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52. Heiltumsbücher

Bearbeitet von Nicola Zotz

KdiH-Band 6

Im Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung von Reliquienverehrung wuchs seit der Mitte des 15. Jahrhunderts auch das Bedürfnis, die Reliquien in Texten zu dokumentieren. Zunächst geschah dies in chronikalischem Kontext, häufig gemeinsam mit Urkunden, die die Heilswirksamkeit der Reliquien beglaubigen sollten. Seit den 1480er Jahren entwickelte sich ein neuer Typus von Heiltumsbüchern, die mithilfe des Buchdrucks und häufig unter Beigabe von Abbildungen für die Verbreitung des Wissens um die Reliquienschätze sorgten. In einigen Fällen und aus ganz unterschiedlichen Gründen bediente man sich auch des alten Mediums der Handschrift.

Der Begriff ›Heiltumsbuch‹ wird im Folgenden als katalogartige Zusammenstellung von Reliquien im Besitz einer Person oder Institution verstanden, unabhängig davon, in welchem Medium diese Aufzeichnung geschieht. Er bezeichnet also den Inhalt einer Handschrift oder eines Drucks. Die Forschung bezeichnet hingegen mit ›Heiltumsbüchern‹ meist Drucke; Handschriften werden in der Regel nur aufgeführt, um aus ihnen Rückschlüsse auf die dargestellten Realien zu ziehen. Demgegenüber scheint es angebracht, die jeweils spezifische Medialität von Handschrift und Druck nebeneinander zu sehen und gegebenenfalls ihr Zusammenspiel zu erfassen, gerade wenn beide Medien sich in ihren Inhalten eng aufeinander beziehen (eine Systematik der verschiedenen Medientypen versucht Cordez [2006b]). Keine Berücksichtigung können dabei im vorliegenden Katalog illustrierte Drucke von solchen Heiltumsbüchern finden, die nicht auch in Handschriften überliefert sind, selbst wenn ikonographische Bezüge zu ihnen nachzuweisen sind (dazu grundlegend Cárdenas [2013a]).

Die Anordnung der Untergruppen erfolgt alphabetisch nach den Entstehungsorten der handschriftlichen Heiltumsbücher: 52.1. Andechser Heiltumsbuch, 52.2. Bamberger Heiltumsbuch, 52.3. Haller Heiltumsbuch (aus Hall in Tirol), 52.4. Hallesches Heiltumsbuch (aus Halle an der Saale), 52.5. Salmanskirchener Heiltumsbuch und 52.6. Wittenberger Heiltumsbuch.

Heiltumsbücher sind Listen. Sie sind in ihrem Kern weder narrativ noch kontemplativ, und sie entwickeln keine Argumente (zu Reliquien-Inventaren grundsätzlich Cordez [2015] S. 58–81). In ihrem Aufbau lehnen sie sich in aller Regel an die regelmäßig stattfindenden Heiltumsweisungen des jeweiligen Ortes an, bei denen die Reliquien den Gläubigen vorgeführt wurden, und dieser Aufbau folgt nicht unbedingt einer inneren Logik. Und selbst wenn er es tut, indem beispielsweise eine heilsgeschichtliche Anordnung zugrundeliegt, so treten die Elemente des Heiltumsbuchs nicht in eine syntagmatische Beziehung. Diese Tatsache hat Auswirkungen auf die Text-Bild-Beziehung: Ausgangspunkt ist stets das Reale, also die einzelne Reliquie oder das Reliquiar. Diese gilt es einzufangen, und das geschieht seit dem späten 15. Jahrhundert fast immer in einem ersten Schritt mithilfe der Abbildung, der dann in einem zweiten Schritt die Beischrift hinzugefügt wird. Der Primat des Bildes schlägt sich auch in der Seitengestaltung nieder: Der Leserichtung folgend, wird in aller Regel links oder oben das Bild und rechts daneben oder darunter die Beischrift geboten. Statt nach der Funktion des Bildes (Erläuterung, Kommentar, Hervorhebung) ist in diesem Zusammenhang also nach der Funktion des Textes zu fragen (er soll etwa das erklären, was man sieht, oder das hinzufügen, was man im Bild nicht sehen kann, also die im Reliquiar enthaltenen Reliquien). Einzig im Salmanskirchener Heiltumsbuch (Nr. 52.5.1.) gelangt nur selten die Reliquie und nie das Reliquiar zur Darstellung; stattdessen wird hier, noch am ehesten im Sinne einer Illustration, das dargestellt, worauf der Text verweist, also etwa das biblische Ereignis oder der Ort im Heiligen Land, von dem eine Reliquie erhalten ist.

