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93.7. Birgitta von Schweden, ›Offenbarungen‹ und Legende, deutsch

Bearbeitet von Christine Stöllinger-Löser

KdiH-Band 9

Die hl. Birgitta (geb. 1303 in Finstad bei Uppsala, gest. 1373 in Rom), eine der bedeutendsten abendländischen Mystikerinnen, gründete 1346 den Birgittenorden (Ordo Sanctissimi Salvatoris) mit dem Hauptkloster Vadstena; der Orden wurde 1370 der Augustinerregel unterstellt.

Ein Großteil ihrer Offenbarungen, die sie in schwedischer Sprache aufzeichnete, ist nur in der lateinischen Übersetzung und Bearbeitung ihrer Beichtväter überliefert, des Zisterziensers Petrus Olavi von Alvastra, des Kanonikers Matthias von Schweden und des Spaniers Alfonso Pecha de Vadaterra, Eremit in Rom und ehemaliger Bischof von Jaen. Zu den kanonisch anerkannten Werken zählen neben den acht Büchern der ›Revelationes celestes‹ und den ›Revelationes extravagantes‹ einige kleinere Werke. Birgittas Visionen evozieren nicht nur Menschwerdung und Passion Christi, das Leben Mariens und Gottes Gericht, Fegfeuer und Hölle. Neben der Sorge um das individuelle Seelenheil der Menschen ist es ihr Bestreben, auf die politischen und kirchlichen Missstände Europas einzuwirken. Ihre starke Kritik an Papsttum und Hierarchie der verweltlichten Kirche fand Ende des 15. Jahrhunderts und in der Reformationszeit erneuertes Interesse, was sich in der Drucküberlieferung spiegelt.

Die ›Revelationes‹ wurden als erstes Werk eines skandinavischen Autors über ganz Europa verbreitet und in die meisten europäischen Sprachen übersetzt (vgl. Morris/O’Mara [2000]). Die maßgebliche lateinische Erstausgabe stellt der 1492 auf Veranlassung des schwedischen Klosters Vadstena in Lübeck bei Bartholomäus Ghotan erschienene Druck (GW 04391) dar. Die handschriftliche Überlieferung begann allerdings in Italien.

In deutscher Sprache sind Birgittas Werke zunächst vor allem in Auszügen präsent (29 Handschriften bei Montag [1968] S. 11−16); so auch in den ersten niederdeutschen Drucken (1478, 1485 und 1496). Auch das ›Onus mundi‹ des Leipziger Theologen Johannes Tortsch, in deutscher Version mit dem Titel ›Bürde der Welt‹ (18 Handschriften bei Montag [1968] S. 20−22), tradiert in großem Umfang vor allem die prophetischen Passagen aus Birgittas Offenbarungen. Im späteren 15. Jahrhundert entstanden auch vollständige deutsche Übersetzungen der ›Revelationes‹ und weiterer Werke.

Auch die Vita Birgittas, 1373 von Petrus Olavi de Alvastra (u. a.) verfasst, wurde in einigen deutschen Fassungen überliefert (vgl. Williams-Krapp [1986] S. 298 und Montag [1968] S. 37−40). Eine deutsche ›Legenda sancte Birgitte‹ wurde ca. 1427 von Johannes Tortsch verfasst. Der ausführlichste deutschsprachige Text zur Biografie Birgittas mit dem Titel ›Leben und Wunderwerke Sant Birgitten‹ entstand nach 1433 auf der Basis von Tortschs Legende und wurde seinerseits zur Quelle für den biografischen Teil in dem Mohnkopfdruck ›Sunte Birgitten openbaringe‹ (Lübeck 1496, Nr. 93.7.c.). Zur deutschen Rezeption vgl. auch Montag (1978) und Montag (1995).

Kostbar ausgestattete lateinische Handschriften mit Werken Birgittas entstanden zunächst in Italien (New York, The Morgan Library & Museum, MS M.498; Palermo, Biblioteca Nazionale, ms. IV.G.2; Warschau, Biblioteka Narodowa, Ms. 3310 [Lat. Q.v.I.123; war lange Zeit verschollen]; Turin, Biblioteca Nazionale, ms. I.III.23 [durch Brand schwer beschädigt]), zumindest die drei erstgenannten noch im 14. Jahrhundert. Aus dem süddeutschen Raum stammt Stockholm, Kungliga Biblioteket, A 70b (früher auf Schloss Ericsberg; 1. Hälfte 15. Jahrhundert) mit vergleichbarem Bildschmuck; Nordenfalk (1961, S. 387, Fig. 2, 6, 33, 35−38) lokalisierte die Handschrift in Konstanz aufgrund stilistischer Verwandtschaft ihrer Federzeichnungen mit den Fresken der dortigen Augustinerkirche; vgl. auch Aili/Svanberg (2003). Die genannten Handschriften enthalten einen festen Zyklus an Bildthemen (vier ganzseitige Bilder und mehrere historisierte Initialen), der in den deutschsprachigen Handschriften nicht aufgegriffen wird; jedoch finden sich die meisten Bildthemen in den Drucken wieder.

