80.5.1. Edinburgh, The Royal Observatory, Cr. 5.10.
Bearbeitet von Franziska Stephan
KdiH-Band 8
Mitte des 15. Jahrhunderts.
Süddeutschland.
Herkunft unbekannt. Die Handschrift stammt aus der auf mittelalterliche Astronomie und Astrologie spezialisierten Handschriftensammlung von James Lindsay (1847–1913), 26. Earl of Crawford und 9. Earl of Balcarres (alte Crawford-Nummer 3). Dessen Sammlung kam 1888 aus dem Dunecht Observatory in das Royal Observatory. Davor kann die Handschrift in der Bibliothek des Erzbischofs Johannes von Geissel († 1864) nachgewiesen werden (Auktionskatalog J. M. Heberle, Juli 1865 in Köln, Nr. 88: https://digital.dombibliothek-koeln.de/ddbkhd/content/pageview/23923; freundlicher Hinweis von Klaus Graf und Marco Heiles).
1r–19v |
Losbuch mit 32 Fragen, fragmentarisch
Losscheibe innen im vorderen Buchdeckel; 1r Prolog durch vier antike Philosophen; 1v Liste mit 32 Fragen und daneben 32 Namen von biblischen Propheten (nicht zeilenweise einander zugeordnet, welcher Name gewählt wird, unterliegt dem Zufall); 2r–3r 32 Propheten von 1v mit Verweisen; 3v–4r Tabelle mit den sieben Planeten und 32 Himmelsrichtungen; 4v–19v 31 von ehemals 32 Losrichtern (der letzte auf 20r fehlt) in Gestalt von Tieren und Tierkreiszeichen, in der Fußleiste betitelt, jeweils mit 32 Lossprüchen in Reimpaaren, diese von I bis XXXII nummeriert
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Pergament, 19 Blätter (das letzte Blatt fehlt, in einem Inhaltsverzeichnis von ca. 1900, das in der Handschrift Ms. Cr. 3.25, 78r überliefert ist, ist das Fehlen des letzten Blatts mit dem Losrichter Dy Gays vermerkt), 325 × 225 mm, Bastarda, ein Schreiber, zweispaltig (4v–20v linke Spalte mit Zahlen von I bis XXXII wesentlich schmaler als die rechte), 32 Zeilen, fleuronnierte Initialen (4r–v mit Ornamenten), Cadellen, Rubrizierung, Strichelung.
Einband: Moderne Bindung mit Holzdeckeln, jedoch mit dem alten Lederbezug und den alten Deckelinnenseiten, die vordere mit Losrad.
bairisch (?).
75 (von ehemals 76) kolorierte Federzeichnungen in variationsreichen und kräftigen Deckfarben, vorrangig in kleinen, aufwendig gerahmten Bildmedaillons, ein Zeichner. Im Text drei Fleuronné-Initialen in Schwarz mit Grün (1v) oder Rot (4r–v), diese einzeilig und weit über den oberen Rand des Schriftspiegels hinausragend, mit Palmettenblattbesatz bzw. -füllung (1v), zungebleckendem Profilkopf am Schaft, gefüllt mit Perlenstab (4r) und Besatzfleuronné (4v). Im Haupttext (5r–19v) z. T. Cadellen am Seitenbeginn, Nummerierung, Titel und Schriftbänder in Rot, Strichelung in Rot und Grün (1v) sowie Schlusspunkte in Grün (4r).
