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37. Fabeln

Bearbeitet von Ulrike Bodemann

KdiH-Band 4/1

Wegweisend für den Weg der Fabel in die deutschsprachige Literatur des Mittelalters waren die unter dem Namen des legendären Gattungsstifters Aesop gesammelten antiken Korpora; Fabeln anderer Traditionen, insbesondere der indischen, fanden erst über Umwege Aufnahme in die abendländische Literatur (siehe Stoffgruppe 20. Anton von Pforr, ›Buch der Beispiele der alten Weisen‹). Im lateinischen Mittelalter verbreitet waren vor allem die aesopischen Sammlungen des Avian (42 Versfabeln, um 400 nach Christus; erhalten sind über 130 Handschriften, dazu mindestens noch einmal so viele bezeugt; vgl. Michael Baldzuhn: Avian. In: ²VL 11 [2004], Sp. 195–204) und mehrere unter dem Namen Romulus laufende Sammlungen (ursprünglich 98 Prosafabeln, 5. Jahrhundert), darunter besonders populär die im 12. Jahrhundert wiederum in metrische Form gebrachte Romulus-Sammlung des sogenannten Anonymus Neveleti (mindestens 200 Handschriften; vgl. Gerd Dicke: Äsop. In: ²VL 11 [2004], Sp. 141–163, bes. Sp. 146–150).

Illustrationen zu Fabeln sind in abendländischen Handschriften bereits des 10. Jahrhunderts zu finden: So gehen in dem in Süditalien entstandenen griechischen MS M. 397 der Morgan Library, New York (ehemals Grottaferrata A 33) Fabeln der indischen Tradition eine seltene Überlieferungsgemeinschaft mit aesopischen Fabeln ein, mit Bildern versehen sind allerdings nur die ›Bidpai-Fabeln‹ und das ›Leben Aesops‹, das dem aesopischen Fabelteil vorangestellt ist. In lateinischer Sprachtradition sind der ›Weißenburger Aesop‹ (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 148 Gud. lat., 10. Jahrhundert, ausgesparte Bildräume) und der ›Romulus des Ademar von Chabannes‹ (Leiden, Universiteitsbibliotheek, Cod. Voss. Lat. 8o 15, um 1030, Federzeichnungen) frühe Zeugnisse bebilderter bzw. zur Bebilderung vorgesehener Fabelsammlungen. Im Leidener Bilderzyklus meinte Georg Thiele ([siehe unten: Literatur], S. 35; vgl. auch Goldschmidt [1947] S. 32) noch Spuren verlorener Romulus-Illustrationen des 5. Jahrhunderts identifizieren zu können. Unter den volkssprachigen Adaptationen ist der ›Esope‹ der Marie de France die erste Sammlung, die in bebilderten Handschriften vorliegt (Paris, Bibliothèque nationale, ms. fr. 2173 und ms. fr. 24428, beide 13. Jahrhundert).

Ikonographisch folgen Fabelbilder relativ unabhängig von der Herkunft des literarischen Stoffes einem recht einfachen Schematismus: Präsentiert werden über die Jahrhunderts hinweg stets die handlungstragenden Fabelprotagonisten, gegebenenfalls mit narrativ relevanten Requisiten, in dialogischem oder situationsadäquatem Gegenüber.

