KdiH

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37.1.2. Basel, Universitätsbibliothek, AN III 17

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 4/1

Datierung:

Um 1420.

Lokalisierung:

Bodenseegebiet.

Besitzgeschichte:

Auftraggeber unbekannt; Anfangs- und Schlußblätter, auf denen sich entsprechende Hinweise – Wappen, Kolophon – befunden haben könnten, fehlen; signifikant sind womöglich Details des Rankenschmucks (13v oben Venus mit Pfeilen, darunter Helmzier; 17v oben Mitra, darunter Ranke in Form eines Bischofsstabs; 4v oben Reste eines Schriftbandes, unleserlich, daneben Fehlstelle im Pergament [absichtlich entfernt?]), die an einen hochrangigen, vielleicht geistlichen Auftraggeber denken lassen. Wohl kaum aufschlußreich sind das Hexagramm 30v als Wappenbild des »kahlen Ritters« sowie die Handwerkerzeichen auf den Grabplatten 16r. 1654 im Besitz des Berner Patriziers und Gouverneurs von Aigle/Aalen (Kanton Waadt) Ludwig Stürler (Eintrag 58r, vgl. auch die Notiz 58v: Gegen kuͦpferstüke vertaùschet den 15 Wynmonat 54 k.V.k.R.; dazu Moriz von Stürler: Das Bernische Geschlecht der Boner. Germania 1 [1856], S. 117–120, hier S. 120); 1789 von der Basler Bibliothek über die Verlagsbuchhandlung Schweighauser aus der Sammlung des Basler Büchersammlers Johann Werner Huber (1700–1755) erworben (Eintrag im Vorderdeckel mit durchstrichener Altsignatur K.I.26.).

Inhalt:
1ra–58vb Ulrich Boner, ›Der Edelstein‹

unvollständig; Hs. B [pfeiffer: D] (Bestandsklasse Ia)

I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, 59 von ehemals 80 Blättern (gezählt 1–58, Blattzahl 13 doppelt vergeben; verbunden: Blatt 46–58 sind vor 1–45 eingebunden; zahlreiche Blattverluste, es fehlen jeweils ein Blatt vor Blatt 2, 12, 14, 22, 28, 37, 48, 58, zwei Blätter vor Blatt 9, vier Blätter vor Blatt 33, fünf Blätter vor Blatt 46); 300 × 230–235 mm, zweispaltig, 34–36 Zeilen, abgesetzte Verse, mit Versalien beginnend, gotische Buchschrift, jeweils textabschließend über beide Spalten lateinisches Distichon in großer kalligraphischer Textura, ein Schreiber. Spätere Notizen, Kritzeleien, in den Miniaturen Schmierereien; Pergament abgegriffen und vielfach beschädigt; alte Reparaturen mit aufgeklebten Pergamentstücken.

Schreibsprache:

hochalemannisch.

II. Bildausstattung:

Erhalten sind 68 von ursprünglich wohl 96 Deckfarbenminiaturen, 28r und 35r zwei Freiräume für nicht ausgeführte Miniaturen (Blattangaben siehe Einleitung zur Untergruppe 37.1.). Erhalten sind ferner 69 (von 96?) Deckfarbeninitialen über fünf bis sechs Zeilen, meist mit Fleuronné, gelegentlich mit Rankendekor, 26 davon verbunden mit aufwendigen vegetabilen Randleisten in Deckfarbenmalerei. Zwei oder drei Buchmaler(-werkstätten).

Format und Anordnung:

Die Miniaturen sind gerahmte, in den Schriftspiegel eingepaßte Streifenbilder über beide Spalten, Breite 170–175 mm, Höhe je nach verfügbarem Raum schwankend. Der zugehörigen Fabel vorgeordnet, dabei eine Gestaltungseinheit bildend, die aus folgenden Elementen besteht:

– in Textura geschrieben und dem Bild in gleicher Breite unmittelbar vorausgehend eine in lateinischen Distichen verfaßte Moralsentenz zur vorhergehenden Fabel. – Die lateinischen Verse sind sonst einzig in der vielleicht ältesten, jedoch seit langem verschollenen Züricher ›Edelstein‹-Handschrift (vgl. J. J. Bodmer / J. J. Breitinger: Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger. Zürich 1757 [Nachdruck Leipzig 1973]) belegt;