Auf der mit Pergament bespannten und bemalten Innenseite des vorderen Buchdeckels befindet sich mittig eine Drehscheibe, eingelassen in eine Vertiefung. In der Scheibenmitte weisen vier kleine, regelmäßig um den Drehstift des Rades verteilte Löcher darauf hin, dass hier eine (metallene?) Scheibe montiert gewesen ist, über die das Rad vermutlich mit einem von außen bedienbaren Drehmechanismus verbunden war. Durch die Neubindung des Codex ist der genaue Mechanismus nicht mehr nachvollziehbar (siehe hierzu Nr. 80.2.1., Nr. 80.5.3.). Das Rad ist aufwendig mit konzentrischen Schmuckbändern und den Darstellungen von vier Gestirnen gestaltet, im äußeren Rand sind umlaufend die Zahlen von I bis XXXII geschrieben. Die vier Gestirne sind gleichmäßig auf der Scheibe um den zentralen Drehpunkt verteilt, es handelt sich um Sonne und Mond (der Mond als Sun, die Sonne als Mon bezeichnet) sowie zwei sechszackige Sterne, die als Margen Steren und Polus articus beschriftet sind. Die Sonne ist mit 18 lockenartigen Strahlen und frontal blickendem Gesicht, der abnehmende Mond ihr gegenüber zusätzlich mit Blau und nach rechts blickendem Profilkopf dargestellt. Über der drehbaren Scheibe befinden sich zwei Engel mit Nimben und goldgelocktem Haar, von rechts und links aus einem blauen Wolkenband fliegend. Die Engel halten je ein Spruchband mit Anweisungen zum Losbuch in den Händen (links: Reib umb mit der hant, rechts: Nicht gelaub es ist ein tant). Unterhalb des Rades befindet sich in der Seitenmitte ein bartloser Jüngling mit blondgelocktem Haar, knielangem, in der Taille mit einem Schellengürtel gegürtetem Gewand in Rot und schwarzen Verbrämungen am Saum sowie aufgewellten Trompetenärmeln mit hermelinartigem Pelzbesatz als Innenfutter, darunter trägt er Beinlinge in Schwarz und Rot. Die Figur befindet sich in einer nach rechts gewandten, wie im Kniefall befindlichen Bewegung, sie blickt und deutet auf das Ende eines Stabes in ihrer linken Hand. An dessen Ende hängt ein sechszackiger Stern an einer roten Schnur, der als Zeiger des Drehrades dient. Um diese Funktion zu verdeutlichen ist am Ende des Stabes zusätzlich eine rechte Zeigehand (nachträglich?) über das Stabende gezeichnet. Links neben der Figur befindet sich ein Schriftband mit Antomel. Rechts neben der Figur befindet sich ein Stern, darüber ein Schriftband mit Cometa.
1r Prolog: Ganzseitige Illustration ohne Rahmung oder Hintergrundgestaltung, vier Sitzfiguren, angeordnet in Zweiergruppen übereinander, auf thronartigen Konsolen sitzend, mit Spruchbändern und aufeinander verweisenden Blickrichtungen und Zeigegesten. Neben der Kommunikation der Figuren untereinander betonen diese auch die richtige Leserichtung der Sprüche, die letzte Figur rechts unten bildet mit beiden Händen am Spruchband dementsprechend einen Schlusspunkt. Auf weiteren Schriftbändern über und unter den Darstellungen sind die Figuren namentlich als die vier antiken Philosophen Katho, Aristotiles (oben), Platho, Virgilius (unten) bezeichnet. Jede Figur trägt eine Kombination aus Tunika und Mantel in weicher Faltenlegung sowie verschiedene Kopfbedeckungen und Barttrachten. Die Gewänder sind buntfarbig gestaltet, die Haare und Bärte alternierend in Grau und Gelb. Zustand: Zwischen Losrad und dem Prolog gibt es kein Schutzblatt, dementsprechend ist die Seite in der Mitte durchlöchert und die Miniaturen weisen im Kreisradius Farbverluste auf.
2r–3r Propheten: 32 Bildmedaillons mit Umschriften. Darin Brustbilder von antiken und alttestamentlichen Autoritäten, deren Namen stehen vorrangig auf Schriftbändern unterhalb der Darstellung. Die Medaillons sind in gleichmäßigen Rastern angeordnet. Die Figuren sind abwechslungsreich gestaltet: weit in die Stirn gezogene Kopfbedeckungen bzw. niedrige Haaransätze, mittellanges Haar und stark variierende Barttrachten (Ausnahmen: 2r Daniel, 3r Sawlim und Chorel bartlos). Sie weisen eine typenhafte, leicht individualisierte Physiognomie auf, die durch kurze, geschwungene Augenbrauen, runde Augen, kleine Nasen, volle Münder und helles, rosa bis hellbraunes Inkarnat bestimmt wird (Ausnahme: 3r Morel ist schwarz). Innerhalb der Raster herrscht ein kommunikatives Blickschema, es entsteht ein optischer Dialog zwischen den Figuren. Generell abwechslungsreiche, buntfarbige Gestaltung der Kleidung, Haare und Bildhintergründe, diese sind z. T. auch mit verschiedenen Ornamenten verziert. Reihe: 2r Zacharias – David / Malachias – Daniel – Zachoris / Jonas – Amos – Natharel / Abakuk – Ysayas – Baalam; 2v Gedeon – Nabuchodonosor / Putiphar – Ismahelita – Morsitt / Moyses – Welle – Theodosy / Abraham – Olibrius – Ysrahel; 3r Sophonias / Ysaac – Fanlein – Sawlin / Samuel – Morel – Chorel / Yoseph – Jeremias – Nathon.
