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80.2. Losbuch in deutschen Reimpaaren

Bearbeitet von Franziska Stephan

KdiH-Band 8

Das Losbuch in deutschen Reimpaaren stellt 36 Fragen sowie 36 mal 36 Antworten bereit und ist das älteste vollständig erhaltene deutschsprachige Losbuch. Es ist nur in der Handschrift Cod. Ser. n. 2652 in Wien erhalten und stammt aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Laut Abraham dienten dem Losbuch in deutschen Reimpaaren die ›Sortes Albedati‹ als Vorlage. Bei diesen handelt es sich um ein Punktierbuch, dessen inhaltliche Struktur ebenfalls auf der Zahl 36 basiert, das jedoch in der Regel nicht mit figürlichen Illustrationen oder ähnlichem Schmuck ausgestattet wurde (Abraham [1971] S. 79; Abraham [1973] S. 26). Bolte und Zatočil sehen hingegen eine enge Verwandtschaft des Textes zu dem in drei Handschriften erhaltenen ›Ein Glück Buech‹ (Nr. 80.5.), das zwar auf der Zahl 32 basiert, jedoch über einen inhaltlich und in der Reihenfolge ähnlichen Fragenkatalog wie das Losbuch in deutschen Reimpaaren verfügt sowie in zwei Handschriften ein Losrad im Buchdeckel erhält (Bolte [1903] S. 318 [G], Anm. 3; Zatočil [1971] S. 121; Malm [2014] Sp. 1104f.). Laut Speckenbach zeigt die Textanlage zudem Ähnlichkeiten zum Lunaren Losbuch (Nr. 80.3.; Palmer/Speckenbach [1990] S. 176–178).

Der Wiener Codex zählt zu den insgesamt vier Losbuchhandschriften, die im vorderen Buchdeckel Teile des ursprünglichen Losmechanismus konservieren (siehe auch Nr. 80.3.2., Nr. 80.5.1. und Nr. 80.5.3.). Der Text besteht aus verschiedenen Tabellen mit Buchstaben-Zahlen-Konkordanzen, Fragen, mehreren Reihen von heidnisch-antiken und jüdisch-alttestamentlichen Autoritäten, zwei ganzseitigen Illustrationen sowie einem unvollendeten Kreisschema. Diese selektieren verschiedene Gruppen aus den vorher genannten Autoritäten und greifen diese nach einem unklaren System auf. Auch das Verweissystem der nachfolgenden Tabelle mit Himmelsrichtungen, Planeten, je zwölf Monaten, Tierkreiszeichen und Aposteln sowie abermals einer Buchstaben-Zahlen-Konkordanz erscheint unklar. Aufschluss über den genauen Zusammenhang der einzelnen Etappen könnte der ehemalige Losmechanismus geben, der im Wiener Codex aus zwei in die Innenseite des Vorderdeckels eingelassenen Drehrädern bestand, die bei geschlossenem Deckel über einen nach innen führenden Zahnradmechanismus bewegt werden konnten.

Datierung und Funktionsweise des Einbands bzw. des darin eingelassenen Drehmechanismus wurden unterschiedlich beurteilt. Abraham und Unterkircher datieren den Einband in die Mitte des 15. Jahrhunderts und somit jünger als den Text (Unterkircher [1951] S. 14; Unterkircher [1963] S. 251; Abraham [1971] S. 70–82). Dem widerspricht Pirker-Aurenhammer aufgrund der funktionalen und stilistischen Aspekte des Einbands, dessen Drehmechanismus und Astralsymbolik der Beschläge direkt auf das Wahrsagebuch bezogen sind. Weiterhin weisen das Nachsatzblatt (I*) und der Spiegel des Hinterdeckels Farbspuren auf, die dem Kolorit der Deckfarbenmalereien des Buches entsprechen und die Zugehörigkeit des Einbands zur Erstausstattung der Handschrift nahelegen (MeSch II [2002] S. 18). Die Unklarheit über die Datierung des Einbands spiegelt sich in der Unsicherheit über dessen ehemalige Lossystematik. Basierend auf der ausführlichen Untersuchung des Einbands von Unterkircher und dessen These eines in den Deckel eingelassenen Astrolabs (Unterkircher [1951] S. 14) spricht auch ein Großteil der nachfolgenden Forschung von einem besonders den Zodiacus des Petenten einbeziehenden Astrolab als Losmittel (Baufeld [1985] S. 112; Palmer/Speckenbach [1990] S. 177; Gastgeber [2010] S. 220–222). Es besteht jedoch kein systematisch-funktionaler Zusammenhang zwischen einem Astrolab und dem Verweissystem des Losbuchs. Nur Abraham versucht den Losmechanismus im Hinblick auf das spezifische Verweissystem des Losbuchs und dessen Ikonografie hin zu rekonstruieren und geht von einer Konstruktion mit einem oder mehreren starren Zeigern, die vom Rad unabhängig waren, sowie einer in konzentrischen Kreisen aufgeteilten Scheibe mit den Namen der im Buch genannten Autoritäten aus, über die auf ein bestimmtes Thema verwiesen wurde (Abraham [1968] S. 11).

Die wohl irrtümliche Verbindung des Losbuchs mit einem Astrolab basiert auf der Struktur des Verweissystems und der ihr zugrundeliegenden Zahl 36. Diese steht in Verbindung mit der Dekanlehre, die im Spätmittelalter noch durch Texte wie das ›Astrolabium Planum‹ verbreitet gewesen ist und in der die 36 Dekane je zehn Grad des Zodiakus beherrschen (siehe Stoffgruppe 103a. Prognostiken). Vor diesem Hintergrund wäre die Vorrichtung eines Astrolabs im Deckel des Losbuches als Untermauerung von dessen pseudo-wissenschaftlichem Anspruch zu werten. Daneben zitieren Text und Illustrationen des Losbuchs ohne astrologisch-wissenschaftlich fundierte Basis die Wirkung der Planeten und Tierkreiszeichen auf das Schicksal des Menschen. Die Apostel fügen dem eine weitere, christlich-moralische Kategorie der Schicksalsbeeinflussung hinzu. Die Ausstattung des Losbuchs suggeriert eine gewisse Ernsthaftigkeit der Losermittlung, die durch den mal ernsten und moralisierenden, mal scherzhaften Ton der Lossprüche konterkariert wird. Das ›Losbuch in deutschen Reimpaaren‹ steht damit auf der Schwelle zwischen ernster Prognostik und gesellschaftlicher Unterhaltung. Die aufwendige Ausstattung und deren astrologische Färbung verortet das Losbuch in ein aristokratisch-höfisches Umfeld, in dem eine zu große Astrologiegläubigkeit im gesellschaftlichen Miteinander spielerisch aufgehoben wird (Palmer/Speckenbach [1990] S. 177f.).

Editionen:

Abraham (1973).

Literatur zu den Illustrationen:

MeSch II (2002) S. 17–27 (Nr. 4).