Figürlicher Bildschmuck ist auch in einigen deutschen Handschriften vorhanden, jedoch nur in sehr bescheidenem Maß. Eine Handschrift der Kompilation ›Leben und Wunderwerke Sant Birgitten‹, beschrieben in der Stoffgruppe Heiligenlegenden (Nr. 51.5.1.) enthält eine Darstellung Birgittas am Schreibpult. Im Augsburger Cod. III.1.4o 31 findet sich eine eingeklebte Pietà-Darstellung mit Maria in der Tracht der Birgittinen. Ansonsten besteht der Buchschmuck der deutschsprachigen Handschriften aus ornamentalem Dekor und vor allem Blattwerksinitialen, die nicht historisiert sind.

Größere Bedeutung kommt der Bildaustattung in den lateinischen und deutschen Drucken zu. Die wenigen erhaltenen Blätter des niederdeutschen Probedrucks von ca. 1478 (Nr. 93.7.a.) erlauben kein verlässliches Urteil. Die frühe niederdeutsche Auswahlausgabe von ca. 1485 (Nr. 93.7.b.), enthält einen kleinen Holzschnitt mit der Darstellung Birgittas am Schreibpult; dieses Motiv ist in der Überlieferung ihrer Werke weit verbreitet, ebenso wie die Attribute Hut und Pilgerstab (vgl. die Abb. aus Handschriften bei Nordenfalk [1961] und bei Collijn [1915−1918] sowie die bei Schreiber, Handbuch 3 [1927] Nr. 1283−1313 verzeichneten gedruckten Einzelblätter). Der Mohnkopfdruck von 1496 (Nr. 93.7.c.) bietet insgesamt elf Holzschnitte, wobei aber das Hauptbild mehrfach wiederholt wird; die Bildthemen sind nicht identisch mit denen der folgenden Drucke. Die oben genannte lateinische Lübecker Gesamtausgabe von 1492 enthält ebenfalls Holzschnitte (vgl. Schramm 12 [1929] Abb. 17−29 und zuletzt Wegmann [2003] S. 39–42, Abb. 65). Sie diente ihrerseits dem lateinischen Nürnberger Druck Florian Waldaufs von 1500 (GW 04392) als Vorlage für Text und Bildkomposition; der hochdeutsche Nürnberger Druck Waldaufs von 1502 (Nr. 93.7.d.) wiederholt dessen Bilder mit Ausnahme des letzten. Die Nürnberger Holzschnitte sind also thematisch und kompositorisch an den Lübecker Druck von 1492 angelehnt, jedoch sind sie keine Kopien. Es handelt sich vor allem um Darstellungen der Person Birgittas sowie der geistlichen Bearbeiter ihrer Werke, aber auch um Darstellungen von Inhalten der Visionen selbst.

Mehrere dieser Bildthemen tauchen bereits in ähnlicher Konzeption in den oben genannten frühen lateinischen Handschriften auf: Birgitta empfängt ihre Inspirationen von Jesus und Maria; ein Engel flüstert der schreibenden Birgitta ins Ohr; Birgitta, dargestellt auf einem Thron als große zentrale Bildfigur, übergibt Vertretern ihres Ordens ihre Ordensregel (davor nur in der Turiner und der Stockholmer Handschrift A 75 [frühes 15. Jh.]; vgl. Aili/Svanberg [2003] Bd. II, Abb. 73 und 74); Birgittas Vision des Dominikanermönchs auf der Himmelsleiter in einer Disputation mit Christus; Birgitta teilt ihre Visionen den weltlichen Fürsten mit. Stärker präsent sind in den Drucken die Darstellungen von Birgittas Beichtvätern und Übersetzern als Einzelfiguren (Autorbilder), ebenso die Visionsbilder von Gott als Richter, von Fegefeuer, Hölle und Verdammten. – Andere Bildthemen der frühen lateinischen Handschriften fehlen dagegen in den Drucken: so vor allem das Motiv des Priesters am Altar, auf dem das Jesuskind anstelle der Hostie sichtbar wird, rechts davon Birgitta.

Auch die deutschen Druckausgaben von Johannes Tortschs ›Bürde der Welt‹ (hier unter Nr. 93.7.e., Nr. 93.7.f. und Nr. 93.7.g. zusammengestellt) sind mit Holzschnitten ausgestattet, wenn auch in geringerem Maß.

