KdiH

KdiH

_ (der Unterstrich) ist Platzhalter für genau ein Zeichen.
% (das Prozentzeichen) ist Platzhalter für kein, ein oder mehr als ein Zeichen.

Ganz am Anfang und ganz am Ende der Sucheingabe sind die Platzhalterzeichen überflüssig.

ß · © ª º « » × æ œ Ç ç č š Ł ł ́ ̀ ̃ ̈ ̄ ̊ ̇ ̋ ͣ ͤ ͥ ͦ ͧ ͮ Α Β Γ Δ Ε Ζ Η Θ Ι Κ Λ Μ Ν Ξ Ο Π Ρ Σ Τ Υ Φ Χ Ψ Ω α β γ δ ε ζ η θ ι κ λ μ ν ξ ο π ρ σ ς τ υ φ χ ψ ω ͅ ̕ ̔

93.3. ›Stimulus amoris‹, deutsch (›Stachel der Liebe‹)

Bearbeitet von Christine Stöllinger-Löser

KdiH-Band 9

Die lateinische aszetisch-mystische Schrift ›Stimulus amoris‹, die in ihrer Erstfassung (Ende 13. Jahrhundert) von dem Franziskaner Jakob von Mailand stammt, wurde fälschlich u. a. Bonaventura zugeschrieben (vgl. Ruh II [1993] S. 442−445; grundlegend Eisermann [2001]). Sie ist sehr breit überliefert (ca. 500 lateinische Textzeugen bei Eisermann [2001] S. 64−210), vor allem in reformorientierten und observanten Klöstern, und existiert in mehreren unterschiedlichen Fassungen. Eine erste Umarbeitung, die eine Einteilung in drei Bücher vornahm, ist ›Stimulus amoris maior‹ Ia (Inc. Currite gentes), entstanden wohl in Österreich im 1. Viertel des 14. Jahrhunderts. Diese Fassung erfuhr kurz danach unter Beibehaltung der Einteilung in drei Bücher ihrerseits eine stark erweiternde Bearbeitung, ›Stimulus amoris maior‹ I, deren Herkunft aber nicht genau zu eruieren ist (England?); sie fand in der Folge die weiteste Verbreitung. Der Text bietet eine Gebets- und Meditationslehre vor allem für geistlich-monastisch lebende und in der Seelsorge tätige Menschen. In lockerer kompositorischer Fügung, wechselnden Darstellungsweisen und Sprechhaltungen (Passionsbetrachtung, Gebet, dialogische Unterweisung, Traktat) werden verschiedene Themen des kontemplativen und aszetischen Lebens behandelt: Buch I enthält Passionsbetrachtungen, Buch II Unterweisungen zu verschiedenen aszetischen Themen (Konzeptionen von ordinatio und humilitas), beginnend mit zehn Stufen der Demut und mit dem Ziel, die Lebensformen von vita activa und vita contemplativa in der Hinwendung zum Nächsten zu vereinen, Buch III eine Kontemplationslehre (Ist daz du czu der ruͦe der anschawung komen wilt […], Klapper [1939] S. 249). Hauptpunkte sind die Nachfolge Christi, Selbstverachtung und Loslösung von allen äußeren Dingen, das Mitleiden der Passion, die heilsgeschichtlich daraus resultierende Freude, die mystische Umwandlung (transformatio) in Christus, die in eindringlicher Sprache (Appellstruktur, Exklamation, Häufung) vermittelt werden. Zusätzliche Kapitel am Ende von Buch III behandeln meditative Auslegungen einiger liturgischer Gebete (›Ave Maria‹, ›Pater noster‹, ›Salve regina‹). − Der Text wurde von zahlreichen spätmittelalterlichen Autoren, vor allem von observanten Franziskanern, rezipiert und beeinflusste besonders das passionsmystische Schrifttum.

Die unterschiedlichen Fassungen wurden mehrfach ins Deutsche übertragen. Eisermann (2001, S. 359−498) stellt fünf mittelhochdeutsche und mittelniederdeutsche Übersetzungen sowie zusätzliche Exzerptüberlieferung vor (insgesamt 58 deutsche Handschriften). Die älteste Übersetzung A (um 1370) basiert auf dem lateinischen ›Stimulus amoris maior‹ I. Übersetzungszweig B mit den Rezensionen B1, B2 und B3 geht auf zwei Vorlagen zurück, ›Stimulus amoris maior‹ Ia und I. Die sprachlich herausragende Übersetzung B (um 1380) wird Johann von Neumarkt (um 1315−1380), Hofkanzler Kaiser Karls IV. und Bischof von Olmütz, zugeschrieben; der Analyse Eisermanns (2001, S. 398−401) zufolge ist B3, abhängig von B1, etwas später entstanden. Die Überlieferungsspuren dieser Fassung führen fast ausschließlich nach Nürnberg und ins Benediktinerkloster Melk und seinen Umkreis; ein Zusatz gegenüber der Vorlage spricht auch Laien als mögliche Adressaten an.

