KdiH

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73.11.15. Zürich, Zentralbibliothek, Ms. B 288

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 8

Datierung:

1498 (58r, 72rb).

Lokalisierung:

Grüningen, Kanton Zürich (72rb).

Besitzgeschichte:

Angefertigt von Gerold Edlibach, ab 1487 Mitglied im Kleinen Rat der Stadt Zürich, 1494–97/98 Landvogt in Grüningen. Im vorderen Deckel eingeklebt Wappenbild Gerold Edlibachs (160 × 120 mm) mit Jahreszahl 1480 und nur teilweise leserlichen Beischriften, darunter der Name in Geheimschrift, weitere Einträge auf dem Innenspiegel, oben Gerold Edlibach, unten Notiz zu seiner Resignation als Spitalpfleger 1525, weitere Besitzeinträge 1rHanns Edlibach 1607, Hanß Conrad Escher 1658; im hinteren Spiegel M E 1647.

Inhalt:
1r Chronikeintrag, Hanns Waldmanns Tischgesellschaft 1488, Familiennotizen Gerold Edlibachs
1. 2r–58r Heinrich von St. Gallen, ›Passionstraktat‹
Redaktion B (Ruh [1940] S. CII, Hs. Z3) mit Zusätzen, ab 51r Gebete, darunter 57r die Marienklage ›O du uzvliezender brunne‹
2. 59r–72r Albertanus von Brescia, ›Melibeus und Prudentia‹
3. 73ra–87vb Aszetische Abhandlungen
Vgl. im Einzelnen Mohlberg (1951/1952) S. 12
4. 88ra–105rb ›Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae‹, deutsch
Hs. D77 (Miedema [2003] S. 83)
105va–107ra Familiennachrichten Gerold Edlibachs
107v Familiennachrichten Hanns Edlibachs
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 108 Blätter, moderne Foliierung oben rechts 1–107, ein Blatt nach 70 nachträglich als 70a bezeichnet, zwei Doppelblätter 23–24 und 32–33 nachträglich, aber zeitnah eingeklebt, 292 × 213 mm, Bastarda cursiva, eine Hand: Gerold Edlibach nach der Vorlage der Handschrift Zürich, Cod. C 115 (Ruh [1940] S. LXXXIX), 58r: Geroldus Edlibach de Turrego, Text 1 einspaltig, Texte 2–5 zweispaltig, 33–38 Zeilen, rote Überschriften und zweizeilige Initialen, 88r–97r auch blaue Initialen.

Schreibsprache:

alemannisch/südalemannisch (Miedema [1996]).

II. Bildausstattung:

26 kolorierte Federzeichnungen von der Hand Gerold Edlibachs. Ein Freiraum (2r) zwischen der roten Überschrift und Textbeginn von 140 mm Höhe, vermutlich für eine Illustration ausgespart. 72rb Wappen Gerold Edlibachs über dem Kolophon, Freiräume in Text 4 (88ra, 91ra, 91vb, 93rb, 94ra, 94vb, 95rb, 96rb, 97rb), in Spaltenbreite und unterschiedlicher Höhe jeweils vor bzw. nach Abschnittsüberschriften, die in roter Tinte ausgeführt wurden, möglicherweise für Illustrationen gedacht, nach dem Vorbild der Holzschnitte, die in den Druckausgaben vorhanden sind (siehe Nr. 100.8.2.). 107r Klebespuren und Papierverfärbung, die auf ein eingeklebtes Blatt von etwa 180 × 170 mm schließen lassen.

Format und Anordnung:

Illustrationen mit wechselnden, in der Tendenz zunehmenden Formaten (105–185 × 143–165 mm), zu Beginn überwiegend querrechteckig, ein Drittel bis halbe Schriftspiegelhöhe, Ausnahme: 2v quadratisch, im hinteren Teil des Textes auch hochrechteckig (z. B. 17r, 32v, 35v, 36v, 38v). Die Kreuzigung (38v) ganzseitig (225 × 152 mm). Gewöhnlich rote Bildüberschriften, sie fehlen 23v, 25r, 32v, vereinzelt Schriftbänder zur Benennung der Personen (4r, 5r, 7r) oder mit Textzitaten (17r, 20v, 38v) ins Bild eingefügt.

Bildaufbau und -ausführung:

