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93.8.1. Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. V, 10ª; Wrocław (Breslau), Biblioteka Uniwersytecka, Cod. IV F 194a

Bearbeitet von Christine Stöllinger-Löser

KdiH-Band 9

Datierung:

Bd. 1 (Nürnberg): vor/um 1460 (Schneider [1965] S. 67, noch ohne Kenntnis von Bd. 2: 2. Hälfte 15. Jahrhundert); Bd. 2 (Wrocław): 1460 (178rb).

Lokalisierung:

Beide Bände stammen aus Nürnberg, Dominikanerinnenkloster St. Katharina.

Besitzgeschichte:

Vgl. die alte Signatur und den Besitzeintrag in Bd. 1, Pergament-Vorsatzblatt, Versoseite: N XXIII (rot), darunter (schwarz): das puch gehort in das closter zu sant katherein in nurberg prediger orden. Die beiden Bände waren im Bücherkatalog des Katharinenklosters mit zwei aufeinander folgenden Signaturen verzeichnet, jedoch in verkehrter Reihung − N XXII für Bd. 2 (auf der Innenseite des Vorsatzblattes: Item das puch gehort in daz closter zu Sant Katherein prediger ordens in nurnberg); vom Inhalt her dürfte jedoch Bd. 1 als erster entstanden sein. Nach dem Aussterben des Klosters 1596 infolge der Einführung der Reformation in Nürnberg wurde Bd. 1 mit dem Rest der Bibliothek der Nürnberger Ratsbibliothek einverleibt. Die letzte Priorin, Cordula Knörrin († 1596), hatte Bd. 2 dem Dominikanerinnenkloster Heilig Kreuz in Regensburg geschenkt (weiterer Besitzeintrag auf der Innenseite des Vorsatzblattes). 1851 gelangte dieser Band durch Kardinal Melchior von Diepenbrock, der vor seiner Erhebung zum Fürstbischof von Breslau Domherr in Regensburg gewesen war, in die Breslauer Bibliothek.

Inhalt: Dominikanische Schwesternbücher, in zwei Bänden, in der Redaktion des Dominikaners Johannes Meyer:

Bd. 1 (Nürnberg):

1. 1ra–84vb ›Tösser Schwesternbuch‹, darin
1ra–1vb Vorrede Johannes Meyers, 2ra–9va Leben der Elsbeth Stagel, 9va–67va Elsbeth Stagel, Schwesternleben von Töss (34 Kapitel), 67va–84vb Anhang: Leben der Prinzessin Elisabeth von Ungarn im Kloster Töss
2. 84vb−118va

›St. Katharinentaler (Diessenhofener) Schwesternbuch‹, darin

84vb−85va Vorrede Johannes Meyers, 85va−88rb Gründungsgeschichte des Klosters (gekürzte Fassung), 88rb−107rb 55 Kurzviten des Grundcorpus (Exempla), 107rb−109va Vita der Laienschwester Gutta Meisterin, 109va−118rb Vita der Elsbeth von Villingen, 118rb−va Nachwort Johannes Meyers
3. 118v−141v ›Ötenbacher Schwesternbuch‹, Teil I, darin
118vb−119ra Vorrede Johannes Meyers, 119ra−140rb Fünf Ötenbacher Schwesternviten, 140rb−141va Vorrede zur Vita Elsbeths von Oye

Bd. 2 (Wrocław):

1. 1ra−81vb ›Ötenbacher Schwesternbuch‹, Teil II, darin
1ra−33vb Leben und Offenbarungen der Elsbeth von Oye, 33vb−63ra Leben der Adelheit von Freiburg, 63ra−64va Ermahnung, 64va−81vb Leben der Margarete Stülinger
2. 81vb−148va ›Chronik des Inselklosters St. Michael in Bern‹
3. 148vb−151va Johannes von Mainz, Geistliches Mahnschreiben
4. 158ra−178rb Legende der hl. Euphrasia, deutsch von Caspar Kreß
I. Kodikologische Beschreibung:

