KdiH

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38.3.3. Gotha, Forschungsbibliothek, Chart. A 558

Bearbeitet von Rainer Leng

KdiH-Band 4/2

Datierung:

Nach 1443 (1r yhesus Xps amen. 1443 amen; die Datierung 18r Hye hebt sich an meister liechtenawers chunst desz lengen swerts anno domini xlviii jar kann zu 1448 aufgelöst werden und auf einen längeren Entstehungsprozeß der Handschrift hinweisen, könnte jedoch nach Eisermann [http://bilder.manuscripta-mediaevalia.de/hs//projekt_gotha.htm] auch auf eine 1348 entstandene Vorlage verweisen; Wasserzeichen Piccard V, I 67/158, Süddeutschland 1438).

Lokalisierung:

Süddeutsch.

Besitzgeschichte:

Erstbesitzer Hans Talhoffer (Besitzereintrag 1r, mit Leim und Kreide überdeckt, letzte Buchstaben durch Wurmfraß beschädigt: Das buͦch ist maister hanssen talh, Wappen Talhoffers 28r); die Handschrift befand sich bis zum Dreißigjährigen Krieg in der Münchener Hofbibliothek, deren Prommer-Katalog von 1582 Stat. II., No. 2 (2) Hanns Talhoffers Fechtbuch verzeichnet (Hartig [1917] S. 130 bezieht dies jedoch auf München, Cod. icon. 394a [olim Gotha, Memb. I 114, siehe Nr. 38.3.6.]; da sonst im Prommer-Katalog Pergamenthandschriften eigens ausgewiesen sind, dürfte eher die hier vorliegende Papierhandschrift A 558 gemeint sein, nicht die Münchener Pergamenthandschrift), Exlibris Maximilians I. im Vorderdeckel (Typ Dressler [1972] B 3ab, datiert 1623–51), bei der Eroberung Münchens 1632 durch schwedische Truppen von Wilhelm von Weimar aus der Hofbibliothek weggeführt und zunächst nach Weimar gelangt, durch den ersten Regenten von Sachsen-Gotha, Ernst I. (1640– 1675), zwischen 1640 und 1647 nach Gotha überführt.

Inhalt:
1. 2r Betender Fechter vor Kreuzigungsgruppe, Spruchband ›Hilff got du ewiges wort dem leib hie der sel dort. amen‹
2. 3r–6r Bildkatalog Bloßfechten zu Fuß mit dem langen Schwert, ohne Beischriften
3. 7r–17r Hans Hartlieb, ›Namenmantik‹

An dem ersten ist zu mercken, das alle künst des gesigs ist an dem tag, der einem ytlichem namen zügehort

4. 18r–104v Hans Talhoffer, Fechtbuch
18r–20v Johannes Liechtenauer, ›Kunst des langen Schwertes‹

›Hye hebt sich an meister liechtenawers chunst deß lengen swerts anno domini xlviii jar. Junck ritter lere got lieb habenn so frawen ere so wechst deyn ere vber ritterschaft‹

21av–23r Johannes Liechtenauer, Fechten zu Roß mit Spieß und Schwert

›Alhye hebt sich an dy chunst deß langen swerts deß Roß vechtenn. Dein sper bericht gegen reyten mach czu nicht ab eß enpfalle dem end im ab snelle hawe dreyn

24r Vorzeichnungen von Schilden und Ausrüstungsgegenständen in Silberstift, 24v kolorierter Stechschild

25v–27r Genreszenen (Briefbote, Turmwächter, 27r Begegnung zwischen Meister und Schüler vor einer Burg mit Spruchband ›Meister seyt mir got wilkumm‹, Wehrkirche, teils mit Anklängen an den ›Bellifortis‹)

27v–48r Bildkatalog Kampffechten nach fränkischem Recht mit Stechschilden und Kolben mit tödlichem Ausgang, ab 38r im Kampfring, dazwischen auf den Versoseiten Szenen aus dem sozialen Umkreis der Fechtmeister und Alltagsszenen, 28r Gebet des Kämpfers mit Wappen, 48r Gebet des Siegers an der Bahre des getöteten Gegners mit Spruchband ›Gottes diner wil ich sin er haͮt behiet das leben min‹

48v Johannes Liechtenauer, Kampffechten zu Fuß, gereimt

›Kampffechten hebt sich hye an. Wer absynnet vechtens czu fueß beginnet der steck sein sper czu sten am an heben reich vber sper vnd ort‹

