Gesichtszüge verleiht (Nr. 43.1.148a., 103v; Abb. 12 bei Grebe [2005]), nimmt Albrecht Glockendon der gleichen Szene durch eine eher stereotype Behandlung und größere Distanz der Protagonisten zueinander sowie durch klares Tageslicht anstelle von atmosphärischem Sfumato viel von ihrer Traulichkeit (265v). Sein ökonomisch verknappter Zeichenstil der Frühzeit eignete sich dagegen vortrefflich, um eine humoristische Note seiner Persönlichkeit zur Geltung zu bringen; in Nr. 43.1.167. kommen im Bas de page ausgelassene Drolerien vor (z. B. 194r, 197r, 232r), die in malerischer Hinsicht in seinem späten Bravourstück, dem 1535 datierten und signierten Gebetbuch für Johann II. von Pfalz-Simmern, zwar sehr viel ausgefeilter, aber nicht mehr so launig begegnen (Wien, Nationalbibliothek, Cod. 1880, 33r, 49r, 61r, 171r, 176r, 190r; Merkl [1999] Nr. 81). Auch sein Farbgeschmack sollte in der Zwischenzeit an Raffinement gewinnen, zu den kräftigen, oft grellen kamen lichte, schimmernde Töne hinzu (vgl. z. B. das orgiastische Farbspiel beim Drachenkampf in Wien, Nationalbibliothek, Cod. 1880, 179v mit dem nüchternen Kolorit hier [276v] – derweil beide Male Cranachs Holzschnitt als Vorlage fungierte).

Bildthemen:

14 der 23 Miniaturen entfallen auf Heiligengebete, ursprünglich sogar 16 von ehedem 25, denn zwei heute fehlende Miniaturen schmückten einst Gebete zur hl. Barbara (vor 299) bzw. Maria Magdalena (vor 312). Der Verlust war von Kurras zwar 1974 (S. 139) konstatiert worden, ist seither aber in Vergessenheit geraten (vgl. Kurras [1985] S. 345, Merkl [1999] S. 404). Ursprünglich mußte somit nur ein einziger Heiliger ohne Miniatur auskommen: Bei Jakobus d. J. (272v–274r) hatte der Schreiber vermutlich versäumt, dem Buchmaler Platz einzuräumen. Daentlers ([1984] S. 86) Versuch, sechs Einzelminiaturen im Berliner Kupferstichkabinett (Min. 27917 bis Min. 27921, Min. 27923; vgl. Merkl [1999] Kat. 70) der Dresdner Handschrift zuzuweisen, verbietet sich nicht nur aufgrund der Lagenformel und des unterschiedlichen Formats, sondern auch wegen des doppelten Vorkommens von Motiven (David im Gebet, Kreuzigung, Christophorus [2], Nikolaus). Überraschend wenig Berücksichtigung fand in der Handschrift Passions- (86v) und Marienikonographie (146v), obwohl ein großer Block von Gebeten an die Gottesmutter adressiert ist (146v–233r). Das halbfigurige Madonnenbild auf 146v, das Maria eingehüllt in einen blauen Mantel mit goldenem Stern auf der linken Schulter zeigt, der ihr aufgrund des Epithetons »stella maris« zukommt, könnte auf ein tagespolitisches Ereignis anspielen: Merkl ([1999] S. 404) hat den hier modifizierten Typus der Dexiokratusa mit der »Schönen Maria« in Regensburg in Verbindung gebracht. Nachdem im Februar 1519 in einem Willkürakt dort die Juden vertrieben worden waren, hatte man an Stelle der Synagoge eiligst eine Kapelle errichtet, in die ein byzantinisierendes Gnadenbild aus der Stiftskirche transferiert wurde, für das man am 2. 6. 1519 von dreißig römischen Kardinälen einen Ablaß von hundert Tagen erwirken konnte (Merkl [1996], Merkl [1999] S. 522 f., Kat. 143, Abb. 194F). Als Albrecht Glockendon die am 31. 8. 1519 vom Schreiber vollendete Handschrift (313v) zur Illuminierung überantwortet bekam, konnte er die alsbald hysterische Züge annehmende Wallfahrt zur »Schönen Maria« im Sinn gehabt haben. Es handelt sich allerdings nicht um ein direktes Zitat, denn neben der frontalen Ausrichtung der Gottesmutter statt einer Dreiviertelansicht und dem Halten des Kindes mit beiden Händen statt nur mit dem rechten Arm sowie dem modischen Mieder gibt es einen weiteren, gravierenden Unterschied: Auf dem Regensburger Bild ebenso wie auf Albrecht Altdorfers wenig später entstandener Replik (Regensburg, Diözesanmuseum, Leihgabe des Kollegiatsstifts St. Johann) ist das Kind bekleidet dargestellt, während es hier nackt prä sentiert wird. Dieses Detail wurde offenbar einem Kupferstich vom Meister E. S. entlehnt (Lehrs 73). Dennoch dürfte die Miniatur auf das Regensburger Gnadenbild anspielen; denn vorher hat Albrecht Glockendon den ungleich berühmteren Typus der Hodegetria im Repertoire geführt (vgl. Nr. 43.1.199., 254r), der auf ein angeblich vom Evangelisten Lukas geschaffenes, 1453 zerstörtes Bild in Konstantinopel zurückgeht, bei dem das Kind auf dem linken Arm seiner Mutter sitzt und von dem eine Kopie in S. Maria del Populo in Rom unter Papst Sixtus IV. zu hohem Ansehen kam (Belting [1990] S. 87–91, 382, 387, Abb. 90, 208).

Farben:

Typische Glockendon-Palette der Frühzeit, reich differenziert, aber meist ohne Glanz. Kräftiges Blau, Bordeaux, Violett, Hellblau, Hellgrün, Grün, Rehbraun, Braun, Türkis, Weiß, Gelb, Blaßgelb, Schwarz, Grau, Blaugrau, Rotorange, gedämpfter Orange- und Rosaton, Beige, Ocker, Rotbraun, Pinselgold, Silber (oxydiert). Farben dünn aufgetragen, daher vielfach Vorzeichnung sichtbar. Miniaturen frisch und vorzüglich erhalten, nur geringfügige Gebrauchsspuren (136v, 268v, 270v Flecken bzw. Wischspuren, 287v, 308v Farbe brüchig).

Literatur:

Kurras (1974) S. 136–139 (Hs. 158088). – Falkenstein (1839) S. 396 (M 139); Schnorr von Carolsfeld (1883–1981) S. 472, 524f.; Bruck (1906) S. 384–387, Nr. 169, Abb. 249 (293v); Vollmer (1933), S. 268; Rost (1939), S. 340; Montag (1968) S. 27, Anm. 1, S. 31; Biermann (1975) S. 226f., Abb. 298 (293v); Hilg (1981) S. 428, 430; Daentler (1984) S. 84–87, 219f.; Kurras (1985) S. 344f.; Kulturberichte. Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V. 2 (1995) S. 20, Abb. von 293v+294r; Slenczka (1996) S. 270f., Farbabb. von Iv+2r; Krass (1998) S. 168, 172f., 186f., 190; Merkl (1999) S. 84, S. 403f., Nr. 74, Abb. 339 (146v); Wegmann (2007) S. 406, 409, 434, Nr. 2.40, S. 439, Anm. 36, S. 441, Anm. 62; Farbabbildungen von allen Miniaturen (z. T. seitenverkehrt!) in der Deutschen Fotothek (http://www.deutschefotothek.de).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Taf. XXI: 276v+277r. Kampf des hl. Georg mit dem Drachen. Textseite mit Buchmalerinitiale.

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Taf. XXI.