KdiH

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63.3.3. Gotha, Forschungsbibliothek, Chart. A 225

Bearbeitet von Ulrike Bodemann

KdiH-Band 7

Datierung:

1455 / 17. Jahrhundert.

Lokalisierung:

Mittelalterliche Blätter vielleicht nordbayerisch/fränkisch.

Besitzgeschichte:

Aus dem Besitz des Sachsen-Gothaischen Geheimen Rates und Kanzlers Hans Dietrich von Schönberg (1623–1682), der den Band um 1670 zusammenfügte und mit Inhaltsverzeichnis sowie Titel versah. Hans Dietrichs Bibliothek wurde nach seinem Tod von Herzog Christian von Sachsen-Eisenberg (1653–1707) erworben, nach dessen Tod erhielt die Herzogliche Bibliothek Gotha aus diesem Bestand ca. 100 Bände einschließlich der vorliegenden Handschrift. Auf dem vorderen Spiegel alte Signatur Ch.n. 224 des Bibliothekars Ernst Salomon Cyprian, der den Band in den ersten Gothaer Handschriftenkatalog aufnahm (Ernst Salomon Cyprian: Catalogus codicum manuscriptorum bibliothecae Gothanae. Leipzig 1714, S. 81, Nr. CCXXIV).

Inhalt: neuzeitlicher Miszellaneenband mit eingeschobenen mittelalterlichen Blättern
Teil I 1r–2v Inhaltsverzeichnis Notahtio so in diesen Volumine ze findund
3r Titel Allerhand Prognostica Scripta Satyrica und andere mehr dergleichen Händel
5r–35v ›Antichrist-Bildertext‹
5r–28r Vom Antichrist
28v–33r Die Fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Gericht
34r Vom Jüngsten Gericht (Bildseite ohne Text)
35r–v
Kolophonabschriften
Teil II 38r–377v Neuzeitliche Miszellaneen, Abschriften, Briefe u. a., lateinisch, deutsch, französisch, italienisch
vgl. Bodemann/Hopf/Eisermann (siehe unten: Literatur)
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 377 Blätter (moderne Bleistiftfoliierung, eine Zählung des 17. Jahrhunderts beginnt Blatt 5 mit 1 und endet Blatt 375 mit 370), sehr unterschiedliche Blattformate, maximal 330 × 210 mm. Teil I: Bl. 1–37, darunter etliche in die aus einem oder zwei Doppelblättern bestehenden Lagen eingeschobene oder an sie angeheftete Einzelblätter (5, 10, 17, 25, 28–29, 33–35), von denen drei (5, 25, 28, nach alter Zählung 1, 21, 24) aus einer Handschrift des 15. Jahrhunderts stammen (275–285 × 168–188 mm; Wasserzeichen: Traube mit einkonturigem Stiel und Schlaufe, vgl. Piccard online, Nr. 128803–128827, belegt zwischen 1453 und 1478); 5r und 28v Textseiten, Bastarda, 5r zweispaltig (5v leer), 34 Zeilen, 28v einspaltig, 32 Zeilen, 5r H-Initiale über drei Zeilen, blau mit roten Ornamenten, 28v rot-blau-grüne A-Initiale über drei Zeilen, am unteren Randsteg rote Federranke. 25r–v und 28r sind Bildseiten: ganzseitige kolorierte Federzeichnungen mit Überschriften. Die übrigen Blätter der Handschrift sind verloren, wurden jedoch vom Schreiber des 17. Jahrhunderts, Hans Dietrich von Schönberg, nach mittelalterlicher Vorlage offenbar möglichst originalgetreu rekonstruiert (unbeschrieben: 27v, 33v, 34v). Der Abschrift des Kolophons zufolge (35r und 35v) handelte es sich bei der Vorlage um eine Handschrift des Jahres 1455. Der Zeitpunkt der Abschrift könnte identisch sein mit dem der Zusammenstellung des Bandes nach 1670 (Wasserzeichen: Turm und Rauten im Wappenschild, ähnlich Piccard online, Nr. 106072: Regensburg 1679; besser: The Nostitz Papers. Hilversum 1956 [Monumenta Chartae Papyricae Historiam Illustrantia V], Nr. 292 [1678], 293 [1690]), auch wenn die verwendeten Blätter zwischen 6 und 35 ca. 10 mm kleiner sind als die in der Bindung unmittelbar vorausgehenden und nachfolgenden Blätter.
Teil II, Bl. 38–377 neuzeitlich.

Schreibsprache:

nordbairisch.

