74.9.2. Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, 2º Cod 154
Bearbeitet von Kristina Freienhagen-Baumgardt
KdiH-Band 8
Mitte 15. Jahrhundert.
Schwaben (Augsburg ?).
Die Herkunft der Handschrift ist nicht nachweisbar, vermutlich stammt sie aus Augsburg. Geschrieben ist der Codex von einem anonymen Augsburger Schreiber, der im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts tätig war und seine Handschriften »in der gleichen Werkstatt tätigen [ließ] wie Konrad Bollstatter« (
1. | 1r–474v |
›Der Heiligen Leben‹
A2 (Der Heiligen Leben [1996] S. XVII); 2r–3v Inhaltsverzeichnis; Sommerteil Nr. 1–6, 9–42, 44–127; ›Der Heiligen Leben, Redaktion‹: 435v Johannes ante portam Latinam, 437r Domitilla, 438v Gregor der Große, 439v Majolus, 440v Bonifatius Martyr, 443v Torpes, 444v Austregisilus, 446r Julia von Korsica, 447r Desiderius von Langres, 448r Benedicta, 449r Papst Eleutherius, 450r Papst Johannes I., 450v Wilhelm von Aquitanien, 452r Sisinnus, 452r Martyrius und Alexander, 453r Cantius, Cantianus und Cantianilla, 454r Simeon von Trier, 456r Isaac von Spoleto, 458v Florian, 459r Deocarius, 461r Antonius von Padua, 462r Basilides, Tripodes und Mandalis, 463r Marcus und Marcellianus, 464r Alban von England, 465r Mariä Heimsuchung, 467r Nabor und Felix, 468r Rufina und Secunda, 469r Apostelteilung, 471r Paulinus von Nola, 472r Genesius Mimus
|
2. | 474v–483r | ›Andechser Chronik‹ |
3. | 483v–491v | ›Meinrad‹ |
Papier, II + 495 Blätter (Wasserschaden, daher viele Blätter restauriert, Blattverlust mit Textverlust von jeweils zwei Blättern nach 37 und 40, einem Blatt nach 131, Bl. 60 verbunden, richtig nach 95, Originalfoliierung ab 4r, neuzeitliche Foliierung ab Bl. 40), 300 × 195 mm, rundliche Bastarda (von der italienischen Rotunda beeinflusste »Augsburger Rotunda«, so
ostschwäbisch.
155 kolorierte Federzeichnungen, davon 153 zu Text 1, eine zu Text 2, eine zu Text 3 (Nr. 51.24.4. [Nachtrag in der KdiH-Datenbank]). Von demselben Augsburger Illustrator (Johannes Bämler [?], vgl.
Die Federzeichnungen stehen am Beginn jeder Legende, vor der rubrizierten Überschrift, spaltenbreit, zwölf bis 16 Zeilen hoch, gerahmt von einem profilierten Rahmen teilweise einfarbig, teilweise zweifarbig. Der interpolierte Text ›Andechser Chronik‹ und die Legende zu ›Meinrad‹ werden in gleicher Weise wie ›Der Heiligen Leben‹ illustriert.