Bd. 1: Pergament (das äußere Doppelblatt jeder Lage) und Papier, IV + 143 Blätter, alte Foliierung mit Textbeginn in roten römischen Ziffern, Bl. 2 fehlt (herausgeschnitten, wird aber gezählt), 286 × 198 mm, Buchkursive, drei Hände (I: Klara Keiperin, Register IIr−IIIr, II: 1ra−3ra, 28va−31rb, 35rb−va, 46rb−49ra, 93rb–vb, III: 3ra−28rb, 31rb−35rb, 35vb−46rb, 49ra−93ra, 93vb−141va), zweispaltig, 27−38 Zeilen, acht Fleuronné-Initialen, Rubrizierungen (blaue und rote zwei- bis dreizeilige Lombarden, rote Überschriften, Namensunterstreichungen, Strichelung).

Bd. 2: Pergament (das äußere Doppelblatt jeder Lage) und Papier, 180 Blätter, alte Foliierung in roten römischen Ziffern (143 übersprungen), 290 × 200 mm, Buchkursive, eine Hand, eine Korrekturhand, zweispaltig, 32−36 Zeilen, Rubrizierungen (zwei- bis mehrzeilige rote Lombarden, Überschriften, Unterstreichungen).

Schreibsprache:

nürnbergisch, hochalemannisch gefärbt.

II. Bildausstattung:

Bd. 1: 23 historisierte Deckfarbeninitialen, Bd. 2: sieben historisierte Deckfarbeninitialen. Die Miniaturen beider Bände stammen aus dem Nürnberger Katharinenkloster, aus der Werkstatt der Dominikanerin Barbara Gwichtmacherin († 1491); sie war von 1452 bis 1470 hauptsächlich für den Buchschmuck des Klosters verantwortlich, wird jedoch als Buchmalerin zum ersten und einzigen Mal 1456 in einer heute in Moskau aufbewahrten lateinischen Handschrift (Russische Staatsbibliothek, L 173 [Kl. I, 42, 1 und 2]) erwähnt (vgl. Fischer [1927/28] S. 70–75; Barow-Vassilevitch/Heckmann [2016] S. 357); Sauer (2007, S. 119f.) schreibt die Miniaturen von Bd. 1 Barbara Gwichtmacherin selbst zu; die Miniaturen in Bd. 2 stammen eher von einer anderen Hand.

Format und Anordnung:

Die figurierten Schmuckinitialen, sieben- bis elfzeilig (ca. 50−65 × 50−65 mm), sind zu Beginn der ersten beiden Schwesternbücher, der Vorreden und einzelner Viten jeweils nach der Überschrift angebracht, in etwa quadratischem Rahmenfeld auf Deckfarben, mit Fleuronné im Buchstabeninneren und über den Buchstaben hinauslaufenden Ranken, etwas schmaler als die jeweilige Textspalte. Ähnlich im Format die figurierten Initialen in Bd. 2, zehn- bis 13-zeilig (ca. 55−60 × ca. 55−60 mm), jedoch ohne Rahmenfeld, ohne Fleuronné im Binnenraum und ohne Rankenausläufer.

Der Initialschmuck ist ungleichmäßig über die Texte verteilt: In Bd. 1 finden sich 22 figurierte und fünf Fleuronné-Initialen im ›Tösser Schwesternbuch‹, d. h. je eine für die Mehrzahl der Kapitel, aber nur eine figurierte im ›St. Katharinentaler‹ (am Beginn der Vorrede: hl. Katharina als Klosterpatronin) und drei Fleuronné-Initialen im ›Ötenbacher Schwesternbuch‹ (Teil 1), jeweils zu Beginn der Vorrede Meyers, des eigentlichen Textes und der Vorrede zur Vita Elsbeths von Oye. In Bd. 2 betreffen drei figurierte Initialen das ›Ötenbacher Schwesternbuch‹ (Teil 2: die Viten Elsbeths von Oye und der Margarethe Stülinger), vier die Chronik des Berner Inselklosters.