– die Miniatur, durch die sich in der Regel ein Schriftband schwingt, auf dem als Inscriptio in deutschen Reimpaaren (mit deutlichen Anklängen an den Fabeltext) die Moral der Fabel pointiert zusammengefaßt werden sollte (ausgeführt allerdings nur dreimal in der ehemals ersten Lage: 46v, 47r, 49r, im weiteren fehlen die Beschriftungen der Bänder). – Das Schriftband ist unterhalb des Bildes eingefügt auf den Blättern 49v (Nr. 13), 16r (Nr. 57), 28v (Nr. 61), 26r (Nr. 71), es fehlt gänzlich zu den Bildern 46r (Nr. 6), 50v (Nr. 16), 52r (Nr. 18), 55v (Nr. 23), 1r (Nr. 30), 17v (Nr. 58);

– die Eingangsinitiale unterhalb des Bildrahmens, oft in den Bildraum hineinragend. – Ausschließlich auf Versoseiten nahezu regelmäßig kombiniert mit aufwendigen Randleisten in Deckfarbenmalerei, auf Rectoseiten weniger häufig mit kurzem Rankenausläufer oder Fleuronnéstab.

Bildaufbau und -ausführung:

Zumeist dient ein schmaler Bodenstreifen als Bühne für die im Vordergrund agierenden Protagonisten, entweder ein felsiger, steil ansteigender Erdstreifen oder eine mit Streublumen besetzte Wiese, weniger oft ein von Baumgruppen oder einer Baumreihe begrenzter Landschaftsausschnitt von geringer Tiefe (26r, 27r, 28v, 29v, 37r, 47r, 49r). Kleinteilige Landschaft aus der Vogelperspektive (46r) bleibt eine Ausnahme. Zur Andeutung von Innenräumen wird meist rautierter Kachelboden verwendet. Architekturelemente, auch Throne, sind größtenteils ohne perspektivische Schlüssigkeit, auch schräg, in die Landschaft gesetzt (Ausnahmen wie die frontal gestellten Throne 28v oder 39v deuten auf Bemühen um Perspektive). Architekturen wie auch Figuren überschneiden mehrfach die Bildrahmen, die mit sehr unterschiedlichem Aufwand gestaltet sind: von mehrheitlich einfacher, nur im Farbton schattierter Rahmenfüllung oder einfachem Blümchen- (z. B. 8r, 11r, 15v, 19v, 40v, 55v) und Flechtmuster (z. B. 23r, 24r, 25v, 26r) bis hin zu sorgfältig ausgeführten Blattmustern (24v, 27r, 50v, 52r). Bildhintergründe überwiegend einfarbig rot oder blau, einige wenige mit goldenen Rankenornamenten (24r, 39v, 46v) bzw. Resten davon (26r, 57r) oder mit Ton-in-Ton-Blattmustern (41v, 44v). Zuweilen grüner (3r, 23r, 42v) oder weiß gelassener Hintergrund (37r, 38r, 52r), manchmal mit Musterfüllung. Figuren eher kräftig, mit stämmigen Proportionen, kurzen Beinen. Die Gewänder entsprechen der burgundischen Mode (17v Kopfputz, Zaddeln), mit ondulierenden Falten, die an den Säumen Wellen (Ösenfalten) bilden, Faltentäler in dunklerem Farbton nachgezogen.

Die Analyse der Bildausstattung wird vor allem durch den schlechten Erhaltungszustand der Handschrift erschwert. Fast 30 ehemals vorhandene Illustrationen fehlen, zahlreiche weitere sind beschädigt (abgeplatzte Farb- und Blattgoldschichten) oder verschmiert. Vieles spricht dafür, daß die Ausstattung in zwei oder gar drei Phasen (nicht lediglich zwei Händen ein und derselben Werkstatt) erfolgte: In manchen Bildern zeigen sich unter UV-Licht deutliche Überarbeitungsspuren (z. B. 5r Federkleid des Storchs, Kontur des Gefäßes überarbeitet, 15v Landschaft übermalt, Baumgruppe späterer Nachtrag, etc.)

