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73.11. Heinrich von St. Gallen, ›Passionstraktat‹

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 8

Der Passionstraktat, als dessen Autor der Theologe und Prediger Heinrich von St. Gallen, nachgewiesen 1397 in den Akten der Prager Universität, angesehen wird, gehört mit gegenwärtig rund 170 Handschriften zu den am breitesten überlieferten deutschsprachigen Werken mittelalterlicher Andachtsliteratur überhaupt. Vergleichbare Zahlen erhaltener Handschriften sind lediglich für Ottos von Passau ›Die vierundzwanzig Alten‹ und Heinrich Seuses ›Büchlein der ewigen Weisheit‹ nachzuweisen. Zudem sind für die Inkunabelzeit zwölf Druckausgaben und bis 1520 acht weitere Drucke bekannt. Allerdings werden am Beispiel des Passionstraktates auch die grundsätzlichen Schwierigkeiten im Umgang mit der Stoffgruppe der Passionsschriften überdeutlich. Wie in anderen Fällen, z. B. Michael de Massa (Nr. 73.10.), erfolgte die Zuschreibung an Heinrich von St. Gallen aufgrund einer einzigen Nennung als Autor in einer späten, erst 1462 datierten Handschrift (Wien, Cod. 12546, 139r). Zudem hat sich die Textüberlieferung in den erhaltenen Manuskripten als keineswegs einheitlich erwiesen. Schon Ruh skizzierte in seiner Edition der Redaktion A nach dem heute verlorenen Königsberger Manuskript (ehem. Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. 905) die Existenz zweier weiterer Redaktionen, die sich in Textbeginn und Umfang unterschieden (Ruh [1940] S. C–CIV). Die Redaktion A setzt mit dem Genesis-Zitat Extendit manum et arripuit gladium und damit einem typologischen Verweis auf die Opferung Isaaks ein, worauf die Ereignisse von der Ankunft Christi in Bethanien bis zum Tod am Kreuz geschildert werden. Dabei wird die biblische Erzählung mit zahlreichen exegetischen Kommentaren der Kirchenväter angereichert. In jüngster Zeit hat sich durch die Forschungen Hörners ([2016a], [2016b], [2018]) herausgestellt, dass sich die Bearbeitungen nicht nur, wie Ruh bereits für die beiden weiteren von ihm angenommenen Redaktionen B und C andeutete, durch den Textbeginn unterscheiden, d. h. auf den Prolog verzichten bzw. erst mit dem Abendmahl einsetzen. Darüber hinaus lässt sich auch die handschriftliche Überlieferung für die Redaktion A in weitere Typen (Typus Ad, Typus Adf) untergliedern, die sich durch gemeinsame Umstellungen, Textzusätze und Kürzungen definieren. Bemerkenswert ist zudem, dass die im Zuge der Recherchen aufgetretene Vermutung, mit den Inkunabeldrucken sei eine eigene Textfassung entstanden, nunmehr eine Bestätigung in dem Typus E gefunden hat (Hörner [2018] S. 16–20), der sich durch eine Fortführung der Schilderung über den Kreuzestod hinaus und die Beigabe von Gebeten auszeichnet. Weiterhin muss mit weitreichenden Kürzungen, Umstellungen und Erweiterungen – auch für einzelne Überlieferungszeugen – gerechnet werden, wie z. B. das Heidelberger Exemplar belegt (Cod. Pal. germ. 646, Nr. 73.11.2.; Hörner [2016a] S. 143, Hörner [2018] S. 15). Als Bearbeitung mit gemeinsamen Plusstücken und Umstellungen lassen sich außerdem einige spätere Drucke des 16. Jahrhunderts, die Ausgaben Martin Landsbergs und Johann Schönspergers (Nr. 73.11.k., 73.11.p., 73.11.q.) sowie die Handschrift in Uppsala (Nr. 73.11.11.) zusammenschließen (Hörner [2018] S. 15), ebenso wie sich die Kölner Drucke aus dem frühen 16. Jahrhundert als eigenständiger Überlieferungstyp abgrenzen lassen (Hörner [2018] S. 14; Nr. 73.11.m., 73.11.n.).

