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26A.17. Schwaben: Thomas Lirer,
›Schwäbische Chronik‹ – ›Gmünder Chronik‹

Bearbeitet von Norbert H. Ott

KdiH-Band 3

Anders als die meisten unter der Stoffgruppe 26 (Chroniken) versammelten Texte ist die ›Schwäbische Chronik‹ Thomas Lirers keine historiographische Darstellung im eigentlichen Sinn, sondern »erfundene« Geschichte: formal eher eine den Prosaromanen der Zeit nahestehende, Fakten und Fiktionen eng verschränkende Erzählung über die Politik und die Rechtshändel des schwäbischen Adels im späteren Mittelalter, die die Abstammung der Tübinger, Montforter und Werdenberger Grafen sowie anderer Adelsgeschlechter Schwabens auf einen während der Christenverfolgungen vertriebenen Kaiser Kurio zurückführt, die genealogischen Geschichten mit novellistischen Episoden durchsetzt und so den Adelshäusern Schwabens ein ehrenvolles Herkommen sichert. Hintergrund des durchaus auch auf historiographische Quellen wie etwa die ›Kaiserchronik‹ zurückgreifenden Texts sind zeitgenössische aristokratische Leitbilder; in der Betonung höfischer Idealität sowie dem an vielen Stellen durchschimmernden Interesse an Genealogie, Rechtsleben und Landesreform spiegelt sich das restaurative Selbstverständnis der schwäbischen Ritterschaft und ihr Versuch, sich gegen die expandierenden Landesherrschaften, vor allem Habsburg, durchzusetzen. Wohl auch der in den Überlieferungszeugen tradierte Name des Autors Thoman Lirer gesessen zů Ranckweil, der von sich behauptet, als Knecht seinen Herrn von Werdenberg nach Portugal begleitet zu haben, ist fiktiv und spielt metaphorisch (lirer: Leierspieler, Geschichtenerzähler) auf die literarische Tätigkeit an. Vermutlich verbirgt sich dahinter ein humanistisch beeinflußter, mit dem Schreiben professionell befaßter Anonymus aus dem Bodenseegebiet, der wohl in der Nähe der Grafen von Monfort und von Werdenberg zuhause war.

Im Cgm 436 (Nr. 26A.17.2.) und den Drucken schließt an Lirers Schwabenchronik die sog. ›Gmünder Chronik‹ an; auch die fragmentarische Gießener Hs. 400 enthielt laut Inhaltsverzeichnis diese noch in 14 selbständigen Handschriften überlieferte kurze Prosachronik bis 1377, die hier mit württembergischen Interpolationen durchschossen und bis 1462 fortgesetzt ist. Drei weitere, nichtillustrierte Handschriften aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Brixen, Priesterseminar, Cod. A 21; Fulda, Hessische Landesbibliothek, Hs. B 21; Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB V 51) überliefern ebenfalls beide Texte als programmatische Einheit. ›Schwäbische Chronik‹ und ›Gmünder Chronik‹ sind durch ein vorangestelltes gemeinsames Inhaltsverzeichnis miteinander verschränkt; wie es scheint, ist diese Kompilation der unterhaltsamen Chronikerzählung mit dem knappen Abriß der Kaisergeschichte für die Druckfassung Konrad Dinckmuts zusammengestellt worden, möglicherweise durch den Ulmer Humanisten Hans Neithart veranlaßt. Einen narrativen Bilderzyklus erhielt jedoch nur Lirers Text; der ›Gmünder Chronik‹ wurde lediglich eine in Kaiser- und Papstporträts das Deutungsangebot des Texts zusammenfassende Titelillustration vorangestellt.

Bemerkenswert ist die ›Schwäbische Chronik‹ – auch forschungsgeschichtlich – als Exempel des Medienwechsels zwischen handschriftlicher und Druckillustration. Früh schon hat man die Zusammenhänge der kolorierten Federzeichnungen des Münchner Cgm 436 (Nr. 26A.17.2.) mit den Holzschnitten der Dinckmut-Drucke (16A.17.ac.) gesehen, doch die Abhängigkeit je unterschiedlich gedeutet: Der gängigen Vorstellung von der entwicklungsgeschichtlich »logischen« Ablösung des alten durch das neue Medium entsprechend, hielt man entweder die Handschrift, die man sich in Augsburg entstanden dachte, für die Vorlage der Drucke (Stadler [1913], Weil [1923], Geldner [1957], [1968]) oder nahm, den Cgm 436 nach Ulm lokalisierend, eine gemeinsame, handschriftliche (Bild-)Quelle für Codex und Inkunabeln an (Baer [1903/1973], Lehmann-Haupt [1929], Fleischhauer [1929], Stange [1957], Schneider 1973]). Doch vor allem Amelungs Untersuchungen (1972, 1979, 1990) haben es wahrscheinlich gemacht, daß der im Ulmer Kunstkreis beheimatete Illustrator der Bilderhandschrift, wie schon PAULI (1919) angenommen hat, seine Zeichnungsfolge aus dem für die Ulmer Inkunabeln entwickelten Holzschnittzyklus abgeleitet hat: In Umfang, Bildaufbau und Figurenkonstellation – und mehrheitlich im Format – entsprechen die kolorierten Federzeichnungen, bis auf 25v seitengleich, den Holzschnitten der beiden Dinckmut-Drucke von 1486 (26A.17.b., 26A.17.c.), lediglich in kompositorischen Details variierend. Die fünf nur höchstens halbseitigen Miniaturen wiederum geben sich deutlich als ins Querformat übertragene, Hinter- und Mittelgrund in eine Bildebene zusammendrängende Reduktionsformen der entsprechenden hochformatigen Holzschnitte zu erkennen.

