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13. Jacobus de Theramo, ›Belial‹, deutsch

Bearbeitet von Norbert H. Ott

KdiH-Band 2

Die ›Litigatio Christi cum Belial sive Consolatio peccatorum‹, die der italienische Bischof und Kanonist Jacobus de Theramo (1350/51–1417) als Archidiakon in Aversa bei Neapel 1382 verfaßte, wurde in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in viele europäische Volkssprachen übersetzt. Während die Mitüberlieferung des lateinischen Originals auf einen gelehrten, theologisch-kanonistischen Gebrauch schließen läßt, wurden die beiden deutschen Fassungen vorwiegend in Kreisen juristischer Laienpraktiker rezipiert, an die sich auch die Übersetzervorrede der breit überlieferten Übersetzung A wendet, die den juristischen Horizont des Texts stärker betont und eine große Popularität erfuhr, während die der lateinischen Vorlage enger folgende Übersetzung B nur in drei Handschriften, davon einer illustrierten (Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 277, Nr. 13.0.3.), überliefert ist. In der juristischen Vorbildhaftigkeit – der nachvollziehbaren Demonstration des römisch-kanonischen Zivilprozeßrechts am Beispielfall der Erlösung – und in der heilsgeschichtlichen Wahrheit – der Versicherung der Erlösungshoffnung durch die verbindliche Instanz des Rechts – verschränken sich die beiden Deutungsangebote des Werks, die sich auch in der Ikonographie seiner Überlieferungsträger spiegeln.

Im Unterschied zu den höchst anspruchsvoll illustrierten Handschriften des ›Corpus iuris civilis‹ und des ›Decretum Gratiani‹ blieb der sich ebenfalls an ein gelehrtes Publikum wendende lateinische ›Belial‹ ohne Bildschmuck. Erst die neue Gebrauchssituation der volkssprachlichen Versionen ließ eine spezifische Ikonographie des Stoffs entstehen, in der sich Bildmuster aus biblisch-heilsgeschichtlicher Tradition mit solchen juristischer Herkunft verbinden. Die christlichen Bildformeln werden dabei hauptsächlich zur Illustration der in den Aussagen der Prozeßparteien zitierten Zeitebene verwendet – dem im Schiedsverfahren erörterten Jüngsten Gericht, Christi von Moses vorgebrachtem Heilswirken und dem von Belial zitierten Sündenfall –, während die rechtsikonographischen Bildtypen vorwiegend der Illustration des aktuellen Prozeßgeschehens dienen. Für volkssprachliche deutsche Rechtstexte hatte sich gegen Ende des 13. Jahrhunderts mit dem Archetyp der ›Sachsenspiegel‹-Codices (siehe Stoffgruppe 106. Rechtsspiegel) ein Illustrationstyp herausgebildet, der die in der Bildkunst als Darstellungsmittel schon lange gebräuchliche Gebärdensprache auf den formelhaften gestischen Vollzug des germanisch-deutschen Laienrechts übertrug. Von dieser in körperliche Bewegungshaltungen geronnenen Rechtsikonographie sind in den ›Belial‹-Illustrationen nur noch Reste vorhanden – Schwurgesten etwa, das Beinekreuzen des Richters beim Urteilsspruch oder die Genuflexio der Prozeßparteien. Für das rezipierte römisch-kanonische Recht aber sind sie meist ohne juristische Verbindlichkeit und werden von den Illustratoren häufig für die Darstellung neuer Inhalte benutzt: Die – germanische – Klagegebärde der aufgereckten Hände etwa ist zwar auch im ›Belial‹ dargestellt, dient nun aber, Belials Empörung über das von ihm als ungerecht empfundene Urteil illustrierend, der Verbildlichung einer affektiven, nicht einer juristischen Klage.

