KdiH

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44.14.6. Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. IV, 37

Bearbeitet von Christine Stöllinger-Löser

Ergänzung zum gedruckten KdiH

Datierung:

Um 1400 (Schneider [1965]).

Lokalisierung:

Mitteldeutscher Raum.

Besitzgeschichte:

Aus dem mitteldeutschen Raum, später im Nürnberger Dominikanerinnenkloster St. Katharina (dorthin gelangt aus dem Besitz der Kunigunde Schreiberin, die nach dem Tod ihres Ehemanns 1428 in den Konvent eintrat). Nach Aufhebung des Konvents in der Reformationszeit bzw. mit dem Tod der letzten Schwester 1596 gelangte die Handschrift mit der restlichen Bibliothek in die Nürnberger Ratsbibliothek (heutige Stadtbibliothek).

Inhalt: Geistliche Sammelhandschrift mit Predigten und Traktaten, die zum Teil aus den Postillen des Hartwig von Erfurt stammen und teils mystischen Charakter aufweisen; sie wurde im Katharinenkloster für Tischlesungen benutzt (vgl. Mertens [1984a] S. 664). 89 Einzeltexte aufgelistet in: Predigt im Kontext Nr. 6027 (Predigten, Traktate, Sprüche, Exempel); bei Schneider (1965) 81 Nummern. Im Umkreis der Zeichnungen ( 124v–126v) folgende Texte (i. F. mit Präzisierungen bzw. neuen Identifizierungen):
72. 110v–111r Nutzen der Betrachtung von Christi Leiden
73. 111rv Gebet, lateinisch-deutsch
74. 111v Von fünf Meistern = ›Sprüche der fünf Lesemeister‹ I
vgl. Betty Bushey, in: 2VL 9 (1995) Sp. 192–195
75. 112r–123r Traktat von der minnenden Seele = ›Die Fittiche der Seele‹
vgl. Kurt Ruh, in: 2VL 2 (1980) Sp. 742f. und 2VL 11 (2004) Sp. 446 (ohne diese Hs.)
76. 123r–124v Gespräch zwischen Christus und der Seele, gereimt
77. 124v Exempel von den Betrachtungen des Leidens Christi
78. 127r–129v Predigt über Io 15,26 (Pfingsten) Inc. Wan der troster komet den
ich uch sende von deme vater den geist der worheit der von deme
vater vzget …
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 134 Blätter (eine alte Foliierung in roten römischen Ziffern I–CXLIIII, springt von XLIX auf LX), 295 × 210 mm, Buchkursive, vier Hände (I: 1r–93r, 127r–129v; II: 93r–124v; III: 129v; IV: Kunigund Schreiberin: 130r–131v), einspaltig, 32–48 Zeilen, Rubrizierungen (Überschriften, Strichelungen, rote zweizeilige Lombarden, Unterstreichungen).

Schreibsprache:

thüringisch.

II. Bildausstattung:

Sechs Federzeichnungen, davon fünf ganzseitige (124v–126v und Innenseite des Rückendeckels).

Format und Anordnung:

124v eine das untere Drittel der Seite füllende Zeichnung am Ende eines Textes (ca. 14 Textzeilen hoch, über die ganze Schriftbreite, ohne Rahmen), sparsam rot und gelb koloriert. 125r–126v und im Rückendeckel fünf ganzseitige Federzeichnungen (Bister), teilkoloriert mit Schwarz, Rot und Gelb, jeweils ohne Rahmen.

Bildaufbau und -ausführung, Bildthemen:

124v unten: In der Mitte stehender Christusknabe mit Kreuznimbus, in hochgegürtetem langen Gewand auf einem Zweiberg, in den Händen Buch und Schreibtafel. Links und rechts zwei Männer mit Judenhüten, weitärmeligen Gewändern und leeren Spruchbändern (Propheten?); der Linke hält Rute und Schreibtafel, der rechte Rute und Schwammstab. Am linken Bildrand runder Turm mit knaufgekröntem Kegeldach und gerundeter Türe mit Beschlägen.

125r (alte Foliierung rot CXXXV) ganzseitige Federzeichnung; Bildmitte: drei waagrechte Linien, zwei gelbe und dazwischen eine rote, darauf aus Blattwerk gebildete Texturbuchstaben a (daneben geflügeltes Herz) und ch, darüber jeweils eine Krone mit Blattzacken und Rosetten, auf den drei Linien jeweils ein Notenzeichen in der Art der Mensuralnotation (Viertelnote / Semiminima), deren Stiele in dreifarbigen Rollen enden. Die Linien ruhen auf einem verschlungenen Doppelast, der aus einem Vierberg wächst, darauf zwei weitere Kronen.

