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29.5. ›Sigenot‹

Bearbeitet von Norbert H. Ott

KdiH-Band 4/1

Im Gegensatz zu der nur in einer Handschrift überlieferten Kurzversion, dem sog. ›Älteren Sigenot‹, ist die Langversion ›Jüngerer Sigenot‹ in acht Handschriften und zahlreichen – mindestens 20 – Drucken überliefert. Besonders im Druckmedium scheint das wohl kurz vor dem Ende des 13. Jahrhunderts im schwäbisch-alemannischen Raum entstandene, sprachlich und formal eher unbedeutende Werk ein lebhaftes, bis weit ins 17. Jahrhundert anhaltendes Publikumsinteresse gefunden zu haben, wie die »verbrauchende« Überlieferung zeigt: Von den zahlreichen, fast ausnahmslos illustrierten Drucken haben sich oft nur ein Exemplar oder gar bloß Fragmente erhalten; Sekundärverwendung von Holzschnitten mit ›Sigenot‹-Szenen läßt auf weitere, gänzlich verschollene Drucke schließen. Der die älteste erhaltene, um 1487 in der Augsburger Bämler-Werkstatt entstandene Inkunabel (Nr. 29.5.a.) illustrierende Holzschnittzyklus bleibt dabei bis weit ins 17. Jahrhundert in Umfang und Bildformeln nahezu konstant: Die dieses Reproduktionsmedium prägende Wiederverwendung von Druckstöcken und das dem Zeitstil angepaßte, variierende Kopieren von Holzschnitten der Vorgängerdrucke sind für die ›Sigenot‹-Druck-Ikonographie exemplarisch.

Auch die außerhandschriftliche Ikonographie des Stoffs basiert auf der der Drucke. Der Freskenzyklus von 32 (erhaltenen) Bildszenen, mit dem wohl in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts Gottfried Werner von Zimmern (ca. 1485–1554) einen Raum im Obergeschoß des Palas seiner Burg Wildenstein im oberen Donautal hat ausmalen lassen, ist nichts anderes als die ziemlich getreue Umsetzung einer Holzschnittfolge, vermutlich der aus dem Nürnberger ›Sigenot‹-Druck Jobst Gutknechts von 1551 (Nr. 29.5.i., siehe Curschmann/ Wachinger [1994]).

Von den acht Handschriften des ›Jüngeren Sigenot‹ sind zwei illustriert: das ›Dresdner Heldenbuch‹ (Nr. 29.5.1.) – wie für diese Sammlung üblich mit einer ganzseitigen Titelminiatur – und ein um 1470, vermutlich im Auftrag Margarethes von Savoyen, Gattin Ulrichs I. von Württemberg (1413–1480), in der Stuttgarter sog. Henfflin-Werkstatt entstandener Codex. Diese Handschrift ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen überragen ihre tiefenräumlichen, gerahmten, mit lavierender und deckender Vermalung kolorierten Illustrationen bei weitem das sonst bei der Ausstattung der Gattung Heldenepik eher zurückgenommene Anspruchsniveau. Zum andern ist jeder Strophe des Texts am Kopf jeder Handschriftenseite eine Illustration zugeordnet: Auf diese Weise werden die Gesprächs- und Kampfszenen in ihre zeitlich aufeinander folgenden Phasen zergliedert, was beim schnellen Durchblättern des Buchs den Effekt eines Daumenkinos erzeugt – ein in der Illustration deutscher Bilderhandschriften einmaliges Strukturprinzip.

Editionen:

Der jüngere Sigenot. Nach sämtlichen Handschriften und Drucken hrsg. von A. Clemens Schoener. Heidelberg 1928 (Germanische Bibliothek. 3. Abteilung, 6. Bd.).