Eine erste Phase ist um 1410–20 zu datieren, sowohl Seitenaufbau als auch feinmalerische Technik sind vergleichbar mit Handschriften des französischen und burgundischen Hofes, v. a. mit Paris, Bibliothèque nationale, Ms. fr. 616: Gaston Phébus, ›Livre de la chasse‹, 1405–1410 (so auch Escher [1917] S. 126) oder Brüssel, Bibliothèque Royale, Ms. 9094: Bartholomäus Anglicus, ›Livre des propriétés des choses‹, 1401. Typisch französisch ist die Gestaltung des Rankenwerks mit Dornblattranken, auch in Kombination mit Akanthusblättern und Figuren oder Tieren. Der Verweis auf französische Vorbilder allein ist jedoch nicht ausreichend, auch böhmische Einflüsse sind in Betracht zu ziehen: etwa bei der plastisch-kompakten Gestaltung der Randleisten (wo sich in französischen Handschriften das Rankenwerk eher flächig ausbreitet), bei den mit Fleuronné gefüllten Initialen (wo in französischen Handschriften eher Dornblattfüllungen zu finden sind), bei einigen Figuren (zu duftigen Barttrachten oder lichtvollen Lokalfarben der Gewänder – z. B. 20r König, 39v Mönch, 56v König – vgl. die Wenzelsbibel, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2759–2764). Auch Anregungen durch italienische Vorbilder sind nicht auszuschließen (zur Malweise der Bäume, für die Blattbüschel nebeneinander plaziert werden, die zum Zentrum hin immer hellere Farbnuancen aufweisen – z. B. 27r – vgl. ›Tacuinum sanitatis‹, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. ser.nov. 2644). Charakteristika der ersten Ausstattungsphase (Verzicht auf Konturzeichnung mit schwarzer Feder, sehr kleinteilige, extrem feine Pinselzeichnung) insbesondere auf den Blättern 3v, 5r, 10r, 24v, 26r, 46r, 47r, 49r, 50v, 51r, 52r, 55r (d. h. mit wenigen Ausnahmen innerhalb der ursprünglich ersten Lagen der Handschrift).

Die meisten Illustrationen zeigen hingegen die Züge einer zweiten Werkstatt, die in einer neuerlichen Ausstattungsphase (1420–30, eher gegen 1430) die Illustrationen vervollständigte und zum Teil überarbeitete. Die Bildkomposition wurde komplett beibehalten (Vorzeichnungen konnten bislang nicht sichtbar gemacht werden), aber in eigener Malweise ausgeführt (flächige Anlage der einzelnen Bildelemente, Umrisse mit schwarzer Feder, größere Figuren: 29v, 33v, 34v, 36r, 36v, 39r, 39v, 40v, 43v, 53r), wobei hier mehrere Maler beteiligt gewesen zu sein scheinen oder anderenorts noch eine dritte Überarbeitung stattgefunden hat (qualitative Unterschiede in der Ausführung besonders bei Haarkleid und Gefieder). Bereits Escher (1917, S. 123–125) schreibt nur die ersten vier Miniaturen des Zyklus (in heutigem Zustand der Handschrift Blatt 46r–50v) ein und derselben Hand zu, die übrigen Bilder des Zyklus einer Folgehand, von der (oder einer weiteren) nach Escher auch der Initial- und Randleistenschmuck stammen könnte.

