38. Fecht- und Ringbücher
Bearbeitet von Rainer Leng
KdiH-Band 4/2
Neben den Kriegsbüchern (s. Stoffgruppe Nr. 39) zählen die Fecht- und Ringbücher des 15. und 16. Jahrhunderts zu den bilderreichsten Überlieferungsträgern deutschsprachiger illustrierter Handschriften des Mittelalters. Insgesamt 48 Handschriften waren hier aufzunehmen, die zusammen auf wenigstens 7800 Abbildungen kommen. Nur wenige Codices, vor allem aus der Anfangszeit der Verschriftlichung von Fechtlehren in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts kommen ganz ohne Abbildungen aus (Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. I.6.4º3; München, Staatsbibliothek, Cgm 558; Salzburg, Universitätsbibliothek, M I 29; Weimar, Herzogin Anna Amalia-Bibliothek, Q 566). Nur ausnahmsweise finden sich ein bis drei Abbildungen (Heidelberg, Cod. Pal. germ. 430, nur eine Abbildung außerhalb der Fechterei, deshalb hier nicht aufgenommen; Köln, Historisches Archiv der Stadt, W* 150, nur eine grobe Schemazeichnung, deshalb hier nicht aufgenommen; Rom, Corsiniana, 44.A.8, drei Abbildungen, siehe Nr. 38.9.9.).
Im Regelfall besitzen die Handschriften über 100 oder 200 Abbildungen, Codices mit mehr als 300 Abbildungen sind nicht selten, und der Spitzenreiter, eine zweibändige voluminöse Handschrift des Paulus Hector Mair aus der Mitte des 16. Jahrhunderts (siehe Nr. 38.8.4.), kommt auf ganze 769 Zeichnungen. Vorherrschend sind dabei Bildkataloge. Nur in wenigen Fällen finden sich in längere Textpassagen vereinzelt eingestreute Abbildungen. Sie werden dann bei der Beschreibung der Bildausstattung unter Ziffer II. einzeln angeführt. In der Regel folgt aber entweder einleitenden schriftlichen Darlegungen eine umfangreiche Serie von Bildern, oder der begleitende Text ist von vorneherein als Bildkommentar oder Handlungsanweisung konzipiert, der innerhalb der Bildkataloge Freiräume unterhalb oder oberhalb der Darstellungen einnimmt. Nicht selten ist dabei die Textmenge auf nur wenige Zeilen beschränkt. In diesen Fällen wurde auf eine Einzelaufführung der Abbildungen in der Beschreibung der Bildausstattung verzichtet. Längere Bildfolgen sind durch die Angaben innerhalb der Inhaltsbeschreibung eindeutig auszumachen. Es kommen auch Handschriften vor, die nur vereinzelt geringe Beschriftung aufweisen (Nr. 38.2.3., Nr. 38.3.2., Nr. 38.9.3.). Einige Codices kommen ohne jedes erläuternde Wort aus (Nr. 38.2.5., Nr. 38.3.7., Nr. 38.5.2., Nr. 38.9.12.).
Der bemerkenswerten Bilderfülle steht eine nicht minder bemerkenswerte Armut an Bildthemen gegenüber, was freilich Gegenstand und Darstellungsabsicht zuzuschreiben ist. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei einigen Talhoffer-Handschriften (38.3.), treten erzählerische Komponenten hinzu, die einen szenischen Rahmen für das Fechtgeschehen abgeben oder die sonstige Darstellungen aus dem sozialen Umfeld der Fechter präsentieren. In gut 98% der Zeichnungen gibt es nur ein Bildthema: Zwei Personen stehen sich im Kampf gegenüber. Variationen des Themas bilden lediglich die Fortbewegungsweise (zu Fuß oder zu Pferd), die Bekleidung (Bloßfechten bzw. Ungewappnete oder Kampf im vollen bzw. halben Harnisch) sowie die Bewaffnung (waffenloses Ringen, langes und kurzes Schwert, Messer, Dolch, Stechschilde, Dussack, etc.). Präziser als die oftmals schwierigen und mnemotechnisch verklausulierten schriftlichen Handlungsanweisungen vermitteln die Abbildungen Informationen über Körperhaltungen, Angriffs- und Abwehrtechniken.
