26B.1. Ulrich Richental, ›Chronik des Konstanzer Konzils‹
Bearbeitet von Kristina Domanski
KdiH-Band 3
Die vom Konstanzer Bürger Ulrich Richental (gest. 1437) verfaßte Schilderung des Konstanzer Konzils (1414–1418) entstand bereits in den 1420er Jahren. Mit dem Konzil sollten drei Hauptziele, die Beendigung des abendländischen Schismas, eine Reform der Kirche »an Haupt und Gliedern« und die Lösung von Glaubensfragen wie der Sakramentslehre und die Bekämpfung der Ketzerei, erreicht werden. Richentals Konzilsbeschreibung enthält neben Angaben zum Konzilsablauf, insbesondere zu den öffentlichen Zeremonien wie Prozessionen, Umritten oder Belehnungen, auch Beobachtungen zu Alltagsbegebenheiten sowie Schilderungen der ökonomischen Auswirkungen des Konzils. In die auf eine eigene Materialsammlung gestützte Konzilschronik sind zudem einige Urkundenabschriften und eine Liste der Teilnehmer integriert. Bereits die nicht erhaltene Originalfassung Richentals war – den im Text enthaltenen Bildverweisen nach – mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem umfangreichen Bildzyklus ausgestattet.
Die erhaltene Überlieferung setzt erst um 1460 ein und umfaßt neben acht umfangreich illustrierten oder für eine Bildausstattung vorgesehenen Handschriften, die überwiegend in Konstanz oder dem Bodenseegebiet entstanden (Nr. 26B.1.1.– Nr. 26B.1.8.), vier nicht illustrierte Manuskripte des 15. Jahrhunderts:
- Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Sammlung di Pauli 873, um 1460
- St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 657, zwischen 1470 und 1480
- Zürich, Zentralbibliothek, Ms. A 80, um 1475
Die historiographische Sammelhandschrift enthält 35r–73v unvollständige Auszüge aus der Konzilschronik Richentals. 57rv wurden achtzehn Wappen aus der Reihe der gewöhnlich dreißig Papstwähler der Nationen farbig ausgeführt. Ob die leergebliebenen Blätter (33r–34v, 36rv, 40r–41v, 74r–75v) eventuell für weitere Wappen oder Illustrationen gedacht waren, läßt sich nicht klären (vgl. auch: 26A.23.). - Zürich, Zentralbibliothek, Ms. A 172, 1490–1500
Hinzuzufügen ist ein mit Illustrationen ausgestattetes, aber verlorenes Exemplar von 1491 aus dem Kloster Salem, das 1697 ausbrannte; es stimmte wahrscheinlich in der Kombination von Konzilsakten und Bildteil mit lateinischen Tituli in weiten Teilen mit der ehemals St. Petersburger Handschrift überein (Nr. 26B.1.5., ausführlich dazu mit Wiedergabe der Bildtituli:
Die Drucküberlieferung der ›Chronik des Konstanzer Konzils‹ setzt mit der illustrierten Augsburger Ausgabe Anton Sorgs von 1483 ein, auf die im 16. Jahrhundert zwei gleichfalls illustrierte Ausgaben bei Heinrich Steiner in Augsburg (1536) und bei Paul Reffeler für Sigmund Feyerabend in Frankfurt (1575) folgten (26B.1.a.–c.).
Alle bislang bekannt gewordenen späteren Abschriften sind nicht illustriert:
- Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 61 Aug 2º, 16. Jahrhundert
- Lindau, Stadtarchiv, P I 2, Ende 16./Anfang 17. Jahrhundert, Abschrift des Frankfurter Druckes von 1575 (26B.1.c., vgl.:
Thomas Martin Buck : Die Lindauer Richental-Handschrift P I 2. Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 64 [2001], S. 169–174; beiWacker [2002] S. XXVII als verloren geführt) - Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. theol. fol. 76, 37, Ende 17./18. Jahrhundert.
