26A.28. Straßburg: Jakob Twinger von Königshofen,
›Straßburger Chronik‹, deutsch
Bearbeitet von Christine Stöllinger-Löser
KdiH-Band 3
Die deutsche ›Straßburger Chronik‹ des Klerikers Jakob Twinger (Jakob von Königshofen; 1346–1420), in mehreren Fassungen entstanden zwischen 1382 und ca. 1400/1415, gilt als ein Schlüsselwerk der mittelalterlichen deutschen Geschichtsschreibung. Sie verbindet einen weltchronistischen Teil von der Erschaffung der Welt bis zu Alexander dem Großen sowie eine daran anschließende Kaiser- und eine Papstgeschichte mit einer Straßburger Bistums- und Stadtchronik; die Geschichte der Stadt Straßburg wird so in den größeren Zusammenhang der Universalgeschichte gestellt. Das Werk ist vollständig oder in Ausschnitten in mindestens 84 Handschriften überliefert (vgl. Handschriftencensus [Stand: 05. 07. 2010; noch ohne die Handschrift Washington]; 51 Handschriften verzeichnet bereits
Die drei wohl parallel entstandenen Autorfassungen (A, B und C), für die
Nach der Vorrede ist die Chronik in sechs große Kapitel geteilt: Kapitel 1 (Ausgabe
Neben den Varianten der Autorfassungen erfuhr der Textbestand im Lauf der Überlieferung weitere Veränderungen: In Straßburg und im Elsaß wird die Chronik im 15. Jahrhundert in der Regel bis in die Gegenwart des jeweiligen Schreibers fortgesetzt. Andernorts im deutschen Südwesten, in Schwaben, in der Schweiz und im Rheinland, in geringerem Maße auch noch in der bayerischen Chronistik, dient Twingers Text häufig unter Benutzung vor allem der ersten drei Kapitel oder von Auszügen daraus der Einordnung unterschiedlicher lokaler oder regionaler Geschichtsschreibung in die welt- und heilsgeschichtlichen Zusammenhänge. Er wird als Quelle und Muster weiterer chronikalischer Werke bearbeitet, erweitert und ergänzt; die für den KdiH einschlägigen Handschriften sind hier unter den jeweiligen territorialgeschichtlichen Chroniken eingeordnet, vgl. z. B. die Schweizer Chronistik (Stoffgruppen 26A.18.–26A.27.) oder die Handschriften zur Geschichte Kölns mit Heinrichs van Beeck ›Agrippina‹ (26A.8.), in der das Kaiserkapitel 2 aus Twinger verarbeitet wurde. Der Text Heinrichs van Beeck wird somit nicht zur direkten Twinger-Überlieferung gezählt, sondern als sekundäre Rezeption verstanden. Ähnlich zu werten ist die Integration von Teilen der Chronik in juristische oder religiös-heilsgeschichtliche Kompendien.
Eine herausragende, sehr eigenständige frühneuzeitliche deutsche Bearbeitung von Twingers Chronik ist die vierbändige ›Straßburger Chronik‹ Johannes Staedels, geschrieben 1612–1615. Deren erster Band, der den Zeitraum vom fabulösen Stammvater der Deutschen, Tuisco, zur Zeit der Sintflut, bis zum Jahr 1330 in Form einer synchron angelegten Kaiser-, Stadt- und Bistumschronik behandelt, war in der Forschung bisher gänzlich unbekannt (bei
Die Zuordnung von Handschriften als Twinger-Überlieferung oder sekundäre Twinger-Rezeption ist in der Forschung nicht in allen Fällen einheitlich erfolgt. Ein Beispiel hierfür sind auch die Historienbibel-Handschriften (vgl. Stoffgruppe 59). Zwei reich illustrierte Historienbibeln, die Handschriften München, Staatsbibliothek, Cgm 522 (siehe Nr. 59.12.3. und 59.13.3.) und Wien, Schottenstift, Cod. 263 (205) (Nr. 59.5.1.), in die neben den alttestamentlichen Ereignissen u. a. auch der Bericht über Alexander den Großen aus Twingers Chronik integriert wurde, entnehmen möglicherweise auch einzelne in die Bilder aufgenommene Motive speziell dem Text Twingers, etwa den Säugling Moses, der dort in einer Tonne und nicht in einem Korb liegt (14ra; vgl. Twingers Text bei
Zur Ikonographie der Alexandergeschichte in den beiden Handschriften vgl. auch
Nur wenige Handschriften der Twingerschen Chronik sind über Schmuckinitialen hinaus auch mit figürlichem Bildschmuck ausgestattet, der Bezug zum Text aufweist. Bekannt sind fünf Handschriften mit Illustrationen, die auf den Inhalt der einzelnen Kapitel oder auf den Text bestimmter markanter Abschnitte bezogene Bildszenen in Form von Eingangsbildern oder historisierten Initialen enthalten, dazu zwei weitere mit Leerräumen:
– die in Straßburg entstandene Handschrift Washington, National Gallery of Art, Woodner Collection, 2006. 11. 15 (nebst herausgelösten Einzelblättern) mit Randillustrationen ohne inhaltlichen Bezug, zwei in den eigentlichen Twinger-Text integrierten Bildern (Wurzel Jesse und Eroberung Trojas) sowie acht anspruchsvollen Zeichnungen, die als Einleitungsbilder und mit Bezug auf zeitgenössische Ergänzungen der Chronik durch die Hand des Buchbesitzers eingefügt wurden (Nr. 26A.28.6.).