Die juristische Verbindlichkeit des rezipierten Rechts, das den Benutzern der Handschriften zu vermitteln war, liegt nicht mehr in den je neu sich in gestischem Vollzug ereignenden Körperhandlungen, sondern im Bezug auf schriftliche Quellen, in der berufsständischen Rolle der Gerichtspersonen und in der Schriftlichkeit des Prozeßverfahrens selbst. Fast alle ›Belial‹-Handschriften betonen in ihren Illustrationen dieses Moment der Schriftlichkeit als Definitionsmerkmal des neuen Rechts, indem sie den Parteienvertretern übergroße gesiegelte Schriftstücke – Klagschreiben, Appellationsbriefe, Beweisurkunden – in die Hand geben oder die mündlich vorgetragenen Aussagen durch einen im Bild anwesenden Schreiber notieren lassen. Der Karlsruher Codex (Nr. 13.0.13.) z. B. fügt über das vom Text Geforderte hinaus jedem Prozeßbild einen hinter einem Pult neben dem Richterthron sitzenden Gerichtsschreiber hinzu, im Berliner Ms. germ. fol. 657 (Nr. 13.0.4.) überreicht Belial seine Klagschrift nicht dem Richter Salomo direkt, sondern händigt sie dem Notar aus, der sie hinter seinem vor dem Richterthron stehenden Pult entgegen und zu den Akten nimmt. Solcherart ikonographische Signale der Schriftlichkeit und der juristischen Berufsrollen des rezipierten römisch-kanonischen Rechts zielen unmittelbar auf die tatsächlichen Adressaten der volkssprachlichen Versionen des Texts.

Die 23 Bilderhandschriften des deutschen ›Belial‹ – zusammen mit den fünf Manuskripten, die nur für Illustrationen vorgesehene Leerräume enthalten (Nr. 13.0.2., Nr. 13.0.8., Nr. 13.0.19., Nr. 13.0.24., Nr. 13.0.25.), mehr als ein Drittel der bekannten Überlieferungszeugen – realisieren die Textangebote auf ikonographisch und stilistisch unterschiedliche Weise. Eine bayerische Sammelhandschrift aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die dem ›Belial‹ den ›Schwabenspiegel‹ und die ›Goldene Bulle‹ an die Seite stellt (München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 552: Nr. 13.0.18.), leitet das römisch-kanonische Rechtsbuch wie die beiden anderen Texte mit einer ganzseitigen Titelminiatur ein, die einem Bildtyp folgt, der seit dem Ende des 14. Jahrhunderts für die deutschen Rechtsspiegel verbindlich geworden war. Der Salzburger Codex M I 138 von 1443 stellt dem Text auf vier Blättern einen ikonographischen Kurzzyklus voran, der beide Deutungsangebote des Werks in vier Stationen – Befreiung der Altväter im Descensus Christi als Klaggrund, Entscheidung zur juristischen Klärung des Streitfalls der Erlösung, seine Verhandlung im Artikelprozeß, executio des Urteils – zusammenfaßt. Alle übrigen – auch die nur mit Bildlücken versehenen – Codices begleiten den Text mit einer mehr oder minder umfangreichen Bilderfolge aller Prozeßstationen. Einige Handschriften, so vor allem die aus der Spätphase der elsässischen Lauber-Werkstatt stammende Wiesbadener Hs. 66 (Nr. 13.0.27.) und das ostfränkische Ms. germ. quart. 2033 der Berliner Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Nr. 13.0.5.), heben dabei das erlösungstheologische Moment des Werks stärker hervor, indem sie zwischen die Illustrationen des äußeren Prozeßverlaufs mehrere Darstellungen der im Verfahren erörterten geistlichen Themen schieben: Allein acht der dreiunddreißig Federzeichnungen des Lauber-Codex sind biblischen Themen gewidmet, darunter dem Sündenfall, der Anbetung des Goldenen Kalbs, Christi Geburt, seinem Einzug in Jerusalem, der Gefangennahme, Verspottung und Kreuzigung; im fragmentarischen Berliner Manuskript sind aus biblisch-heilgeschichtlichem Kontext der Auszug aus Ägypten, der Zug durchs Rote Meer, der Tempel zu Jerusalem, Christi Marter und seine Himmelfahrt erhalten. Als einzige außer dem Bostoner Ms. 1544 (Nr. 13.0.6.), in dessen Bilderzyklus Christi Auferstehung typologisch dem dem Wal entsteigenden Jonas gegenübergestellt wird, enthält die Berliner Handschrift zudem eine Illustrationsfolge der im Schiedsverfahren diskutierten Sieben Todsünden. Zwei Manuskripte (Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek, Ms I 57: Nr. 13.0.9.; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3085: Nr. 13.0.26.) stellen die von Moses vorgetragene Pseudo-Bernhardische Fabel vom Streit der Vier Töchter Gottes dar.

