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93. Mystische Betrachtungen und Traktate

Bearbeitet von Christine Stöllinger-Löser

KdiH-Band 9

Die hier unter dem Stichwort ›mystisch‹ vorgestellten Texte, überwiegend im 14. Jahrhundert entstanden, wurden hauptsächlich im 15. Jahrhundert tradiert. Sie behandeln religiöse Thematik in spezifischer, subjektiv geprägter Darstellung, damit rücken nicht primär die Heilsgeschichte als Erzählung, religiöse Unterweisung oder die kirchlichen Frömmigkeitsriten ins Zentrum.

Es gibt keine einheitliche Definition von Mystik als Kategorie mittelalterlicher Literatur. Die Grenzen zu aszetischer und erbaulicher Literatur sind unscharf. Vgl. etwa die Begriffsbestimmungen der christlichen Mystik bei Ruh I (1990) S. 13–15; Köbele (1993) S. 30f.; Störmer-Caysa (2004) S. 8−10. Als zentrales Thema mystischer Texte wird oft die Vereinigung (Unio) der Seele mit Gott bezeichnet. Andererseits werden auch andere außergewöhnliche Begnadungen in Form von Visionen usw. vor allem illiterater Frauen dazu gezählt; vgl. Williams-Krapp (2008) S. 263−278. Die Texte der vorliegenden Stoffgruppe werden innerhalb des Gesamtcorpus aller für den KdiH relevanten Werke aus pragmatischen Gründen zusammengeschlossen, ohne dabei eine bestimmte Mystik-Definition zu implizieren.

Die vorliegende Stoffgruppe versammelt unterschiedliche Textformen: Offenbarungs- und Visionsliteratur, die z. B. geistliche Lehren über den Weg zu Gott, über rechtes und unrechtes Leben thematisiert, die aber auch zentrale Ereignisse der Heilsgeschichte selbst darstellen kann, Nonnenviten mit Visionen privater Begegnungen mit Jesus oder mit Heiligen, Berichte über aszetische Praktiken auf dem Weg der Gotteserfahrung und innerer Vervollkommnung, aszetisch-meditative Betrachtungen vor allem der Passion Jesu, Reflexionen über das Verhältnis des Menschen zu Gott und Auslegung biblischer und anderer Texte im sensus mysticus (der mittelalterliche Terminus bezeichnet jedoch auch einfach den geistlich-allegorischen Schriftsinn; der unter Nr. 93.4. vorgestellte Text Marquards von Lindau wurde als Grenzfall hier aufgenommen).

Die Reihung der im Folgenden genannten Untergruppen erfolgt nach der ungefähren chronologischen Ordnung der Texte; bei Übersetzungen aus dem Lateinischen oder Umsetzungen aus dem Niederländischen erfolgt die Einordnung nach der Entstehung der deutschen Fassungen; bei Sammelhandschriften mit Texten mehrerer Autoren nach der Datierung der Handschrift):

Als mystische Betrachtungen und Traktate wären außer den hier vorgestellten noch weitere Werke zu bezeichnen, die in jeweils eigene Stoffgruppen ausgelagert wurden, wie z. B. der Minnedialog ›Christus und die minnende Seele‹ (Stoffgruppe 25.; vgl. dazu auch den Literaturnachtrag unter Stoffgruppe 44.) und Heinrich Seuses ›Exemplar‹ (Stoffgruppe 36.); aber auch einige Passionstraktate (siehe unter Stoffgruppe 73. Leben Jesu und Passion) könnten hierzu gezählt werden. Außerdem werden mystische Themen und Darstellungen auch in den Stoffgruppen Nr. 43. Gebetbücher, 44. Geistliche Lehren und Erbauungsbücher, 67. Katechetische Literatur und 103. Predigten u. a. berührt.

Anders als bei Visionsliteratur liegt bei Schriften der spekulativen Mystik, die hier nur am Rande vertreten sind (vgl. Nr. 93.5.), ihre immanente Zielrichtung eher jenseits der Bildlichkeit; ihre Umsetzung in konkrete Illustrierung ist daher an sich prekär. Nicht aufgenommen wurde der Traktat ›Von der Edelkeit der Seele‹, der Meister Eckhart zugeschrieben wurde und dessen Buchschmuck in der Handschrift Wien, Cod. 2728, 13v−21v, nicht über Ornamentales hinausgeht (Schmuckinitiale S in Gestalt eines geflügelten Drachen; Beschreibung: Menhardt 1 [1960] S. 223−225; vgl. MeSch I [1997] Abb. 351−352 [13v, 34v]; vgl. auch Stoffgruppe 103. Predigten).