Eine exakte Zuordnung zu einzelnen Überlieferungssträngen ist schwer. Sowohl Texte als auch Bildkomplexe treten kaum zweimal in identischer Form auf. Weitgehend herrscht das Kompilationsprinzip. Texte werden adaptiert, mit Glossen oder Erweiterungen variiert, mit apokryphen Verfassern versehen oder auch bei nur geringen Eingriffen in den Bestand der Vorlagen als eigene Werke ausgegeben. Ebenso werden Bildkataloge beinahe willkürlich gekürzt oder erweitert, einzelne Bilder mit Elementen anderer Kataloge durchmengt, neue Bildprogramme durch geringfügige eigene Zusätze aus älteren Katalogen generiert. Originär bleibt dabei kaum noch etwas. Die Schwierigkeiten sind am Beispiel der Ringerlehre des Meister Ott gut zu zeigen. Sein Text tritt zum ersten Mal innerhalb einer Handschrift Talhoffers auf, die auch Abbildungen von Ringerpaaren besitzt (38.3.3.). Hier wie auch in zahlreichen weiteren Fällen sind die auf Ott zurückgehenden Texte jedoch nicht direkt mit Abbildungen verbunden. Ob Talhoffer bereits eine illustrierte Vorlage besaß, bliebt unklar. Vermutlich gehen jedoch die Ringerabbildungen auf Talhoffer zurück, jedenfalls dürfte er sie für sich requiriert haben. Obwohl sämtliche anonymen Bilderzyklen zum Ringen somit eine über mehrere Zwischenstufen reichende Verbindung zu Otts Ringertext besitzen, liegt dennoch keine namentliche Verknüpfung von Meister Otts Text und Bildkatalogen zum Ringen vor. Ott erhält deshalb keine eigene Untergruppe.
Für die Bildung von Untergruppen waren zwei Kriterien maßgeblich. Zum einen bilden Abbildungszyklen, die mit den Texten namentlich greifbarer Verfasser verbunden sind, auch dann eine Gruppe, wenn die Bildprogramme differieren. Dies betrifft vor allem die vielfältigen Abbildungen zu den ursprünglich nicht bebilderten Texten Johannes Liechtenauers (38.1.). Allerdings werden wenigstens zwei illustrierte Überlieferungen zur Bildung einer Untergruppe vorausgesetzt. Umgekehrt bilden Abbildungszyklen aufgrund charakteristischer Übereinstimmungen etwa in Bildabfolgen, der Mehrheit der Abbildungen oder auffälliger Einzeldarstellungen eigene Untergruppen, auch dann, wenn einzelne Überlieferungsträger nicht mit einem Verfassernamen oder einem feststehenden Titel verbunden sind. Erweiterungen oder Kürzungen bzw. die Umstellung von Bildkomplexen sind dabei so selbstverständlich, daß sie die Gruppenbildung nicht berühren. Die Vergleichbarkeit und Zuordnung einzelner Unterzyklen in längeren Bilderfolgen wurde durch eine dichtere Auflistung der Bilderthemen bei den Inhaltsangaben zu gewährleisten versucht.
Um die Katalogstruktur nicht übermäßig durch Wiederholungen und Verweise zu komplizieren, mußten Unschärfen in Kauf genommen werden. Nicht als eigene Katalognummern innerhalb der Untergruppen erscheinen Handschriften, die entweder nur in geringerem Umfang ältere Bilderfolgen zitieren oder die unter Umformung zu neuen Gruppen mit eigenen Urhebernamen zusammengestellt werden. So bilden die auf Paulus Kal (38.5.) zurückgehenden Handschriften eine eigene Gruppe, obwohl sie weitgehend von der Neuzusammenstellung von Bildern aus der Talhoffer-Gruppe leben. Darauf wird aber jeweils in den Einleitungen zu den Untergruppen verwiesen.
Wie die Talhoffer-Codices (38.3.) rücken die Fechtbücher der ›Gladiatoria‹-Gruppe (38.2.) in engere ikonographische Nähe. Zu Andreas Liegnitzer (38.4.) liegen neben mehreren bildlos überlieferten Stücken (siehe Untergruppeneinleitung) drei wenigstens in späteren Kompilationen illustrierte Fechtlehren vor. Sie wurden trotz disparater Überlieferung zu einer eigenen Gruppe zusammengestellt. Die fast ebenso breit wie die Talhoffer-Codices überlieferten Handschriften des Fechtbuchs von Paulus Kal (38.5.) sind relativ leicht an seinen charakteristischen Zusätzen in Text (›Gesellschaft Liechtenauers‹) und Bild (Wappen, Spruchbänder, allegorische Fechterfigur) als zusammengehörig zu identifizieren. Neben zahlreichen Einzelzitaten von Messerfechterabbildungen und weiteren bildlosen Überlieferungen (siehe Einleitung zur Untergruppe) hat Hans Lecküchners Messerfechtlehre (38.6.) neben der von ihm selbst in Auftrag gegebenen Bilderhandschrift (Nr. 38.6.2.) noch eine weitere illustrierte Bearbeitung durch Peter Falkner gefunden, die an dieser Stelle zu verorten war. Eigene Untergruppen erhalten mit Jörg Wilhalm (38.7.) und Paulus Hector Mair (38.8.) auch Autoren von Fechtbüchern des 16. Jahrhunderts. Ihr Material beruht zwar weitgehend auf älteren Bildkatalogen, wurde jedoch zu eigenständigen und mehrfach überlieferten Bilderzyklen neu zusammengestellt. Eine weitere Untergruppe (38.9.) vereinigt ohne innere chronologische oder systematische Kriterien eine größere Zahl individueller oder nicht identifizierbarer Bildkataloge sowie Kompilationen, soweit sie nicht mit einzelnen Inhalten bereits bei anderen Untergruppen angeführt wurden. Hier finden sich sowohl ein älteres, noch vor Liechtenauer zurückreichendes Fechtbuch ohne weitere Rezeption ebenso wie zahlreiche Fechtbücher des 16. Jahrhunderts. Eine letzte eigene Untergruppe (38.10.) bilden die Drucke, da ihre Bildprogramme nicht unmittelbar auf identifizierbare handschriftliche Überlieferungen zurückgehen.