Einige Textbearbeitungen, deren Grundlage der Passionstraktat bildet, sind anderweitig im KdiH behandelt. Die Handschrift München, Cgm 105, enthält Heinrichs von St. Gallen ›Passionstraktat‹ in der Redaktion C, unterbrochen von Gebeten aus dem Gebetbuch des Johannes von Indersdorf für Elisabeth Ebran (freundlicher Hinweis von Petra Hörner 8. März 2017, Ruh [1940] S. 22,14−76,8, siehe Nr. 43.1.118.), die Handschrift Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, Nr. 151 (Standort T 7) enthält sechs Miniaturen zum ›Passionstraktat‹ (siehe Nr. 43.1.32.). Auch innerhalb einer Historienbibel findet sich der Passionstraktat Heinrichs von St. Gallen (Vorau, Stiftsbibliothek, Ms. 273, Nr. 59.8.4.).

Unter den illustrierten Manuskripten enthalten die beiden Handschriften in Fribourg (Nr. 73.11.1.) und Wien (Nr. 73.11.12.) – und auch die verlorene Handschrift in Wrocław (Nr. 73.11.14.) – die Redaktion A bis zum Kreuzestod ohne weitere Fortsetzungen. Einige andere Manuskripte sind dagegen der differierenden Fassung (Typus Ad) zuzuordnen, in der die biblische Erzählung bereits bei der Herstellung des Textes durch Zusätze über den Tod Christi hinaus verlängert wird, zumeist wenigstens bis zu seiner Auferstehung (Nr. 73.11.7., Nr. 73.11.6.). Einen Vertreter der Redaktion B bietet die Zürcher Handschrift Gerold Edlibachs (Nr. 73.11.15.). Die aus Nürnberg stammende Handschrift der Redaktion C erweitert Texterzählung und Bildzyklus bis zum Pfingstwunder (Nr. 73.11.3., London, Add. 15712). Dass mit der Drucklegung des Passionstraktates die Fortführung der Narration bis mindestens zur Auferstehung Christi schließlich zum Standard wird (Nr. 73.11.a. bis 73.11.j., 73.11.l., 73.11.o.), reflektieren auch einige der späteren Handschriften (Nr. 73.11.10., Nr. 73.11.11.). Dabei kann für das Manuskript in Uppsala eine Druckausgabe Martin Landsbergs (Nr. 73.11.k., 73.11.p.) nicht nur als Vorlage für den Text, sondern auch als Grundlage für die Illustrationen angenommen werden.

Insgesamt bleibt die Ausstattung des Passionstraktates mit bildlichen Darstellungen auch bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Textfassungen ein seltenes Phänomen. Von den fünfzehn in der Untergruppe verzeichneten Handschriften, die für sich genommen nicht einmal 10% der Überlieferung ausmachen, waren ursprünglich elf mit einer Bildfolge ausgestattet. In einer der Münchner Handschriften (Nr. 73.11.5., Cgm 4567) kam der geplante Bildzyklus nicht zur Ausführung. Für die verlorene Handschrift aus ehemaligem Breslauer Privatbesitz (Nr. 73.11.14.) liegen nur rudimentäre Angaben zur Bildausstattung vor; aus dem Nürnberger Exemplar wurden die als Illustrationen eingeklebten Holzschnitte ausgelöst. Drei Abschriften ist nur eine Eingangsillustration beigegeben, bei denen es sich um eine Goldgrundminiatur der Verkündigung an Maria (Nr. 73.11.7.), einen Teigdruck mit dem Einzug nach Jerusalem (Nr. 73.11.9.) und eine kolorierte Federzeichnung der Kreuzigung Christi handelt (Nr. 73.11.13.). Eine illustrative Ausstattung des Textes ist somit nur in neun Handschriften überliefert, über deren Unterschiedlichkeit die Bildthementabelle Aufschluss gibt.