3v–4r Doppelseite mit den sieben Planeten und 32 Himmelsrichtungen als systematische Einheit innerhalb des Losmechanismus: Auf der verso-Seite befindet sich eine Planetentafel: mittig auf der Seite, untereinander gelistet sind links die sieben Planeten stilisiert dargestellt, rechts daneben stehen deren Namen in Zierschrift. Vor Saturn und Jupiter befindet sich eine Zeigehand. Die Planetennamen sind abweichend von der sonst verwendeten Bastarda in Textura ausgeführt, die Initialen mit Besatzfleuronné. Zwischen den Lettern stehen Punkte sowie hinter jedem Planetennamen ein Zeichen aus vier Punkten und einem kurzen Querstrich in Rot (abweichend hinter Saturn ein Zeichen aus zwei vertikalen Reihen mit je vier Kringeln und daneben drei übereinanderliegenden, kurzen Querstrichen). Auf der recto-Seite befindet sich eine Liste mit 32 Himmelsrichtungen mit Verweisen auf einen der nachfolgenden Losrichter. Die sich wiederholenden Himmelsrichtungen Osten, Westen, Norden, Süden sind links am Seitenrand durch variierende Halbbogenmuster in Rot und Grün zu sieben Vierergruppen zusammengefasst, die die jeweilige Zugehörigkeit einer Gruppe von Himmelsrichtungen zu einem der sieben Planeten verdeutlichen (so auch in Nr. 80.5.3.).
4v–19v Losrichter: 31 (von ursprünglich 32) Bildmedaillons mit mehrfarbigen Schmuckrahmen (gestaltet mit Streifen, Punkten und Zacken), darin heimische und exotische Tiere sowie die zwölf Tierkreiszeichen vor ornamentierten Hintergründen. Die Tierkreiszeichen entsprechen ihrer klassischen Darstellung, z. T. ist die plastische Wirkung der fein modellierten Tierkörper durch eine Überschneidung mit der Rahmung erhöht. Die Auswahl und Abfolge der Tiere entspricht den beiden anderen Textzeugen des Losbuches. 4v Waage; 5r Kuckuck, auf Eichenblättern stehend; 5v Nachtigall; 6r Esel, mit Sack über dem Rücken; 6v Falke mit Schellen an den Beinen; 7r Fuchs mit toter Gans im Maul; 7v Hirsch; 8r Bär; 8v Hund als laufendes, weiß-graues Windspiel mit goldenem Halsband und offenem Maul (vgl. das Sternbild Canis major mit Sirius); 9r Krebs; 9v Löwe; 10r Jungfrau; 10v Zwilling als höfisches Liebespaar; 11r Fische; 11v Wassermann; 12r Sperber mit goldenen Schellen an den Beinen; 12v Schütze; 13r Kranich; 13v Adler (heraldisch) mit Krone in Gold; 14r Hahn; 14v Taube; 15r Skorpion; 15v Einhorn (ersetzt den Steinbock in der Reihe der Tierkreiszeichen); 16r Uhu; 16v Rabe; 17r Widder; 17v Ochse (Sternzeichen Stier); 18r Kamel; 18v Sittich; 19r Hase; 19v Elster; [20r Geißbock].
breite Palette von kräftigen Deckfarben in variationsreicher Kombination mit Höhungen in Weiß und Gold: Zinnober, Rotbraun, Hell- und Dunkelviolett, Hell- und Dunkelblau, verschiedene Grüntöne, Goldgelb, Orange, Ockerbraun, Grau, Weiß, Schwarz.
Abb. 147: 2r. Propheten.