Die einzelnen Untergruppen werden – mit Ausnahme von 38.9. – zur Vereinfachung der Katalogstruktur annähernd chronologisch nach erstem Auftreten angeordnet, auch wenn sich die Bildüberlieferung innerhalb der Untergruppen bis tief in das 16. Jahrhundert erstreckt. Innerhalb der einzelnen Untergruppen stehen die Handschriften ohne Rücksicht auf die Chronologie in alphabetischer Ordnung.
Chronologisch setzt die Überlieferung illustrierter Fecht- und Ringbücher mit einem nicht weiter rezipierten Einzelstück um 1320–1330 ein (Nr. 38.9.8.). Nachdem kurz vor 1400 erstmals nicht illustrierte Fechtlehren auftreten, die Johannes Liechtenauer zugeschrieben wurden (Nr. 38.1.4.), beginnt dann erst ab 1443 (38.3.3.) die Serie der von vorneherein auf umfangreiche Bebilderung angelegten Handschriften Hans Talhoffers. Die weitere Überlieferung hält ungebrochen durch die zweite Hälfte des 15. und das gesamte 16. Jahrhundert an und setzt sich in handschriftlicher Produktion und Kopiertätigkeit bis in das 19. Jahrhundert fort. Liegen solche spätere Bearbeitungen oder direkte Kopien vor, wird dies jeweils in den Einleitungen der Untergruppen bzw. bei den einzelnen Handschriften erwähnt.
Eine geographische Einordnung ergibt einen eindeutigen Schwerpunkt im oberdeutschen Raum mit Zentren im nordbairischen und südwestdeutschen Bereich. Im 16. Jahrhundert ist Augsburg ein Zentrum der Produktion von Fechtbüchern. Lediglich eine nicht illustrierte Fechtlehre um 1500 (Köln, Historisches Archiv, W* 150) und eine illustrierte Fechtbuch-Bellifortis-Kompilation (Nr. 38.2.6.) aus dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts sind rheinfränkischen bzw. niederdeutschen Ursprungs.
Im Verhältnis von bebilderter zur nicht bebilderten Überlieferung überwiegen eindeutig die illustrierten Handschriften. Durchgehend unbebilderte Handschriften sind die Ausnahme. Innerhalb zahlreicher Kompilationen findet sich allerdings eine Reihe von vor allem kürzeren Texten, die von einer Illustration ausgenommen blieben (Ott, Lew, Liegnitzer, Hundfeld).
Dem eher pragmatisch orientierten Zweck der Literaturgattung entsprechend sind die Abbildungen im Allgemeinen nicht von besonderem künstlerischen Niveau. Es überwiegt die einfache, rahmenlose und nur flüchtig kolorierte oder lavierte Federzeichnung. Deckfarbenmalereien kommen selten vor. Die Bilder sind oft grob, skizzen- oder umrißhaft, bemühen sich jedoch mit wechselndem Erfolg Körperhaltungen und Waffentechniken korrekt wiederzugeben. In zahlreichen Fällen sind gerade dabei kleinere Korrekturen zu beobachten. Der größte Teil der Zeichnungen dürfte eher von nicht ausgebildeten Gelegenheitszeichnern, teilweise von Fechtmeistern selbst stammen. In zwei Fällen ist die Bemerkung überliefert, daß der Fechtmeister Talhoffer den Zeichnern selbst Modell gestanden habe (Nr. 38.3.5. und Nr. 38.3.6.). Die Zuweisung zu bekannteren Malschulen gelingt deshalb selten. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts sind geübtere Zeichner mit Verständnis für die Wiedergabe dynamischer Posen zu beobachten. Im 16. Jahrhundert treten vereinzelt Zeichnungen von höchstem Niveau auf, die bekannteren Namen zuzuordnen sind: Albrecht Dürer (Nr. 38.9.11.), Jörg Breu d. J. (Nr. 38.8.2., Nr. 38.8.3., Nr. 38.8.4.) oder dem Umkreis Albrecht Altdorfers (Nr. 38.1.3.).
Das Verhältnis der handschriftlichen Überlieferung zum um 1500 einsetzenden Druck ist lose. Textversatzstücke werden übernommen, die Illustrationen jedoch durchweg neu gestaltet.