Zeugnis für den schon früh sehr hohen Bekanntheitsgrad von Fabelmotiven ist deren zitathafter Gebrauch in der darstellenden Kunst, zu der die Fabel aufgrund ihrer gattungskonstitutiven Bildlichkeit eine besondere Affinität besitzt. Bereits in antiken Bildzeugnissen belegt ist z. B. das Motiv vom Fuchs und vom Storch (vgl. Eugen Bormann / Otto Benndorf: Äsopische Fabel auf einem römischen Grabstein. Jahreshefte des Österreichischen Archivalischen Instituts in Wien 5 [1902], S. 1–13; Luigi Savignon: Antike Darstellungen einer Äsopischen Fabel. Ebd. 7 [1904], S. 72–81; Friedrich Imhoof-Blumer / Otto Keller: Tier- und Planzenbilder auf Münzen und Gemmen des klassischen Altertums. Leipzig 1889, Taf. 6, Nr. 7; vgl. auch Lämke [siehe unten: Literatur] S. 70). Dank der Requisiten ist das Motiv stets recht eindeutig auf die aesopische Fabel vom Fuchs zurückzuführen, der den Storch zum Essen lädt und die Mahlzeit in böswilliger Absicht auf einem für den Gast äußerst ungünstigen flachen Teller serviert, woraufhin sich der Storch mit einer ganz ähnlich ausgehenden Gegeneinladung revanchiert. Nicht zuletzt wegen der Möglichkeit, die beiden Situationen fast symmetrisch und deshalb dekorativ einander gegenüberzustellen, bleibt dieses Thema das bis in die Neuzeit hinein in der bildenden Kunst am häufigsten zitierte Motiv aus der Fabelliteratur (vgl. Lämke S. 35, 67–71, nachzutragen wären zahlreiche weitere Belege, für das Mittelalter etwa aus der dekorativen Buchmalerei (z. B. Lilian M. C. Randall: Images in the Margins of Gothic Manuscripts. Berkeley 1966, Taf. XXXVII, Abb. 176), aus der Bauplastik (z. B. Victor-Henry Debidou: Le Bestiaire sculpté du moyen âge en France. Paris 1961, Nr. 374–375) oder der Freskenmalerei (z. B. Leopold Kretzenbacher: Heilverkündigung und Tierfabel. Zu einem der Chorwandfresken von St. Georg in Rhäzüns. In: Festschrift für Robert Wildhaber. Hrsg. von Walter Escher u. a. Basel / Bern 1973 [Schweizerisches Archiv für Volkskunde 68/69, 1972/73], S. 308–322, Abb. S. 769–771). Derartige Motivverwendungen funktionieren in der Regel unabhängig von einem konkreten schriftliterarischen Hintergrund. Selbst sequenzielle Bildzitate wie im Teppich von Bayeux (um 1070–80), in dessen Randleiste neben zahlreichen anderen Tierpaaren die aesopischen Motive von Fuchs und Rabe, Wolf und Lamm, Gebärender Hündin sowie Wolf und Kranich als »Verständnisrahmen« für das Hauptmotiv des Teppichs dienen könnten (vgl. zuletzt Daniel Terkla: Cut on the Norman Fabulous Borders and Visual Glosses in the Bayeux Tapestry. Word & Image 11 [1995] S. 264–290), beziehen sich nicht nachweisbar auf eine bestimmte, im zeitlichen Zusammenhang belegte Sammlung. Auch die Tatsache, daß sich Fabelmotive immer wieder mit Tier- oder Monstrenmotiven oft ungeklärter Herkunft mischen, deutet auf einen verselbständigten Bildgebrauch. So gerät auch das aesopische Motiv vom Fuchs und dem Storch in einer Reihe von Holzmiserikordien des 15. Jahrhunderts in eindeutig geistlich-satirischen, zuweilen derben Zusammenhang (Lämke S. 48 f., 70; vgl. auch Isabel Mateo Gomez: Fabulas refranes y emblemas en las sillerias de coro goticas españolas. Archivo español de arte XLIX/194 [1976], S. 145–160).