Als Grenzfall textbezogener figürlicher Ausstattung sei hier die Zeichnung eines kleinen (ca. 30 × 20 mm), rot konturierten Kreuzes mit drei Marternägeln erwähnt; es steht zwischen einer ›Aufforderung zur Nachfolge Christi‹ und einem ›Mystischen Neujahrsbrief von fünf geistlichen Pillen zur Gesundheit der Seele und fünfzehn Früchten des Leidens‹, in dem als Adressat ein freunt gotes angesprochen wird. Das Kreuz ist mit fünf Umschriften versehen: oben Gótlich beschawung, links statigkeit in gutem, rechts leidenlichait, unten verschmachung das in got nit ist, darunter: Jesus in deinem namen amen; überliefert in Salzburg, Stiftsbibliothek St. Peter, Cod. b V 40 (mit Tauler-Predigten u. a. mystisch-aszetischen Texten, von 1471), 415v (vgl. Hayer [1982] S. 286–296, hier S. 295).

Nur hingewiesen sei auf einige Texte, die thematisch einschlägig sind, aber schon in anderem Zusammenhang genannt wurden:

Zu dem kleinen mystischen Verstraktat ›Die goldene Kette St. Bernhards‹, der mehrfach überliefert ist (vgl. Karin Schneider, in: 2VL 3 [1981], Sp. 88f.), aber nur in einem der Textzeugen (Wien, Cod. 13567, 1r–v) mit einem Bild (Thema: Das himmlische Jerusalem, 1r) ausgestattet ist, vgl. KdiH Stoffgruppe ›Blumen der Tugend‹, Nr. 18.1.4. Der Text erhält hier keine eigene Beschreibung mehr.

Die in verschiedenen Fassungen überlieferte mystische Exempelerzählung ›Meister Eckhart und der arme Mensch‹ ist in der späten sog. ›Totentanzhandschrift‹ des Grafen Wilhelm Werner von Zimmern (Stuttgart, Cod. Donaueschingen A III 54, um 1554, 32r) mit einem Bild versehen (Bildthema: ein gelehrter Meister in schwarzem Gewand im Gespräch mit einem verkrüppelten Mann, der eine Krone trägt); vgl. Nr. 9.3.1. und Nr. 44.14. Einleitung (dort neuere Literatur); ferner Hopf (2019) S. 265–287, besonders S. 269-271 (mit Abb.; neuer Titel: ›Der arme Mensch III‹).

Vgl. auch die in Stoffgruppe 44. eingeordneten Kompilationen geistlich-lehrhafter und mystisch-erbaulicher Texte in den Handschriften Berlin, Ms. germ. fol. 88 (Nr. 44.14.3.) mit mehreren Illustrationen nur in Teil 2, sowie Ms. germ. fol. 1030 (Nr. 44.14.4.) mit nur einem ausgeführten Bild der Hl. Dreifaltigkeit. Als Grenzfall sei zudem auf die in Teilen mystische Textsammlung in Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. IV, 37, die einige Passionszeichnungen mit symbolhaften Elementen enthält, hingewiesen (als Nachtrag, Nr. 44.14.6.).

Auch in Stoffgruppe 67. (Katechetische Literatur) sind gelegentlich mystische Texte mit angesprochen, die hier nicht noch einmal behandelt werden. Vgl. besonders Nr. 67.3. (Marquard von Lindau, ›Dekalogerklärung‹): Der Text ist zwar primär der katechetischen Literatur zuzuordnen, enthält aber auch Passagen mit mystischen Lehren. Eine andere Sachlage besteht bei Nr. 67.5. (Dirc van Delft, ›Tafel van den kersten gheloue‹): Die deutsche Bearbeitung dieses niederländischen Werkes integriert u. a. auch die mystisch-allegorische Versdichtung ›Die geistliche Minnejagd‹. Dieser Text ist auch unabhängig davon überliefert, handschriftlich in niederdeutscher Sprache und ohne Illustrierung, ferner in einem niederländischen Inkunabeldruck (Antwerpen: Gerard Leeu, 16.2.1488, GW M16297), der mit 35 Holzschnitten ausgestattet ist; deren Bildthemen werden allerdings mehrfach wiederholt und variieren nur geringfügig das Thema der historisierten Initiale in den deutschen ›Tafel‹-Handschriften, die zeitlich voraufgehen: eine Jägerin mit Hund, in den Handschriften zudem ein Einhorn, dagegen in den Holzschnitten des Druckes ein Hirsch mit dem Jesuskind im Geweih (vgl. Roth/Honemann [2003] besonders S. 180−183 und Abb. 3). Da die Illustrierung außerhalb der ›Tafel‹-Version nur im Niederländischen vorhanden ist, wird sie hier nicht berücksichtigt.

