39.20. Illustrierte Zeughausinventare
Bearbeitet von Rainer Leng
KdiH-Band 4/2
Zeughausinventare gehörten nach vereinzelten Vorläufern spätestens ab der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts zum üblichen Verwaltungsschriftgut der städtischen oder fürstlichen Besitzer von räumlich konzentriert aufbewahrten Waffenarsenalen. Sie dienten dem regelmäßigen Überblick und der Kontrolle über die Bestände. Wegen der steten Veränderung durch Gewinne und Verluste im Kriegsfall oder Ersatz und Ausbau wegen waffentechnischer Neuerungen wurden sie relativ häufig erneuert. In praktisch jedem Nachfolgearchiv mittelalterlicher Städte oder Territorien sind Exemplare zu finden. Sie sind jedoch in der überwiegenden Menge der Fälle nicht illustriert.
Trotz ihrer prinzipiellen Zugehörigkeit zum Verwaltungsschriftgut waren die wenigen illustrierten Zeughausinventare, die zudem in ihren ältesten Exemplaren noch in das 15. Jahrhundert zurückgehen, hier aufzunehmen, da sie sich in großer thematischer Nähe zu den Feuerwerks- und Kriegsbüchern finden und neben praktischen Aspekten auch normativen Charakter und repräsentative Aspekte beinhalten. Zudem konnten, wie die Aufnahme des kompletten Bildbestandes des Landshuter Zeughausinventars (Heidelberg, Cod. Pal. germ. 130, siehe Nr. 39.20.2.) in die Sammlung kriegstechnischer Abbildungen Ludwigs von Eyb (Erlangen, MS.B 26, siehe 39.20.1.) zeigt, die Illustrationen realer Zeugbestände auch ohne Angabe von Ort und Besitzer der Waffen losgelöst von ihrem konkreten Zweck überliefert werden.
Schon bei einigen Büchsenmeisterbüchern des 15. Jahrhunderts ergeben sich naheliegende Bezüge zum Zeughauswesen. Bei Johannes Formschneider (siehe 39.5.), der nach eigener Aussage über 30 Jahre das Nürnberger Zeughaus versah, liegt nahe, daß er auch real existierende Nürnberger Geschütze abbildete, die er erbaut hatte oder pflegte, auch wenn die Zugehörigkeit nicht eigens vermerkt ist. Bei den beiden in Pfälzer Diensten stehenden Büchsenmeistern Philipp Mönch und Martin Merz (siehe 39.6.) ist partiell dasselbe anzunehmen, zumal auch ihre Bildkataloge in einzelnen Teilen sehr präzise Übereinstimmungen aufweisen. Dies mag neben beruflichem Austausch auch auf Übereinstimmung mit Zeugbeständen hinweisen.
Das älteste illustrierte Inventar liegt in der Handschrift München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kurbayern, Äußeres Archiv 3904 aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts vor (siehe Nr. 39.20.4.). Obwohl es nur wenige nicht beschriftete Blätter umfaßt, ist nach der Überlieferungsumgebung in wittelsbachischem Archivschriftgut anzunehmen, daß es sich um ein möglicherweise nicht fertiggestelltes und nur fragmentarisch überliefertes Konzept zu einem illustrierten bayerischen Zeughausinventar handelt. Kaum jünger ist dagegen das illustrierte Inventar der herzöglichen Landshuter Zeugbestände von Ulrich Beßnitzer, das in Wort und Bild in durchaus repräsentativem Charakter die dortigen Pfälzer Zeugbestände mit normativen Hinweisen zur Verwaltung und Anwendung der Bestände präsentiert (Heidelberg, Cod. Pal. germ. 130, siehe 39.20.3.).
Neben dem pfälzisch-bayerischen Raum tritt auch der österreichische Raum mit illustrierten Zeughausinventaren hervor. Die sieben meist nach Maßgaben Bartholomäus Freislebens prachtvoll durch höfische Buchmaler (Jörg Kölderer und Werkstatt) ausgestatteten Inventare Maximilians I. versuchen in Erfassung aller habsburgischen Zeughäuser in regionaler Gliederung einen Überblick über die gesamten dislozierten Zeugbestände zu geben (München, Cod. icon. 222, siehe Nr. 39.20.3., Wien, KK 5074–5076 und Cod. 10815–10824, siehe Nr. 39.20.5., Nr. 39.20.6., Nr. 39.20.7., Nr. 39.20.8., Nr. 39.20.9., Nr. 39.20.10.). Sie stellen sowohl nach Stückzahl als auch nach Menge der in ihnen erhaltenen Abbildungen die Hauptmasse in dieser Untergruppe dar. In ihnen spiegeln sich die Herrschaftskonzeption, die höfische Repräsentation, die Neuansätze der Heeresorganisation und das Memoria-Konzept Maximilians I. wider.
Einen Sonderfall stellen die Beuteinventare dar. Hier liegen zwei eidgenössische illustrierte Verzeichnis vor, die in Bild und genauer Beschreibung des Geschützes samt Angaben über den Schlachtort die 1499 im Schweizerkrieg von Maximilian I. erbeuteten Geschütze präsentieren (Zürich, Ms. A 77 und Ms. A 89, siehe Nr. 39.20.11.–Nr. 39.20.12.). Dies diente zusammen mit dem historiographischen Überlieferungskontext entweder der Memoria und Bekräftigung des eidgenössischen Sieges über den Habsburger oder als Grundlage für eine Verteilung der Beute.
Als Mischform zwischen einer illustrierten Bestandsaufnahme von Zeugbeständen und Beuteinventar ist an dieser Stelle noch auf den von Karl V. in Auftrag gegebenen Discorso del Artilleria del Emperador Carolo V. zu verweisen. Er zeigt den Zustand der kaiserlichen Artillerie nach der Schlacht bei Mühlberg 1547. Von den 520 abgebildeten Geschützen stammten 159 aus eigener Beschaffung, die restlichen 371 wurden von deutschen Fürsten oder Städten erbeutet. Ermittelt wurden folgende Handschriften: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 31 Helmst. 2o, Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt-Gotha, Chart. A 746, Frankfurt, Stadt- und Universitätsbibliothek, Ms. lat. fol. 2, Erlangen, Universitätsbibliothek, MS. 2108, Paris, Bibliothèque Nationale, Fonds Espagnol 104 (Cotes actuelles 320), Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 10817 und Cod. 10803 (17. Jh.);