II. Bildausstattung:

63 kolorierte Federzeichnungen, davon nur drei aus dem 15. Jahrhundert (sämtlich zum Antichrist: 25r, 25v, 28r), die übrigen sind Nachzeichnungen des 17. Jahrhunderts. Der gesamte Zyklus ist mit Bleistift durchnummeriert 1–53 (6r–33r, linker oberer Randsteg, das Schlussbild 34r nicht gezählt).

Format und Anordnung:

Antichrist: 44 ganzseitige und zwei halbseitige Zeichnungen (22v zweigeteilte Bildseite) mit vorausgehenden Überschriften; Fünfzehn Zeichen: 14 halbseitige Zeichnungen mit Überschriften, je zu zweit auf eine Seite platziert, sowie zwei ganzseitige Zeichnungen ohne Beischrift (15. Zeichen 33r; Jüngstes Gericht 34r).

Bildaufbau und -ausführung:

Darstellungen sämtlich ungerahmt, nur die ersten Zeichnungen zum Antichrist mit Architektureinfassung und Innenraumausstattung (6r–7r, 8r); die übrigen Szenen spielen auf einem grün oder ockerfarben lavierten Bodenstück, ohne Hintergrund. In Aufbau, Ausführung und Farbgebung orientiert sich der Zeichner des 17. Jahrhunderts an den mittelalterlichen Vorbildern (25r–v und 28v): Dort schlanke, fast überlängte Figuren, körperlos und hölzern wirkend, modelliert mit sehr feinen Pinsel- und Federstricheln; nur die untere Hälfte des ganzseitig zur Verfügung stehenden Bildraums wird tatsächlich für die Ausführung der Bildgegenstände genutzt, raumfüllend sind hier die Bildbeischriften in ausladende Schriftbänder platziert; dem Prinzip folgt der neuzeitliche Kopist zumindest teilweise (9r, 11r, 14r, 17r). Ob die unterschiedliche Sorgfalt der Nachzeichnungen (hervorzuheben ist das Blatt 17r, das dem Figurenstil der mittelalterlichen Zeichnungen mehr folgt als alle anderen Zeichnungen), die unterschiedlich kräftige Linienführung und die unterschiedliche Farbgebung auf mehrere Hände schließen lassen kann, muss angesichts der geringen Kunstfertigkeit der Nachzeichnungen offen bleiben.

Die drei mittelalterlichen Blätter 5, 25 und 28 und ihre Übereinstimmung – mit Einschränkungen auch die der Nachschriften des 17. Jahrhunderts – mit dem Text der Blockbuchfassungen des ›Antichrist-Bildertextes‹ erwähnen bereits Nölle (1879, S. 455), Preuß (1906, S. 35f.) und Rudolf Ehwald, Archivbeschreibung 1908. Preuß (S. 35 Anm. 3) nahm wohl zu Recht für die Bilder trotz offenkundiger Nähe zu den Blockbuchfassungen schon aus Datierungsgründen als direkte Vorlage eher eine gemeinsame handschriftliche Vorlage als einen Blockbuch-Druck selbst an. Schmitt (2004, S. 410f.) zufolge ist die Gothaer Handschrift nicht allein wegen der Datierung 1455, sondern auch aufgrund einiger Lesarten entstehungsgeschichtlich zwischen die Vorlage des kurz nach der Mitte des 15. Jahrhunderts entstandenen chiroxylographischen Blockbuchs (siehe Nr. 63.3.A.) sowie der New Yorker Handschrift Ms. 100 (siehe Nr. 63.3.6., Schmitt: »Handschrift ehemals Weigel«) und die erste Ausgabe (Mitte der sechziger Jahre) des rein xylographischen Drucks zu stellen (Nr. 63.3.B.). Mit Nr. 63.3.A. teilt die Gothaer Handschrift in der Bildausführung kein aussagekräftiges Detail (bis auf die Tatsache, dass beide bei der Geburt des Antichrist statt einer Hebamme einen Teufel am Werk sehen: Gotha, 7r, Blockbuch, [2]v), noch weniger spezifisch ist die Nähe zu New York, Ms. 100 und zu den übrigen handschriftlichen ›Weltchronik‹-Zyklen (Nr. 63.3.1., Nr. 63.3.2., Nr. 63.3.4., Nr. 63.3.5.). Die Abfolge der Bilder (siehe Bildthemen) wie auch das vergleichbar gekennzeichnete Personal zeigt vielmehr eine eindeutige Verwandtschaft zum xylographischen Blockbuch, allerdings gilt dies auffallenderweise weniger für die gegenüber dem Blockbuch sehr viel individuelleren drei mittelalterlichen Szenen (25r–v, 28v) als für die neuzeitlichen Nachzeichnungen, die oft wie seitenvertauschte Kopien des Blockbuchs wirken. Wie punktuelle Beziehungen zu Bilddetails einzelner anderer Handschriften (Gotha, 9v zeigt zwei Winde, aus einer Wolke löst sich ein Teufel, vergleichbar ist Wien, Cod. 2838, 166va [Nr. 63.3.8.], wo ebenfalls Wolkenwinde zu sehen sind, die hier jedoch das Meer hochblasen) zu bewerten sind, bleibt offen.