Dem unterschiedlichen Charakter der einzelnen Texte entspricht die Diversität ihrer Bildthemen. Die personelle Darstellung eines prominenten Autors ist nicht in jedem Fall vorhanden. In der deutschen Überlieferung von Ruusbroecs ›Brulocht‹ (Nr. 93.1.) etwa fehlt ein Autorbild – anders als in der niederländischen, wo es einen markanten Stellenwert hat; in einer deutschen Handschrift ist vielmehr eine Darstellung zweier Menschen in Andachtshaltung eingefügt, in einer zweiten ein Bild der hl. Katharina, das einen Herkunftsbezug oder aber eine Anspielung auf die Braut des Himmlischen Bräutigams im Text bedeuten kann. Die verdeutschten ›Revelationes‹ Birgittas von Schweden (Nr. 93.7.) dagegen sind zu Beginn mit einer Darstellung der Autorin/Visionärin ausgestattet. Auch die figurierten Schmuckinitialen der dominikanischen Schwesternbücher (Nr. 93.8.) weisen jeweils das Bild der Protagonistin einer Vita auf, im Fall Elsbeth Stagels ist es zugleich ein Autorbild; in einigen anderen Fällen ist das Bild der Person verbunden mit der Darstellung asketischer Praktiken wie der Selbstgeißelung, oder es wird in szenischem Arrangement auch der Gegenstand der Visionen dargestellt, in der Person Marias, Jesu oder einer Heiligen. Auch bei Birgittas Werken erscheint in den Holzschnitten der Drucküberlieferung nicht nur die vom Hl. Geist inspirierte Autorin, sondern in aufwendigen vielfigurigen Holzschnittszenen werden neben ihr auch die Personen ihres Umfeldes im Zusammenhang von Entstehung und Verbreitung ihrer Texte, dazu außerdem zentrale Inhalte ihrer Visionen (Jesus, Maria, die Himmelsleiter, die Rettung und Verdammnis der Seelen) dargestellt.

Bei den weiteren Texten werden vor allem inhaltliche Aspekte illustriert. Im ›Neunfelsenbuch‹ (Nr. 93.2.) wird die allegorische Szenerie der Menschengruppen auf Felsen bildlich umgesetzt; als Typus am nächsten vergleichbar ist Marquards von Lindau ›Auszug der Kinder Israel‹ (Nr. 93.4.), wo ebenfalls Ereignisse, die im Text als allegorisch-mystische Gleichnisse benutzt werden, als konkrete Bildszenen erscheinen. Den aszetischen Unterweisungen im ›Stachel der Liebe‹ (Nr. 93.3.), einem Text, der insgesamt nur selten mit Illustrierung versehen wurde, sind in einigen Fällen die Leidenswerkzeuge Jesu (Arma Christi), einmal auch der Schmerzensmann beigegeben; in einer Handschrift (Rochester, Nr. 93.3.3.) wurde aber ein Holzschnitt mit dem Marientod vorangestellt. Die Darstellung des mit erhobenen Händen betenden Jesus in der Rheinfränkischen Sammelhandschrift (Nr. 93.5.1.) entspricht dem ersten Text mit dem Gebet Jesu aus dem Evangelientext. Im Zusammenhang der ›Erklärung der geistlichen Spur‹ (Nr. 93.6.) wird nur deren Vorspann im Krakau-Berliner Textzeugen illustriert, mit den Evangelistensymbolen sowie mit Engeln und Teufeln, den Sprechern der Mahnreden; das letzte Bild bezieht sich aber direkt auf den Textinhalt (Abrahams Vision der drei Sonnen als Symbol der Dreifaltigkeit). Die beiden Federzeichnungen in Magdalena Beutlerins Vaterunser-Meditationen (Nr. 93.9.) thematisieren die Trinität als Adressatin der Gebete bzw. die Autorin, die von einem Engel inspiriert wird.

Siehe auch:
  • Nr. 21. Johann von Neumarkt, ›Buch der Liebkosungen‹
  • Nr. 23. Konrads ›Büchlein von der geistlichen Gemahelschaft‹
  • Nr. 25. ›Christus und die minnende Seele‹
  • Nr. 36. Heinrich Seuse, ›Das Exemplar‹
  • Nr. 44. Geistliche Lehren und Erbauungsbücher (dort Hinweise auf weitere einschlägige Stoffgruppen)
  • Nr. 73. Leben Jesu und Passion
  • Nr. 96a. Nonnenandacht
  • Nr. 101. Guillaume de Deguileville, ›Pilgerfahrt des träumenden Mönchs‹