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74.9. ›Der Heiligen Leben‹

Bearbeitet von Kristina Freienhagen-Baumgardt

KdiH-Band 8

»Das ursprünglich 251 Texte umfassende Legendar ›Der Heiligen Leben‹ [...] ist die verbreitungs- und wirkungsmäßig bedeutsamste volkssprachliche Legendensammlung des europäischen Mittelalters« (Williams-Krapp [1986] S. 189). Es ist Ende des 14. Jahrhunderts in Nürnberg entstanden und verbreitete sich in 205 Handschriften und 41 hoch- und niederdeutschen Druckauflagen im gesamten deutsch- und niederländischsprachigen Raum bis nach Skandinavien. Mit 14 illustrierten Handschriften stellt ›Der Heiligen Leben‹ innerhalb der Stoffgruppe das umfangreichste Corpus. Die Überlieferung setzt in der Mitte des 15. Jahrhunderts ein und schließt mit dessen Ende, weil vermutlich auch hier – wie auch bei der ›Elsässischen Legenda aurea‹ – die Drucküberlieferung die illustrierte Handschriftenproduktion ablöste. Die zahlreichen ab 1471 auf den Markt gebrachten Druckauflagen sind »mit zum Teil kunstvollen Holzschnitten bestückt« (Williams-Krapp [2015] S. 97). Die Drucküberlieferung wiederum endete jäh mit der Reformation. Der letzte Druck erschien 1521. Zur Drucke-Überlieferung dieser Untergruppe siehe künftig die Datenbank-Version.

Ebenso wie die ›Elsässische Legenda aurea‹ wird auch ›Der Heiligen Leben‹ illustriert mit Darstellungen der Martyrien, Episoden aus der heiligmäßigen Vita der Heiligen oder auch durch die Heiligen in statuarischer Haltung mit den Attributen. Die schon bei der ›Elsässischen Legenda aurea‹ nur teilweise illustrierten de festis-Texte werden hier gar nicht mehr aufgenommen. Während man für die illustrierten Handschriften der ›Elsässischen Legenda aurea‹ zwei Gruppen ausmachen kann, die durch den Cgm 6 (gerahmte Deckfarbenminiaturen) und die Illustrationen aus der Lauber-Werkstatt (rahmenlose Federzeichnungen) repräsentiert sind, so zeigt sich die Umsetzung der Bildprogramme in ›Der Heiligen Leben‹ in teilweise anderer Gestalt. Festzustellen ist zunächst, dass keine einzige illustrierte Handschrift den gesamten Text mit einem durchgängigen Illustrationskonzept überliefert. Dies mag wohl damit zusammenhängen, dass das Werk zweibändig angelegt ist und für den umfangreichen Legendenbestand »offenbar nur sehr wenige bereit oder in der Lage waren, Derartiges zu finanzieren« (Williams-Krapp [2015] S. 97).

Die mit 153 Federzeichnungen am umfangreichsten ausgestattete Handschrift Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, 2º Cod 154 (Nr. 74.9.2.) zeigt zu jeder der überlieferten Legenden aus dem Sommerteil und ›Der Heiligen Leben, Redaktion‹ eine gerahmte Illustration und lässt sich aufgrund dieser Rahmung, obwohl als Federzeichnung und nicht in Deckfarbenmalerei ausgeführt, konzeptionell eher zum Cgm 6 der ›Elsässischen Legenda aurea‹ stellen als zum Rest der Untergruppe. Ähnlich mit Rahmung gestaltet ist die Druckabschrift im Cgm 504 (Nr. 74.9.6.), die mit 135 Illustrationen im durch Lokalheilige wie Wolfgang, Simprecht und Korbinian von Freising ergänzten Winterteil dem Zainer-Druck von 1471 folgt, sowie die einzelne Eingangsminiatur in Stuttgart, Cod. HB XIV 20,2 (Nr. 74.9.12.) mit Ambrosius, der auf dem Sterbebett einem Schreiber diktiert. In den meisten Handschriften wird textlich eine Auswahl getroffen, die ihren Ausdruck im Bildprogramm findet und teilweise Schwerpunktbildungen (Apostellegenden in Nr. 74.9.5., Nr. 74.9.9., Nr. 74.9.12.; Marienlegenden in Nr. 74.9.7., Nr. 74.9.9., Nr. 74.9.11.) erkennen lässt. Die Anzahl der Illustrationen reicht von zwei bis 34.

Eine zweite Gruppe – in dieser Deutlichkeit in der ›Elsässischen Legenda aurea‹ nicht vorhanden – bilden Handschriften mit historisierten Initialen. Eine wohl in Wien zu verortende Gruppe von Handschriften zeigt Initialausstattung auf höchstem Niveau: Wien, Cod. 13695 (Nr. 74.9.13.) ist zum Frühwerk des Lehrbüchermeisters zu rechnen, die zweibändige Münchner Pergamenthandschrift Cgm 6834,1 und 6834,2 (Nr. 74.9.8.) zeigt kunstvolle Initialen eines unbekannten Meisters, der möglicherweise auch aus Wien stammt. Darüber hinaus gehören hierzu die mit aufwendigen, aber nicht figürlichen Deckfarbeninitialen versehenen Handschriften Freiburg i. Br., Hs. 100,13 (vormals Sammlung Leuchte XIII) sowie Graz, Ms. 75 und 64. Letztgenannte ist durch ornamentale Deckfarbeninitialen von der Hand des Illuminators Michael (?) und eines Gehilfen ausgestattet, aus dessen Hand auch die kunstvolle Miniatur um die Eingangsinitiale zur Legende des Erzengel Michael in Wien, Cod. Ser. n. 15166 (Nr. 74.9.14.) stammt. Auch in der Handschrift München, Universitätsbibliothek, 2º Cod. ms. 314 (Nr. 74.9.10.) ist am Textbeginn eine hochwertige Deckfarbeninitiale ausgeführt, die dem Umfeld der Werkstatt von Berthold Furtmeyr zugeordnet werden kann. Ein Teil der Handschriften ist demnach mit gerahmten Federzeichnungen gestaltet, deren Niveau sehr unterschiedlich sein kann – die Zeichnungen in der Druckabschrift zeigen beispielsweise weniger Qualität als die nachträglich eingefügten einseitigen Federzeichnungen in der Donaueschinger Handschrift 117 (Nr. 74.9.3.) –, eine weitere größere Gruppe ist mit historisierten Initialen ausgestattet. Der aus der ›Elsässischen Legenda aurea‹ bekannten Lauber´schen Manier, die Figuren frei gestellt auf grünem Bodengrund an den Beginn der Legende zu setzen, folgt nur die Sigmaringer Handschrift (Nr. 74.9.11.).