Bildaufbau und -ausführung:

Die figurierten Initialen in kräftigen Deckfarben (Bd. 1: sich wiederholende Gestaltungen, häufig blauer Buchstabe auf violettem Hintergrund mit gelben Sternen; Bd. 2: rote, blaue oder zweifarbige Buchstabenkörper mit einfachem Dekor), mit kurzen, zweifarbigen, stilisierten Blattranken in Rot, Grün oder Blau, im Binnenraum der Buchstaben jeweils die betreffende(n) Schwester(n) im Ordenskleid (weißes Kleid, darüber schwarzer Mantel und Schleier, die Laienschwestern mit weißem Schleier), häufig auf Blumenwiese. Die Figuren in gedrungenen Proportionen wirken steif, die Gesichter puppenhaft, mit rot gemalten Wangen.

Bildthemen:

Die Schwestern je mit spezifischen Beigaben bzw. Ereignissen und Personen ihrer Visionen, über die im Text berichtet wird; in einigen Fällen auch die Klosterpatrone. Als Autorbild ist lediglich dasjenige Elsbeth Stagels (3ra) gestaltet.

Bd. 1: 3ra Swester Elysabeth Staglin am Schreibpult sitzend, mit der linken Hand ein Buch linierend; 9va mechtild[...] von Stans, stehend, vor ihr kniet ein Engel, der ihr mit einem himelvarben werkli die Herzwunde stillt (sie hat das Herz Jesu im Tausch empfangen; vgl. Carroll [2012] S. 720−723); die Bildkomposition erinnert an Mariä Verkündigung; 19ra links kniend Schwester Elsbet schafflin, rechts die hl. Margaretha mit Krone und Kreuzstab auf einem grünen Drachen stehend, sie verzeiht Elsbet das unterlassene Gebet; 21vb Schwester Margreth willin kniend, ohne Mantel, sich mit entblößtem Oberkörper geißelnd; 23rb links Maria mit Kind, auf dem offenen Haar Blätterkrone mit Nimbus, rechts vor ihr kniend Schwester Meczi Sidenweberin; 27ra stehend und betend die drei Schwestern Margarethe finkin, Elsbeth von der Meczien vnd Jt[a] von tüngen; 29rb sitzend Schwester Margarethe von Zürich, die dabei ist, vnserem heren das bedlein zemachen, rechts das nackte Jesuskind in einem Zuber; 29vb Schwester Anna von klingnaw kniet betend vor einem Altar, auf dem zwischen zwei Leuchtern das Jesuskind in weißem, rot getupften Kleid steht; das Bildkonzept ähnelt der Gregoriusmesse mit dem erwachsenen Jesus; 33ra links Schwester Elsbeth Zolnerin, stehend, rechts Schwester Belinum von Sűre, kniend; 34rb Schwester Kathrin bletin, kniend, ähnlich wie 21vb, statt der Geißel eine grüne Blätterrute; 35rb Schwester mechtild[...] von klingenberg und Schwester gisala, stehend im Gebet; ähnlich 36rb Schwester Anna wansasseler und Schwester lucia; 37va stehend Schwester genant Willi von Constancz; 38ra eine stehende und eine kniende Schwester, Gertraut von Wintertur und Elsbeth von Jestetten; 38va Schwester v̈cthilt von frőbenberg kniet vor der links stehenden gekrönten Maria und trinkt von ihrer Brust; 46ra stehend Schwester Juczina schultheißin, in ihren Händen ein rotes Buch mit Goldschnitt; 53ra (nach der Überschrift Von den leyen swestern) Schwester Ita sulczerin mit weißem Schleier; 56ra zwei betende Schwestern mit weißem Schleier, stehend, Beli von Schalken und swester Riche; 56va betende Schwester mit weißem Schleier, Belima (Ausgabe: Beli) von Lutispach, kniend; 61rb Schwester Elsbeth Tellikon (Ausgabe: Celli[n]kon), stehend mit kreuzförmig ausgebreiteten Armen; 66ra kniend die Mutter Heinrich Seuses (dez dieners muter), in blau und rotem Gewand, mit weißem Schleier, in den gefalteten Händen einen roten Rosenkranz; 67va stehend Schwester Elsbeth[...] herr Andreas tochter des kunges von vngern, in der Linken ein Szepter mit weißer Lilie und zwei roten Rosen, in der Rechten ein rotes Buch, rechts unten roter Wappenschild ohne Bild, mit Krone darüber; 85ra (Vorrede zum puch der stiftung […] des closters diessenhoffen) Innenraum einer Kirche, links stehend die Patronin des Klosters, die hl. Katharina, vor Altartisch.