125v ganzseitige Zeichnung: Crucifixus, das Kreuz auf einem Vierberg stehend, wächst aus einem von roten Dornen umgebenen Herzen mit großen, beiderseits des Kreuzesstammes hochkurvenden, dornenbesetzten Flügeln; auf dem Herzen Schrifttäfelchen: wole myr; das Corpus Christi mit roten Geißelwunden übersät, stilisiertes Lendentuch, Kreuznimbus, blutende Wundmale, drei Nägel; am oberen Kreuzrand i.n.r.i. auf gerolltem Schriftband.

126r (alte Foliierung rot CXXXVI) ganzseitig: Schmerzensmann, Christus mit blutenden Wunden, Dornenkrone, Lendentuch und Kreuznimbus steht auf einem Kelch mit blattwerksverziertem Fuß; in den erhobenen Händen hält er rechts eine Lanze mit Fahne, links Geißel und Rute. Am Boden rechts unter ihm kniet betend Maria Magdalena in langem Gewand und mit gebundenem Kopfschleier, mit einfachem Nimbus, ein Salbgefäß vor sich, ein zweites auf dem Rand des Kelches; unten vier verschieden hohe Berge mit gestielten Lindenblättern.

126v ganzseitig: Geburt Christi. Stilisierte Krippenszene, auf begrastem Vierberg stehend, in ungeschickter Raumaufteilung: Strohdach über drei Balkenstützen, darunter Ochs und Esel hinter angedeutetem Futtertrog, auf dem First ein Kelch mit darin stehendem Kreuz; auf dem Boden rechts das Kind liegend mit ausgebreiteten Armen und übereinander geschlagenen Füßen, Kreuznimbus mit Strahlen. Links kniet Maria, mit Rosenkranz im offenen Haar und einfachem Nimbus, betend. Links außen, auf dem ersten der vier Berge, Granatapfelbaum und gestielte Lindenblätter. Von links oben über dem Krippendach eine Taube im Flug mit Hostie im Schnabel, darüber im Wolkenkranz Brustbild Gottvater mit Kreuznimbus, der in den Händen unter den Wolken ein großes Kreuz mit drei Nägeln, Lanze und Dornenkrone schräg über der Krippe hält. Gottvater, Taube, das Jesuskind und Maria sind durch die roten Linien eines sphärischen Dreiecks miteinander verbunden.

Im Rückendeckel Federzeichnung ohne Kolorierung: Kreuz, das aus kleinem Hügel erwächst, mit drei Querarmen; jeder Balken wird aus zwei Strängen gebildet, die mehrfach ineinander verflochten sind und jeweils in einer Art Dreipass enden. Federproben.

Fischer (1927/28, S. 43) spricht von »mystischen Passionszeichnungen«, die wohl um 1410–20 im Katharinenkloster entstanden seien, »nicht nur, weil das Rosettenelement häufig verwendet wird, sondern weil der Stil der Darstellung ganz der primitiven Art der Nonnen entspricht«. Ob die Zeichnungen somit tatsächlich erst später als die im thüringischen Raum geschriebenen Texte entstanden sind, bleibt fraglich, zumal sie in die Blattfolge der Texte mit der alten Zählung integriert sind und sich zu den unmittelbar voraufgehenden Texten einige Bezüge finden lassen.

Der Crucifixus, Schmerzensmann mit Magdalena und das Krippenbild illustrieren in
weitgehend üblicher Weise zentrale Themen christlicher Lehre, wobei die Gottvaterfigur mit dem Kreuz über der Krippe eine auffällige Kombination darstellt. In den Texten davor wird das Thema der Passion Christi und ihre Bedeutung für das Heil des Menschen mehrfach aufgegriffen. Das als Bild zweimal auftretende Motiv des geflügelten Herzens (125r und 125v) kann speziell auf den umfangreichen Text ›Die Fittiche der Seele‹ (in der Handschrift als gutte ler … von der mynnenden sel bezeichnet) bezogen werden. Er enthält geistliche Betrachtungen in teils lehrhaftem, teils emphatischem Stil; die beiden Fittiche bedeuten die Furcht und die Liebe Gottes, die, unterteilt in je vier ›Chöre‹ (Federnstränge) mit je drei Federn, ausführlich ausgelegt werden; dabei werden neben Höllenqual und Himmelsseligkeit Leben und Passion Christi zentral dargelegt. ‒ Die Symbole auf 125r (Kronen, musikalische Noten, Rosetten) sind dagegen schwer zu deuten und zuzuordnen.

Möglicherweise aber stammt die kleinere Zeichnung (124v) nicht vom selben Zeichner wie die fünf ganzseitigen; da sie am Ende einer Lage steht, könnte der folgende Teil auch später dazu gebunden worden sein.

Farben:

Schwarz, Rot, wenig Gelb.

Literatur:

Schneider (1965) S. 35–45, Abb. 8 (126v), Abb. 9 (125r). ‒ Fischer (1927/28) S. 43; Mertens (1984a) S. 663f.

Weitere Materialien im Internet:

Predigt im Kontext, URL: http://pik.ku-eichstaett.de/6027/; Handschriftencensus.