39.19. Sonstige und anonyme Kriegsbücher des 16. Jahrhunderts
Bearbeitet von Rainer Leng
KdiH-Band 4/2
Die Untergruppe 39.19. vereinigt diejenigen Handschriften, die sich im 16. Jahrhundert in illustrierter Form mit Kriegstechnik und Feuerwerkerei befassen, sich aber nicht einem größeren Überlieferungskomplex zuweisen ließen. Entsprechend der Vielfalt ihrer Formen und Inhalte sind auch kaum durchgängigen Kriterien zu benennen. Der Schwerpunkt der Illustrationen liegt auf der Artillerie, wobei in den einzelnen Feuerwerks- und Kriegsbüchern der Anteil der Abbildungen und Anleitungen zum Lustfeuerwerk steigt. Taktische Schriften sind zwar im 16. Jahrhundert weit verbreitet, jedoch nur in wenigen Fällen illustriert (hier nur eine anonyme Kriegsordnung mit Kostenrechnung, Wien, Cod. 10849, siehe Nr. 39.19.18.).
Einige von anderen Untergruppen der Feuerwerks- und Kriegsbücher des 16. Jahrhunderts bekannte Leitlinien sind jedoch auch in dieser heterogenen Untergruppe zu beobachten. So fällt auf, daß der Anteil der anonym überlieferten Werke zurückgeht. Der Anteil hochrangiger Autoren nimmt hingegen zu. Hier wäre etwa die Kriegsordnung Herzog Albrechts des Älteren von Brandenburg (1490–1568, ab 1525 Herzog) zu nennen (Berlin, Ms. boruss. fol. 441, siehe Nr. 39.19.3.), die Kriegskunst und Geometrie in wissenschaftlicher Akribie verbindet, die heeres- und adelsreformerischen Schriften Lazarus Schwendis, die auch literarische Neigungen erkennen lassen (Wien, Cod. 10845, siehe Nr. 39.19.17.), oder die mit Herzog Julius von Braunschweig (1528–1598) in Verbindung stehenden Codices, in denen sich Erfindergeist, technisches Interesse und zum landesherrlichen Vorteil finanziell verwertbares Zeugwesen vereinigen (Wolfenbüttel, Codd. Guelf. 43 Extravag. und 158 Extravag., siehe Nr. 39.19.23.–Nr. 39.19.24.).
Den hochrangigen Autoren stehen in nicht wenigen Fällen hochrangige Adressaten gegenüber, was auf das gestiegene Interesse der frühneuzeitlichen Potentaten am Militärwesen und die neue Bedeutung der Fürstenbiliotheken verweist. Dabei kann die Ausführung sowohl dem höfischen Niveau der Adressaten angepaßt sein, wie im Herzog Wilhelm V. (1579–1597, † 1626) von Bayern gewidmeten außergewöhnlich aufwendigen Büchsenmeisterbuch des Walter Litzelmann von Basel (München, Cgm 909, siehe Nr. 39.19.9.), aber auch in Umfang und Ausführung wesentlich bescheidener ausfallen, wie in der Pyrotechnik des Clos von Graveneck, die dem Habsurger Maximilian II., dem späteren Kaiser, gewidmet ist (Wien, Cod. 10739, Nr. 39.19.15.). In einigen anderen Fällen sind hochrangige Adressaten nur implizit durch Nachweise der Handschriften in frühen Katalogen der Fürstenbibliotheken zu vermuten.
Daneben existiert aber auch das im 15. Jahrhundert übliche, für den privaten Gebrauch des Büchsenmeisters konzipierte Manual fort, das als Notizbuch, Nachschlagewerk oder zur Vorlage bei Auftraggebern diente. Innere Struktur, Anlage, Gliederung und thematische Breite, die nun meist auch das Lustfeuerwerk mitumfaßt, sind jedoch differenzierter als bei den Vorgängern des 17. Jahrhunderts. Aus diesem Bereich sei verwiesen auf die Handschriften Berlin, Ms. germ. fol. 1129 (siehe Nr. 39.19.5.), das Feuerwerkbuch Christoph Seßelschreibers (München, Cgm 973, siehe Nr. 39.19.10.) oder das Kunstbuch des Conrad Haas (Sibiu, Ms. Varia II, 374, siehe Nr. 39.19.12.). Auffällig ist hierbei, daß sich in nicht wenigen dieser privaten Manuale anhand repräsentativer Elemente auch ein gewisser beruflicher Stolz der Autoren und Besitzer ablesen läßt. Dies trifft insbesondere auf die aufwendiger gestaltete Handschrift des Büchsenmeisters Wilhalm Schonner zu (Stuttgart, Cod. milit. 4o 43, siehe Nr. 39.19.13.), in der sich wie bei Johann Dilger (Wien, Cod. 12468, siehe Nr. 39.19.21.) auch autobiographische Elemente finden lassen. Hierbei können Manuale sogar Stammbuchfunktion übernehmen (Wien, Cod. 13044, siehe Nr. 39.19.22.).
Bemerkenswert erscheint auch, daß einige Autoren des 16. Jahrhunderts ein Bewußtsein für Tradition des Berufes ausbilden. Dies zeigt sich nicht nur bei bei den großen Sammlungen an der Wende von 15. zum 16. Jahrhundert (siehe 39.8.), sondern auch in der Kopie älterer Zeichnungskataloge (z. B. Wien, Cod. 12468, siehe 39.19.21.) oder in der Übernahme und sukzessiven Fortschreibung von Handschriften aus dem 15. Jahrhundert, etwa der Erweiterung einer Hartlieb-Handschrift durch die Kriegskünste Albrechts von Lannenberg (Berlin, Ms. germ. quart. 2041, siehe Nr. 39.19.6.), der Abschrift des eigentlich veralteten Frankfurter Rüstbuchs (Ms. germ. qu. 14, siehe Nr. 39.8.2.) für einen der Grafen von Nassau (Berlin, Ms. germ. fol. 94, siehe Nr. 39.19.4.) oder in der wohl über mehrere Generationen von Artilleristen in Familienbesitz befindlichen Handschrift des Conrad Haas (Sibiu, Ms. Varia II, 374, siehe Nr. 39.9.12.).
Kaum in ein Schema paßt dagegen das Feuerwerkbuch Christoph Seßelschreibers, in dem sich berufsbedingt Feuerwerk und Gußtechnik, insbesondere des Glocken- und Brunnengusses vereinigen. Eine in der bisher vorgestellten Überlieferung einzigartige Form besitzt auch das Buch der Erfindungen des Nürnberger Patriziers Holzschuher. Höchst präzise Konstruktionszeichnungen und Baupläne von Kampfwägen sollten als testamentarisches Legat zur finanziellen Ausnutzung an den ältesten Sohn übergeben werden (Nürnberg, Hs. 28893, siehe Nr. 39.19.11.).