– der in Augsburg entstandene Gothaer Codex Chart. A 158 mit sieben Miniaturen (zu Beginn der Hauptabschnitte: Schema der Weltzeitalter, thronender Christus, thronender Kaiser, Tiburtinische Sibylle mit der Weissagung der Geburt Jesu; außerdem: Trojanischer Krieg, Alexander der Große, Hybris des Perserkönigs Cosdras / Kreuzesholzlegende) (Nr. 26A.28.2.);
– die niederrheinische Breslauer Handschrift R 203 mit elf historisierten Initialen (Autorbild, Christus als Schöpfer der Welt, Kaiser und Papst mit weiteren Personen, Kaiser Karl der Große, Gruppe von Kriegsleuten, thronender Petrus, das Antlitz Christi, Straßburger Bischöfe, Stadtansicht) (Nr. 26A.28.7.);
– die in Konstanz entstandene Stuttgarter Handschrift, die eine Kurzfassung von Ulrich Richentals Bericht über das Konstanzer Konzil zwischen Twingers Kaiser- und Papstkapitel inseriert und diese mit zwei ganzseitigen inhaltsbezogenen Wappenseiten (der Stadt Rom und Papstwappen) sowie zahlreichen kleinen Wappen schmückt, die die Abschnitte über die einzelnen Kaiser, Könige und Päpste markieren (Nr. 26A.28.5.);
– außerdem ist ein Exemplar des ältesten der Inkunabeldrucke, der selbst nicht illustriert ist, durch Konrad Bollstatter in Augsburg mit handschriftlichen Ergänzungen größeren Umfangs versehen worden, die mit drei ganzseitigen von Hand gefertigten Bildern ausgestattet wurden (Autorbild, Christus als Schöpfer der Welt, thronender Papst); es wird daher hier unter den Handschriften mit berücksichtigt (München, Cgm 7366; Nr. 26A.28.4.).
Zwei Handschriften weisen Leerräume für geplanten Bildschmuck auf:
– In dem vom Mittelrhein stammenden Frankfurter Ms. germ. qu. 53 waren Miniaturen vor den Abschnitten über Troja, die Amazonen, Alexander den Großen und Karl den Großen sowie vor Beginn der Kapitel 2 und 3 vorgesehen, ferner lassen Leerräume und einige Vorzeichnungen im Kaiserkapitel 2 auf geplante Schmuckinitialen bzw. Wappendarstellungen zum jeweiligen Abschnittsbeginn der einzelnen Kaiser und Könige schließen (Nr. 26A.28.1.).
– In der in Überlingen entstandenen Handschrift Karlsruhe, Ettenheimmünster 11 wurden – anders als im vorangehenden Teil mit Richentals Konzilschronik – die für Twingers Chronik und weitere Texte vorgesehenen Illustrationen nicht ausgeführt (Nr. 26A.28.3.).
Vorrangig sind die drei ersten Kapitel von Twingers Text, also die weltchronistischen Teile mit Kaiser- und Papstgeschichte, mit Illustrationen ausgestattet worden. Aber auch zu den beiden Straßburger Kapiteln 4 und 5 existieren in der Breslauer Handschrift drei Eingangsbilder und in der Stuttgarter Handschrift einige Wappendarstellungen; in Karlsruhe ist ein Leerraum im Anfangsteil von Kapitel 4 vorgesehen, der wohl auf den ersten französischen (merowingischen) König zu beziehen ist. Im Vergleich mit der reichen Bebilderung etwa der Schweizer Chroniken (siehe oben 26A.18.–27.) sind gerade die stadtgeschichtlichen Teile der Twingerschen Chronik in ihren mittelalterlichen Textzeugen somit eher sparsam illustriert worden.