In der Literatur findet sich verschiedentlich der Hinweis auf ein Manuskript in Winterthur, das eine Abschrift der ›Chronik des Konstanzer Konzils‹ enthalte (
Die Überlieferung wird allgemein in drei Gruppen unterschieden. Im Text der Gruppe I, repräsentiert durch die ehemals Aulendorfer, jetzt in New York aufbewahrte und durch die Prager Handschrift (Nr. 26B.1.4., Nr. 26B.1.6.), erscheint Ulrich Richental in der 1. Person Singular. Diese umfangreichste Version des volkssprachigen Chroniktextes mit inserierten lateinischen Urkunden wird in den Manuskripten in zweispaltiger Form präsentiert, übereinstimmend werden einige Themenkomplexe in den Bildzyklen nicht behandelt. Bei Gruppe II, dem Konstanzer und dem Wiener Exemplar (26B.1.3., 26B.1.8.), liegt eine objektivierte, möglicherweise noch auf Richental selbst zurückgehende Textfassung vor, in der vom Verfasser in der 3. Person Singular berichtet wird, der Text ist einspaltig angelegt. Ob auch die ehemals St. Petersburger Handschrift (26B.1.5.), von der nur ein Bildteil mit lateinischen Tituli erhalten ist, aufgrund des Bildprogramms der Gruppe II angehört (
Die Bildausstattung der Handschriften und Drucke variiert nicht nur aufgrund unvollständiger Ausführung oder Überlieferung. Der Umfang schwankt bei den drei vollständig erhaltenen Manuskripten zwischen 92 und 115 Bildseiten (26B.1.3., 26B.1.4., 26B.1.6.), das nicht ganz vollständig erhaltene Wiener Exemplar (26B.1.8.) weist 92 Bildseiten auf. Nur teilweise ausgeführt wurde die bildliche Ausstattung zweier Handschriften (26B.1.1, 26B.1.7), während zwei weitere Manuskripte deutliche Blattverluste aufweisen (26B.1.2, 26B.1.5.). In den Handschriften Gebhard Dachers wurden die Illustrationen als Pinselzeichnungen ausgeführt und mit kräftigen Deckfarben koloriert, während die übrigen Manuskripte mit Federzeichnungen ausgestattet wurden, die zumeist mit stark verdünnten, lavierend aufgetragenen Farben koloriert sind.
Statt fortlaufend den Text begleitender Einzelillustrationen bestehen die Bildzyklen der ›Chronik des Konstanzer Konzils‹ überwiegend aus umfangreicheren, über mehrere Seiten reichenden Bildsequenzen. Da es sich dabei sowohl um Folgen ganzseitiger Bilder als auch mehrregistriger Darstellungen handeln kann, wird im folgenden nicht die Anzahl der Einzelillustrationen, sondern jene der Bildseiten angegeben. Mehrteilige Bildfolgen finden sich bevorzugt für die Darstellung öffentlicher Zeremonien, z. B. in der 26-seitigen Bildserie, die vom Einzug in das Konklave, über die Bekanntgabe des neugewählten Papstes, die Weihen und Krönung Martins V. bis zu seinem Umritt reicht und in vier Handschriften vollständig erhalten ist (26B.1.3., 26B.1.4., 26B.1.6. und 26B.1.8.). Ähnliche, jedoch weniger umfangreiche Bildsequenzen finden sich zum Einzug des Papstes Johannes XXIII. in Konstanz, zur Fronleichnamsprozession, zum Johannis-Fest der Wechsler von Florenz, dem Umzug König Sigismunds mit der Goldenen Rose oder dem Begräbnis des Kardinals Landulf von Bari. Allerdings präsentieren die Handschriften die Bildfolgen durchaus in unterschiedlicher Weise: Während z. B. die New Yorker Handschrift (26B.1.4.) dem Prozeß gegen Jan Hus und seiner Hinrichtung fünf ganzseitige Illustrationen einräumt, zeigt das Konstanzer Exemplar (Nr. 26B.1.3.) vier Episoden des Ereignisses auf einer Doppelseite mit je zwei Registern. Weitere Bilder, die zum Grundbestand der Zyklen gehören, behandeln die Zusammenkunft von Papst und König in Lodi, bei der Johannes XXIII. und Sigismund Konstanz als Konzilsort bestimmen, die Kanonisation der heiligen Birgitta von Schweden sowie Vorbereitung und Ablauf einer griechisch-orthodoxen Messe. Weiterhin finden sich Darstellungen zum Alltagsleben wie etwa Fleisch- und Fischbänke oder mobile Pastetenbäcker, die eine Hinwendung des Bildinteresses zu realistischer Darstellung nach niederländischem Vorbild und die Kenntnis entsprechender Vorbilder belegen (
Außer den genannten Differenzen in Anordnung und Format der Illustrationen sind auch Abwandlungen der Bildprogramme durch Erweiterung oder Reduktion der Bildfolge sowie durch Variationen in der Ikonographie, der heraldischen Kennzeichnung der Personen und der Ausgestaltung der Wappenteile zu verzeichnen. Die Unterschiede in der Zusammenstellung der Bildprogramme der Handschriften und Drucke sind von
Für die Illustrationsfolge der Erstausgabe Anton Sorgs von 1483 (26B.1.a.) dürfte eine Handschrift aus der Schreibstube Gebhard Dachers als Vorlage gedient haben. Da die Holzschnitte des »Columna-Meisters« Anton Sorgs weitreichende Übereinstimmung mit dem Karlsruher Manuskript (Nr. 26B.1.2.) aufweisen, hat bereits