Der Umfang der Bildfolgen reicht von einigen wenigen Miniaturen wie in der Fribourger Handschrift (Nr. 73.11.1.) mit drei Illustrationen, von denen sich eine thematisch nicht auf die Passion beziehen lässt, bis zu 34 Miniaturen im Manuskript in Uppsala (Nr. 73.11.11.). Verwendet wurden Holzschnitte (Nr. 73.11.3., Nr. 73.11.8.), kolorierte Federzeichnungen (Nr. 73.11.15.) und Deckfarbenminiaturen, deren Qualität von einer eher schlichten Ausführung (Nr. 73.11.1., Nr. 73.11.2.) über kostspielige Goldgrundminiaturen (Nr. 73.11.6., Nr. 73.11.12.) bis hin zu den farbenprächtigen Miniaturen Nikolaus Glockendons (Nr. 73.11.10.) reicht, die als Paraphrasen der Holzschnitte Albrecht Dürers Kunstwerkcharakter reklamieren.

Nicht immer wurden die Bildfolgen eigens für die Illustration des Passionstraktates hergestellt. Denn nicht nur die Holzschnitte, die vermutlich einzeln oder als Serie zu erwerben waren, wurden unabhängig vom Text hergestellt und sekundär zu dessen Illustration verwendet. Bei den Miniaturen in der Münchner Handschrift (Nr. 73.11.4.) handelt es sich ebenfalls um eine unabhängig vom Text hergestellte Bildserie auf Pergament, die zwischen die Textseiten eingebunden wurde. Auf diese Weise erklärt sich nicht nur die fehlende Integration in die Gliederung des Textes, sondern auch der ›Bildüberschuss‹, denn schließlich werden die beiden letzten Bildthemen, Kreuzabnahme und Grablegung, in der Redaktion A des Passionstraktates nicht behandelt. Daneben finden sich in der Abschrift des Zürcher Ratsherren Gerold Edlibach (Nr. 73.11.15.) vom Schreiber selbst hergestellte Illustrationen, von denen einige sich auf Textpassagen beziehen, für die bislang keine weitere Parallele nachzuweisen war. Neben Umfang, künstlerischer Technik und Ausführungsqualität, ist mithin auch für die konzeptionelle Herkunft der Illustrationen eine denkbar große Bandbreite von serieller Produktion bis zur Eigenanfertigung durch den Erstbesitzer zu beobachten.

Eine außerordentliche Heterogenität, wie sie für die materiellen Aspekte der Bildausstattungen festgestellt werden kann, ist gleichfalls für die Auswahl der Bildthemen zu beobachten. Nur die wenigsten Szenen sind in allen Illustrationszyklen vorhanden. Hingegen ist für sieben der neun Bildfolgen zu konstatieren, dass auf die Kreuzigung weitere Illustrationen folgen, die Mehrzahl der Handschriften also in Text und Bild eine Fortsetzung des Passionstraktates über den Kreuzestod hinaus bietet, mit der erwähnten Ausnahme, dass die Erweiterung im Münchner Manuskript (Cgm 110, Nr. 73.11.4.) nur auf der Bildebene stattfindet.

Dieser gemeinsamen Tendenz steht die Diversität der Szenenfolge innerhalb der Illustrationszyklen entgegen. Wird von der eigentümlichen Auswahl des Fribourger Exemplars abgesehen, beschränken sich die Übereinstimmungen auf drei Szenen: das Gebet am Ölberg, die Kreuztragung und die Kreuzigung. Einen ersten Erklärungsansatz für dieses überraschend geringe Maß an Verbindlichkeit zyklischer Bildfolgen zur Passion bietet zum einen die enorme Differenziertheit bildkünstlerischer Auseinandersetzung seit dem frühen 14. Jahrhundert. Für einzelne Ereignisse der Passion – etwa die Gefangennahme im Garten Gethsemane – stand eine Vielfalt verschiedener ikonografisch ausgearbeiteter Momente zur Verfügung, vom Niederstürzen der Soldaten über den Judaskuss und die Petrus-Malchus-Szene bis zur eigentlichen Arretierung Christi. Ein weiteres Moment dürfte in der Passionsgeschichte selbst, respektive ihrer mehrsträngigen Überlieferung in den Evangelien, begründet sein, da einige Ereignisse wie die Verspottungen und Verhöhnungen Christi sowie die Vorführung vor Pilatus mehrfach und in unterschiedlicher Reihenfolge berichtet werden. Schließlich waren eventuell die finanziellen Möglichkeiten des Käufers oder Auftraggebers entscheidend für den Umfang der Bildausstattung, während bei der Frage, wieviele und welche der Gerichtsszenen und/oder der Folterungen Christi im Bild dargestellt wurden, auch ein Pars pro toto-Verständnis zum Tragen kommen konnte. Je ernster die Budgetrestriktionen der Auftraggeber, Käufer und Rezipienten genommen werden, umso mehr Bedeutung im Hinblick auf individuelle Präferenzen gewinnen jene Bildthemen, die aus dem Themenspektrum der Passion Christi herausfallen und besondere Akzente auf einzelne Momente des Geschehens setzen, da sie mit theologisch bedeutsamen Implikationen verbunden sein können. Lassen sich etwa unterschiedliche Schlüsse für die Bewertung der Rolle des Pilatus im Heilsgeschehen ziehen, wenn er – gleichsam als Gastgeber – Christus in sein Haus geleitet (Nr. 73.11.12.), die Hohepriester zu sich beruft (Cgm 9395, Nr. 73.11.6.) oder wenn er seine Hände (in Unschuld) wäscht (Nr. 73.11.2., Nr. 73.11.3., Nr. 73.11.6., Nr. 73.11.10., Nr. 73.11.11.)?