Wie im Bereich deutschsprachiger Handschriftenillustration des 15. Jahrhunderts üblich, handelt es sich auch beim ›Belial‹ fast ausschließlich um Papiermanuskripte, deren kolorierte Federzeichnungen von qualitativ anspruchsvollem Niveau, etwa im Berliner Ms. germ. fol. 657 (Nr. 13.0.4.) oder im Pariser ms. 106 der ehem. Collection Masson (Nr. 13.0.20.), über handwerklich sichere Werkstattprodukte wie der Lauber-Handschrift in Wiesbaden (Nr. 13.0.27.), dem Münchener Cgm 345 (Nr. 13.0.17.), dem Karlsruher Codex St. Peter pap. 36 (Nr. 13.0.13.) oder dem Stuttgarter Cod. theol. et phil. 2o 195 (Nr. 13.0.25.) bis hin zu höchst bescheidenen Dilettantenarbeiten, etwa der Linzer Handschrift (Nr. 13.0.14.), reichen. Einzig der Münchener Cgm 48 (Nr. 13.0.16.), ein 1461 im Auftrag des Herzogs Ludwig I. von Pfalz-Zweibrücken entstandener Pergamentcodex, schert nicht nur nach seinem Beschreibstoff, sondern vor allem hinsichtlich seiner von niederländischen Vorbildern beeinflußten, reichen Deckfarbenmalereien aus dem eher durchschnittlichen Anspruchsniveau der übrigen Bilderhandschriften des Texts aus. Mit ihren in feinst abgestimmtem, leuchtendem Kolorit gemalten 39 goldgerahmten Miniaturen, an denen mindestens drei Maler beteiligt waren, deren einer auch mit dem Hausbuchmeister in Zusammenhang gebracht wurde, gehört diese Handschrift zu den bedeutendsten deckfarbenminierten Exemplaren deutscher Sprache im 15. Jahrhundert.

Drei in der Augsburger Gegend nach der Jahrhundertmitte entstandene Handschriften (München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 345: Nr. 13.0.17.; ehem. Rotthalmünster, Antiquariat Heribert Tenschert [jetzt Privatbesitz] / Wrocław, Biblioteka Uniwersytecka, Ms. Akc. 1948/208: Nr. 13.0.21.; Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 2o 195: Nr. 13.0.25.) schließen sich zu einer wohl auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehenden Gruppe zusammen und stellen zugleich die ikonographische Verbindung zu den ›Belial‹-Drucken her: Ihr weitgehend identischer Illustrationszyklus, der einige sonst nirgends vorkommende Bildformeln enthält, wird nach der Fassung des Münchener Exemplars seitenverkehrt vom ersten bebilderten Druck (Augsburg: Günther Zainer, 1472: Nr. 13.0.a.) übernommen. Für den Augsburger Strang der 19 mit Holzschnitten illustrierten Drucke bleibt diese Bilderfolge verbindlich: 1473 benutzt Johann Bämler (Nr. 13.0.b.) einen Teil der Zainerschen Stöcke und fügt einige neue Schnitte hinzu, 1479 und 1481 druckt Anton Sorg seine beiden illustrierten ›Belial‹-Ausgaben (Nr. 13.0.f., 13.0.g.) von den bei Bämler verwendeten Stöcken. Die Illustrationen der sechs zwischen 1482 und 1493 erschienenen Folioausgaben Johannes Schönspergers (Nr. 13.0.i., 13.0.k.13.0.n., 13.0.p.) wiederum sind spiegelverkehrte, im Format leicht veränderte, vergröbernde Kopien der von Bämler und Sorg verwendeten Holzschnitte. 1497 und 1500 druckt Schönsperger den ›Belial‹ im Quartformat (Nr. 13.0.q., 13.0.r.) und illustriert ihn mit seitenverkehrten und verkleinerten Kopien der Holzschnitte seiner großformatigen Ausgaben; der letzte bebilderte Druck des ›Belial‹ schließlich, 1508 bei Johann Prüß in Straßburg erschienen (Nr. 13.0.s.), ist mit detailgetreuen Nachschnitten von Schönspergers Quartausgaben-Holzschnitten ausgestattet. Eine bayerische Sammelhandschrift von 1482 (München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 1124: Nr. 13.0.19.), die 38 Leerräume enthält, sollte vermutlich mit Kopien der Holzschnittfolge der Sorg-Ausgaben illustriert werden: Über den Bildlücken stehen die seit Zainers Druck – und auch bei Sorg – verwendeten lateinischen Bildbeischriften, der Text ist eine Abschrift einer der beiden Drucke Sorgs.