Wohl 1485 brachte Konrad Dinckmut seine erste Ausgabe der programmatischen Zusammenstellung von Lirers ›Schwabenchronik‹ mit der ›Gmünder Chronik‹ heraus (26A.17.a.) und ließ sie mit 19 Holzschnitten (von 18 Druckplatten) des sog. »Meisters des Ulmer Terenz« illustrieren, der seinen Notnamen nach den 28 Holzschnitten der 1486 bei Dinckmut erschienenen Übersetzung Hans Neitharts von Publius Terentius Afers Komödie ›Eunuchus‹ führt. Schon 1486 erschienen kurz hintereinander zwei weitere Auflagen, deren Bilderzyklus auf 23 Illustrationen (von 22 Druckplatten) erweitert ist (26A.17.b., 26A.17.c). Eine dieser beiden nur in wenigen orthographischen Varianten und zuweilen im Zeilenfall unterschiedenen Ausgaben diente dem Illustrator des Münchner Cgm 436, der wohl am ehesten im Umkreis des Ulmer Tafelmalers Bartholomäus Zeitblom zu suchen, jedoch kaum mit diesem identisch ist, als Vorlage. Die ikonographischen Modelle und den Bildaufbau im wesentlichen beibehaltend, hat er die räumlich eher flachen Holzschnitte des Terenz-Meisters in perspektivisch weiterentwickelte Kompositionen von großer Raumtiefe überführt und dabei besonderen Wert auf »realistisch« durchgestaltete Landschaften und ausführlich geschilderte Sachdetails, wie Kostüme, Rüstungen, Waffen usw., gelegt: Die kolorierten Federzeichnungen der Münchener Lirer-Handschrift gehören damit zu den überdurchschnittlichen Illustrationsbeispielen volkssprachlicher Texte am Ende des 15. Jahrhunderts.

Noch hundert Jahre später war der Einfluß des inzwischen etablierten neuen Druckmediums auf die noch immer praktizierte handschriftliche Überlieferung nicht abgerissen: Die im späten 16. Jahrhundert ebenfalls in Schwaben entstandene, fragmentarische Gießener Hs. 400 (Nr. 26A.17.1) ist nichts anderes als die akribische Kopie eines der beiden Dinckmut-Drucke von 1486. Nicht nur das Liniengerüst der zwölf noch erhaltenen, unkolorierten Federzeichnungen folgt streng dem Duktus der Holzschnitte; auch das Layout der Druckseiten hat der Schreiber – nicht immer erfolgreich – zu imitieren versucht, ja selbst die Kustoden des Drucks abgeschrieben. Der 1499 bei Bartholomäus Kistler in Straßburg herausgenommene Druck beider Chroniken (26A.17.d.) aber, dessen Titel Cronika / vō allen künig vnd keiseren […] vor allem auf die ›Gmünder Chronik‹ anspielt, schert aus der ikonographischen Tradition aus: Unter dem Buchtitel ist – als einzige Illustration – ein Holzschnitt eingefügt, der den vor Jerusalem stehenden Kaiser Maximilian zeigt. Er ist jedoch nicht eigens für die Chronik-Ausgabe angefertigt, sondern wurde Johann Grüningers Druck von Sebastian Brants ›Varia Carmina‹, Straßburg 1498, entnommen und für den neuen Gebrauchszusammenhang bearbeitet: Die vier Johanniterkreuze aus dem Stadtwappen und der Schriftzug Jherusalem im Spruchband sind aus der Druckplatte entfernt. Bildthementabelle