49r–72r Bildkatalog Kampffechten in voller Rüstung mit Spieß, langem Schwert und dem als tegen bezeichneten Dolch, mit tödlichem Ausgang, 49r Fürbittgebet des Kämpfers mit Spruchband ›Ritter sant Jörg nü won mir bey vnd mach mich aller sorgen frey. Amen‹, dann 50r–54r einzelne Kämpfer und 54v Musikszene im Kampfring, danach erst die übliche Szenenfolge beginnend mit dem Auftritt der Kämpfer im Kampfring, 72r Dankgebet des Siegers mit Spruchband ›Gotes dyener wil ich seyn und Maria der Jungfrawe ke[?] rein, Sie haben behut dz leben mein‹

73v–80v Bildkatalog Kampffechten zu Fuß in voller Rüstung mit dem Luzerner Hammer, ohne Beischriften und nicht koloriert

83r–104v Bildkatalog Übungsfechten Ungewappneter mit dem Dolch, einschließlich Ringen

5. 109v–114v Meister Ott, ›Ringkunst‹, ohne Abbildungen

›Yetzund hernach so hebt sich an dy maß czu allenn Ringen, dye stuck dann gemacht hat ott der eyn tauffter Jud ist gewesen. merck ein ler. In allenn ringen sullen drew ding das erst ist kunst, das ander ist snellikayt, das dritt ist rechtew abgevng der sterck‹

6. 116v–133v Bildkatalog zum Ringen, mit Beischriften, ab 132r nur noch Vorzeichnungen
7. 141r–148r Bildkatalog zur Kriegstechnik mit Beischriften, Taucher, Schwimmhilfen, Steigzeug, Armbrustspanngerät, Hebezeug, Steigzeug, etc.

›Das ist ein wassermann der ist gemacht mit leder. Die augen sollen sein von weißem dunnen horn‹

8. 148v Nachgetragene frühneuzeitliche Zeichnungen von zwei Feuerwerkskörpern
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 150 Blätter (moderne Foliierung, ältere gestrichene Paginierung, nach 21 ein Blatt übersprungen und als 21a gezählt, Blatt 12 eingebundenes kleineres Blatt), 290 × 215 mm, 105r–109r leer, Bastarda von vier Schreibern, Hand I: 7r–17r, Hand II: 18r–20v, 21av–23r, 48v, 109v–114v, Hand III: Bildbeischriften 116v–132v, Hand IV: Bildbeischriften 141r–148r; Textura von einer oder zwei weiteren Händen nur in den Spruchbändern 2r, 28r, 48r, 49r, 72v (mit Wiederholungen der Texte von einer einer weiteren, frühneuzeitlichen Hand), 8v–9r dreispaltige Tabelle, 22v–23r zweispaltig, sonst einspaltig mit stark schwankender Zeilenzahl, 22–33 Zeilen 7r–17r, 18–29 Zeilen 18r–20v, 21av; rubriziert nur 7r, 11v–17r, 18r–20v, rote Überschriften 21av–23r, sechs- und zweizeilige Lombarden nur 7r.

Schreibsprache:

nordfränkisch-bairisch, Spruchband 48r schwäbisch.

II. Bildausstattung:

165 aquarellierte und lavierte und 15 nicht kolorierte (22v/23r, 24r, 41v, 73v, 74v, 75v, 76v, 77v, 78v, 79v, 80v, 132r–133v) Federzeichnungen von mehreren, teilweise schwer zu scheidenden Zeichnern, nach dem Vorschlag von Eisermann (Lit.) Zeichner I: 3r, 4r, 6r, eng verwandter Zeichner II: nur 5r, Zeichner III: Titel- und Schlußblätter 2r, 28r, 48r, 49r, 72r sowie die Rectoseiten von 28r–48r, Zeichner IV: (südwestdeutscher Raum, in enger Zusammenarbeit mit Zeichner III) Alltagsszenen 26r–27v und die Versoseiten 28v–39v, Zeichner V: 25v, 34v, 38v mit Ergänzung der Alltagsszenen von Zeichner III sowie 50r, 51r, 52rv, 53r, 54rv, 55v, Zeichner VI: Rectoseiten 56r–71r, Zeichner VII: 73v, 74v, Zeichner VIII: 75v, 76v, 77v, 78v, 79v, 80v, Zeichner IX: 83r–88v, Zeichner X: 88v–104v sowie 116v–131v und 141r–148r, Zeichner XI: unkolorierte Zeichnungen 132r–133v, dazu ein Nachtrag vom Ende des 15. Jahrhunderts (22v/23r ) und ein weiterer Nachtrag eines frühneuzeitlichen Zeichners 148v; sechs nicht kolorierte Scheibendiagramme (11v, 12r, 13r, 13v, 14v, 16r).