Stärker als in anderen Stoffgruppen spielt also hier der Bezug zwischen Bildern und Realien eine Rolle (vergleiche aber auch Stoffgruppen wie 38. Fecht- und Ringbücher, 39. Feuerwerks- und Kriegsbücher oder 70. Kräuterbücher). In den meisten Fällen sind die Reliquien in situ abgezeichnet worden, wobei wegen des Verlustes zahlreicher Realien ein Vergleich oft nicht mehr vorgenommen werden kann. Dennoch lassen sich, etwa am Umgang mit veralteten Stilelementen, immer wieder Rückschlüsse auf das zeichnerische Ideal von Wirklichkeitsnähe, Modernisierung oder Typisierung ziehen. Gleichzeitig ist auch zu fragen, welche Auswirkungen wiederum der Vorgang der Aufzeichnung auf die Realien hat, was also das Buch mit dem Heiltum macht. Neben seiner Funktion, die Reliquien zu verbreiten und mitnehmbar zu machen, konnte das Buch auch ganz konkret auf das Heiltum zurückwirken, wenn es nämlich der Anlass war, die Reliquien zu systematisieren. Dieser Vorgang lässt sich in Wittenberg im Jahre 1509 nachverfolgen: Hatte die vorher als Skizzenbuch entstandene Handschrift (Nr. 52.6.1.) noch keine Systematisierung der Reliquiare und der in ihnen enthaltenen Reliquien vorgenommen (ebenso wenig wie die bis dahin erhaltenen nicht illustrierten Verzeichnisse), so weisen die kurz darauf gedruckten Bücher (52.6.a. und 52.6.b.) eine von Ausgabe zu Ausgabe fortschreitende Anordnung der bei Heiltumsweisungen zu zeigenden Reliquien nach heilsgeschichtlicher und hagiographischer Bedeutung auf.

Das erste prachtvoll (wenn auch nicht mit darstellenden Abbildungen, sondern mit Prunkinitialen) ausgestattete volkssprachliche Heiltumsbuch stammt aus Andechs (drei Exemplare, 1457 [Nr. 52.1.1. und Nr. 52.1.2.] und 1458 [Nr. 52.1.3.]). Es gehört noch dem alten Typus an, der sich aus der Chronik herleitet: Die Zusammenstellung der Reliquien ist als fortlaufender Text notiert und im Kontext mit chronikalischen Texten überliefert. Die kostbare Ausstattung des Heiltumsbuchs insbesondere der ersten beiden Fassungen markiert hierbei das Ziel der Prachtentfaltung durch die Dokumentation der Reliquien, was auf die Heiltumsbücher des frühen 16. Jahrhunderts vorausweist. In Andechs steht das in einem klaren politischen Kontext und kann als »zielbewußte Propagandatätigkeit im Interesse der Andechser Reliquien« verstanden werden (Albert Brackmann: Die Entstehung der Andechser Wallfahrt. Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse 1929, Nr. 5, S. 1–39, hier S. 21). 1451 hatte Nikolaus von Cues als päpstlicher Legat die Reliquien geprüft; daraufhin hatte 1453 Papst Nikolaus V. der Umwandlung des Stifts Andechs in eine Benediktinerabtei zugestimmt und die Verehrung der Reliquien gestattet. Im Zusammenhang damit nahm seit 1451 die Produktion von Texten zur Klostergeschichte zu. Da die Einrichtung des Benediktinerklosters von Herzog Albrecht III. vorangetrieben worden war, der hier ein Familienkloster einrichten wollte, ist es folgerichtig, dass das erste Exemplar des Heiltumsbuchs an seine Familie ging (Widmungsträger ist Albrechts Sohn, Sigmund). Auch mit dem zweiten Exemplar verfolgte man eine politische Intention: Am 5. August 1455 hatten die Wittelsbacher Herzöge Ludwig und Albrecht III. ein Bündnis mit Herzog Sigmund von Österreich geschlossen, und aus Andechser Sicht lag es nahe, sich der Unterstützung des österreichischen Herzogs zu versichern, indem man ihm ebenfalls ein Exemplar widmete. Die Rechnung ging auf: »Herzog Sigmund stellte für Andechs 1464, 1466 und 1487 Schenkungsurkunden aus, und in der Begründung wird ein Besuch des Herzogs in Andechs erwähnt« (Brackmann, S. 17).

