74.9.5. Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 1552
Bearbeitet von Kristina Freienhagen-Baumgardt
KdiH-Band 8
Letztes Viertel 15. Jahrhundert.
Augsburg (?).
Möglicherweise stammt die Handschrift aus dem reformierten Augsburger Dominikanerinnenkloster St. Katharina, wie der Eintrag im Vorderdeckel nahelegt (16. Jahrhundert): Ds buech gehert in das buech Ambt ze sanct Catharina (vgl. Nr. 51.18.1., Nr. 51.13.1.). Die Katharinenlegende ist in der Handschrift besonders exponiert, indem für sie wohl eine große Illustration vorgesehen war. Auf den Herkunftsort Augsburg weist auch der weitere Legendenbestand, der mit Ulrich von Augsburg und Narcissus einen Schwerpunkt auf Texten hat, in denen Augsburg eine maßgebliche Rolle spielt. Der Codex gelangte vermutlich 1831 zusammen mit Ms 1548 über ein Mitglied der Leipziger Familie Bose an die Universitätsbibliothek (Blätterleuchten [2015] S. 52).
1. | 1r–75r | Heinrich von St. Gallen, ›Marienleben‹ (fragmentarisch) |
2. | 76v–339v |
›Der Heiligen Leben‹
Le1 (Der Heiligen Leben [1996] S. XXI); Sommerteil Nr. 5, 77; Winterteil Nr. 58; Sommerteil Nr. 45, 46, 94, 118; Winterteil Nr. 21, 45, 55, 98; Sommerteil Nr. 11, 10, 62, 39; Winterteil Nr. 82, 25, 22, 32; Sommerteil Nr. 48, 89, 3, 35, 53, 100, 59; Winterteil Nr. 104, 49, 28, 14, 35, 40, 89, 17
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Papier, VI + 345 Blätter (Bl. 21–67 Foliierung des 16. Jahrhunderts mit Tinte, Bl. 77–93 alte Foliierung 1–18, 76r–98r am Seitenrand Abschnittszählung 1–33, Bl. 6 und 7 am Innenrand angenadelt, Bl. 8 an Blatt 9 angeklebt, Bl. 10 in der Mitte quer durchgeschnitten und an den Rändern geklebt, es fehlt je ein Blatt nach Bl. 30, 49, 190, 256, 292, je zwei Blätter nach Bl. 255, 269, drei Blätter nach Bl. 75, vier Blätter vor Bl. 1, verschiedentlich Beschädigungen der Illustrationen wie ausgerissene Gesichter, Verwischungen der Heiligendarstellungen und Durchstreichungen mit dickem braunem Stift), 205 × 145 mm, Bastarda, zwei Hände (I: 1r–75v, II: 77r–339v), einspaltig, 24–32 Zeilen, rote Überschriften, vier- bis sechszeilige Initialen, alternierend (ab 56v regelmäßig) in Rot und Blau.
ostschwäbisch.
34 kolorierte Federzeichnungen: sechs Illustrationen und vier Bildlücken zu Text 1 (8v, 10v, 33v, 35r, 43r, 47v, 23r, 29r, 56v, 57v siehe Stoffgruppe 85. Mariendichtung), 28 Illustrationen und zwei Bildlücken (260r, 303v) zu Text 2. Aufgrund von Blattverlust verloren sind möglicherweise Illustrationen zu Johannes Baptist (191r), Theodora (256r), Verena (260r), Benedikt (270r) und Elisabeth (293r). Zwei Illustratoren (eventuell auch drei nach
Nur die Illustration zu Georg (76v, Sommerteil Nr. 5) ist ganzseitig, die übrigen Illustrationen sind im Querformat, nehmen in der Höhe etwa ein Drittel der Seite ein, spaltenbreit (Illustrator 1) oder über die Spalte hinausgehend, teilweise bis zum Blattrand reichend (Illustrator 2), rot gerahmt. Die Illustrationen sind vor der rubrizierten Überschrift zur Legende positioniert.
