29.5.2. Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 67
Bearbeitet von Norbert H. Ott
KdiH-Band 4/1
Um 1470.
Stuttgart (?), Werkstatt des Ludwig Henfflin.
Vermutlich Auftragsarbeit für Margarethe von Savoyen († 1479), Gattin Graf Ulrichs V. von Württemberg (1413–1480), Witwe Kurfürst Ludwigs IV. von der Pfalz (1424–1449). Nach ihrem Tod als Erbe ihres Sohnes Philipp (1448–1508) nach Heidelberg gekommen (
1r–101v | ›Jüngerer Sigenot‹ |
Papier, 106 Blätter (1*, 2*, 1–101, 102*–104*), Foliierung des 17. Jahrhunderts ab Blatt 7 auf den Versoseiten, ab Blatt 91 fehlerhaft: 41–51, Bleistiftzählung der Miniaturen (1–201) modern, 198 × 145 mm, Bastarda, eine Hand (102*r: Hie haut rÿß Sigenot ein end / Got vns allen kūmer wend / · Lud[wig] · Hennfflin), einspaltig, Verse abgesetzt, 13 Zeilen (= eine Strophe), keine Rubrizierung, keine Initialen. 30r bis auf den farbigen Bildrahmen ohne Miniatur und unbeschrieben, jedoch kein Textverlust.
westschwäbisch.
201 kolorierte Federzeichnungen auf der oberen Hälfte jeder Seite, lediglich 30r nur leerer Bildrahmen, 102*r Bleistiftvorzeichnung eines Bildrahmens, darunter Schreiberspruch.
Maler A der Henfflin-Werkstatt (
Die von rotem, mit einer schmalen gelben Pinsellinie belegten Deckfarben-Streifen gerahmten querrechteckigen Miniaturen befinden sich durchgängig am Kopf jeder Seite, oben bis fast an den Blattrand stoßend, links mit dem Schriftspiegel abschließend, rechts auf den Blattrand ausgreifend. Wegen des breiteren Außenrands sind die Illustrationen der Rectoseite deshalb breiter als die der Versoseite, die in Einzelfällen (z. B. 79r: 90 × 85 mm) sogar leicht hochrechteckiges Format haben (recto: 85–89 × 115–120 mm, verso: 85–90 × 85–100 mm). Je eine Strophe pro Handschriftenseite, darüber die dazugehörige Illustration.
Der Bildraum ist hinten von einem sich nach unten aufhellenden Himmel aus horizontalen Pinselschraffen begrenzt, auch bei den Innenraumszenen 1r–2r. Das flache, etwa ein Viertel bis ein Drittel der Bildhöhe einnehmende Bodenstück, blaugrün über brauner Untermalung, weitet sich mitunter zu einer tiefenräumlichen Landschaftsebene, zuweilen mit roten Dächern und Turmspitzen vor dem Horizont; Boden der Innenraumszenen rot-gelb geschacht. Bei den im Freien spielenden Szenen weitestgehend Verzicht auf Architekturelemente, jedoch häufiger Wäldchen mit großblätterigen Laubbäumen. 85v–92r zackige, in die grüne Rasenfläche eingebrochene Felsformationen in Purpurrosa. Innenräume 56r und 81r–84r mit rot-grün gekachelten Wänden und links einer in die Landschaft oder einen Schlafraum sich öffnenden Tür. Schlanke, langbeinige Figuren mit runden Köpfen und stereotyper Mimik, doch ausgeprägten Handgebärden und starker Individualisierung der Kleidung: Dietrich trägt bis zum Anlegen der Rüstung 8r ein purpur-grünes, geschnürtes Mi-parti-Gewand (enge Beinkleider, kurzes Jäckchen), der bärtige Hildebrand eine rote Haube und einen ockerfarbenen Mantel mit rotem Brokatmuster und Hermelinsaum (mit Ausnahme der Eingangsminiatur 1r, wo er im blauen Mantel auftritt), Sigenot über seiner Rüstung Jacke und Beinkleider aus dunkelbraunen Schuppen, nach dem Kampf (ab 56r) ein grünes Jäckchen, purpurrote Beinkleider und schwarze spitze Schuhe, die Damen lange, am Boden aufstoßende, hochgegürtete Kleider mit tiefen Parallelfalten. Die stahlgrauen Rüstungen Dietrichs, Hildebrands und Sigenots haben goldene Arm- und Kniekacheln und Visiere. Zwerge und Riesen sind im maßstäblich richtigen Verhältnis zu den Recken dargestellt. Auffällig ist die zuweilen etwas manirierte Körperhaltung der Protagonisten, vor allem ihre gespreizte Beinstellung.
