74.9.14. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. n. 15166
Bearbeitet von Kristina Freienhagen-Baumgardt
KdiH-Band 8
Um 1450.
Wien / Klosterneuburg (?).
Über die Herkunft der Handschrift ist nichts bekannt. Da sie vom sog. Buchmaler Michael ausgestattet wurde, kann Wien oder Klosterneuburg als Entstehungsort vermutet werden (
1r–409v |
›Der Heiligen Leben‹
W8
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Papier, I + 409 + I* Blätter (nach Bl. 182, 203, 210, 213, 238 fehlt ein Blatt, mit Textverlust), 410 × 290 mm, Bastarda, zwei Schreiber (Handwechsel auf 65r), zweispaltig, 31–39 Zeilen (41 Zeilen auf 14r), zehn sechs- bis elfzeilige Deckfarbeninitialen mit Rankenausläufern (45r, 55r, 72v, 99v, 115v, 163r, 176v, 296r, 333r, 368v) sowie zwei- bis siebenzeilige Lombarden (z. T. aufwendiger gestaltet) zu Beginn der Legenden, selten Cadellen, Rubrizierung.
bairisch-österreichisch.
Eine Deckfarbenminiatur auf 1ra, die Handschrift wurde vom sog. Illuminator Michael und Gehilfen ausgestattet (
Die Miniatur wurde am Beginn der Handschrift unter der roten Überschrift Von sand Michael archangelus ausgeführt. Sie ist zwölf Zeilen hoch und zwei Drittel der linken Spalte breit, die vergoldete vierzeilige I-Lombarde des ersten Satzes Is ligt ein stat [...] ragt größtenteils in das Bild. Links wird die Illustration von einem ockerfarbenen Stab abgeschlossen, der zum Randdekor der Buchseite gehört. Der Stab ist etwas höher als der Schriftspiegel, er wird links von drei goldenen Halbkreisen und dunkelrotem Besatzfleuronné geschmückt. »Den Stabenden entspringen Akanthusranken, die mit Goldpunkten bzw. -tropfen besetzt und mit großen Blüten und einem Fruchtkolben verziert sind« (MeSch V [2012] Textbd. S. 58).
Die Illustration zeigt nicht, wie zu erwarten wäre, den Erzengel selbst, sondern eine Episode aus der Michaelslegende, auf die in der Stoffgruppe sonst nur im ›Jenaer Martyrologium‹ (Nr. 74.1.1.) Bezug genommen wird. Zu sehen ist eine weite Gebirgslandschaft mit Grünflächen, zwei Bäumen und einer Stadt im Vordergrund. Ein reicher man (1ra) der Stadt, Garganus, ist in Rot gekleidet und schießt mit Pfeil und Bogen auf ein rotes Rind, das, so der Text, ihm entlaufen war und auf den gleichnamigen Berg Garganus steigt. Darüber, in der oberen Bildhälfte, liegt eine große Kirche mit Apsis in den Bergen. Im Hintergrund schuf der Maler durch Verblauung einen Ausblick in die Ferne. Eine gewisse Tiefe und Plastizität wird vorne mit Hilfe von Überschneidungen und feinen Schraffuren erzeugt. Obwohl die Illustration kleinteilig ist, wirkt sie nicht überladen, da der Maler den Raum durch die Anordnung der Berge klar strukturiert. Für die Bilderzählung wichtige Details werden zudem durch rote Farbe bzw. durch ihre überproportionale Größe hervorgehoben.
Die Darstellung erfasst mit dem Schuss auf das Rind in der unteren Bildhälfte den Anfang und mit der oben gelegenen Kirche gleichzeitig das Ende der ersten Erzählung aus der Michaelslegende. Darin wird berichtet, dass Michael den Pfeil von Garganus abgelenkt habe, um das Tier zu schonen, das sich in seiner Wohnstätte befand. Der Erzengel, so offenbart er es dem Bischof der Stadt in einem Traum, hatte ein wonung da auf dem perg da was Garganus dar chomen vnd wolt die stat gemaýligt haben (1rb). Zuletzt errichten die Stadtbewohner eine Kirche zu Ehren Michaels, die im Bild durch ihre Größe und Lage betont wird. Diese Kirche, flankiert von zwei Engeln, ist im ›Jenaer Martyrologium‹ gezeigt (Nr. 74.1.1. 77r).
Gelb, Rot, Blau, Grün, Grau bis Schwarz. Zusätzlich für Initialen und Dekor: Violett, Ocker, Rosa, Weißhöhungen, Silber und Gold.
Abb. 96: 1r. Garganus schießt auf das Rind; im Gebirge liegt eine Kirche, die dem Erzengel Michael geweiht ist.