KdiH

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73.11.12. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2743

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 8

Datierung:

Um 1470–1480.

Lokalisierung:

Bayern-Österreich.

Besitzgeschichte:

Möglicherweise aus dem Besitz der Kunigunde, Herzogin von Bayern (1465–1520), 1590 im Besitz der Erzherzogin Maria Christina von Österreich (1574–1612), vgl. Besitzeintrag 146v; später Hall, Königliches Damenstift, 1809 nach Paris verbracht.

Inhalt:
2r–145v Heinrich von St. Gallen, ›Passionstraktat‹
Redaktion A
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, I + 171 Blätter (moderne Foliierung 1–171, Bl. 156 wird fälschlich mit 156a foliiert), 142 × 116 mm, Textualis, gotische Buchschrift, eine Hand, einspaltig, 13 Zeilen, Reklamanten erhalten, zwei große D-Initialen, 2r fünfzeilig und 7r siebenzeilig, auf Goldgrund mit Rankenbordüre auf den Seitenrändern, dreizeilige Lombarden, Namen der zitierten Kirchenväter in Rot.

Schreibsprache:

bairisch auf schwäbischer Vorlage (Menhardt 1 [1960] S. 253).

II. Bildausstattung:

23 ganzseitige Deckfarbenminiaturen überwiegend auf Goldgrund. Eine Werkstatt.

Format und Anordnung:

Markierung der Bildseiten mit Lederzeichen, Größe der Illustrationen entspricht in etwa dem Schriftspiegel, d. h. etwa 80 × 70 mm, in unmittelbarer Nähe der jeweiligen Textstellen platziert. Bei den Rahmen der Miniaturen nur die erste mit Blattornament in Rosa mit vertikalen feinen, aber schematischen Federstrichen zur Schattierung eingefasst. Die folgenden Illustrationen mit profiliertem, meist farbig zweigeteiltem Rahmen (blau-rosa, grün-rosa, blau-rot), zum Teil mit angedeuteter Maserung gerahmt. Füllung der Seitenränder mit einem zweiten Rahmen aus nicht sehr filigranem Fadenrankenornament, 1v, 10r in Gold, die restlichen in Silber ausgeführt, zum Teil mit dreiblättrigen Kleeblättern, Eicheln oder einfachen Blüten besetzt.

Bildaufbau und -ausführung:

Gedrängte Kompositionen, überwiegend Füllung des Hintergrundes mit poliertem Goldgrund mit Rankendekor, Nimben Christi und der Apostel ebenfalls in poliertem Gold. Gegenständliche Hintergründe nur in einigen Bildern: 8v, 10r, 13r, 44r, 45r, 57v, 100r, 113r, 115r. Als Handlungsbühne grünes Landschaftsterrain oder Fliesenboden, meist ebenfalls in Grün. Nur vereinzelt Versuche, die Landschaften mithilfe schematischer, gestaffelt angeordneter Hügel tiefenräumlich zu gestalten (57v, 117r). Bei der Ausgestaltung der Innenräume werden die Wandflächen gern mit Mauerwerk gefüllt, Fluchtlinien und Fugenlauf entsprechen dabei meist nicht der Zentralperspektive. Große Köpfe mit flächigen Gesichtern, Figuren mit eckigen Proportionen und ungelenken Körperhaltungen, Gewänder durch lange, eckig umbrechende Falten gegliedert. Umfangreiche Ausarbeitung der verschiedenen Gewandpartien mit Höhungen und Schraffuren in mehreren Farben, zum Teil feine Kreuzlagen, zum Beispiel auf dem grauvioletten Gewand Christi in Rot, dazu weiße kurze Striche als Lichter auf den Faltengraten kombiniert (z. B. 100r, 108v, 115r). Sonst auch dunklere Farbschattierungen für Schraffuren an schattigen Stellen oder hellere Farbtönungen für Höhungen. Auffällige schematische Lichtsetzungen mit Weiß auch an den Gesichtern, besonders die Nasenrücken, beim Fell des Esels oder bei Grasflächen nicht dem natürlichen Verlauf folgend. Für die Verspottung Christi vor Pilatus 108v wird die Szene von 87r exakt wiederholt. Insgesamt eine aufwendige, kostspielige Ausstattung, wenn Goldauflagen und Deckfarben in Betracht gezogen werden, allerdings auf der Basis konventioneller, schlichter Bildgestaltung.

Bildthemen:

siehe Bildthementabelle in der Einleitung zur Untergruppe 73.11.

Unter den Bildthemen fallen einige Darstellungen aus dem Rahmen der üblichen Passionsfolgen: Christus als Weltenherrscher (6v), Christus und die Ehebrecherin (10r) und Pilatus führt Christus in sein Haus (78v) sind gewöhnlich nicht Teil von Passionszyklen. Für die Darstellung Christi als Weltenherrscher bietet der Text des Traktates keine Grundlage. Sie folgt auf eine eigens eingefügte Rubrik (6r) als Vorausdeutung auf die Vollendung des Erlösungswerks durch die Auferstehung, die im Traktat selbst nicht beschrieben wird.

Die Illustration zur Erlösung der Ehebrecherin (10r) überrascht, da das Ereignis im Passionstraktat nur mit wenigen Worten Erwähnung findet, auf die keinerlei Exegese folgt (vgl. Ruh [1940] S. 3, Z. 27f.). Die Ikonografie folgt dabei dem in mittelalterlichen Handschriften mehrfach belegten Typus, dem zufolge Christus sich niederbeugt, um mit dem Finger auf die Erde zu schreiben (Io 8,6). Die Einfügung der Szene könnte auf eine Leserin hindeuten, steht aber vielleicht eher in Zusammenhang mit einer theologischen Diskussion, sei es um die Bildung Jesu (Keith [2009] S. 175–201), sei es um die in der Exegese aufgeworfene Fragen nach der Gewissheit der Sündenvergebung.

Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Illustrationen ist die dritte Szene, Pilatus führt Christus in sein Haus (78v), nicht nur im Kontext der illustrierten Passionstraktate ungewöhnlich, sondern für sich genommen ein ausgefallenes Bildthema. Die Textgrundlage (78r–79r, Ruh [1940] S. 44, Z. 19) wird geradezu wörtlich ins Bild gesetzt. Pilatus hat mit seiner Linken die rechte Hand Christi umfasst, schreitet durch einen Torbogen voran und wendet sich dabei mit abwehrend erhobener Rechten zurück zu den Peinigern Christi, deren einer Jesus an der Schulter festhält, während er mit erhobener Faust zum Schlag ausholt. Eine vergleichbare Szene ließ sich bislang nur für das 1476–1488 angefertigte Chorgestühl in St. Stefan, Wien, nachweisen (Klebel [1925] Abb. 97).

Eine weitergehende Deutung der Bildauswahl aufgrund der wenigen ungewöhnlichen Bildthemen scheint angesichts des nicht gesicherten Entstehungszusammenhangs kaum möglich.

Farben:

Gold, Silber, kräftige Farben Blau, Rot, Grün, Rosa, Grauviolett, Gelb, Braun, Ocker.

Digitalisat:

Digitalisat des SW–Mikrofilms über die Nationalbibliothek einsehbar.

Literatur:

Menhardt 1 (1960) S. 252f. – Ruh (1953) S. 219, Nr. 129; Fechter (1977) S. 32f.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus; Maria Moser, Archivbeschreibung 1930: http://www.bbaw.de/forschung/dtm/HSA/wien_700447710000.html

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Abb. 32.