Auch in einem politischen Kontext, aber mit vollkommen anderer Funktion entstand in den Jahren 1508/09 die Handschrift des Heiltumsbuchs von Hall in Tirol (Nr. 52.3.1.) als Vorlage für einen Druck, zu dem es nie kommen sollte. Sie ist stark an die Person des Ritters Florian Waldauf rückgebunden, der eine Heiltums-Stiftung ins Leben gerufen hatte und, als Verfasser des Heiltumsbuches, seine Rolle als Stifter an vielen Stellen in das Buch einschrieb. Das Buch stellt in den Teilen 1 bis 4 die Geschichte und die Inhalte dieser Stiftung dar. Der sich anschließende Teil 5 ist das, was anderswo das ganze Heiltumsbuch ausmacht: eine Liste der zusammengetragenen Reliquien. Dieses Buchprojekt rückt in die Nähe eines chronikalischen Berichts über die an eine spezifische Person gebundene Unternehmung, in der die Heilserwartung des Stifters mit seinen weltlichen und materiellen Erfolgen eine enge Bindung eingehen (vgl. Cárdenas [2013a] S. 239). Ähnlich wie in Andechs ist auch dieses Projekt also Ausdruck eines politischen Interesses. Bemerkenswert ist, dass das Haller Heiltumsbuch dabei ganz wesentlich an die Performanz der Heiltumsweisung rückgebunden ist: Die Reliquien sind nach den Gängen der Weisung geordnet, ihr Ablauf wird ferner in Regieanweisungen präsent gehalten. Der geplante Druck sollte also offenbar seinen repräsentativen Zweck gerade durch die performative Funktion erfüllen.

Die zeitgleich entstandene Handschrift des Bamberger Heiltumsbuchs (Nr. 52.2.1.) diente ebenfalls als Vorlage für einen Druck (52.2.e.). Sie konnte dabei auf eine bereits bestehende Tradition von illustrierten Drucken zurückgreifen, sollte aber gleichzeitig die Vorlage für einen neuen und neuartigen Druck bilden, der erstmals wirklichkeitsnahe Abbildungen der Reliquien bot, wofür man die Handschrift mit Zeichnungen nach den Originalen versah. Dies geschah im Auftrag des Bischofs mit dem Ziel, erstmals einen gewissermaßen autorisierten illustrierten Druck zu publizieren, denn seit dem ersten – nicht illustrierten – Druck von 1493 hatte es keine vom Bischof in Auftrag gegebenen Heiltumsbücher mehr gegeben. Stattdessen waren bei Hans Mair in Nürnberg mehrere sehr erfolgreiche Auflagen eines illustrierten Bamberger Heiltumsbuchs erschienen. Das änderte sich mit dieser Handschrift und dem auf ihr basierenden Druck. Die Reliquien wurden in situ – nach dem rechten waren heilthumb (im Druck air) – neu gezeichnet, und auf der Basis der Zeichnungen wurden neue Holzschnitte angefertigt. Die Handschrift geht freilich nicht in ihrem Druckvorlagencharakter auf, sondern wurde auch noch Jahre später benutzt. Ihre Größe lässt den vorsichtigen Schluss zu, dass man die Handschrift nicht nur selbst betrachten, sondern möglicherweise auch im kleinen Kreis zeigen wollte.

