KdiH

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39.1.9. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3064

Bearbeitet von Rainer Leng

KdiH-Band 4/2

Datierung:

Um 1440 (Leng [2002] Bd. 2, S. 331 f.; nach Menhardt 2 [1961] S. 853 um 1430).

Lokalisierung:

Süddeutschland (Bayern, Österreich).

Besitzgeschichte:

Auftraggeber und erste Besitzer nicht bekannt; in Habsburgischem Besitz erstmals greifbar in einem Inventar der Sammlung Maximilians I. in der Innsbrucker Burg aus dem Jahr 1536, Gottlieb (1900) Nr. 296: Ain visierbuch vnd andere kunst innhaltend, in rot gepunden mit pogen plettern, vgl. auch Stummvoll (1968) S. 46; aus Innsbruck auf Schloß Ambras und 1665 durch Peter Lambeck nach Wien verbracht (1r MS. Ambras. 199 von der Hand Lambecks).

Inhalt:
1. 1r–4v Anonymus, Visierbuch

›Hye ist der anfang der kunst da durch man visieren vnd schätzen kan wie mänig saͤm vierteil oder mass in ain yekleich vass gang‹

2. 4v–7r Anleitung für einen Drachen

›Nota wie du ainen tracken artificialiter machen vnd regieren solt, das er in dem lufft swebt vnd fert als er lebendig sey‹

3. 7r–8v Kunst, unter und auf dem Wasser zu gehen, Anleitung für einen Fischköder

›Ein kunst wie man vnder dem wasser gen sol, als man tuet auf dem mer. Item nym ysoyo qtziqtp ysoyk xtgih vknii mynner oder me‹. Auflösung der Geheimschrift bei Menhardt 2 (1961) S. 859: eynen padswam einer faust gross, stoss den auf

4. 9r–45r Anonymus, Büchsenmeisterbuch, 1. Teil

›Wie man salpeter von dem mersalcz sol lawteren. Item nim ainen tail Salpeters als er vonn venedig oder anders wo her kumpt‹

Teilweise Übereinstimmungen mit dem ›Feuerwerkbuch von 1420‹; Einstreuungen lat. Anleitungen (9v ad faciendum homines dormire, 16v pulvis bombardarum simplex) und mit dem Namen der Beiträger gekennzeichneter Pulverrezepte (Leng II [2002] S. 333); ab 33v die 12 Büchsenmeisterfragen nach dem ›Feuerwerkbuch von 1420‹, 43r–44r Anleitung für die Herstellung einer Wasserleitung zur Führung von Wasser über Steigungen

5. 45r–48r Marcus Graecus, ›Liber ignium‹ (Teilabschrift)
6. 48r–70r Anonymus, Büchsenmeisterbuch, 2. Teil

›Item wildu ain fewer machen das man nicht leschen mag So nym zwai lot kriegsch bäch vnd iii lot swebel i lot wachs‹

Teilweise aus dem ›Feuerwerkbuch von 1420‹ mit deutsch-lateinischen Erweiterungen; 56v Erwähnung des mayster berchtold (mit drei Schemazeichnungen), 61r–62r weitere 14 Büchsenmeisterfragen

7. 73v Nachgetragenes Rezept teilweise in Geheimschrift

›Wan man nimt ainer Junkchfrauen ryskydes das aller erst vnd auf ainen shmlyt vnd hn ein phnxr so mag dir niemant vor einem slyss saden et econverso‹

I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 2 + 93 Blätter (je ein Vor- und Nachsatzblatt bei Restaurierung 1991 vom Spiegel abgelöst und I, I* foliiert, ältere Tintenfoliierung ab 73 modern mit Blei fortgeführt), 300 × 205 mm, Bastarda, einspaltig, von einer Hand, (von jüngerer Hand nur Nachtrag 73v), meist 34 Zeilen, Überschriften mit roter Tinte, rubriziert, einfache Fleuronée-Initiale mit grünem Rankenwerk nur 1r, Lombarden unregelmäßig wechselnd grün, rot, braun und blau.