Bildthemen:

Siehe Bildthementabelle Einleitung der Untergruppe 63.3. Inhaltliche Anordnung wie Themenbearbeitung folgen der Blockbuchfassung (siehe 63.3.B.). Am markantesten:

– Der Übergang von der Antichrist-Folge zur Folge der Fünfzehn Zeichen: Ende der Antichrist-Vita und Texteinleitung zu den Fünfzehn Zeichen nehmen das alte Blatt 28r–v ein, 29r folgt wie im Blockbuch als Nachtrag die zuvor ausgelassene Szene von den Ausschweifungen nach dem Tod des Antichrist, unmittelbar danach beginnt die Bildfolge der Fünfzehn Zeichen (während die übrigen Zeugnisse des ›Bildertexts‹ Spiel-, Ess- und Streitorgien zeigen, erinnert die Darstellung der Gothaer Handschrift eher an Liebesszenen: Links sitzt ein Paar in Umarmung zusammen, rechts führt ein Mann eine Frau in ein Haus; das xylographische Blockbuch [63.3.B.], Taf. 25 hat hier eine Festmahlszene, wobei das im Vordergrund tanzende Paar Anlass für die Formulierung des Themas mit Liebesmotiven in der Gothaer Handschrift gegeben haben könnte).

– Die Zusammenführung mehrerer Szenen: Blockbuch wie Handschrift führen die Szene vom ungläubigen libyschen König, der den Antichrist zum Grab seiner Eltern führt, mit derjenigen der Auferweckung der Eltern durch den Antichrist zusammen (Gotha, 16r; Blockbuch, Taf. 16 oben), ebenso die Folterszenen (Gotha, 22r; Blockbuch, Taf. 18 oben) sowie die Szenen vom Verstecken der Christen in Höhlen und von deren Rückkehr und Abweisung am Brotstand (wobei Gotha auf 22v beide Szenen durch Umstellung der zweiten nur räumlich auf ein Blatt zusammenführt, jedoch in zwei separaten Bildern [und Texten] behandelt, während im Blockbuch auf Taf. 18 unten die Verschmelzung komplett ist).

– Die übereinstimmende Anordnung der Fünfzehn Zeichen: Abfolge des 5. bis 14. Zeichens 5, 7, 8, 6, 14, 9, 10, 11, 12, 13 (Gotha, 30v–32v; Blockbuch, Taf. 30–33).

Farben:

Mittelalterliche Zeichnungen: Ocker, Gelb, Rot, Violettrot, Orangerot, Blau, Grün, Grau. Kopien des 17. Jahrhunderts: Blau, Gelbocker, Braunocker, Braun, Grün, Rosa, Rot, Violettrot, Grau.

Literatur:

Jacobs/Ukert (1835) S. 125f.; Rockar (1970) S. 41 (ohne Hinweis auf die mittelalterlichen Blätter). – Nölle (1879) S. 455; Hans Preuss: Die Vorstellungen vom Antichrist im späteren Mittelalter, bei Luther und in der konfessionellen Polemik. Ein Beitrag zur Theologie Luthers und zur Geschichte der christlichen Frömmigkeit. Leipzig 1906, S. 35f., Abb. 1 (25r); Schmitt (2004) S. 410f., 417 u. ö., Abb. 1 (12v), 2 (16v); Ulrike Bodemann / Cornelia Hopf / Falk Eisermann: Beschreibung für den Katalog der deutschsprachigen mittelalterlichen Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha, siehe http://www.manuscripta-mediaevalia.de (unter Projekte / Gotha); Wagner (2016) S. 39f., Abb. 12 (30v).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Taf. XVIa: 20r. Antichrist erlernt in Chorazin die Zauberkünste.

Taf. XVIb: 25v. Antichrist lässt Feuerzungen auf seine Jünger fallen.

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Taf. XVIa.
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Taf. XVIb.