In der deutschsprachigen Literatur werden Fabelmotive zunächst (seit dem 12. Jahrhundert) ebenfalls auf dem selektiven Weg des Zitats oder der Andeutung eingesetzt; besonders beliebt sind hierbei Motive aus dem Bereich der »verkehrten Welt« sowie Fabelstoffe, in denen der Fuchs oder der Wolf eine Rolle spielen – bei beidem läßt sich nicht immer eindeutig ausmachen, inwieweit eine Fabel in schriftlicher oder mündlicher Überlieferung, ein Tierepos (›Ecbasis captivi‹, ›Ysengrimus‹, ›Reinhart Fuchs‹) oder ganz andere Zusammenhänge motivgebend waren (zum Erzählstoff vom »geschundenen Wolf« aus dem Tier hoftagszusammenhang vgl. Dicke/Grubmüller [siehe unten: Literatur] Nr. 599, zu dessen bebilderter Überlieferung siehe Stoffgruppe 126. Tierdichtung). Dies gilt ebenso für die oft in satirischer Absicht verwendeten Hinweise auf Tiere mit menschlichen Attributen, etwa auf den Esel als Dudelsackspieler oder den Fuchs (oder Wolf) als Prediger (vgl. Dicke/Grubmüller Nr. 114 und Nr. 616).

Die Tradition antiker Sammlungen wird erst um 1300 mit Thomasin von Zerclaere und Hugo von Trimberg systematischer fortgeführt. In der handschriftlichen Überlieferung des ›Welschen Gastes‹ und des ›Renner‹ sind denn auch Bilder zu einzelnen Fabeln zu finden (siehe die Stoffgruppen 108 und 134). Mit dem ›Edelstein‹ Ulrich Boners liegt die erste planmäßig angelegte Autorsammlung aesopischer Fabeln in deutscher Sprache vor (Untergruppe 37.1.). Sie leitet eine Rezeptionswelle ein, in deren Folge im späten 14. und im 15. Jahrhundert diverse isolierte Neuübersetzungen aesopischer Kollektionen entstehen (ohne Bildüberlieferung) und schließlich Heinrich Steinhöwels ›Esopus‹ der Text- und Bildtradierung aesopischer Fabelsammlungen einen einzigartigen Schub versetzt. Der ›Esopus‹ strahlte, weil Steinhöwel den Buchdruck geschickt zu nutzen verstand, auf den gesamteuropäischen Raum aus, die Holzschnitte des Erstdrucks von 1476/77 (Ulm: Johann Zainer) wurden zum Grundstock für zahllose Bildzyklen weit über das 16. Jahrhundert hinaus, wirkten aber nur in einem Fall auf die Handschriftenproduktion zurück: Ms. 15 der James A. de Rothschild-Collection, Waddesdon (Ende 15. Jahrhundert) enthält den lateinischen Teil der Steinhöwel-Ausgabe mit herausragenden Kopien der Holzschnitte in Deckfarbenmalerei (L. M. J. Delaissé / James Marrow / John de Wit: The James A. de Rothschild Collection at Waddesdon Manor. Illuminated Manuscripts. Fribourg 1977, S. 297–323 mit Abb.). Hinzu treten Sammlungen, die in der Grundkonzeption ihrer Texte zwar dem aesopischen Muster ähneln, aber aus völlig anderen Traditionen stammen. Neben der Übersetzung des auf indisch-orientalischer Tradition basierenden ›Directorium vitae humanae‹ durch Anton von Pforr (siehe Stoffgruppe 20) werden dabei auch die »modernen« sogenannten Cyrillus-Fabeln ins Deutsche übertragen. Während dabei deren unikal überlieferte thüringische Übersetzung eine nur rudimentäre Bildbeigabe aufweist (Stoffgruppe 37.3.), zieht die Fassung Ulrichs von Pottenstein eine mit dem ›Edelstein‹ durchaus vergleichbare Überlieferung in bebilderten Handschriften nach sich (Stoffgruppe 37.2.).

Der deutschsprachige Raum stellt sich so im 15. Jahrhundert als äußerst variantenreiche »Fabellandschaft« dar (zu ergänzen wäre die hebräische Fabelsammlung ›Meshal ha-Kadmoni‹ des Isaak ben Salomon Sahula, von der vermutlich drei von sechs bebilderten Handschriften ebenfalls aus dem deutschen Sprachraum stammen, siehe unter Nr. 37.1.15.), wobei sich die im folgenden vorgestellten Sammlungen den oberdeutschen Rezeptionsraum teilen: Während der ›Edelstein‹ vornehmlich im alemannischen Sprachraum beheimatet bleibt, konzentriert sich die Überlieferung der Cyrillusfabeln auf den bairisch-österreichischen Raum.