In sämtlichen Illustrationen werden die Heiligen auf grünem Bodengrund platziert, der das untere Drittel des Bildes einnimmt, verschieden gestaltet von den beiden Malern, die »markant unterschiedliche Stile vertreten« (Blätterleuchten [2015] S. 55). Bei Maler 1 (76v, 99v, 110r, 119v, 126r, 140v, 147v, 151v, 157v, 163v, 171v, 174v, 177r, 180v, 202v) ist der Boden flächig koloriert, mit gerader Linie gegen den leicht blau lavierten Himmel abgegrenzt, in zartem Grün, bei Maler 2 ist der Bodengrund dunkler, zum Teil wellig (215r, 329v) mit durch schwarze Tinte erzeugten Strukturen (250r) gezeichnet. Die zurückgenommene Gestaltung durch Illustrator 1 entspricht seiner gesamten Arbeitsweise, nach der er mit feiner Strichstärke detaillierte Zeichnungen mit zarter Lavierung in dezenter Farbgebung und feiner Modellierung fertigt, die Gewandfalten gebrochen, Schattierungen durch unterschiedlich dicken Farbauftrag und dichte, kurze Schraffuren. Der helle Schreibgrund wird geschickt in die Modellierung einbezogen. Die Köpfe der Personen sind rund, ohne Hals, die Augen punktförmig, teilweise mit halb geschlossenen Lidern, die Figuren insgesamt nach gängiger Ikonografie mit passenden Attributen gezeichnet. Die Illustrationen zu Oswald (99v) und den Aposteln (110r, 119v, 126r, 140v, 147v, 151v, 157v, 163v, 171v, 174v, 177r, 180v, 202v) weisen einen sich wiederholenden Aufbau auf, was dem Bildprogramm eine gewisse Statik verleiht. Die Heiligen sitzen auf einem Stuhl/Thron, halten das Attribut in der Hand und blicken alle nach links. Der die Illustration umgebende rote Rahmen wird häufig durch den Nimbus oder auch die Füße durchbrochen, so dass der Eindruck entsteht, die Figuren säßen vor dem Rahmen. Bei der von Maler 1 angelegten ganzseitigen Illustration von Georg (76v) reicht der Kopf des Drachens (ähnelt mehr einem Wolf) über den Rand. Auch hier eine feine Lavierung, was vor allem in der Musterung des Apfelschimmels, auf dem Georg in voller Rüstung reitet, sichtbar wird. Geschickt lässt der Maler zwei breite, rote Bänder hinter Georgs Rücken in den freien Raum flattern und schafft so eine ausgewogene Bildkomposition. Die Prinzessin, die Georg bei seiner Tat vom Berg aus zusieht, trägt ein Kleid in gleichem Rot wie die Bänder und wird durch die in ihre Richtung flatternden Bänder an die Darstellung des Georg angebunden. Der Aufbau dieser Illustration ist identisch mit Cgm 6 (Nr. 74.7.7., 81v). Maler 2 (210r, 215r, 217r, 226v, 232r, 242r, 250r, 254r, 277v, 287v, 291r, 339v) verwendet eine stärkere Feder, seine Zeichnungen wirken gröber und im Ausdruck expressiver durch den flächigen Auftrag dunkler, deckender Farben, die kontrastiv zu hellen Lavierungen eingesetzt werden. Der ausdrucksstarke Charakter wird besonders bei der Illustration zu den Zehntausend Märtyrern deutlich (242v), von denen Achatius und ein Gefährte brachial auf große Dornen aufgespießt mit dicken, dunkelroten Blutstropfen gezeigt werden. Die reduzierte Personenzahl – die Szene wirkt wie herangezoomt – mit gleichzeitiger überdeutlicher Darstellung der Verwundungen macht die Brutalität des Martyriums sichtbar (ähnlich in Nr. 74.7.2. und Nr. 74.9.2.). Die roten Umrandungen der Illustrationen des zweiten Malers sind weniger exakt gezogen als bei Maler 1, die Bilder sind eng in den verbleibenden Raum zwischen den Texten eingepasst. Außenräume und Landschaften werden insgesamt nur selten und dann sehr reduziert wiedergegeben (Berg bei Magnus von Füssen 232r, fünf Bäume bei Maria Aegyptiaca 250r, zwei Bäume bei Johannes Chrysostomus 202v). Bei den wenigen dargestellten Gebäuden ist die Perspektive nicht (254r) oder nur schlecht erfasst (277v).
Zwei Bildlücken zu Maria Magdalena (260r) und zu Katharina von Alexandrien (303v). Ausgeführte Illustrationen zu Sommerteil Nr. 5, 77; Winterteil Nr. 58; Sommerteil Nr. 45, 46, 94, 118; Winterteil Nr. 21, 45, 55, 98; Sommerteil Nr. 11, 10, 62, 39; Winterteil Nr. 82, 25, 22, 32; Sommerteil Nr. 48, 89, 3, 35; Winterteil Nr. 49, 28, 14, 89, 17 (Aufzählung in der Reihenfolge der Handschrift). Einen Schwerpunkt in den Bildthemen bilden die von Maler 1 umgesetzten Apostellegenden. Die Auswahl der übrigen Legenden unterliegt keinem offensichtlichen Ordnungsprinzip, einen kleinen Schwerpunkt bilden die Legenden, die einen Bezug zu Augsburg aufweisen (215r Narcissus und 226v Ulrich, Afra fehlt), sowie solche, in denen Tiere eine maßgebliche Rolle spielen (76v Georg beim Drachenkampf, 99v Oswald mit Rabe und Reichsapfel, 210r Eustachius betend vor dem Hirsch, 215r Narcissus im Kampf gegen den Drachen, 291r der Bär trägt Holz zu Gallus).
Grün und Rot in verschiedenen Tönen, Braun, Gelb, Blau.
Abb. 87: 242v. Von sant Achacius vnd von seiner geselschaft (Zehntausend Märtyrer).