Keine Federstrichelung; Modellierung durch den Wechsel von lasierend bis deckend aufgetragenen verlaufenden Farbstreifen. Mit Ausnahme der Gesichter und der Rüstungen ist die Farbe meist deckend vermalt. Trotz der durch dichte Bebilderung Strophe für Strophe bedingten stereotypen Wiederholung der Kompositionen ist Wert auf Individualisierung und Veränderung der Bewegungsabläufe vor allem bei den Kampfszenen gelegt, die sich beim raschen Durchblättern der Handschrift fast wie ein Daumenkino lesen lassen. Wie sonst kaum in einer anderen Handschrift wird damit der zeitliche Ablauf einer Handlungssequenz detailliert eingefangen.
Gespräch zwischen Dietrich und Hildebrand (1r–6r, bis 2r sitzend auf einer Bank im Innenraum, ab 2v – Beginn der Sigenot-Erzählung Hildebrands und dem Entschluß Dietrichs, auszureiten – stehend im Freien: elf Illustrationen); Vasallen und Damen versuchen, Dietrich von seinem Entschluß abzubringen (6v–7v: drei Illustrationen); Hildebrand rüstet Dietrich (8r); Dialog Dietrich–Hildebrand vor Dietrichs Aufbruch (8v–9v: drei Illustrationen); Dietrichs Abschied zu Pferd von der Herzogin Uot und dem Hof (10r); Rückkehr der Hofleute nach Bern (10v); Dietrichs Ausritt mit Vasallen und Abschied (11r–12v: vier Illustrationen); Dietrich zu Pferd auf der Suche nach Sigenot (13r–15r: fünf Illustrationen); Begegnung mit dem Wildmann, Kampf, Tötung und Zerstückelung des Wildmanns, Befreiung des Zwergs Baldung (15v–22r: 14 Illustrationen); Baldung hilft Dietrich bei der Suche nach Sigenot (22v–29v, vorwiegend Dialogbilder: 15 Illustrationen); Kampf Dietrich–Sigenot bis zur Niederlage Dietrichs (30v–55v: 51 Illustrationen); Sigenot nimmt dem gefesselten Dietrich die Waffen ab und hängt sie in seiner Kammer auf (56r); Sigenot seilt Dietrich in sein unterirdisches Gefängnis ab und wacht, seine Wunden vorweisend, vor der Höhle (56v–59r: sechs Illustrationen); Sigenot erwartet Hildebrand (59v); Klage der Herzogin und der Vasallen über Dietrichs Ausbleiben, Entschluß zur Suche (60r–66v: 14 Illustrationen); Abschied und Ausritt Hildebrands (67r–69v: sechs Illustrationen); Erster Kampf Hildebrand–Sigenot (70r– 80v: 22 Illustrationen); Hildebrand gefesselt in Sigenots Wohnung, Selbstbefreiung (81r–84r: sieben Illustrationen); Zweiter Kampf Hildebrand–Sigenot, Tötung Sigenots (84v–92v: 17 Illustrationen); Befreiung Dietrichs (93r–96r: sieben Illustrationen); Auffinden des Zwergs Eckerich und dessen Hilfe (96v–100r: acht Illustrationen); Dietrich und Hildebrand berichten einander von ihren Abenteuern (100v–101r); Dietrich und Hildebrand reiten nach Bern zurück (101v).
Kobaltblau, Purpurrosa, Ocker und Violettbraun deckend und laviert, kreidiges bläuliches Grün deckend, z. T. über brauner Untermalung, Hellrosa laviert. Deckendes Zinnoberrot und Gelb nur für den Bildrahmen.
Taf. Va: 52v + 53r. ›Sigenot‹: Sigenot ringt Dietrich nieder / Sigenot fesselt den am Boden liegenden Dietrich.
Abb. 40: 2r. ›Sigenot‹: Der greise Hildebrand und der jugendliche Dietrich im Gespräch auf einer Steinbank sitzend.
Abb. 41: 81r. ›Sigenot‹: Sigenot in vollem Harnisch aufrecht neben dem gekrümmt am Boden liegenden, barhäuptigen Hildebrand in einem Innenraum mit Musikinstrumenten an der Wand.