Bildliche Ausstattung des Textes ist in den lateinischen wie in den deutschen Handschriften − abgesehen von rein floraler Ornamentik und mit Fratzen und Fabelwesen verzierten Cadellen − nur vereinzelt und in bescheidenem Ausmaß anzutreffen; vgl. Eisermann (2001) Reg. S. 639f. s. v. Ikonographie. Nur eine Handschrift der deutschen Fassung B3 (Rochester) ist mit einem figürlichen Eingangsbild illustriert worden, das zumindest indirekt auf den Text Bezug nimmt. Außerdem findet sich im Vorderdeckel einer Olmützer Handschrift, die ausschließlich den ›Stimulus amoris‹-Text (Übersetzung A) enthält, eine Federzeichnung mit Schmerzensmann und Arma Christi (Rute und Geißel). Weitere Arma-Christi-Zeichnungen sind in einer Basler und in einer Stuttgarter Handschrift am Ende bzw. am Beginn eines deutschen ›Stimulus amoris‹-Auszugs enthalten. Generell zu den vielfältigen Darstellungen, Bestandteilen und Bedeutungen der Arma Christi vgl. Suckale (1977) S. 177–208 (ohne Bezug zu den hier vorgestellten Handschriften).

Ein besonderer Fall ist die Bildausstattung der Handschriften des Melker Laienbruders Lienhart Peuger, der den Text in Fassung B3 fünfmal abgeschrieben hat (Siglen me1, me3, me4, me5, me6 bei Eisermann [2001] S. 374−378, 386f., 409−415). In zweien dieser Handschriften (Melk, Cod. 867 und Cod. 970; me3 und me4) findet sich außer einigen Schmuckinitialen mit dem Familienwappen Peugers im Vorderspiegel auch die gelb und rot kolorierte Federzeichnung der Arma Christi, in einem Wappenschild auf schwarzem Grund angeordnet (Kreuz mit INRI-Inschrift, Dornenkrone, Nägel, Geißel, Lanze und Rute, darunter die Namen Jesus und Maria; in me3 nur fragmentarisch erhalten). Darstellungen der Arma Christi sind zwar dem ›Stimulus amoris‹ einige Male direkt beigeordnet worden, neben den oben genannten drei deutschen Handschriften auch in einer lateinischen; vgl. Eisermann (2001) S. 21 Anm. 86, 167, 496f. Im Fall Peugers ist diese Darstellung der Arma Christi aber, immer als Wappenschild gestaltet, auch in mehreren anderen der zahlreichen, von ihm geschriebenen Handschriften im Vorderspiegel eingeklebt, quasi als persönliches Signum seiner ›geistlichen Ritterschaft‹ (in einigen Fällen wurde die Bildseite des Vorderspiegels herausgerissen und ist nicht erhalten); die Arma Christi sind somit bei Peuger nicht speziell mit dem ›Stimulus amoris‹-Text verbunden. Zu weiteren Peuger-Handschriften mit der gleichen Illustrierung vgl. Stoffgruppe 44. Geistliche Lehren und Erbauungsbücher, Einleitung; Löser (1999) S. 44–46 (weitere Literatur), S. 583 Abb. 15 (aus Melk, Cod. 670).

Einige weitere deutsche Handschriften mit ›Stimulus amoris‹-Übersetzungen weisen zwar Bildschmuck auf, der aber nicht auf diesen Text bezogen ist: so in Gotha, Cod. Chart. A 21 (1. Hälfte 15. Jahrhundert, möglicherweise aus Melk, Nr. 51.15.2.), der 77ra−143vb eine ›Stimulus amoris‹-Übersetzung A enthält, davor eine Übersetzung der Hieronymus-Briefe; auf diese bezieht sich die historisierte Initiale 1ra mit dem hl. Hieronymus im Gehäuse; vgl. Eisermann (2001) S. 363f. − Auch die geistliche Sammelhandschrift Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs 877 (von 1421, aus dem Dominikanerinnenkloster St. Katharina), die auf 240r−250r einen deutschen ›Stimulus amoris‹-Auszug enthält, weist in anderem Kontext (Marienlieder) zwei Federzeichnungen auf (einen Knaben und ein Mädchen, 207v und 216r); vgl. Schanze (1984) S. 218f.; Eisermann (2001) S. 387f.

Editionen:

›Stimulus amoris minor‹: Stimulus Amoris (1949) S. 1−132. ›Stimulus amoris maior‹ I, lateinisch: Bonaventurae Opera omnia (1868) S. 631−703. Mittelhochdeutsch-lateinischer Text (synoptische Ausgabe): Klapper (1939).