Wie auch in den anderen von ihm illustrierten Handschriften (siehe II.) wählt der Illustrator auch hier kräftige Farben, die mit festem Strich gesetzt sind. Die Figuren stehen auf grünem Boden, der machmal das Bild hälftig teilt, der dahinter liegende Himmel ist häufig von unten nach oben dunkler werdend, so dass dadurch ein räumlicher Effekt erzielt wird. Dies wird verstärkt durch kräftige Parallelschraffen. Allerdings konzentriert sich der Maler bei der Darstellung nicht auf die korrekte Erfassung des Raums, vielmehr setzt er häufig Farbflächen unperspektivisch holzschnittartig nebeneinander (Onuphrius 101v) oder nimmt auch perspektivische Verkürzungen in Kauf (Pankratius 70v, Alexius eingeklemmt unter der Treppe 175v). Der Darstellung der Personen und dem damit verbundenen Kern der Legende ist die Präsentation des Raums nachgeordnet. Landschaften und Innenräume werden daher ebenfalls nur im direkten Zusammenhang mit der Legende gezeigt (Antonius von Padua predigt den Fischen 461r; Christophorus trägt Christus über den See, der See sehr klein, symbolhaft gezeichnet 213r). Auch wenn die runden Köpfe der Figuren eine gewisse Stereotypie aufweisen und die Gesichter nicht mit Falten und Konturen herausgearbeitet sind, sondern eher flächig wirken, so ist doch ein deutliches Bemühen vorhanden, die Mimik der Situation anzupassen (Lazarus 13r: Erstaunen im Blick des Zuschauers; Vitus 106v: leidender Blick beim Martyrium). Martyrien werden drastisch gezeichnet (Christina werden die Brüste abgeschnitten 202v), durch Körperhaltung und Detaildarstellung werden die Heiligen weniger als übermenschliche Wundertäter, sondern als menschliche Vorbilder im Glauben gezeigt (Zosimus dreht sich mit geröteten Wangen schamvoll zur Seite, als er Maria Aegyptiaca das Gewand reicht 10r, mütterliche Gestik der Felicitas 156r, Gebrechlichkeit der Anna 216v, Christophorus blickt freundlich aufmunternd auf den auf seiner Schulter sitzenden Jesus 213r, Nachttopf unter Marias Bett 302r). Die Darstellung wirkt im Gesamten statisch, was nicht zuletzt daher rührt, dass viele Heilige als Einzelfiguren mit Attribut gezeigt werden, nicht als Wundertäter in Aktion. Die Größe der Heiligen wird immer wieder nach der Bedeutung gesetzt (übergroße Darstellung bei Kunigunde 171v, Kreuzerhöhung 409r, Florian 458v). Schergen und Henker werden als teilweise hässliche Personen mit Stoppeln statt Haaren und schwarzen Löchern statt Augen gezeigt (274v). An einer Vielzahl von Stellen sind die Gesichter der Henker durch Rasur unkenntlich gemacht (61v, 68v, 71v, 84r, 108v, 128r, 132r, 452r). Enthauptungsszenen folgen immer dem gleichen Muster: Rechts steht der Scherge mit erhobenem Schwert, links kniet der/die Heilige und erwartet den Schlag (352r, 353r, 403r).
Dargestellt werden zu etwa gleichen Teilen die Martyrien (48 Legenden, davon gehäuft bei den Legenden aus ›Der Heiligen Leben, Redaktion‹), Szenen aus der Legende (52 Legenden) und der/die Heilige als Einzelperson mit Attribut (54 Legenden). Hinzu kommt eine symbolische Darstellung zum Evangelisten Markus (Löwe 34r). Möglicherweise drückt sich in der häufigen Darstellung der Einzelperson die Neigung des Malers zur Simplifizierung (vgl. auch zu Nr. 51.32.2.) aus. Der Leser konnte in den meisten Fällen einen gesuchten Heiligen beim Blättern finden, sofern er mit der Ikonografie vertraut war. Auf Detailgenauigkeit kam es dabei nicht unbedingt an. Bei der Legende zu den Sieben Schläfern wird das Motiv der im Berg schlafenden Gefährten vereinfacht illustriert durch sieben nebeneinander sitzende Schlafende, ohne dass der umgebende Raum angedeutet wird. Text und Bild stimmen manchmal nur teilweise überein. Bei der Legende zu den Zehntausend Märtyrern entspricht das Bild nur ansatzweise dem Text, nach dem die Märtyrer gekreuzigt werden (nicht dargestellt) und sich wie bei der Kreuzigung Christi ein Erdbeben ereignete und sich die Steine bewegten (hier vom Himmel fallende Steine dargestellt). Möglicherweise ist hier auch die Textstelle aufgenommen, nach der die Heiligen mit Steinen beworfen werden (Der Heiligen Leben [1996] S. 163, Z. 2).
Grün (in verschiedenen Tönen), Blau, Braun, Gelb, Grau, Schwarz.
Abb. 84: 10ra. Zosimus reicht Maria Aegyptiaca das Gewand.