Gegenüber der Variationsbreite in der Handschriftenüberlieferung ist mit dem Übergang in den Buchdruck sowohl eine deutliche Vereinheitlichung der Textgestalt als auch der illustrativen Ausstattung zu beobachten. Zum einen führen alle bekannten Ausgaben – insgesamt zwölf Inkunabeldrucke und acht Editionen bis 1520 – den Text über den Kreuzestod Christi fort, bevor sie mit einem weitgehend übereinstimmenden Gebetsteil schließen (vgl. Hörner [2018] S. 16–23). Überwiegend werden als weitere Ereignisse die Kreuzabnahme, Grablegung und der Abstieg Christi in die Vorhölle geschildert, einige Ausgaben berichten fortführend auch über den Besuch der Marien am Grab bis zur Auferstehung Christi. Bis auf eine Ausnahme verzichtet keine der Inkunabeln des ›Passionstraktates‹ auf eine Illustrationsfolge, deren Umfang und Qualität jedoch beträchtlich schwanken kann. Während der von Johann Bämler produzierten Erstausgabe 16 Holzschnitte beigefügt sind, umfassen die Bildfolgen der späteren Ausgaben, die im 15. Jahrhundert bis auf Michael Greyffs Reutlinger Druck (Nr. 73.11.h.) ausnahmslos in Augsburg erschienen, bis zu 28 Holzschnitte. Gewöhnlich werden dabei hochformatige Druckstöcke verwendet, die jeweils eine ganze Seite des Oktavformats einnehmen. Eine deutliche Abweichung ist lediglich für Anton Sorgs erste Ausgabe, ein Folioformat von 1476 (Nr. 73.11.b.), festzustellen, in der für die Illustration querformatige Holzschnitte in Schriftspiegelbreite benutzt werden. Doch wird in diesem Fall schlichtweg das Ausstattungskonzept des Sammeldruckes, der mit einem ›Heilsspiegel‹ beginnt, fortgeführt. Als Illustrationen des ›Passionstraktates‹ dienten denn auch bis auf zwei Ausnahmen sämtlich Druckstöcke, die bereits in der Bildausstattung der vorhergehenden Texte verwendet worden waren.

Das Bildprogramm der Inkunabeldrucke setzt gewöhnlich mit einer Darstellung der Opferung Isaaks ein, als bildliche Entsprechung zu dem typologischen Exempel Abrahams, das der Textanfang mit den ersten Worten Extendit manum zitiert. In der Folge variiert die Zusammenstellung der Szenen beträchtlich, denn die neutestamentlichen Bildthemen können entweder mit dem Einzug nach Jerusalem wie in der Ausgabe Anton Sorgs von 1480 und deren Nachdrucken (Nr. 73.11.c.) oder mit dem Abendmahl wie in zwei anderen Ausgaben Sorgs, jenen von 1476 und 1486 (Nr. 73.11.b. und 73.11.e.) sowie einer Ausgabe Johann Schönspergers (Nr. 73.11.d.) einsetzen. Ebenso gut kann die Bildfolge mit der Fußwaschung wie in Johann Bämlers Erstdruck (Nr. 73.11.a.), mit dem Verrat des Judas wie in Johann Schobsers Ausgabe von 1491 (Nr. 73.11.g.) oder auch der Vertreibung der Händler aus dem Tempel wie bei Michael Greyff (Nr. 73.11.h.) beginnen. Für die Anzahl und Auswahl der im Bild gezeigten Passionsstationen ist gleichermaßen eine hohe Varianz zu bemerken. So schildert Anton Sorgs umfangreichere Bildfolge für die Ausgaben von 1480, 1482 und 1483 (Nr. 73.11.c.) die Geschehnisse im Garten Gethsemane in drei Einzelszenen: dem Gebet Christi, den beim Anblick Christi niederfallenden Soldaten und der eigentlichen Gefangennahme mit Judaskuss sowie Petrus und Malchus. Zudem stellt in der Folge ausnahmsweise ein Holzschnitt auch die Verleugnung Petri dar.