Bildthema 26A.17.a. 26A.17.b./c. 26A.17.2. 16A.17.1.
Kaiser Kurio und Kaiserin Docka bekennen vor dem Senat ihren Christenglauben (oder: Theonestus bekehrt das Kaiserpaar) a3v a3v (Blattverlust) 6v/7v
St. Lucius läßt einen Bären, der einen Ochsen getötet hat, vor den Pflug spannen a5v a5v 3v 9v
Die Burgen Hewen und Gutenberg a6v a6v 4v 10v
Kaiser Kurio belehnt seinen Sohn Wilpart mit Leutkirch a7v a7v 5v 12r
Kaiser Kurio ernennt seinen jüngsten Sohn Burgundus zum Patriarchen auf dem Kirchberg bei Ulm a8v a8v 7r 12v
Rumulus wird erster Herzog von Schwaben b2r (=b6r)
Rumulus reitet gen Ravensburg b2r 9r 14r
Belagerung Ulms b3r (=b5v) 10r 15r
Ruland von Tübingen erheiratet die Herrschaft Herrenberg b3v b4r 12r 16v
Herzog Rumulus belagert Burg Weck b5r b5v (=b3r) 13v 17v
Herzog Wendel von Bayern bekehrt sich zum Christentum und schwört den Treueid b6r (=b2r) b6v 15r 18v
Herzog Wendel und Kaiser Konstantin treffen mit ihren Heeren aufeinander, umgegen die Ungarn zu ziehen b7v b8v 17v 21v
Kaiserin Helena beauftragt Emerius, auf dem Heiligenberg eine Kreuzeskapelle zu errichten (?) c1v c2r 19v
Die selige Clareta heilt die erblindeten Belagerer von Heiligenberg c4v c5r 24v
Alban von Heiligenberg erhält Kastell Meersburg c6r c6v 25v
Der von Kellmünz wird vom Berg gestürzt; die Witwe des Dillingers geht ins Kloster Söflingen c8v d3r 29v
Berittener Kaiser vor einer Stadt (Herzog Ludwig von Sachsen wird nachSigmunds Tod König? oder: Der Graf von Montfort belagert Lindau?) d2v d5r (Blattverlust)
Bauernaufstand von 922 bzw. 992 d4v e1v 34v
Der Graf von Rotenfahn (Montfort) fordert Philipp von Aichelberg zum Zweikampf e3v 32r
Vier Hellebardenkämpfer (Textbezug unklar: Kampf zwischen Rotenfahn und Aichelberg?) d6b e4v 38r
Schloß Montfort f1r 41r
Gerichtlicher Zweikampf des Herrn von Montfort um die Ehre der Kaiserin von Kathay (China) e4v f6r 48v
Arbogast verabschiedet sich von der Prinzessin Elisa von Portugal, um gegen die Heiden zu ziehen f1v g4v (Blattverlust)
Titelillustration zur ›Gmünder Chronik‹: Drei Kaiser und drei Päpste (26A.17.b./c.),Papst und Kaiser (26A.17.2.) i1v 67r
Editionen:

Alte Schwäbische Geschichten samt Chronick eines ungenandten Authoris von Päpsten / teutschen Kaysern und Königen / besonders von Caroli M. zeiten biß aufs jahr 1462. Mit angehängten Anmerckungen von Licentiat [JOHANN REINHARD] WEGELIN. Lindau 1761 [Abdruck des Ulmer Drucks vom 12. 1. 1486]. – Thomas Lirer, Schwäbische Chronik. Hrsg. und eingeleitet von EUGEN THURNHER. Bregenz o. J. [1967] (Vorarlberger Schrifttum 8) [Abdruck der ›Schwäbischen Chronik‹ und der ›Gmünder Chronik‹ nach dem Ulmer Druck vom 12. 1. 1486].

Literatur zu den Illustrationen:

Hellmut Lehmann-Haupt: Schwäbische Federzeichnungen. Studien zur Buchillustration Augsburgs im XV. Jahrhundert. Berlin/Leipzig 1929, S. 174–176. – Werner Fleischhauer: Zu Thomas Lirers Schwabenchronik und zur Ulmer Malerei der Spätgotik. Das Schwäbische Museum 5 (1929), S. 38–50. – Peter Amelung: Konrad Dinckmut, der Drucker des Ulmer Terenz. Kommentar zum Faksimiledruck 1970. Dietikon-Zürich 1972, S. 15. 22. 37–42). – Der Frühdruck im deutschen Südwesten. 1473–1500. Eine Ausstellung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Ausstellung und Katalog: Peter Amelung. Stuttgart 1979 (Der Frühdruck im deutschen Südwesten. Bd. 1: Ulm), S. 211 –216. – Thomas Lirer, Schwäbische Chronik. Mit einem Kommentar von Peter Amelung. Stuttgart 1990 [Faksimile des Drucks Ulm: Konrad Dinckmut, 12. 1. 1486].