38.9. Individuelle Stücke, anonyme Handschriften und Kompilationen
Bearbeitet von Rainer Leng
KdiH-Band 4/2
Die Fechtbücher des 15. und 16. Jahrhunderts liegen nur in etwa der Hälfte aller Fälle in monographischer Form vor, die eine präzise Verortung innerhalb einer einzigen Überlieferungsgruppe erlaubt. Einen großen Teil bilden entweder individuelle Werke, die zwar in mehr oder weniger großem Umfang Abbildungen aus älteren Traditionen aufnehmen, sie jedoch zu neuen, weitgehend eigenständigen Überlieferungen verarbeiten. Einen weiteren großen Teil bilden Kompilationen, die mehrere Traditionsstränge aufgreifen. Die einzelnen Bestandteile solcher Sammlungen von Fechtlehren unterschiedlicher Provenienz sind teilweise noch mit den Namen der ursprünglichen Autoren versehen. Die Grenzen zur freien Übernahme in neue, eigenständige oder bearbeitete Text-Bild-Kombinationen sind jedoch fließend.
Solche individuelle Werke, anonyme Handschriften oder Kompilationen sowie namentlich monographisch überlieferte Werke, zu denen keine weiteren Abschriften bekannt sind, wurden hier aus organisatorischen Gründen zu einer eigenen Stoffgruppe zusammengefaßt. Ein inhaltlicher oder chronologischer Zusammenhang existiert nicht. An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, daß Kompilationen, die einzelne, eindeutig identifizierbare Überlieferungen in geschlossener Form beinhalten, bereits innerhalb der vorangehenden Stoffgruppen behandelt wurden. Zur Entlastung des Kataloges werden sie hier in Gänze nicht mehr aufgeführt. Da sie jedoch durchgehend noch weitere Bestandteile enthalten, die dem Sammelkriterium dieser Stoffgruppe entsprechen, ist noch einmal besonders auf folgende Handschriften zu verweisen:
Kraków, Ms. germ. qu. 2020 (Nr. 38.1.3.)
Olim Donaueschingen, Cod. 862 (Nr. 38.2.3.)
Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 78.2 Aug. 2º (Nr. 38.2.6.)
Augsburg, I.6.2º.2 (Nr. 38.7.1.)
München, Cgm 3711 (Nr. 38.7.4.)
München, Cgm 3712 (Nr. 38.7.5.)
Sowie sämtliche Kompilationen Paulus Hector Mairs (Nr. 38.8.1, Nr. 38.8.2., Nr. 38.8.3., Nr. 38.8.4.)
Zusammen mit den 13 hier aufgeführten Überlieferungen ergeben sich 25 Handschriften dieses Typs. Dies zeigt, daß in großen Teilen der Gesamtüberlieferung der Fecht- und Ringbücher Texte und Bildkataloge wenig Stabilität aufweisen. Die innere Gliederung der Stücke in Wissenseinheiten, die auf einer Seite einen in sich weitgehend abgeschlossenen Text-Bild-Kontext ergeben, bzw. die Tendenz zum textlosen Bildkatalog förderte die starke Variabilität der Überlieferung, die aus einem großen Vorlagenschatz nahezu beliebig neue Handschriften zusammenstellen konnte.
Entsprechend breit ist das Spektrum der hier zusammengestellten Handschriften. Chronologisch reicht es von einem frühen und kaum rezipierten Einzelstück um 1320–1330 (Nr. 38.9.8.) bis zu Handschriften, die an der Schwelle zum 17. Jahrhundert stehen (Nr. 38.9.6. und Nr. 38.9.13.). Sowohl individuelle Stücke als auch Sammelhandschriften verteilen sich gleichmäßig durch das 15. und 16. Jahrhundert. Unmittelbare Vorlagen für den Druck sind nicht auszumachen, dafür eine Abschrift vom Druck (38.9.6.). Einige der Kompilatoren bzw. Schöpfer individueller Stücke sind namentlich bekannt: Paulus Hector Mair (siehe 38.8.), Hans Czynner (Nr. 38.9.7.), Ludwig von Eyb d. J. (38.9.4.), Gregor Erhard (Nr. 38.9.5.) oder Albrecht Dürer (Nr. 38.9.11.). Anonyme Stücke überwiegen. Im Rahmen von Sammlungen wurden teilweise ältere, bislang bildlos überlieferte Texte mit Illustrationen ausgestattet. Vereinzelt sind südeuropäische Einflüsse festzustellen, etwa bei dem gelegentlichen Eindringen von Illustrationen, die aus der italienischen ›Flos duellatorum‹-Gruppe stammen (Nr. 38.9.1., 38.9.4., Nr. 38.9.12.).
Uneinheitlich ist auch die Qualität der Illustrationen. Von rohen und ungefügen Federzeichnungen über gute Werkstattarbeiten bis hin zu den vielleicht Proportionsstudien zuzuordnenden Zeichnungen Dürers ist alles vorhanden. Freilich zeigt sich dabei nach dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts eine Tendenz zur sorgfältigen und repräsentativen Buchausstattung. Ein Zusammenhang mit dem Funktionswandel der Fechtkunst vom überlebensnotwendigen Kriegshandwerk hin zum sportlichen Wettkampf bürgerlichen Freizeitvergnügens ist dabei unverkennbar.