Bildliche Darstellungen Birgittas in Form von Holzschnitten oder Kupferstichen waren auch als Einzelblätter ohne Text verbreitet; deren Bildthemen sind zumeist identisch mit denen der Textausgaben. Vgl. Collijn (1915−1918) und Schreiber, Handbuch 3 (1927) Nr. 1283−1313; ferner Hägele (1994) S. [11]; Hägele (2004) S. 16; Field (2005) S. 324–327. Mehrere Holzschnitte wurden in die Handschrift München, Universitätsbibliothek , 8o Cod. ms. 191 (aus dem Birgittenkloster Altomünster, v. J. 1586) integriert (vgl. Field [1969]); darunter 266r (alte Zählung 236r) Birgittas Weihnachtsvision (Unterschrift: da zeigt Maria s. Birgitta wie sie Jhesus geboren hat), von ca. 1480; Collijn (1915−1918) Abb. VI. Zwei zeitnahe Mohnkopf-Drucke verbinden diesen kleinen Holzschnitt mit anderen Texten (Schramm 12 [1929] Nr. 151, 160). Zu einer Verwechslung dieses Motivs vgl. unten Nr. 93.7.a.

Der Weihnachtsvision (›Revelationes‹, Buch 7, Kap. 21) zufolge liegt das neugeborene Jesuskind nicht in der Krippe, sondern im Strahlenkranz auf dem nackten Boden, vor ihm kniet Maria. Dieses Motiv kommt in den Bildern der Handschriften nicht vor, wird aber in Tafelmalerei und Fresken aufgenommen. Vgl. Schiller 1 (1969) S. 88–90 und passim; Dünninger (1973) S. 133–136; Behling (1973) S. 139–162; die Diskussion um die Bildsymbole der Stuppacher Madonna des Matthias Nithart (gen. Grünewald) kritisch zusammengefasst bei Wiemann (1998) S. 57–60; Aili/Svanberg (2003) S. 93–101.

Zu weiteren Darstellungen ohne Birgittas Texte vgl. Hans Burgkmair 1473–1973 (1973) Kat. Nr. 107, Abb. 110 (Holzschnitt mit Birgitta als einer von drei christlichen Heldinnen); Wacker (2002) S. 164–166 (Birgittas Kanonisation beim Konstanzer Konzil in Handschriften und Drucken von Ulrich Richentals ›Chronik des Konstanzer Konzils‹ (siehe Stoffgruppe 26B.1.).

Die unter Birgittas Namen überlieferten unechten Gebete (›Orationes quindecim‹) sind ebenfalls mit Holzschnitten versehen, die sich auch in den Drucken der Werke finden (GW 04168 und GW 04386, GW 04170 und GW 04387, GW 04388, VD16 C 4485). Da es sich hierbei um reine Gebetsliteratur handelt, sind sie nicht Gegenstand dieser Stoffgruppe.

Editionen:

Lateinische: Hollman (1956); Bergh u. a. (1967–2002); Eklund (1972); Eklund (1975). – Deutsche: Dinges (1952) S. 1−467 (niederdeutscher Druck: Lübeck 1496, nach dem Exemplar Göttingen, UB, 8 H E SANCT 176/33 INC [früher E. Sanct. 39a]); Montag (1968) S. 202−249 (Auszüge aus Offenbarungen und Ordensregel), 251−330 (Johannes Tortsch, ›Onus mundi‹ [Fassung IV; synoptisch lateinischer und deutscher Text]); Mante (1971) S. 1−179 (Johannes Tortsch: ›Legenda sancte Birgitte‹, nach niederdeutscher Handschrift); Hogg/Philippon (1989) S. 4−265 (niederdeutscher Druck Lübeck 1496).

Literatur zu den Illustrationen:

Stadler (1913) S. 158f., 244−251; Collijn (1915−1918) Abb. I−XX (nur Einzelblätter mit Holzschnitten und Kupferstichen); Schreiber, Handbuch 3 (1927) Nr. 1185a−1187, 1283−1313 (Einzelholzschnitte); Hägele (1994) (mit vier Abb. Birgittas, darunter je ein Holzschnitt aus dem lateinischen Druck der Werke Nürnberg 1500 und aus dem Straßburger Druck von ›Der Heiligen Leben‹ von 1513); Wacker (2002) S. 164−166, 219f. Anhang I, Nr. 19 Abb. 35−37; Birgitta von Schweden 1303-2003 (2003); Wegmann (2003) S. 39–42, 143−145, 288−291, Kat. 7.4, 7.5, Abb. 64−66 (Abb. 64: lateinischer Druck der ›Orationes quindecim‹, Augsburg: A. Sorg, 1489, 102v; Abb. 65: lateinische ›Revelationes‹, Lübeck: B. Ghotan, 1492, Titelholzschnitt zum vierten Buch; Abb. 66: lateinische ›Revelationes‹, Nürnberg: A. Koberger, 1500, Titelholzschnitt zum vierten Buch); Hägele (2004).

Zu Birgitta-Darstellungen und den ältesten lateinischen Handschriften: Nordenfalk (1961); Lindgren (1991.2002) (mittelalterliche Skulpturen, Fresken Tafelbilder, Textilarbeiten in Schweden im Vergleich mit Handschriften und Drucken); Aili/Svanberg (2003).