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74.1. Martyrologien

Bearbeitet von Kristina Freienhagen-Baumgardt

KdiH-Band 8

Unter der Überschrift ›Martyrologium-Legendar‹ weist Williams-Krapp (1986, S. 22) auf die sog. ›historischen Martyrologien‹ hin, die nicht nur kalendarisch die Tagesheiligen aufzählen, sondern darüber hinaus »knappe Angaben zu den Lebensumständen« geben und damit im Sinne der Memoria das Leben, die Werke und die Todesumstände der Heiligen ausführlicher vergegenwärtigen. Als Begründer kann Beda Venerabilis gelten, der zwischen 725 und 731 auf der Grundlage des Pseudo-Hieronymianums die Daten des kalendarischen Martyrologiums kontrollierte und mit 114 Legendenkurzfassungen anreicherte. Illustriert wurden dieses und nachfolgende lateinische Martyrologien nicht, als Buchschmuck fand sich lediglich »vegetabile oder zoomorphe Initialornamentik« (Haefeli-Sonin [1992] S. 25). Das ›Zwiefaltener Martyrologium‹ und das Martyrologium Usuardi in Girona, beide lateinisch, müssen mit ihrer Illustrierung als Ausnahmeerscheinungen gelten und können nicht als Vorbilder für die Illustration des deutschsprachigen ›Jenaer Martyrologiums‹ betrachtet werden. Auch wenn das ›Zwiefaltener Passionale‹ (Stuttgart, Cod. bibl. 2º 56–58) Elemente enthält, die im ›Jenaer Martyrologium‹ ähnlich verwendet werden – so treten häufig Folterknechte außerhalb des festgelegten Bildraums am Seitenrand auf, um den geringen Platz bestmöglich zu nutzen – kann hier nicht von einer direkten Vorlage für das Illustrationsprogramm des für das 13. Jahrhundert einzigen durchgängig illustrierten Martyrologiums in deutscher Sprache, das ›Jenaer Martyrologium‹ sowie die Naumburger Fragmenthandschrift mit Bildlücken, gesprochen werden. Die in der Gliederung des Aufbaus erhaltenen lateinischen Anteile (KL für kalendae, Datumsangabe) lassen den Bezug zur lateinischen Gattung noch erkennen, doch Denissenko (2004, S. 5) schließt aus einigen Verschreibungen, dass das Martyrologium von einer bereits deutschsprachigen, nicht erhaltenen Vorlage kopiert wurde. Das im ›Jenaer Martyrologium‹ vorliegende Konzept der Illustration – zahlreiche hintergrundlose kolorierte Federzeichnungen mit engem Text-Bild-Bezug – lässt den Blick weniger auf mögliche Vorlagen als vielmehr auf zeitgleiche, im gleichen Raum entstandene Werke wandern, eine Untersuchung, die Manuwald (2008) zur Großen Bilderhandschrift von Wolframs ›Willehalm‹ (Stoffgruppe 141.) unternommen hat. Als Vergleichsobjekte zum ›Willehalm‹ untersuchte sie neben verschiedenen zur gleichen Zeit entstandenen Werken auch unter dem Aspekt der Entstehung in derselben Region die Gothaer Handschrift der ›Sächsischen Weltchronik‹ (Stoffgruppe 135.), die vier Bildhandschriften des lateinischen ›Apokalypsenkommentars‹ des Alexander Minorita und eben das ›Jenaer Martyrologium‹. Die Untersuchung erbrachte, dass »einerseits ähnliche Komponenten und Zuordnungsprinzipien verwendet wurden, die Bildelemente andererseits aber immer auch einer dem Text entsprechenden individuellen Semantisierung unterliegen können« (Manuwald [2008] S. 524). Manuwald kann zeigen, dass die innovativ aus dem Text entwickelten Bildkonzepte für den nord- und ostmitteldeutschen Raum keine Ausnahme waren. Der durch Text und Bild angeregte »mediale Dialog« wird durch den Leser weitergeführt, ist Voraussetzung für das Verständnis von Text und Bild. Die Volkssprachigkeit einerseits und das zum Verständnis der Bilder notwendige Wissen andererseits lässt an einen Rezipientenkreis denken, der »zwischen Laien und litterati anzusiedeln ist« (Manuwald [2008] S. 503). Die Martyrologium-Legendare des 15. Jahrhunderts (vgl. Williams-Krapp [1986] S. 22f.) sind nicht illustriert. Die in ›Der Heiligen Leben, Redaktion‹ erhaltene Mischform wird in Auszügen in illustrierte Handschriften von ›Der Heiligen Leben‹ aufgenommen und dort in an das übrige Legendar angepasster Form mitillustriert (Apollonia in Nr. 74.9.3. und Nr. 74.9.8., umfangreicherer Textbestand in Nr. 74.9.2.).

Editionen:

Synoptische Edition der Naumburger Fragmente und des ›Jenaer Martyrologiums‹ bei Merten (2012a) S. 32–34.