Der Überlieferungsraum der illustrierten Handschriften umfasst den bairischen und vor allem schwäbischen Sprachraum bis ins Alemannische. Handschriften befanden sich sowohl in klösterlichem als auch laikalem Besitz. Besonders im Druckzeitalter gehörte das Legendar zum »Grundbestand von Bibliotheken wohlhabener Bürger und Patrizier, die sich das Legendar nicht nur aus Bildungs- und Unterhaltungsbedürfnissen beschafften, sondern die Abschrift eines Legendars auch als gutes Werk werteten und sich mitunter dadurch Vorteile im nächsten Leben versprachen« (Williams-Krapp [1986] S. 302). Die Druckabschrift im Cgm 504 (Nr. 74.9.6.) zeugt davon. Ein Zentrum der illustrierten Überlieferung bildet Augsburg, wo vermutlich drei Handschriften entstanden sind (Nr. 74.9.1., Nr. 74.9.2., Nr. 74.9.5.; Palenik [2010 S. 57f.] verortet auch mit nicht nachzuvollziehenden Argumenten den Cgm 6834 [Nr. 74.9.8.] nach Augsburg), zwei Handschriften kommen wohl aus Füssen.

Bezüglich der Bildthemen lässt sich feststellen, dass ›Der Heiligen Leben‹ ungefähr 60 Stücke mehr enthält als die ›Elsässische Legenda aurea‹ und daraus folgend auch Legenden illustriert sind, die dort nicht vorhanden waren. Zu nennen sind hier vor allem Lokalheilige aus dem süddeutschen Raum (z. B. Verena von Zurzach, Magnus von Füssen, Emmeram von Regensburg). Einen Schwerpunkt bilden Augsburgische Heilige wie Ulrich, Afra und Narcissus (Nr. 74.9.1., Nr. 74.9.2., Nr. 74.9.5., Nr. 74.9.8., Nr. 74.9.11.). Besonders berücksichtigt ist auch Katharina von Alexandrien (Winterteil Nr. 40 in Nr. 74.9.5., Nr. 74.9.6., Nr. 74.9.8., auch als Reimlegende in Nr. 74.9.4.), die zu den Frauen gehört, die vor allem bei den Dominikanern, den mutmaßlichen Urhebern des Legendars (Der Heiligen Leben [1996] S. XIII), verehrt wurden.

Im Cgm 1108 von 1472 liegt eine weitere Augsburger Handschrift vor, geschrieben von Ulrich Weickman, pincerna de Augusta (Gastwirt in Augsburg), die im Katalog keinen Eintrag erhält, weil die hier überlieferten Illustrationen keinen Text-Bild-Zusammenhang zeigen. Weickman wählt als Bildthemen unabhängig vom Legendeninhalt immer wieder Motive mit dem Thema Jagd sowie, damit zusammenhängend, Tiermotive (Hirsch, Pelikan, Pferd). Zweimal wird ein Kampf zweier Figuren in Blättergewand mit Keulen und Schilden gezeigt (zu Christophorus und Mamertinus von Auxerre).

Auch für die Hagiografie eher unübliche Stoffe aus der Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts wie Oswald, Gregorius auf dem Stein und Alexius sind in das Legendar aufgenommen und in den Auswahlhandschriften (Nr. 74.9.3., Nr. 74.9.5., Nr. 74.9.7.) illustriert worden. Laien ließen sich gerade von diesen Stoffen immer wieder Exzerpthandschriften anfertigen, diese sind allerdings nicht illustriert (hierzu Williams-Krapp [1986] S. 302). Aufgrund seiner Ausführlichkeit und dem bezüglich Hagiografie enzyklopädischen Charakter diente ›Der Heiligen Leben‹ darüber hinaus als Nachschlagewerk für Kunsthandwerker wie Goldschmiede (Nr. 74.9.6. aus dem Besitz des Freisinger Goldschmieds Sixt Schmuttermaier, Cgm 280 geschrieben für den Münchner Goldschmied Johannes Seefelder, nicht illustriert, aber mit dekorativem Initialschmuck ausgestattet). Williams-Krapp (1986, S. 302) weist darauf hin, dass »Maler wie Albrecht Dürer, Lucas Cranach [...] hier nach ikonischen Motiven suchten«, ebenso »die Meistersinger, die ihre Lieder mit hagiografischer Thematik auf der Grundlagen des HLs herstellten«.

Literatur zu den Illustrationen:

Williams-Krapp (2015).