Von der ›Berner Chronik‹ Heinrich Dittlingers (gest. 1479) und Bendicht Tschachtlans (um 1420–1493) ist mit der Handschrift Zürich, Zentralbibliothek, Ms. A 120 das Exemplar aus dem gemeinschaftlichen Besitz der Urheber erhalten. Das 1470/71 hergestellte Manuskript, zugleich das früheste des unter dem Begriff »Schweizer Bilderchroniken« zusammengefaßten Handschriftencorpus, ist mit seinen 230 lavierten Federzeichnungen die einzige illustrierte Handschrift des Textes aus dem 15. Jahrhundert.
Die Chronik Tschachtlans und Dittlingers stellt im Wesentlichen eine Kompilation dreier Quellen dar. Für den ersten Teil bis 1420, dem Abschluß der Walliser Kriege 1420 (Kap. 1–433), dienten Konrad Justingers Arbeiten als Vorlage: zum einen seine ›Berner Chronik‹, die er ab 1420 im Auftrag des Berner Rates verfaßte, zum anderen die Justinger zugeschriebene ›Anonyme Stadtchronik‹ oder ›Königshofen-Justinger-Chronik‹ (siehe Stoffgruppe 26A.27.). Der zweite Teil (Kap. 454–725), der hauptsächlich den Alten Zürichkrieg behandelt, beinhaltet eine Bearbeitung der 1447 abgeschlossenen Chronik des Schwyzer Landschreibers Hans Fründ (Die Chronik des Hans Fründ, Landschreiber zu Schwyz. Hrsg. im Auftrag der allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz von Christian Immanuel Kind. Chur 1875). Bei der Übernahme der Quellen beschränken sich die Veränderungen darauf, Kritik an der Obrigkeit zu mildern und Vorkommnisse, die der ruhmreichen Größe Berns und der Tugendhaftigkeit seiner Bürger abträglich sein könnten, auszulassen, um die Stadt in ein vorteilhaftes Licht zu rücken. Für die Zeit zwischen 1420 und 1436 (Kap. 434–453) und im Anschluß an den zweiten Teil (Kap. 726–786) benutzten Tschachtlan und Dittlinger eigene Aufzeichnungen Tschachtlans sowie ein Erstlingswerk Diebold Schillings, von dem sich spätere Abschriften des 15. Jahrhunderts erhalten haben (Luzern, Zentral- und Hochschulbibliothek, Pp 46 fol., vgl. Theodor von Liebenau: Diebold Schilling’s Berner Chronik. Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 13 [1893], S. 465–539; Bern, Burgerbibliothek, Mül. 215, vgl. Wolfgang Friedrich von Mülinen: Die Obersiebenthaler Schilling-Chronik. Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 13 [1893], S. 563–600).
Aufgrund der Angaben in der Vorrede des Züricher Codex (S. 1–2), er sei »geschriben und gemallett« durch Bendicht Tschachtlan und Heinrich Dittlinger sei »schriber diß buͦchs« nahm die ältere Forschung an, Heinrich Dittlinger habe die Reinschrift besorgt, Bendicht Tschachtlan hingegen sei nicht nur als Verfasser, sondern auch als Illustrator anzusehen (Zemp [1897] S. 23). Erst in der jüngeren Forschung wurden Zweifel an dieser Interpretation und damit der Zuschreibung der Illustrationen an Tschachtlan geäußert und auf die Beteiligung mindestens zweier Hände verwiesen (Bartlome [1988] S. 96–97). Wie die Zuschreibung an eine Werkstatt ist auch die Frage einer eventuellen Vorlage für die Illustrationen ungeklärt. Die Hypothese, eine in den 1460er Jahren erstellte »Älteste Schweizer Bilderchronik« von Diebold Schilling habe als Grundlage für die Illustrationen der Züricher Handschrift und der späteren ›Berner Chronik‹ Diebold Schillings gedient, ist bisher unbestätigt (Baumann [1971] S. 73–79; zur Kritik Pfaff [1985] S. 9–16, hier S. 9). Bebilderte Abschriften der maßgeblichen Textquellen sind bis auf das eine für Illustrationen eingerichtete Exemplar der ›Amtliche Berner Chronik‹ Konrad Justingers (Jena, Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. El. fol 69, siehe Nr. 26A.27.1.) nicht belegt. Als Anregung dürften allerdings illustrierte Handschriften zu Kriegs- und Kampftechniken wie Konrad Kyesers ›Bellifortis‹ oder Hans Talhoffers ›Fechtbuch‹ gedient haben (Vgl. Stoffgruppe 39.4.; dazu Domanski [2011]).