Zur Ikonographie der Fabeln in den Handschriften beider Sammlungen stellen sich im wesentlichen zwei Fragen:

– die Frage nach möglichen Vorbildern für eine naturgetreue Darstellung der Protagonisten, insbesondere des oft sehr speziellen tierischen Fabelpersonals, das identifizierbar sein muß, damit ein Text-Bild-Bezug funktioniert. Da für Buchmaler und Zeichner des 15. Jahrhunderts Naturstudien nicht oder kaum vorauszusetzen sind, ist von einem Anknüpfen an vorhandene Bildtraditionen auszugehen; neben dem ›Livre de chasse‹ oder den ›Tacuinum sanitatis‹ (siehe unter Nr. 37.1.2. und Nr. 37.2.7.) könnten Werke wie der ›Physiologus‹ oder bebilderte Enzyklopädien (auch volkssprachige wie Konrads von Megenberg ›Buch der Natur‹) Anregungen gegeben haben.

– die Frage nach der Aussagekraft der Bebilderung für die mit der Fabel intendierte Belehrung. Zwar werden nichtmenschlichen Fabelprotagonisten in Bildern gelegentlich durch Attribute, durch Gestik oder Mimik menschliche Züge verliehen, doch zur Anwendung der Fabel auf menschliche Verhaltensweisen oder Handlungen tragen die beigegebenen Bilder nur ausnahmsweise bei (siehe unter Nr. 37.1.15.).

Literatur zu den Illustrationen:

Georg Thiele: Der illustrierte lateinische Äsopo in der Handschrift des Ademar. Leiden 1905 [Codices Graeci et Latini photographice depicti duce Scatone de Vries, Suppl. III]. – Dora Lämke: Mittelalterliche Tierfabeln und ihre Beziehung zur bildenden Kunst in Deutschland. Diss. Greifswald 1937 (Deutsches Werden. Greifswalder Forschungen zur Deutschen Geistesgeschichte 14). – Adolph Goldschmidt: An Early Manuscript of the Aesop Fables of Avianus and Related Manuscripts. Princeton 1947 [Studies in Manuscript Illumination 1]. – Klaus Grubmüller: Meister Esopus. Untersuchungen zu Geschichte und Funktion der Fabel im Mittelalter. München 1977 (MTU 56). – Dietmar Peil: Beobachtungen zum Verhältnis von Text und Bild in der Fabelillustration des Mittelalters und der frühen Neuzeit. In: Wolfgang Harms (Hrsg.): Text und Bild, Bild und Text. DFG-Symposion 1988. Stuttgart 1990 (Germanistische Symposion-Berichtsbände 11), S. 150–167. – Gerd Dicke / Klaus Grubmüller: Die Fabeln des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Ein Katalog der deutschen Versionen und ihrer lateinischen Entsprechungen. München 1987. – Gerd Dicke: Heinrich Steinhöwels Esopus und seine Fortsetzer. Untersuchungen zu einem Bucherfolg der Frühdruckzeit. Tübingen 1994 (MTU 103). – Gerd Dicke: Die Fabeln Äsops in Mittelalter und früher Neuzeit. In: Von listigen Schakelen und törichten Kamelen. Die Fabel in Orient und Okzident. Hrsg. von Mamoun Fansa und Eckhard Grunewald. Wiesbaden 2008 (Schriftenreihe des Landesmuseums Natur und Mensch 62), S. 23–36.

Hinzuweisen ist auf die noch unpublizierte Dissertation von Kattrin Schlecht: Fabula in situ. Aesopische Fabelstoffe in Text, Bild und Gespräch. Diss. Fribourg i. Ü. 2010.