Schreibsprache:

bairisch.

II. Bildausstattung:

17 aquarellierte oder lavierte Federzeichnungen 6r, 8v, 13r, 14v, 22v, 27v, 30v, 38r, 41v, 42v, 44r, 56v [3], 60r, 68r [2], überwiegend von einer ungeübten Hand (Schreiber?), von geringfügig besserer Qualität nur 42v; Zeichnungen im Text meist angekündigt: 8v als dyse nachgeschribenen figur geschaffen ist, 14v als hernach gemalt, 27v nachgefigurierten gestalt etc.

Format und Anordnung:

Ganzseitig 220 × 120 mm ohne Beischrift nur 6r, ganzseitig 190 × 130 mm unter Beischrift 42v; sonst 30 × 15 mm bis 120 × 205 mm große Skizzen im laufenden Text, unter der Seite oder am Seitenrand, durchgehend ungerahmt.

Bildaufbau und -ausführung:

Drache 6r kräftig bis deckend kolorierte Federvorzeichnung mit Stricheln, Tupfen und regenbogenartig abgestufter Kolorierung des Schwanzes; sonst nur einfache umrißhafte Zeichnungen von Geräten in Seitenansicht ohne Hintergründe, ohne Schattierungen an den Konturen entlang leicht laviert.

Bildthemen:

6r prachtvoller Drache, 8v knollennasiges Scherzgesicht (Taucherhaube), 14v Feuertopf, 18r Feuergefäß an einem Stock, 22v Armbrustbolzen, 27v Drahtschlaufe, 30v Sprengbombe, 38r Destillierofen, 41v ausfahrbare Holzbrücke, 42v Gewappneter beim Überqueren eines Flußes mit aufblasbarer Schwimmhilfe, 44r Brunnenstube mit gewunden ansteigender Wasserleitung, 56v drei Schemazeichnungen zur Entwicklung vom Feuertopf zur Büchse, 60r Rohr zum Ziehen von Salpeter, 68r spitze Bombe, geöffnet und ungeöffnet; eine Einordnung in eine bestimmte ikonographische Tradition ist nicht möglich, lediglich die Schemazeichnungen 14v, 56v und 60r stimmen mit frühen illustrierten Feuerwerkbüchern in Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs 1481a, 34r, 43r (siehe Nr. 39.2.5.) und Wien, Cod. 2987 (siehe Nr. 39.2.6.) überein; außer den beiden genannten Handschriften noch textliche Übereinstimmungen mit Köln, Best. 7020 (W*) 232 (siehe Nr. 39.4.10.), und Frankfurt, Institut für Stadtgeschichte, Reichssachen Nachträge Nr. 741 (siehe Nr. 39.1.2.).

Farben:

Grau, Braun, Gelb, Rosé, Grün.

Literatur:

Tabulae 2 (1868) S. 189; Menhardt 2 (1961) S. 853f.; Unterkircher (1957) S. 90. – Jähns (1889) S. 394; F. Denk: Zwei mittelalterliche Dokumente zur Fluggeschichte und ihre Deutung. Sitzungsberichte der Physikalisch-medizinischen Sozietät zu Erlangen 71 (1939) S. 353–368; Hans-Jürgen Rieckenberg: Bertold, der Erfinder des Schießpulvers. Eine Studie zu seiner Lebensgeschichte. Archiv für Kulturgeschichte 36 (1954) S. 316–323; Wissenschaft im Mittelalter. Ausstellung von Handschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek. Wien 1975, S. 200f.; Hall (1979) S. 131; Leng (2000a) S. 19; Leng (2002) Bd. 2, S. 331–334.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 72: 68r. Anonymus, Büchsenmeisterbuch: Sprengkegel, links ungeöffnet, rechts geöffnet mit Versteifung der Spitze und Zündrohr.

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Abb. 72.