Von der Berner Chronik Tschachtlans und Dittlingers sind mindestens neun weitere Manuskripte aus dem 16. bis 18. Jahrhundert erhalten, entweder als eigenständiger Text oder als zweiter Band einer Kopie der ›Berner Chronik‹ Diebold Schillings (Perrin [1950] S. 228–229). Für eine dieser Abschriften aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts waren Illustrationen geplant, die jedoch nicht ausgeführt wurden (Bern, Burgerbibliothek, Mss.h.h.I.8). In einer gegen Ende des 16. Jahrhunderts entstandenen Handschrift (Bern, Burgerbibliothek, Mül. 217) wurden ein Titelblatt und in den zahlreichen ausgesparten Freiräumen weitere 15 lavierte Tuschzeichnungen als Textillustrationen am Beginn des Manuskriptes ausgeführt.
Editionen: Emanuel Stierlin / Johann Rudolf Wyss: Bendicht Tschachtlans Berner-Chronik von dem Jahr 1421 bis in das Jahr 1466. Bern 1820. – Gottlieb Studer: Bendicht Tschachtlans Berner Chronik, nebst den Zusätzen von Diebold Schilling. Basel 1877 (Quellen zur Schweizer Geschichte 1), S. 191–298. – Pascal Ladner: Edition des Chroniktextes. In: Tschachtlans Bilderchronik. Kommentar zur Faksimile-Ausgabe der Handschrift Ms A 120 der Zentralbibliothek Zürich. Hrsg. von Alfred A. Schmid. Luzern 1988, S. 139–439.
Literatur zu den Illustrationen: Josef Zemp: Die Schweizerischen Bilderchroniken und ihre Architekturdarstellungen. Hrsg. durch die Stiftung von Schnyder von Wartensee. Zürich 1897, S. 23–35, S. 166. – Rudolf Wegeli: Die Bedeutung der schweizerischen Bilderchroniken für die historische Waffenkunde I. Tschachtlan 1470. In: Jahresbericht des Historischen Museums in Bern 1915. Bern 1916, S. 73–105, Taf. I–VII. – Paul Hilber: Kunstgeschichtliche Würdigung. In: Tschachtlan, Berner Chronik 1470. Handschrift A 120 der Zentralbibliothek Zürich. Bearb. von Hans Bloesch, Ludwig Forrer und Paul Hilber. Genf/Zürich 1933, S. 13–22. – Walter Muschg/Eduard A. Gessler: Die Schweizer Bilderchroniken des 15./16. Jahrhunderts. Zürich 1941, S. 163–165. – Carl Gerhard Baumann: Über die Entstehung der ältesten Schweizer Bilderchroniken (1468–1485). Unter besonderer Berücksichtigung der Illustrationen in Diebold Schillings Grosser Burgunderchronik in Zürich. Bern 1971, S. 8–24. – Vinzenz Bartlome: Die Bilder der Tschachtlan/Dittlinger-Chronik: Verzeichnis und Beschreibungen der Abbildungen. In: Tschachtlans Bilderchronik. Kommentar zur Faksimile-Ausgabe der Handschrift Ms A 120 der Zentralbibliothek Zürich. Hrsg. von Alfred A. Schmid. Luzern 1988, S. 85–138. – John R. Hale: Artists and Warfare in the Renaissance. New Haven / London 1990, S. 43–44. – Kristina Domanski: ›Privat‹ und ›Amtlich‹ – Anmerkungen zur Bildausstattung der ersten ›Schweizer Bilderchroniken‹. In: Habitus. Festschrift für Lieselotte E. Saurma-Jeltsch [erscheint 2011].