Innerhalb der umfangreichen Zeugnisse volkssprachlicher geistlicher Literatur nehmen die Texte zur Liturgie eine Sonderstellung ein. In der Stoffgruppe werden solche Handschriften behandelt, die Texte der Liturgie oder Kommentare auf Deutsch enthalten. Ihre Anordnung folgt liturgiewissenschaftlichen Kriterien, beginnend mit Texten des Missale und kommentierenden Texten, dem Sonderfall der Karliturgie, Texten zum Stundengebet und schließlich Beispielen für die volkssprachliche Überlieferung zum Rituale, besonders Texten zur Totenliturgie, die regelmäßig aus Nonnenklöstern erhalten blieben.
In lateinischen Missalien und Handschriften mit den Texten für andere liturgische Feiern oder für das Stundengebet gab es seit dem 12. Jahrhundert immer wieder deutsche Rubriken und Gebetsanweisungen oder glossierte Verständnishilfen und Kommentare, um den Gebrauch der lateinischen Texte zu erleichtern (Häussling [2004] Sp. 292f.), ein Verfahren, das bis in die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts üblich blieb, etwa für das Missale (z. B. Bamberg, Staatsbibliothek, Msc.Add. 130) oder Processionale (z. B. Liège, Bibliothèque de l’Université de Liège, ms. Wittert 12).
Vollständige Übersetzungen liturgischer Texte sind dagegen selten. Dies gilt für deutsche Missalien seit dem 14. Jahrhundert (Häussling [1984]; Häussling [1987]; Häussling [2004]). Erst im späteren Mittelalter wurden die dem Priester vorbehaltenen Texte durch Übersetzungen auch für Laien zugänglich. So wurden die biblischen Perikopen des Missale übersetzt (sog. Plenare: siehe Stoffgruppe 75. Lektionare) und in einigen Fällen auf Deutsch zum vollständigen Text des Missale ergänzt (aber erst in Drucken seit dem 3. Viertel des 15. Jahrhunderts umfangreich bebildert). Aus dem 15. Jahrhundert sind einige solcher deutschen Plenar-Missalien bekannt (Bogler [1964] S. 38*–45*). Während die Plenare und die Kurzformen der Messe – in Drucken vor der Ausgabe von Adam Petri, Basel 1514 (VD16 E 4457) ebenfalls ›Plenar‹ genannt – Andachtszwecken dienten, wurden die deutschen Missalien und Messauszüge während der Liturgie von den an der Messe teilnehmenden Nonnen bzw. Laien gelesen (siehe Nr. 77.1.). Demselben Zweck dienten wohl auch die Messerklärungen (siehe Nr. 77.2.). Umfangreiche Bildausstattung gibt es erst in Drucken des deutschen Missale, so die Holzschnitte von Hans Schäuffelein und Urs Graf im ›Plenar‹ (Basel: Adam Petri, 1514) oder die 167 Holzschnitte eines unbekannten Künstlers in dem Missale von Christoph Flurheym (Leipzig: Jacobus Thanner, 1529; VD16 M 5509).
Bekannt sind auch Teilübersetzungen, etwa von Texten der Karliturgie, die für den Gebrauch von Nonnen in den Konventen geschrieben und gelegentlich auch mit Bildschmuck versehen wurden. Sie dienten der geistlichen Vorbereitung und dem besseren Verständnis der Liturgie in der Kar- und Osterzeit und sind zusammen mit Gebeten und erbaulichen Texten überliefert, die auf die Passion Bezug nehmen (Haimerl [1952] S. 40f.). Mehrere Beispiele dafür sind aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts aus oberdeutschen Klöstern der Dominikanerinnen erhalten (einzig mit Holzschnitten ausgestattet ist Nr. 77.3.1.).