Bd. 2: 1vb Elsbeth von Oye mit Kreuz über der linken Schulter und Geißel; 64va kniende Nonne mit Buch (Margarete Stülinger); 66va kniende Nonne mit Buch; 82rb stehende Nonne mit Buch; 87va Kirche, in deren Innerem drei Nonnen betend vor einem Altar mit Muttergottesbild; 98vb Zerstörung des Berner Inselklosters durch Brandstiftung: ein an mehreren Stellen brennender Kirchenraum mit Altartisch, auf dem eine Madonnenfigur in blauem Mantel mit dem nackten Jesuskind sitzt, davor ein rot gekleideter Mann mit brennender Fackel; 109va Kirche, in deren Innerem drei Nonnen betend vor Altar mit Maria mit dem Jesuskind und dem Klosterpatron St. Michael, der einem Drachen den Speer in seinen Rachen stößt.

Farben:

Blau, Rot, Violett, Gelb, Grün, Hellbraun, Grau, Schwarz, Deckweiß.

Literatur:

Schneider (1965) S. 67–69 (S. 68 Heinz Zirnbauer zum Buchschmuck), Abb. 11 (19ra) und 12 (36rb). – Vetter (1906a) S. XIIIf. u. ö., Taf. II Abb. V (= Bl. 2.3r); Fischer (1927/28) S. 72f., Abb. 28 (67va); Hamburger (1998) S. 465–467, zwei Abb. (Fig. 9.23 und 9.24: Nürnberg, 3r und 23r); Schiewer (2002) S. 179–187, Abb. S. 184 (Nürnberg, 3ra); Schneider-Lastin (2002) S. 189–197, 200, Abb. S. 190 (Wrocław, 1vb), S. 201 (Wrocław, 64va: Margarete Stülinger); Sauer (2007) S. 118–122 (zu Barbara Gwichtmacherin), 126; Schneider-Lastin (2009) Abb. S. 404 (Wrocław, 1vb); Carroll (2012) mit Farbtaf. 22, 23 und Schwarz-Weiß-Abb. 1–11 (Nürnberg 3ra, 67vb, 23rb, 85ra, 66ra, 9va, 21vb, 38va, 29rb, 29vb, 61rb); In Nürnberg illuminiert (2015) S. 37 (Kat. Nr. 12), Abb. S. 36 (Nürnberg 9v) [Christine Sauer].

Weitere Materialien im Internet:

Nürnberg, Cent. V, 10a: http://www.handschriftencensus.de/7697; Wrocław, Cod. IV F 194a: http://www.handschriftencensus.de/7984

Abb. 172: Wrocław, Biblioteka Uniwersytecka, Cod. IV F 194a, 98v. Brand des Inselklosters Bern.

Abb. 173: Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. V, 10ª, 19r. Elsbeth Schäfflin.

Abb. 174: Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. V, 10ª, 34r. Kathrin Pletin.

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Abb. 174.