Bildthemen:

identisch mit der Berner Schwesterhandschrift (Nr. 37.1.3.), wobei die Basler Handschrift der beiden zugrundeliegenden Vorlage deutlich nähersteht als die Berner. Anders als in den meisten anderen ›Edelstein‹-Handschriften ist hier jeder Einzelfabel genau eine Illustration beigegeben. Zu Fabeln, die in der übrigen Bildüberlieferung mehrere Illustrationen haben, sind in der Basler Handschrift zwei Handlungsszenen in ein Bild zusammengefügt worden (v. a. Nr. 6 [Frosch und Maus]: 46r, Nr. 11 [Wolf und Kranich] 48r, Nr. 17 [Adler und Schnecke] 51r, Nr. 37 [Fuchs und Storch] 52r, Nr. 47 [Löwe und Hirte] 11r, Nr. 57 [Frau und Dieb] 16r, Nr. 58 [Drei römische Witwen] 17v, Nr. 61 [Jude und Schenk] 28v). Darüber hinaus gestaltet der Basler Buchmaler aber auch weitere Illustrationen als kontinuierende Darstellungen, allerdings ohne die Absicht erkennen zu lassen, sämtliche Handlungsteile der Fabelerzählung ins Bild zu setzen: Das Bild zur letzten Fabel der Sammlung etwa (Nr. 100 [König und Scherer], 44v) zeigt 1. den König, der seinen Boten ausschickt, 2. den Gelehrten, der dem Boten des Königs die »Weisheit« aushändigt – nicht allerdings den Attentatsversuch des Scherers.

Über den Text hinausweisend charakterisiert ist die Figur des Wolfs als Richter (Nr. 35 [Wolf, Schaf und Hirsch], 3v): Der vermenschlichte Wolf sitzt nicht nur aufrecht auf einer Holzbank, in der rechten »Hand« ein erhobenes Schwert (eine weitere Richterfigur auch 26r zu Nr. 71 [Schlange, an Pfahl gebunden]: der Fuchs sitzt aufrecht mit richtend erhobener »Hand«); er trägt ferner – ohne Bezug zum Text, doch auf seine betrügerische Absicht deutend – einen Rucksack, aus dem die Köpfe zweier erbeuteter Gänse ragen.

Eigenständige Themenauffassungen liefert die Basler Handschrift (zusammen mit der Berner Schwesterhandschrift (Nr. 37.1.3.) z. B. zu Fabel Nr. 38 (6r: Wolf und Menschenbild), wo das vom Wolf verschmähte Menschenbild nicht wie in den meisten anderen Handschriften einer Grabplatte ähnlich, sondern in Frontalansicht als aufrecht stehende Vollplastik eines sitzenden Jünglings erscheint; zu Nr. 58 (17v: die drei Römischen Witwen), wo die dritte der eine neue Eheschließung ablehnenden Witwen als Nonne dargestellt ist.

Farben:

insgesamt prägend ein Dreiklang aus leuchtendem Rot, Blau und Grün; Blau und Grün auch in hellen Abtönungen; daneben vor allem Braun in hellen Ausmischungen, Weiß, Schwarz, Orange, Blattgold, selten blasses Rot-Violett, kaum Gelb.

Literatur:

Pfeiffer (1844) S. 186 f.; Escher (1917) S. 115–127, Abb. 31 (1ra). 32 (13va). 33 (26va), Taf. XXXVI–XLII (7r, 14v, 27r, 31v, 37r, 43v, 46v/49r); Goldschmidt (1947) S. 52. 58. 60, Abb. 42 (7v). 51 (31r). 56 (30v); Blaser (1949) S. 8 f., Abb. 8 (43v); Peil (1985) S. 153, Abb. 11 (19v); Bodemann/Dicke (1988) S. 429 u. ö.; Ulrich Boner, Der Edelstein (Öffentliche Bibliothek der Universität Basel, Handschrift A N III 17). Farbmikrofiche-Edition. Mit einer Einführung in das Werk von Klaus Grubmüller. Kodikologische und kunsthistorische Beschreibung von Ulrike Bodemann. München 1987 (Codices illuminati medii aevi 4) (Mikroficheedition).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Taf. XVIII: 17v. Ulrich Boner, ›Der Edelstein‹: Drei Paare auf einer Bank sitzend (Fabel 58: Drei Römische Witwen).

Taf. XIX: 46r. Ulrich Boner, ›Der Edelstein‹: Frosch und Maus am Boden und im Wasser / Frosch in den Klauen des Raben (Fabel 6. Frosch und Maus)

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Taf. XVIII.
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Taf. XIX.