Auch die Holzschnitte der übrigen, mit einem umfangreicheren Zyklus ausgestatteten ›Belial‹-Drucke fügen sich zu einer gemeinsamen Gruppe Straßburger Herkunft, die bis ins niederdeutsche Sprachgebiet wirkte: Zwischen 1475 und 1477 erwarb Heinrich Knoblochtzer sämtliche 39 Stöcke der nicht nach 1475 gedruckten Ausgabe Heinrich Eggesteins (Nr. 13.0.c.), mit denen er seine Drucke von 1477, 1478, 1481 und 1482 (Nr. 13.0.d., 13.0.e., 13.0.h., 13.0.j.) illustrierte. Als 1492 Moritz Brandis in Magdeburg den ›Belial‹ herausgab (Nr. 13.0.o.), orientierte er sich an den Illustrationen dieser Ausgaben: Seine Holzschnitte sind seitenverkehrte, stilistisch durch intensive Binnenzeichnung und Hinzufügung von Landschaft fortentwickelte Kopien der Eggestein-Knoblochtzer-Bilderfolge.

Editionen:

Adolph Albert Marx: Zur Prosakunst des deutschen Belial. Diss. (masch.) Berlin 1924, S. 17–48 [synoptische Auszüge des lateinischen und des deutschen ›Belial‹ nach der Handschrift Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 657]. – P[aul] B. Salmon: Belial; an edition with commentary of the German version of Jacobus de Theramo’s Consolatio Peccatorum. Master of Art These (masch.) London 1950 [Übersetzung A].

Literatur zu den Illustrationen:

Kurt Ohly: Eggestein, Fyner, Knoblochtzer. Zum Problem des deutschsprachigen Belial mit Illustrationen. Gutenberg-Jb. 1960, S. 78–92. 1962, S. 122–135. – Heribert Hummel: Der Heilbronner »Belial«. Zu einer illustrierten Handschrift des 15. Jahrhunderts im Stadtarchiv. Jb. für schwäbisch-fränkische Geschichte 29 (1981), S. 27–44. – Norbert H. Ott: Rechtspraxis und Heilsgeschichte. Zu Überlieferung, Ikonographie und Gebrauchssituation des deutschen ›Belial‹. München 1983 (MTU 80). – Norbert H. Ott: Handschriftenillustration und Inkunabelholzschnitt. Zwei Hypothesen zu den Bildvorlagen illustrierter ›Belial‹-Drucke. PBB 105 (1983), S. 355–379. – Beatevon Mickwitz: Eine illuminierte Handschrift zum deutschen volkssprachlichen »Belial-Prozeß«: Untersuchungen zu Cgm 48 in der Bayerischen Staatsbibliothek München. Magisterarbeit (masch.) München 1991. – Norbert H. Ott: Ikonographische Signale der Schriftlichkeit. Zu den Illustrationen des Urkundenbeweises in den ›Belial‹-Handschriften. In: Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger. Tübingen 1992. Bd. 2, S. 995–1010.