Gegenüber der von Anton Sorg präsentierten Ausführlichkeit sind in vielen Inkunabeldrucken Vereinfachungen zu beobachten, die als typisch gelten können. So wird oftmals bei den Vorführungen Christi vor seinen Richtern ikonografisch nicht sorgfältig unterschieden, ob Christus nun vor Annas, Kaiphas, Herodes oder Pilatus steht, und ein bereits verwendeter Druckstock wiederholt. Dementsprechend wird eine Darstellung des Hohepriesters Kaiphas, der sich das Gewand zerreißt (Mt 25,65), des Öfteren auch für Annas eingesetzt. Für die Wiederholung der Entkleidung Christi hingegen, die in den Holzschnittfolgen zum Standard gehört, sind wohl nicht nur Gründe der Vereinfachung anzunehmen. Die mehrmalige Entkleidung Christi, die in den biblischen Texten gar keine Erwähnung findet, aber in der Andachtsliteratur wie auch den Bildzyklen zur Passion Christi eine deutliche Betonung erfährt, wird dort mehrfach und zum Teil sehr detailliert geschildert – sowohl im Anschluss an die Dornenkrönung als auch vor der Annagelung an das Kreuz. Bei der Wiederholung des Bildthemas in den Holzschnittserien zum ›Passionstraktat‹, meist vor und nach der Kreuztragung, handelt es sich mithin um eine dem Text folgende und wohl bewusste Verstärkung. Auch am Ende stimmen die Bildfolgen meist überein, da sie gewöhnlich auf das Kreuzigungsbild die Grablegung, den Abstieg Christi in die Vorhölle und seine Auferstehung – letztere als Illustrationen meist dem Gebetsteil zugeordnet – folgen lassen.

Unter den Ausgaben des frühen 16. Jahrhunderts fällt die Erweiterung der Bildfolge in den Drucken Martin Landsbergs auf, zu dessen beiden Ausgaben von 1503 und 1514 (Nr. 73.11.k.) möglicherweise ein weiterer Druck von 1506 zur rechnen ist, der bei Panzer (1802, S. 103, Nr. 566b) erwähnt, jedoch in keinem Exemplar (mehr) nachweisbar ist. Fünf der zusätzlichen Illustrationen sind der Gottesmutter und Maria Magdalena gewidmet, doch wird auch die Auferweckung des Lazarus in das Bildprogramm aufgenommen, während die Opferung Isaaks entfällt, so dass eine eindeutige Verschiebung des Bildprogramms in Richtung einer größeren Präsenz der Gottesmutter und ihres Mitleidens stattfindet.

Für die Druckausgaben ist aufgrund einiger gemeinsamer Charakteristika ungeachtet der Unterschiede in der Anzahl, Auswahl und Zusammenstellung der Bildthemen von einer starken Vereinheitlichung zu sprechen. Denn gegenüber der Variationsbreite der handschriftlichen Überlieferung findet in der Textgestalt durch die Verlängerung über den Kreuzestod hinaus und die Beigabe eines Gebetsanhanges eine signifikante, auch exegetisch bedeutsame Veränderung statt. Denn nun beinhaltet der Text nicht nur die durch den Opfertod ermöglichte Überwindung des Todes, sondern bietet zugleich mit den anschließenden Gebeten eine Handreichung für den Gläubigen und eine Anleitung zur individuellen Frömmigkeitsübung. Dieses erweiterte Rezeptionsangebot wird zudem einheitlich von Bildfolgen begleitet, denen die Eröffnung mit dem alttestamentlichen Antitypus Abraham, die Vorführung der Leidensstationen und des Kreuzestodes ebenso gemeinsam ist wie die abschließende Verbildlichung des Heilsversprechens durch den Abstieg in den Limbus und die Auferstehung Christi.