Format und Anordnung:

Nur 22v/23r eine 111 × 360 mm große doppelseitige und nicht kolorierte (nachgetragene) Zeichnung zweier Gewappneter mit Spießen zu Pferd am unteren Rand unter dem Text, sonst durchgehend einseitige Zeichnungen verschiedener Größe: 25v–27r Versoseiten halbseitig in der unteren Bildhälfte, Rectoseiten ganzseitig; 29v–38v ebenfalls auf den Versoseiten 180 × 200 mm große Zeichnungen, oft von Nachthimmel mit Sternen begrenzt, in der unteren Seitenhälfte, die Rectoseiten wieder ganzseitig; 73v–80v 170–200 mm große Kämpferpaare zentral in der Seitenmitte; 83r–104v 180–200 mm große Kämpferpaare etwas unterhalb der Seitenmitte zentriert; 116v–133v 130–220 mm große Ringerpaare im unteren Seitenbereich unter einzeiligen Beischriften mit unmittelbarem Bildbezug; 141r–148r meist ganzseitige Abbildungen mit wechselnd oben, unten oder seitlich angebrachten Beischriften; abgesehen von den zeichnungsbegrenzenden Kampfringen 38r–48r (nur Rectoseiten) durchgehend rahmenlos; 30v Malanweisung jagen, 48r Malanweisung Daz boten brot (dargestellt ist jedoch das Dankgebet des Siegers), weitere Malanweisungen am oberen Bildrand dürften durch Beschnitt weggefallen sein (41v, 47v nur noch fragmentarisch zu erkennen).

Bildaufbau und -ausführung:

3r, 4r und 5r jeweils zwei Kämpferpaare pro Seite auf grob schraffiertem Rasengrund, sonst durchgehend nur eine Darstellung pro Seite; Zeichner I 3r, 4r, 6r und II nur 5r statische Kämpferpaare auf grob skizziertem Rasengrund, enganliegende Kleidung mit nur leicht schraffierender, teilweise flächiger Kolorierung; Zeichner III Titel- und Schlußblätter (2r, 28r, 48r, 49r, 72r) mit feineren Gesichtszeichnungen, teils Rasengrund mit angedeutetem idealisiertem Pflanzenbewuchs, enganliegende Kleidung mit einigen Schraffuren und schraffierend eingesetzter Kolorierung, teils angedeuteter Himmel in kräftig blauer Kolorierung, die Kreuzigungsgruppe 2r mit sorgfältigem Faltenwurf, Rectoseiten von 28r–48r dynamischere Figuren mit wenigen Schraffuren und schattierender bis flächiger Kolorierung; Zeichner IV als qualitativ bester Illustrator der Handschrift mit vermutlicher Herkunft aus dem südwestdeutscher Raum, sorgfältige Alltagsszenen 26r–27v, auf den Versoseiten 28v–39v feine Personenzeichnungen teils vor Architekturhintergrund (Städte und Burgen) sowie kleinere Genreszenen in angedeuteter Landschaft und Sternenhimmel, kaum Schraffuren und im Gegensatz zur Zeichnung grobe Kolorierung; Zeichner V (25v, 34v, 38v, 50r, 51r, 52rv, 53r, 54rv, 55v) Genreszenen und feine detailreiche Einzelkämpfer im Harnisch mit guten Gesichtszügen und stimmigen Proportionen, Licht- und Schatteneffekte in der Kolorierung, Kämpfer auf grob rotbraun angedeutetem Rasengrund; Zeichner VI (Rectoseiten 56r–71r) in der Darstellung der Kämpfer mit Rüstungen sehr ähnlich Zeichner V, jedoch mit begrenzendem Kampfring und etwas schwächeren Proportionen und Haltungen; Zeichner VII (73v, 74v) nur grobe Vorskizzen mit zahlreichen Korrekturen; Zeichner VIII (75v, 76v, 77v, 78v, 79v, 80v) ebenfalls nur grobe unkolorierte Vorzeichnungen, jedoch mit angedeuteter Horizontlinie; Zeichner IX (83r–88v) statische Figuren mit stereotypen Gesichtern, enganliegende Kleidung mit angedeuteten Nähten, grüner Rasengrund, leichte bis flächige Kolorierung mit gelegentlichen schattierenden Effekten; Zeichner X (88v–104v, 116v–131v, 141r– 148r) sehr ähnlich Zeichner IX, jedoch mit überproportional großen und groben Köpfen; Zeichner XI (132r–133v) unkolorierte Zeichnungen mit feinem Federstrich, dynamischere Figuren vor Horizontlinie; insgesamt zahlreiche Korrekturen und Radierungen mit leichten Abänderungen der Haltungen der Kämpferpaare.

