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29. Dietrich von Bern

Bearbeitet von Norbert H. Ott

KdiH-Band 4/1

Die germanisch-deutsche Heldensage gelangt, wie das ebenfalls länger als andere Stoffe nur mündlich tradierte Brautwerbungsepos, erst sehr spät und mit eher bescheidenem Anspruchsniveau zur Illustration. Selbst das am frühesten verschriftlichte Werk der Gattung, das ›Nibelungenlied‹ (Stoffgruppe 96.) brachte es außer zu initialornamentierten Codices erst im 15. Jahrhundert zu nur einer zyklisch illustrierten Handschrift (Berlin, Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 855) und einer weiteren mit einer Titelminiatur (Heldenbuch, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 15478). Ikonographische Umsetzungen des Stoffs aber entstanden bereits seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, in der Zeit seiner ausschließlich oralen Tradierung, vor allem in der kirchlichen Bauplastik, wo Einzelszenen aus der Dietrichepik, so z. B. Sintrams Befreiung aus dem Drachenmaul auf Tympana (Altenstadt, St. Michel; Straubing, St. Peter), Kapitellen (Basel, Münster) oder an Fassaden (Andlau, St. Peter und Paul) romanischer Kirchen oder Szenen aus dem ›Laurin‹ (Burg Lichtenberg in Südtirol, um 1400) oder dem ›Sigenot‹ (Burg Wildenstein, 1. Hälfte 16. Jahrhundert) in Wandmalereifolgen höfischer Ansitze realisiert wurden. Erst der Buchdruck verschafft dem Stoff im Grunde eine gefestigte und verbindliche Ikonographie.

Vom Ortnit/Wolfdietrich-Stoff (Stoffgruppe 98.) sind nur zwei ›Ortnit‹-Handschriften mit je einer den Text einleitenden Titelzeichnung überliefert (Frankfurt a. M., Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Ms. Carm. 2; Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 365). Aus dem in viele Einzeltexte verzweigten Stoffkreis um Dietrich von Bern wurden lediglich die aventiurehaften Epen ›Sigenot‹ (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 67), ›Rosengarten‹ (ebd., Cod. Pal. germ. 359) und ›Virginal‹ (ebd., Cod. Pal. germ. 324) mit je einer durchillustrierten Handschrift überliefert; das zweite bebilderte Manuskript des ›Rosengarten‹-Themas (Berlin, Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 800) tradiert eine späte dramatisierte Fassung. Dazu stellen sich die Heldenbücher in Dresden (Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, Mscr. Dresd. M 201) und Wien (Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 15478), in denen mehreren heldenepischen Texten ganzseitige Titelbilder (›Eckenlied‹, ›Hildebrandslied‹, ›Laurin‹, ›Rosengarten‹ und ›Wunderer‹ in Dresden, ›Virginal‹ in Dresden und Wien) und/oder mit Initialen und Rankenwerk geschmückte Anfangsblätter vorangestellt wurden.

Wie die beiden um 1416/17 nur mit einem illustrierten Titelblatt ausgestatteten ›Ortnit‹-Manuskripte entstand nach 1423 auch die zyklisch illustrierte ›Rosengarten‹-Handschrift (Nr. 29.4A.2.) in der ›Elsässischen Werkstatt von 1418‹; um 1455 erhielt der Codex der ›Virginal‹ (Nr. 29.6.2.) in Diebold Laubers Atelier, in dem die Werkstatt von 1418 aufging, eine Bilderfolge. Beiden Werkstätten ist die schon auf den Buchdruck vorausweisende serielle Produktionsweise gemeinsam, bei der die aus polyvalent verfügbaren Bildtypen gefügten kolorierten Federzeichnungen leicht variiert zur Illustration aller möglichen Texte und Gattungen genutzt werden konnten. Relativ stereotype, meist nur auf Zweikämpfe und Begegnungen reduzierte Bilderfolgen sind das Ergebnis dieses Fertigungsprozesses. Eine Sonderstellung hinsichtlich der Ausstattungsstruktur deutschsprachiger Bilderhandschriften nimmt die um 1470 in der vermutlich Stuttgarter sog. Henfflin-Werkstatt entstandene ›Sigenot‹-Handschrift (Nr.29.5.2.) ein, deren am Kopf jeder Seite stehende Miniaturen den zeitlichen Ablauf der Kämpfe und Begegnungen reflektieren, indem sie sie pro aufeinanderfolgender Illustration in ihre Bewegungsphasen auseinanderlegen, so daß beim flüchtigen Durchblättern der Handschrift sich eine Art Daumenkino-Effekt einstellt.

Eine gefestigte und weiter wirkende Ikonographie des heldenepischen Stoffs aber formt sich erst in der Drucküberlieferung, vor allem mit den qualitativ anspruchsvollen und ikonographisch wie kompositorisch innovativen Holzschnitten des ersten Heldenbuch-Drucks von Johann Prüss aus den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts (Nr. 29.3.a., Nr. 29.4A.a.), dessen ›Laurin‹-Illustrationen von Hupfuffs Formschneider des ›Laurin‹-Drucks von 1500 (Nr. 29.3.c.) seitenverkehrt kopiert wurden. Auch die Augburger bzw. Straßburger Heldenbuch-Folgedrucke Schönspergers, Grans und Steiners nehmen die im Prüss-Druck entwickelte Illustrationsfolge detailgenau, jedoch dem Zeitstil anverwandelt, kopierend auf, während in den beiden späten Frankfurter Heldenbuch-Drucken Hans und Feierabends von 1560 und 1590 der Textbezug durch das Einfügen eher zufällig ausgewählten, aber häufig mit Meisternamen verbundenen Vorrats-Materials völlig verloren geht. Bis ins späte 16. Jahrhundert jedoch, im Falle des ›Sigenot‹ sogar bis weit ins 17., blieben illustrierte, das ikonographische Ausgangsmodell in der Regel kopierende Druckausgaben bebilderter Heldenepen äußerst beliebt.

Literatur zu den Illustrationen:

Norbert H. Ott: Die Heldenbuch-Holzschnitte und die Ikonographie des heldenepischen Stoffkreises. In: Heldenbuch. Nach dem ältesten Druck in Abbildung hrsg. von Joachim Heinzle. II. Kommentarband. Göppingen 1987 (Litterae 75/II), S. 245–296.