Schon aus dem 13. Jahrhundert sind lateinische Brevierhandschriften mit deutschen Rubriken bekannt, seit dem 14. Jahrhundert sind deutsche Teilübersetzungen des Breviers überliefert, die ebenso von den zum Stundengebet Verpflichteten zur »Vorbereitung und Sinnerschließung« (Häussling [2004] Sp. 294) benutzt wurden wie von gebildeten Laien. Diese Texte sind, soweit bisher erschlossen, in der Regel nicht illustriert worden. Dies gilt auch für die seit dem 13. Jahrhundert bei den Zisterziensern besorgten Übersetzungen liturgischer Gesänge und, vermehrt im 15. Jahrhundert innerhalb benediktinischer Reformbewegungen, für die Übersetzungen größerer Teile der Tagzeitenliturgie. Schließlich wurde das komplette Offizium ins Deutsche übersetzt, um das Stundengebet der Laienbrüder und Donaten zu unterstützen (Groiss [1998] S. 91f.; Angerer [1999] S. 306–308), ohne dass solche Handschriften mit besonderem Schmuck versehen wurden. Bekannt sind jedoch illustrierte deutsche Vollbreviere für den privaten Gebrauch hochgestellter Laien (z. B. das Brevier Kaiser Friedrichs III., Wien, um 1475–1480, München, Cgm 67–68: siehe Nr. 77.4.1.). Vier weitere Beispiele finden sich in der Stoffgruppe 43. Gebetbücher. Dort beschrieben sind drei in der Staatsbibliothek München aufbewahrte Breviere: ein Brevier ebenfalls aus dem Umfeld Kaiser Friedrichs III. (Cgm 6244; Nr. 43.1.129a.), das Brevier eines unbekannten Klerikers (Cgm 85, 5185–5188; Nr. 43.1.115.) und das Brevier Katharina Muffels von Eschenau (Cgm 177; Nr. 43.1.127.). Ein viertes illustriertes Brevier (Temporale) stammt aus dem Kloster Frankenthal und befindet sich heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. germ. 440; Nr. 43.1.72a.).
Die wenigen bisher bekannten Beispiele für deutsche Übersetzungen des Rituale stammen aus Frauenklöstern und sind auf den Ritus der Totenliturgie beschränkt (siehe Nr. 77.5.).
Von den umfangreichen Liturgiekommentaren des Mittelalters wurde nur das ›Rationale‹ des Wilhelm Durandus ins Deutsche übersetzt (Nr. 77.6.; Steer [1980] Sp. 245–247). Der für Herzog Albrecht III. von Österreich von Buchmalern der sogenannten Wiener Hofminiatorenwerkstatt zwischen 1385 und 1406 ausgeführte Codex ist das einzige bisher bekannte deutsche Beispiel für eine so umfangreiche, dem fürstlichen Auftraggeber entsprechend anspruchsvolle Ausstattung u. a. mit 316 Deckfarbeninitialen. Daneben gibt es in großer Zahl meist knappe erklärende Texte zur Liturgie, häufig zur Messe, die mit anderen Texten zusammen überliefert wurden, z. B. dem Eucharistietraktat des Marquard von Lindau und dem ›Lucidarius‹ (so München, Universitätsbibliothek, 2º Cod. ms. 688: siehe Nr. 81.0.6.).
Zu den für liturgiewissenschaftliche wie für kirchen- und kunstgeschichtliche Fragestellungen überaus wichtigen Quellen zählen die Mesnerbücher (Nr. 77.7.), in denen die Pflichten des Sakristans festgehalten sind. Sie spiegeln den Gebrauch des Inventars einer Kirche im Verlauf des Kirchenjahrs (Öffnen und Schließen der Retabel, Schmuck der Altäre, Gebrauch der Paramente, Läutordnungen u. ä.). Im Unterschied zu den bekannten Beispielen aus dem 15. und 16. Jahrhundert ist der Bilderschmuck in dem Handbuch für die Küsterin des Nürnberger Katharinenklosters singulär.
Nicht in dieser Stoffgruppe berücksichtigt wurden bildliche Darstellungen von liturgischen Vorgängen, wenn sie auf Gebete bezogen sind. Häufig sind etwa Abbildungen zur Spendung der Kommunion, so in Nr. 51.6a.2. (151v) [Datenbank-Nachtrag] oder Nr. 73.11.2. (140av) sowie in Gebetbüchern, z. B. Nr. 43.1.89. (19v), Nr. 43.1.120. (7v) oder Nr. 43.1.165. (239v) [Datenbank-Nachträge].