39.3. Bilderhandschriften zur Kriegstechnik für höfische Adressaten
Bearbeitet von Rainer Leng
KdiH-Band 4/2
Die Untergruppe 39.3. enthält nur zwei Überlieferungsträger. Beide stehen in einem engen Zusammenhang und beruhen, wenn sie nicht unmittelbar voneinander abhängig sind, zumindest auf demselben Vorlagencorpus. Beide sind an den im Detail voneinander abweichen Dedikationsbildern erkennbar an hochrangige Adressaten gerichtet. Im Falle der Zürcher Handschrift Ms. Rh. Hist. 33b (Nr. 39.3.2.) wird König Sigismund (1410–1437) als Empfänger angenommen, beim etwas jüngeren Wiener KK 5014 wird der Empfänger überwiegend mit Kaiser Friedrich III. (1440–1493) identifiziert. Beide Handschriften gehören dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts an. Das Enstehungsgebiet der Zürcher Handschrift liegt im Oberrheingebiet, das Wiener Pendant läßt sich nur grob nach Südeutschland, anhand einiger innerer Merkmale (österreichische Banner in einigen Bildern) nach Österreich einordnen, wobei diese Merkmale auch der Orientierung am Empfänger geschuldet sein können.
In den beiden Handschriften mischen sich unterschiedliche Einflüsse aus anderen Stoffgruppen. Beide sind anhand der rationellen Arbeitsweise mit raschen Vorzeichnungen, grober und flächiger Kolorierung und stereotypen Personenzeichnungen sowie der Verwendung eines Vorlagenschatzes als Atelierproduktionen anzusprechen. Eine Werkstatt ist allerdings nicht namhaft zu machen; eine Zuschreibung der Zürcher Handschrift an die Lauber-Werkstatt blieb ohne Resonanz. Die Produktionstechnik zusammen mit den hochrangigen Empfängern teilen die beiden Codices mit den ›Bellifortis‹-Handschriften. Inhaltliche Übereinstimmungen existieren dagegen nicht. Lediglich in der ikonographischen Inszenierung der technischen Geräte, die meist im Anwendungskontext präsentiert werden, zeigen sich wieder Parallelen mit der Orientierung an höfischem Publikum. Die Vorlagen der Bilder sind meist aus den ältesten Büchsenmeisterbüchern entnommen, wie sie in der Gruppe 39.1. vorliegen. Insbesondere der Münchener Cgm 600 (Nr. 39.1.6.), der Wiener Cod. 3069 (Nr. 39.1.10.) und die Wiener Hs. KK 5135 (Nr. 39.1.11.) enthalten Material, das deutlich erkennbar als Grundlage für die Einarbeitung in szenische Kontexte benutzt wurde. Bei ganzen Bilderserien über Pulverbereitung, Läuterung oder verschiedene Schußtechniken standen die Anleitungen des ›Feuerwerkbuchs von 1420‹ im Hintergrund, so daß die beiden Handschriften auch verwandtschaftliche Beziehungen zur Stoffgruppe 39.2. aufweisen. Allerdings blieben die Abbildungen ohne Beschriftung. In Anbetracht des engen Randes außerhalb der Bildrahmen war die Aufnahme von Texten auch nie vorgesehen. Lediglich die Zürcher Handschrift besitzt auf den ersten Blättern einige ein- bis zweizeilige, oft gereimte Beischriften mit Bildbezug. Sie dürften jedoch sekundär sein und lassen keine Beziehungen zu anderen kriegstechnischen Texten erkennen. Die Wiener Handschrift blieb vollkommen textlos.
Beide Handschriften wirken ausschließlich durch die 238 bzw. 335 Illustrationen. Die Abbildungen sprechen meist für sich, indem sie Anwendungskontexte bekannten Kriegsgerätes oder vorteilhafter Taktiken illustrieren, ohne etwa technische Detailinformationen zur Bauweise der verschiedener Waffen zu deutlich in den Vordergrund zu rücken. Anderes erklärt sich dagegen nur mit der Textkenntnis des ›Feuerwerkbuchs von 1420‹. Die Illustratoren setzten also Vertrautheit mit diesem auch außerhalb des Kreises der Büchsenmeister breit überlieferten Text voraus. Da die Abbildungen in diesen Passagen zwar einiges zum Arbeitsgerät der Büchsenmeister und Pulvermacher präsentieren, aber naheliegenderweise keinerlei Informationen über die Zusammensetzung und die genaueren Details der Arbeitsprozesse transportieren können, sind vielleicht auch mnemotechnische Aspekte anzunehmen bzw. werden soziale Komponenten wirksam, die den Empfängern den hohen Wert dieser Berufsgruppe für die Führung kriegerischer Auseinandersetzungen vor Augen führen sollen.