26A.31. Ungarn: Johannes de Thurocz, ›Chronica Hungarorum‹, deutsch
Bearbeitet von Ulrike Bodemann
KdiH-Band 3
Zur Glanzzeit der Regentschaft des Matthias Hunyadi, genannt Corvinus, als ungarischer König (1458–1490) stieg der Jurist Johannes de Thurocz (János Thuróczy) zum Notar (1468 und 1481–1486 belegt), später zum Protonotar (1486–1488) am könglichen Gerichtshof in Buda auf. Kurz nach dem 14. August 1487, dem Tag der Einnahme von Wiener Neustadt durch Matthias Corvinus, vollendete er seine kompilatorische Darstellung der Geschichte Ungarns, im Kern der Bericht über die Thronstreitigkeiten nach dem Tod König Ludwigs I. († 1382), erweitert um Darstellungen der magyarischen Vorzeit und um Ausführungen bis hin zu eigener Zeitgeschichte. Die Berichterstattung basiert im wesentlichen auf vorhandenen historiographischen Quellen, nur für die Geschichte des 15. Jahrhunderts ist Johannes de Thurocz selbst verantwortlich.
Die Thurocz-Chronik ist die umfangreichste spätmittelalterliche Prosa-Chronik der ungarischen Geschichte in lateinischer Sprache. Sie steht sowohl in der Tradition der wohl für Ludwig I. 1358 begonnenen und unvollendet gebliebenen Bilderchronik (»Chronicon pictum«, vgl. Budapest, Országos Széchényi Könyvtár, Clmae 404) als auch in jener der 1473 in Buda (Ofen) bei Andreas Hess (als erster Druck in Ungarn) herausgebrachten Inkunabel (»Chronica Hungarorum«/»Chronicon Budense«). Obgleich sie im Umfeld des Königshofs zu Buda entstand, widmete Johannes de Thurocz sie nicht etwa Matthias Corvinus, sondern »nur« Thomas de Drag, seit 1486 Kanzler der könglichen Kurie; einen bereits früher fertiggestellten Abschnitt eignete er Stephanus de Hasshag, seinem Vorgänger im Amt des Protonotars, zu. Wohl auf Betreiben des Bischofs von Olmütz (und Brünn), Johannes Filipecz, wurde die Chronik in der Offizin Conrad Stahels und Matthias Preinleins in Brünn gedruckt. Filipecz dürfte auch veranlaßt haben, daß dem Druck als separater Anhang das ›Carmen miserabile‹ des Erzbischofs Rogerius von Split (ca. 1201/05–1266) über den Mongolenzug von 1242 beigegeben wurde.
Der in Brünn am 20. März 1488 erschienene Erstdruck (GW M14782) ist mit 42 Holzschnitten (von 38 Stöcken) illustriert: Einem frontispizartigen Eröffnungsholzschnitt mit der Darstellung der Landnahme der Ungarn folgen 41 ganzfigurige Porträts ungarischer Könige und Feldherrn. Die Holzschnitte hält
Die Drucke waren die Grundlage für zwei unterschiedliche Übersetzungen des späten 15. Jahrhunderts ins Deutsche (
Den Augsburger Druck (in der »Reichsauflage«) hat die in der Harvard-Handschrift f MS Ger 43 – soweit bekannt – singulär überlieferte Übersetzung ins Deutsche zur Vorlage (Nr. 26A.31.1.). Der unbekannte Übersetzer folgt dem gedruckten Text sehr konsequent, auch bei der Anlage der Handschrift war offensichtlich zunächst geplant, das Bildprogramm Ratdolts komplett wieder aufzunehmen. Entsprechende Freiräume sind im Text ausgespart. Während der Abschrift muß es zu einem Gesinnungswandel gekommen sein: ab 72r (Kapitel 58 hie nachuoligt das gepaw vnd stifft der kirichen zu allten offen …) sieht der Schreiber keine Illustrationen mehr vor, auch die Freiräume, die zuvor für die Aufnahme von Illustrationen ausgespart worden waren, bleiben leer.
Durchgehend bebildert ist dagegen das ebenfalls einzige Exemplar einer zweiten Übersetzung, die nicht dem Augsburger, sondern dem Brünner Druck in Text- und Bildprogramm folgt (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 156: Nr. 26A.31.2.). Der Text setzt erst mit der ersten Landnahme (›Chronica Hungarorum‹, Kapitel 12) ein. Daß die vorhergehenden Kapitel auf einer verlorenen Lage ebenfalls existierten, ist nicht ganz auszuschließen; immerhin ist dem unvermittelten Textanfang, mit dem eine neue Lage beginnt, die Eingangsillustration auf einem separat eingehefteten Einzelblatt vorgeschaltet (1v). Bewußt verzichtet hat der unbekannte Übersetzer dagegen auf den Anhang der lateinischen Vorlage, das ›Carmen miserabile‹ des Rogerius, auf verbindende Zwischenvorreden (Vorrede des Johannes de Kücküllo [Kapitel 130], Dedikation an Thomas de Drag [186], Dedikation an Stephanus de Hasshag [195]) und auf einzelne Kapitel (Kapitel 26 [›De siculis‹], 129 [›Metra de morte Karoli‹]). Hiermit erhält die Chronik den Anschein eines homogenen Kontinuums. Erhalten blieb dabei allerdings die Untergliederung im ersten Teil (Geschichte der Ungarn bis Ludwig I.), die nun auf das gesamte Werk übertragen zu einer ungleichgewichtigen Zweiteilung der Chronik in ein sehr kurzes erstes Buch (1r–16r Geschichte der Hunnen) und ein sehr langes zweites Buch (16r–170v Geschichte der Ungarn bis Matthias Corvinus) führt. Die Bilder der Heidelberger Handschrift sind weitgehend identische Kopien der Brünner Holzschnitte; daß der Druck den Illustratoren vielleicht nicht bis zur Vollendung der Bildausstattung vorgelegen hat, erweisen lediglich kleine Details (siehe unten Nr. 26A.31.2.)
In den Druck gelangten beide Übersetzungen der Thurocz’schen Chronik nicht, erst eine dritte, erneut selbständige Übertragung durch den oberösterreichischen Ritter und Rat Ferdinands I., Hans Haug zum Freystein, wurde 1534 in Nürnberg (und Wien) mit Holzschnitten von Peter Flötner gedruckt ([auf Kosten vnd darlegen Hansen Metzgers Buerger in Wien …] Nürnberg: Johann Petreius 1534 [VD16 T 1212; dass., Nürnberg: Johann Petreius / Wien: Johann Singriener d. Ä. 1534 [VD16 T 1213]; Neudruck ohne Illustrationen, mit Titelholzschnitt Augsburg: Philipp Ulhart 1536 [VD16 T 1214]).
Die deutschen Übersetzungen sind nicht ediert. – Zur lateinischen Vorlage vgl. Johannes de Thurocz, Chronica Hungarorum. Bd. 1: Textus. Hrsg. von