Bildthemen:

In den Fechterszenen mit unterschiedlichen Waffen weitgehend übereinstimmend mit den anderen Talhoffer-Handschriften, die strengere Strukturierung mit Einbezug erzählerischer Komponenten ist hier jedoch durch die Anonymisierung der Personen und den Einschub fremder Bildmaterialien aufgelöst; älteste Talhoffer-Handschrift und einziger Textzeuge der Redaktionsstufe I (Keil [1995] Sp. 593 f.); insbesondere fallen Einflüsse aus dem ›Bellifortis‹ auf, auch wenn zeichnerische Erweiterungen oder Verkürzungen vorgenommen wurden (25v, 26r, 27r, 141r–143r, 145v, 146v–147r); weitere auffällige Darstellungen in den Alltags- oder Genreszenen innerhalb des Bildkatalogs zum Kampffechten (27v–48r): z. B. 30v Jagd mit Hunden auf Hochwild, 31v Tischszene mit Musikinstrumenten, 32v Badeszene, 37v Kommunionempfang; in den kriegstechnischen Ergänzungen wieder ›Bellifortis‹-Einflüsse sowie 148r ein in einem Sack steckender Mann (wie man aus dem sack sol komen), 143v und 144r Besteigen einer zinnenbekrönten Mauer mit einem handkurbebetriebenen Tragkorb (zeitgleiche ähnliche, jedoch sehr schematische Darstellung Zürich, Zentralbibliothek, Rh. hist. 33b, 85v) bzw. mit einem gespannten Seil mit Mauerkralle und einem Brett als Steighilfe (etwas spätere ähnliche Darstellung Wien, Kunsthistorisches Museum, KK 5014, 112v), 147v Taucher in einer hölzernen, beschwerten Tauchglocke mit Beischrift Wie man ainen brief vnder ainem wasser sol schreiben.

Farben:

Grün, Grau, Blau, Rosé, Gelb, Braun, Ocker in verschiedenen Abtönungen, Rot.

Faksimile:

Teilfaksimile: Hergsell (1889, Gothaer Codex) mit 160 Tafeln; verkleinerter Neudruck bei Gaurin (2006) S. 179–341.

Literatur:

Jacobs/Ukert (1838) S. 102–115; Rockar (1970) S. 41; Falk Eisermann: Katalog der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften. Die Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha Bd. 2 (http://bilder.manuscripta-mediaevalia.de/hs//projekt_gotha.htm). – Massmann (1844) S. 57f.; J. D. F. Sotzmann: Die Loosbücher des Mittelalters [1. Fortsetzung]. Serapeum. Zeitschrift für Bibliothekswissenschaft, Handschriftenkunde und ältere Literatur 12 (1851), S. 309–311; Hergsell (1896) S. 430–441 (in französischer Übersetzung bei Gaurin [2006] S. 115– 134); Jähns (1889) S. 368, 372 f.; W. Schmitt: Hans Hartliebs mantische Schriften und seine Beeinflussung durch Nikolaus von Kues, Diss. Heidelberg 1962, S. 41–47 (G). S. 291–317 (Edition unter Heranziehung von 7r–17r) Wierschin (1965) S. 15 (Nr. 5), Abb. 1 (26r). 2 (27r). 3 (30v). 4 (31v). 5 (32r). 6 (31r). 7 (38r). 8 (37v). 9 (39v). 10 (40r); E. A. Bowles: Musikleben im 15. Jahrhundert. Leipzig 1977 (Musikgeschichte in Bildern 3,8), S. 94, Abb. S. 94 (54v); Hils (1983) S. 102, Abb. Nr. 5 (28r laut Legende, jedoch tatsächlich aus einer anderen Handschrift); Hils (1985a), S. 62–65 (Nr. 20), Abb. Anlage 2.1,1 (117v). 2.2,1 (43r). 2.3,1 (92v). 2.4,1 (98r). 2.5,1 (120r); Chronik alter Kampfkünste. Zeichnungen und Texte aus Schriften alter Meister entstanden 1443–1674. Berlin 41990, Abb. 1–36 (116v–133v nach Hergsell [1889, Gothaer Codex]); Müller (1992) S. 271; Keil (1995) Sp. 592–595; Schulze (2006), Abb. 9 (25v). 10 (27r); Schulze (2007), Abb. 21a (126r).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Taf. IIIb: 2r. Hans Talhoffer, Fechtbuch: Betender Fechter vor Kreuzigungsgruppe.

Abb. 19: 54v. Hans Talhoffer, Fechtbuch: Musikszene im Kampfring.

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Taf. IIIb.
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Abb. 19.