Überwiegend nahsichtige Szenen, zumeist in kastenartigen Innenräumen, nur wenige Szenen in Landschaften mit hochgesetzter Horizontlinie situiert. Durchgehend keine schlüssige Wiedergabe räumlicher Tiefe und perspektivischer Größenverhältnisse. Bei den Innenräumen besondere Vorliebe für Konstruktionen mit Säulen und Gewölben sowie eine aufwendige Dekoration der Wandflächen wie Täfelung, ornamentale Schnitzereien, Kacheln auf den Fußböden (29r, 30v). Präferenz für ornamentale Gestaltung auch bei den Baumkronen. Im Vergleich zu den beiden anderen eigenhändigen Handschriften ›Buch vom Heiligen Georg‹ (Nr. 51.13.3.) und der ›Zürcher und Schweizerchronik‹ (Nr. 26A.26.1.; Zürich, Ms. A 164 und Ms. A 75) große Übereinstimmungen in der Bildkonzeption und dem Figurenstil, hier jedoch in einer deutlich aufwendigeren Ausarbeitung in mehreren Arbeitsschritten. Die mit brauner Tinte ausgeführten Federzeichnungen Edlibachs wurden vor allem im vorderen Teil der Handschrift mit Deckfarben (Gesichter) und Pinsel (Gewänder) deutlich überarbeitet, dabei kamen eine differenzierte Farbpalette, verschiedene Techniken zur Abschattierung (Schraffuren, dunklerer Farbton mit Pinsel aufgetragen) und Höhungen mit Weiß oder Gelb zum Einsatz. Die Konturlinie ohne Unterbrechung und der Faltenwurf mit schwarzer Tinte nachgezogen. Die beiden Illustrationen auf den von Edlibach später hinzugefügten Blättern (23v, 32v) etwas schlichter in der Ausführung. Ob die nicht bei allen Illustrationen durchgängige Überarbeitung auf Gerold Edlibach oder einen späteren Besitzer zurückgeht, ist nicht zu klären.

Bildthemen:

siehe Bildthementabelle in der Einleitung zur Untergruppe 73.11.

Unter den Bildthemen fallen einige Szenen auf, die nicht zum Standard der Passionszyklen gehören: die Vertreibung aus dem Tempel (2v) sowie die Belehrungs- und Abschiedsszenen: Christus belehrt Maria Magdalena (5r) und seine Mutter Maria (7r), bevor er sich im Beisein der Jünger von den Frauen verabschiedet (10v). Besonders betont erscheint die Rolle des Judas, der die Silberlinge erhält (9r) und in den Folgeszenen jeweils an dem roten Beutel um seinen Hals kenntlich gemacht wird (14v, 17r). Bei den Sprüchen der Schriftbänder (17r und 20v) handelt es sich um eine Paraphrase von Mt 26,39 und einen Ausspruch des Kaiphas (Io 18,19).

An einigen Stellen sind ikonografische Besonderheiten und topografische Interessen zu konstatieren. Die Vertreibung aus dem Tempel (2v) wird auf dem Vorplatz des Tempels inszeniert und in eine Ansicht Jerusalems integriert, für die Edlibach vermutlich Erhard Reuwichs Darstellung in Bernhard von Breydenbachs ›Peregrinationes in Terram Sanctam‹ (vgl. Mainz 1486, GW 5075, keine Blattzählung, bzw. GW 5077: Ansicht Jerusalems) verwendete. Aber auch die Pläne in Hartmann Schedels ›Chronica‹ dürften als Vorlage für die orientalischen Flachdachhäuser im Hintergrund des Gartens Gethsemane 17r, 19v bekannt gewesen sein (Nürnberg 1493, GW M40796, XVIIr und LXIIIr–LXIIIIv, Jezler [1989] S. 48, 52). 23v zeigt eine außergewöhnliche Szene, deren Textgrundlage sich in der unmittelbar vorausgehenden, von Edlibach vermutlich aus dem Nikodemus-Evangelium zitierten Passage findet: Bei der Vorführung vor Pilatus habe dessen Knecht sich ehrfürchtig vor Jesus verneigt, ein Tuch, das er über der Schulter trug, zu seinen Füßen ausgebreitet und ihn gebeten, darüber zu schreiten, außerdem verneigten sich die Banner ohne Zutun ihrer Träger beim Eintritt Jesu. Text und Illustrationen Edlibachs weisen dabei übereinstimmende Details auf, die sich nicht in den bislang edierten Fassungen des Nikodemus-Evangeliums nachweisen lassen (Masser/Siller [1987]), etwa dass der Bote ein weißes Tuch ausbreitete oder dass sich unter den Bannern eines des Reichs und eines der Stadt Jerusalem befanden, im Bild am doppelköpfigen Adler und dem Jerusalemkreuz zu erkennen. In der Ecce Homo-Illustration auf 32v wird nochmals auf die Beschreibung Edlibachs zurückgegriffen, indem die sechs Fahnenlanzen erneut dargestellt werden. Auch bei den geläufigeren Bildthemen sind besondere ikonografische Formulierungen zu beobachten: Die Kreuzigung wird dargestellt als ›volkreicher Kalvarienberg‹ mit den Schächern, der Tränkung durch den Essigschwamm, der Seitenöffnung sowie den Soldaten, die um das Gewand Christi würfeln (38v). Bei der Beweinung 42v hält Maria den toten Christus auf ihrem Schoß, dem Typus eines Vesperbildes folgend.

Farben:

gedeckte Farbpalette, Gelb, Ocker, Brauntöne, Grau, Zinnoberrot.

Literatur:

Mohlberg (1951/1952) S. 11f. – Ruh (1940) S. XVIII, Nr. 76, XCV–XCVII, CII; Jezler (1989); Miedema (2003) S. 83, 469, 473; Griese (2011) S. 130 Anm. 25, S. 135f., S. 137 Anm. 47, S. 138–142, S. 333 Anm. 728, S. 343, 469, 471, 610; Hörner (2018) S. 12.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

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Abb. 35.