Die Bildthemen der illustrierten Textzeugen stimmen nur teilweise überein: Ein Autorbild ähnlicher Konzeption steht am Beginn der Vorrede in der Breslauer Handschrift und vor Bollstatters handschriftlicher Ergänzung des Münchner Druckexemplars; auch das zweite Bild der Bollstatter-Nachträge hat in Breslau und in Washington eine Entsprechung (Christus als Schöpfer der Welt); dem thronenden typisierten Papst bei Bollstatter dagegen entspricht nur in Breslau konkreter der thronende Petrus. Zwischen Bollstatters Nachträgen und der ebenfalls in seinen Augsburger Umkreis lokalisierten Gothaer Handschrift bestehen dagegen erstaunlicherweise keine bildlichen Berührungspunkte. Die erhaltenen Bilder lassen insgesamt nur ansatzweise ein gemeinsames Programm erkennen; jedoch ist ihre Plazierung – jeweils zu Beginn der einzelnen Bücher und darüber hinaus bei einzelnen Unterabschnitten mit besonderem Stellenwert (Trojanischer Krieg, Alexander, Karl der Große) – weitgehend einheitlich. Die Ausführung im Einzelnen ist unterschiedlich, eine direkte Abhängigkeit ist nicht festzustellen. Vermutlich hatte Bollstatter für die von ihm veranlaßten Illustrationen aber eine Vorlage, die Gemeinsamkeiten mit der niederrheinischen Breslauer Handschrift aufwies. Die Leerräume der Frankfurter Handschrift lassen auf eine ähnliche Bildverteilung schließen, darüber hinaus auf Wappendarstellungen und Schmuckinitialen bei der Reihe der deutschen Kaiser und Könige, wie sie ähnlich, allerdings in anderer Positionierung, in der Stuttgarter Handschrift ausgeführt sind, wo sie auch auf Kapitel 3 und 4 ausgedehnt wurden. Das nicht ausgeführte Bildprogramm der Karlsruher Handschrift war offensichtlich deutlich weiter gespannt als das der anderen mittelalterlichen Textzeugen; es dürfte sowohl Schmuckinitialen als auch zahlreiche in den Text eingefügte Bildszenen umfaßt haben. Die Washingtoner Handschrift ist besonders interessant, weil hier einer der ältesten erhaltenen Textzeugen, der wohl noch vom Ende des 14. Jahrhunderts stammt, aber unvollständig gewesen zu sein scheint, im späten 15. Jahrhundert nach einer anderen Twinger-Handschrift ergänzt wurde. Der namentlich bekannte Auftraggeber dieser Vollendung sorgte für zwei mit dem Text verwobene Illustrationen und bebilderte auch seine persönlich gefärbten Nachträge, die auf eine besondere Verehrung für König Maximilian I. schließen lassen.
Bei der Gothaer Handschrift stehen zwei Bilder auffällig in Widerspruch zum Text Twingers: Im Zusammenhang des Trojanischen Krieges wird das Urteil des Paris bildlich dargestellt, das Twinger jedoch gar nicht erwähnt, sondern wie zahlreiche andere Episoden um der Kürze willen übergangen hat. Beim Bild zur Alexandergeschichte hat der Löwenkopf des Pferdes Bucephalos im Text keine Entsprechung; er kommt vielmehr bei Johannes Hartlieb vor. Der Illustrator hat sich also an anderen Textquellen orientiert. Außerdem wird hier die Darstellung der Sibylle, die dem Kaiser Octavianus die Geburt Christi weissagt, nicht dem zugehörigen Text im Kaiserkapitel zugeordnet, sondern an den Beginn von Kapitel 3 gestellt, das mit der Geschichte Christi beginnt.
Von den vier Frühdruck-Ausgaben bzw. Teilausgaben der ›Straßburger Chronik‹ des Jakob Twinger von Königshofen, sämtlich in Augsburg gedruckt, erschienen die ersten beiden bei Johann Bämler, der auch den Text für die Drucklegung redigierte (
Eine Abschrift des Bäumler-Drucks von 1476 (26A.28.a.) ist die Handschrift Gotha, Forschungsbibliothek, Chart. A 160 (um 1480, ostschwäbisch; Beschreibung von
Literatur zur Überlieferung: