63.3.8. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2838
Bearbeitet von Ulrike Bodemann
KdiH-Band 7
1476.
Bayerisch-schwäbischer Grenzraum (Allgäu?).
Aus dem Besitz der Grafen von Zimmern, deren Sammlung 1576 durch Verkauf an Erzherzog Ferdinand II. von Tirol kam (Altsignatur 1r MS. Ambras. 411). Nach 1665 in die Wiener Hofbibliothek überführt.
1. | 1ra–163rb |
Jean de Mandeville, ›Reisen‹, deutsch von Otto von Diemeringen
Hs. W1. 1ra–11ra Register, das den Text von dem endcrist, darnach von den funfczehen zaichen die vor dem Jungsten tag komment einschließt
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2. | 163va–178va | ›Antichrist-Bildertext‹ |
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Papier, III + 180 Blätter (vom Schreiber gezählte Lagen), 317 × 217 mm, zweispaltig (172v–174r einspaltig), 27–28 Zeilen, Bastarda, ein Schreiber: Hans Minner aus Konstanz, 20. Dezember 1476 (Kolophon 178va; da es mehrere Personen dieses Namens gibt, für die Schreibertätigkeiten nachgewiesen sind, ist eine zweifelsfreie Identifizierung nicht möglich), rote Strichel und Überschriften, Lombarden und Initialen über zwei bis drei Zeilen, 1ra Freiraum für eine vierzeilige Initiale.
südostschwäbisch.
In Text 1 zahlreiche (mehr als 200) ausgeführte kolorierte Federzeichnungen, die freie Seite 11v womöglich ursprünglich ebenfalls für eine Illustration vorgesehen. In Text 2 ca. 66 kolorierte Federzeichnungen. Wohl von einer Hand, erst nach dem Binden der Handschrift ausgeführt (oft über zwei Seiten des aufgeschlagenen Buches reichend); vor der Ausführung wurden vom Schreiber (als Anweisung für den Zeichner?) die Freiräume fortlaufend, aber mit Neuansatz bei Text 2, in sich wiederholenden Alphabeten durchgezählt, wobei die Bezeichnung 174r mit dem Buchstaben y für das letzte Bild des Antichrist-Textes endet; die Fünfzehn Zeichen bleiben ungezählt: (11r–29v, 30r–43r, 43v–54r, 54r–67v, 68r–78v, 79r–96v, 96v–104v, 104v–123r, 124v–143v, 144r–154v)a–z, (155r–163v)a–e; (163v–169ra)a–z, (169rb–174r)a–y.
Zum Antichrist ungerahmte Bilder in unterschiedlichen Formaten, in schlichter linearer Einfassung nur die beiden Bildpaare 164v (164va sogar doppelte lineare Einfassung) und 173v. Die Text-Bild-Zuordnung ist von Anfang an gestört, was zum Teil auf inkongruente Textanordnung durch den Schreiber zurückzuführen sein könnte; sie folgt unterschiedlichen Mustern: Mal legt der Schreiber spaltenübergreifende Freiräume in der oberen Seitenhälfte für Bildstreifen zur Aufnahme von je zwei Szenen an, die meist durch einen gemeinsamen Bodenstreifen und ineinandergreifende Architektur verknüpft sind (164v, 165v, 166r, 166v, 172r), mal sind Freiräume zwischen dem fortlaufenden Text vorgesehen (163va, 165ra, 167ra und weitere), hinzu kommen ausladende Darstellungen, in denen – nach dem Muster des in Text 1 bevorzugten Typs – der untere Blattrand die Basis bildet, auf der das Bild am unteren Randsteg und häufig an beiden Blatträndern am Text entlang aufsteigend entwickelt wird.
Ohne Textanbindung werden bereits am Textbeginn nicht nur die Schlange Cerestes, sondern auch Zeugung und Geburt des Antichrist schon vor dem Bericht über die Weissagung Jakobs an seinen Sohn eingefügt (163v), die Bildfolge läuft somit quasi schneller als die Textreihe (das Bild von der Ankunft in Karphanaum wird dem Text von dem Erlernen des Goldmachens zugeordnet, das Bild von der Beschneidung des Antichrist dem Text von der Ankunft in Karphanaum etc.). Ab 166v ist zudem auch die Textfolge gestört, wodurch die Zuordnung weiter erschwert wird; vermutlich folgt bereits der Text nicht linear einer Vorlage, sondern ist kompiliert: Text und Bilder zur Rückkehr von Elias und Henoch aus dem Paradies und deren Predigten (167rb–167va) sind erst im Anschluss an die Szenen vom Antichrist, der eine neue Lehre und ein neues Gesetz verkündet, sowie von seinen ersten Wundertaten (166rb–167ra) eingefügt. Die Szenenfolge von der Aussendung der Jünger und ihren Predigten ist ebenfalls bereits im Text korrumpiert: Die Aussendung (169r, Bild 169vb oben) und die Predigten an die Ägypter und an die Libyer werden erst nachgeholt, nachdem bereits die Predigt an das Volk vom Mohrenland (168r, Bild 167vb unten), an die Amazonenkönigin und die Roten Juden (168ra), an die Christenheit (168rb) sowie der Zug der Roten Juden mit Gog und Magog und der Amazonenkönigin zum Antichrist und die Zeichnung der Juden (168v) geschildert wurden.
Die Fünfzehn Zeichen beginnen 175ra mit einem ungerahmten Bild, es folgen kreisrund eingefasste oder rechteckig bis quadratisch gerahmte Bilder zwischen dem Text (ein bis zwei Bilder pro Spalte). Der Schriftspiegel wird dabei nur annähernd als Orientierung für die Größe der Bildchen benutzt, meist ragen sie über ihn hinaus in die Randstege hinein. Die Bilder sind nun konsequent dem Bezugstext nachgeordnet, wobei dabei für das 15. Zeichen (177rb) kein unmittelbar anschließender Raum freigelassen wurde, die Illustration musste daher im Text über das Jüngste Gericht, vermutlich an Stelle der hier eigentlich vorgesehenen Weltgerichtsdarstellung, nachgetragen werden (177vb).
Die Szenen spielen auf nur nach oben linear begrenzten, grün und ocker lavierten Bodenstücken, oft durch braune Randung wie Bodenschollen wirkend. Gelegentlich städtische Kulissen als Hintergrund (hohe weiße Häuser und Türme mit roter, seltener grüner Bedachung). Figuren gedrungen, Gewänder zuweilen in recht detaillierter, Volumen andeutender Fältelung, sonst wenig Binnenzeichnung, nur Gebäude oder Terrains manchmal mit wenigen Schraffen versehen, darüber hinaus kaum zeichnerische Modellierung. Einzelne Darstellungen sind allerdings ausnahmsweise – in Anknüpfung an viele der größerformatigen Zeichnungen in Text 1 – sehr wohl mit zeichnerischen Mitteln ausgestaltet, so vor allem 173v oben (Überführung des Antichrist in die Hölle). Flächige Kolorierung, die zwar den Papiergrund als Farbe Weiß einbezieht, ihn auch zur Höhung nutzt, wobei dabei aber meist über Faltenbrüche etc. achtlos hinweggegangen wird. Gesichtspartien bleiben abgesehen von kleinen Wangentupfern unkoloriert. Hintergrund in den ungerahmten Bildern leer, in den eingefassten Bildern geben zumindest blaue Pinselstriche den Himmel an. Räumlichkeit wird durch hoch angesetzte Horizontlinien und starke Schrägstellung von Mobiliar u. ä. erzeugt, wobei der Betrachter den Eindruck einer Draufsicht gewinnt. Figuren oft in heftiger Körperbewegung, dabei fehlen häufig Körperteile. Der Antichrist ist von einem kleinen, vogelartigen Dämon begleitet.
Siehe
Blau, Grün, Oliv, Violettrot, Braun, Graubraun, Ocker, Grau, Rot.
Jean de Mandeville, Reisebeschreibung. Übertragung aus dem Französischen von Otto von Diemeringen. Der Antichrist und die fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Gericht. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Codex 2838. Einführung und Beschreibung der Handschrift von
Zu Text 1 siehe Stoffgruppe 107.
Taf. XVa: 167r. Henoch und Elias kehren aus dem Paradies zurück und predigen gegen den Antichrist.
Taf. XIXc: 177r. 12. bis 14. Zeichen: Vor dem Jüngsten Gericht.