37. Fabeln
Bearbeitet von Ulrike Bodemann
KdiH-Band 4/1
Wegweisend für den Weg der Fabel in die deutschsprachige Literatur des Mittelalters waren die unter dem Namen des legendären Gattungsstifters Aesop gesammelten antiken Korpora; Fabeln anderer Traditionen, insbesondere der indischen, fanden erst über Umwege Aufnahme in die abendländische Literatur (siehe Stoffgruppe 20. Anton von Pforr, ›Buch der Beispiele der alten Weisen‹). Im lateinischen Mittelalter verbreitet waren vor allem die aesopischen Sammlungen des Avian (42 Versfabeln, um 400 nach Christus; erhalten sind über 130 Handschriften, dazu mindestens noch einmal so viele bezeugt; vgl.
Illustrationen zu Fabeln sind in abendländischen Handschriften bereits des 10. Jahrhunderts zu finden: So gehen in dem in Süditalien entstandenen griechischen MS M. 397 der Morgan Library, New York (ehemals Grottaferrata A 33) Fabeln der indischen Tradition eine seltene Überlieferungsgemeinschaft mit aesopischen Fabeln ein, mit Bildern versehen sind allerdings nur die ›Bidpai-Fabeln‹ und das ›Leben Aesops‹, das dem aesopischen Fabelteil vorangestellt ist. In lateinischer Sprachtradition sind der ›Weißenburger Aesop‹ (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 148 Gud. lat., 10. Jahrhundert, ausgesparte Bildräume) und der ›Romulus des Ademar von Chabannes‹ (Leiden, Universiteitsbibliotheek, Cod. Voss. Lat. 8o 15, um 1030, Federzeichnungen) frühe Zeugnisse bebilderter bzw. zur Bebilderung vorgesehener Fabelsammlungen. Im Leidener Bilderzyklus meinte
Ikonographisch folgen Fabelbilder relativ unabhängig von der Herkunft des literarischen Stoffes einem recht einfachen Schematismus: Präsentiert werden über die Jahrhunderts hinweg stets die handlungstragenden Fabelprotagonisten, gegebenenfalls mit narrativ relevanten Requisiten, in dialogischem oder situationsadäquatem Gegenüber.
Zeugnis für den schon früh sehr hohen Bekanntheitsgrad von Fabelmotiven ist deren zitathafter Gebrauch in der darstellenden Kunst, zu der die Fabel aufgrund ihrer gattungskonstitutiven Bildlichkeit eine besondere Affinität besitzt. Bereits in antiken Bildzeugnissen belegt ist z. B. das Motiv vom Fuchs und vom Storch (vgl.
In der deutschsprachigen Literatur werden Fabelmotive zunächst (seit dem 12. Jahrhundert) ebenfalls auf dem selektiven Weg des Zitats oder der Andeutung eingesetzt; besonders beliebt sind hierbei Motive aus dem Bereich der »verkehrten Welt« sowie Fabelstoffe, in denen der Fuchs oder der Wolf eine Rolle spielen – bei beidem läßt sich nicht immer eindeutig ausmachen, inwieweit eine Fabel in schriftlicher oder mündlicher Überlieferung, ein Tierepos (›Ecbasis captivi‹, ›Ysengrimus‹, ›Reinhart Fuchs‹) oder ganz andere Zusammenhänge motivgebend waren (zum Erzählstoff vom »geschundenen Wolf« aus dem Tierhoftagszusammenhang vgl.
Die Tradition antiker Sammlungen wird erst um 1300 mit Thomasin von Zerclaere und Hugo von Trimberg systematischer fortgeführt. In der handschriftlichen Überlieferung des ›Welschen Gastes‹ und des ›Renner‹ sind denn auch Bilder zu einzelnen Fabeln zu finden (siehe die Stoffgruppen 108 und 134). Mit dem ›Edelstein‹ Ulrich Boners liegt die erste planmäßig angelegte Autorsammlung aesopischer Fabeln in deutscher Sprache vor (Untergruppe 37.1.). Sie leitet eine Rezeptionswelle ein, in deren Folge im späten 14. und im 15. Jahrhundert diverse isolierte Neuübersetzungen aesopischer Kollektionen entstehen (ohne Bildüberlieferung) und schließlich Heinrich Steinhöwels ›Esopus‹ der Text- und Bildtradierung aesopischer Fabelsammlungen einen einzigartigen Schub versetzt. Der ›Esopus‹ strahlte, weil Steinhöwel den Buchdruck geschickt zu nutzen verstand, auf den gesamteuropäischen Raum aus, die Holzschnitte des Erstdrucks von 1476/77 (Ulm: Johann Zainer) wurden zum Grundstock für zahllose Bildzyklen weit über das 16. Jahrhundert hinaus, wirkten aber nur in einem Fall auf die Handschriftenproduktion zurück: Ms. 15 der James A. de Rothschild-Collection, Waddesdon (Ende 15. Jahrhundert) enthält den lateinischen Teil der Steinhöwel-Ausgabe mit herausragenden Kopien der Holzschnitte in Deckfarbenmalerei (
Der deutschsprachige Raum stellt sich so im 15. Jahrhundert als äußerst variantenreiche »Fabellandschaft« dar (zu ergänzen wäre die hebräische Fabelsammlung ›Meshal ha-Kadmoni‹ des Isaak ben Salomon Sahula, von der vermutlich drei von sechs bebilderten Handschriften ebenfalls aus dem deutschen Sprachraum stammen, siehe unter Nr. 37.1.15.), wobei sich die im folgenden vorgestellten Sammlungen den oberdeutschen Rezeptionsraum teilen: Während der ›Edelstein‹ vornehmlich im alemannischen Sprachraum beheimatet bleibt, konzentriert sich die Überlieferung der Cyrillusfabeln auf den bairisch-österreichischen Raum.
Zur Ikonographie der Fabeln in den Handschriften beider Sammlungen stellen sich im wesentlichen zwei Fragen:
- die Frage nach möglichen Vorbildern für eine naturgetreue Darstellung der Protagonisten, insbesondere des oft sehr speziellen tierischen Fabelpersonals, das identifizierbar sein muß, damit ein Text-Bild-Bezug funktioniert. Da für Buchmaler und Zeichner des 15. Jahrhunderts Naturstudien nicht oder kaum vorauszusetzen sind, ist von einem Anknüpfen an vorhandene Bildtraditionen auszugehen; neben dem ›Livre de chasse‹ oder den ›Tacuinum sanitatis‹ (siehe unter Nr. 37.1.2. und Nr. 37.2.7.) könnten Werke wie der ›Physiologus‹ oder bebilderte Enzyklopädien (auch volkssprachige wie Konrads von Megenberg ›Buch der Natur‹) Anregungen gegeben haben.
- die Frage nach der Aussagekraft der Bebilderung für die mit der Fabel intendierte Belehrung. Zwar werden nichtmenschlichen Fabelprotagonisten in Bildern gelegentlich durch Attribute, durch Gestik oder Mimik menschliche Züge verliehen, doch zur Anwendung der Fabel auf menschliche Verhaltensweisen oder Handlungen tragen die beigegebenen Bilder nur ausnahmsweise bei (siehe unter Nr. 37.1.15.).
Hinzuweisen ist auf die noch unpublizierte Dissertation von