Bildthema 73.11.1. Fribourg, Ms. L 337 73.11.2. Heidelberg, Cod. Pal. germ. 646 73.11.3. London, Add. 15712 73.11.4. München, Cgm 110 73.11.6. München, Cgm 9395 73.11.10. Stalden, 2016/17, 17 73.11.11. Uppsala, C 803b 73.11.12. Wien, Cod. 2743 73.11.15. Zürich, Ms. B 288
3 Miniat. 18 Miniat. 26 HS 8 Miniat. 14 Miniat. 24 Miniat. 34 Miniat. 23 Miniat. 26 FZ
Trinität Ir nachträgl. ergänzt
Kreuzigung 5r
Opferung Isaaks 5v 1v
Christus als Weltenherrscher 6v
Tränkung Christi am Kreuz 7r
Auferweckung des Lazarus 7v
Tempelreinigung 5v 2v
Einzug in Jerusalem 7v 10r 8v
Christus und die Ehebrecherin 10r
Christus belehrt Maria und Maria Magdalena 11v 12v 13r
Schmerzen Mariens 15r
Verkündigung an Maria 4r
Christus belehrt Maria Magdalena 16v 5r
Christus belehrt seine Mutter Maria 7r
Verrat des Judas 31v 28v 22v 9r
Abschied von Maria 12v 10v
Abendmahl 39v 40v 28r 44r 12r
Fußwaschung 2r 44v 28v 45r 14v
Christus am Ölberg 51v 14r 75v 50v 57r 39v 57v 17r
Die Soldaten stürzen vor Christus nieder 28r 45r
Judaskuss 61v 29r, 29v 83v 72v 64r 19v
Petrus und Malchus 47r
Christus wird abgeführt 43v
Verleugnung Petri 49r
Christus vor Annas 66r 32v 75v 78r 68r 20v
Verspottung Christi 34r 78v 81v 52v 70r
Christus vor Kaiphas 83v 53v 71v 21v
Pilatus führt Christus in sein Haus 78v
Das Fahnenwunder 23v
Christus vor Pilatus 81r 26v, 41r 101v 93v 25r
Pilatus lässt die Hohepriester zu sich rufen 104v
Christus vor Herodes 87r 45r, 46r 101r 59v 83v 26v
Christus vor Pilatus 63r 87r 28r
Geißelung Christi 95r 115v 107v 107v 64v 95r 29r
Dornenkrönung 96v 55r 113v 113r 66v 100r 30v
Ecce Homo 98r 39r 115v 68r 101v 32v
Christus vor Pilatus (Handwaschung) 103r 58v 121v 122r 70v
Verspottung Christi 72r 108v
Entkleidung 106r 125bisv
Kreuztragung 99r 112v 67r 137v 128bisv 126r 73r 113r 35v
Fünf Heilige 99v
Entkleidung 133v 76r 115r
Kreuzannagelung / Kreuzaufrichtung 71r 131r 78v 117r 36v
Kreuzigung 126v 74v, 89r 152v 175bisv 136v 79v 136r 38v
Tränkung Christi am Kreuz 84v
Seitenöffnung 89v
Kreuzabnahme 136v 100v 171v 172r
Beweinung 174r 42v
Grablegung 138v 104r 181v 190v 183r 44r
Christus in der Vorhölle 198v 189r 90v 45v
Kreuzabnahme 91r
Auferstehung 109r 197v 93v 47r
Christus erscheint Maria 115v
Noli me tangere 117r
Der ungläubige Thomas 125r
Himmelfahrt Christi 139r
Pfingsten 145r
Editionen:

Ruh (1940); Hörner (2016b); Hörner (2018); Ausgabe der verlorenen Breslauer Handschrift: Birlinger/Crecelius (1874) S. V, Sp. 1–52 (Abdruck), Sp. 91–104 (Anmerkungen).

Literatur zu den Illustrationen:

Domanski (2021).