Auch das Wittenberger Heiltumsbuch stammt aus der Zeit um 1509, hier hat sich gleichfalls eine handschriftliche Druckvorlage erhalten (Nr. 52.6.1.). Ähnlich wie in Bamberg sind die Zeichnungen wohl vor den Originalen entstanden, anders als dort jedoch trägt die Handschrift deutliche Züge von Vorläufigkeit. Mit ihren eingeklebten, kaum kolorierten skizzenhaften Zeichnungen und den flüchtigen Beischriften erschöpft sie sich offensichtlich in ihrer Funktion als Druckvorlage. Die beiden aus ihr hervorgegangenen Druck-Ausgaben hingegen schlagen durch die Größe und Opulenz der von Lucas Cranach d. Ä. angefertigten Holzschnitte einen neuen Weg ein: Anders als vorher liegt der Schwerpunkt jetzt nicht mehr nur auf der Bedeutung der Reliquien, sondern es wird die Kostbarkeit und Kunstfertigkeit der sie enthaltenden Reliquiare ins Zentrum der Darstellung gerückt. Das spiegelt sich in den Beischriften, die nunmehr auch der Beschreibung der Reliquiare, ihrem Typus, Material und Aussehen, gewidmet sind. Damit einher geht eine noch genauere Erfassung des Inhalts der Reliquiare: Hatte es zuvor gereicht, auf den Heiligen zu verweisen, von dem die Reliquie stammte, so wird nun akribisch die Anzahl der enthaltenen Partikel angegeben.

Im Unterschied dazu scheint im Salmanskirchener Heiltumsbuch, das nur als Handschrift erhalten ist (Nr. 52.5.1.), ein rein privates Unternehmen vorzuliegen. Der Sammler Degenhart Pfeffinger ließ zwischen 1511 und 1515 den Reliquienschatz, den er zusammengetragen hatte, in Wort und Bild aufzeichnen. Die wichtigste Funktion dieser individuell und variabel gestalteten Illustrationen scheint die Wiedererkennbarkeit und damit die Auffindbarkeit der gesuchten Stücke im Buch gewesen zu sein. Dies und die Tatsache, dass man von keiner Heiltumsweisung in Salmanskirchen weiß, spricht für eine Nutzung des Heiltumsbuchs zur Erbauung und Kommemoration. Daneben ist nicht auszuschließen, dass Degenhart Pfeffinger das Buch auch anderen gezeigt und es somit für Repräsentationszwecke genutzt hat. Friedrich der Weise, an dessen Hof er arbeitete, war selbst Auftraggeber eines der wichtigsten Heiltumsbücher ( 52.6.a. und 52.6.b.), und es ist möglich (wenn auch nicht nachweisbar), dass Pfeffinger an der Zusammenstellung von Friedrichs Reliquienschatz beteiligt war und sich in diesem Zusammenhang auch mit diesem über seinen eigenen ausgetauscht hat.

Kurz nach 1525 entstand in Halle an der Saale die letzte bebilderte Handschrift eines Heiltumsbuchs (Nr. 52.4.1.). In diesem Fall war eine Druckausgabe vorausgegangen (52.4.a.): Albrecht von Brandenburg hatte sie 1520 in Anlehnung an das Wittenberger Heiltumsbuch veranlasst, dieses aber mit seinem Halleschen Heiltumsbuch in Umfang und Ausstattung gezielt in den Schatten gestellt, wie auch seine Reliquiensammlung selbst alles bisher Dagewesene übertraf. Fünf Jahre später ließ er für sich persönlich seinen Schatz noch einmal dokumentieren: in einer hinsichtlich Material, Format und Abbildungen opulent ausgestatteten Handschrift. Diese im Anschluss an einen Druck entstandene Handschrift scheint – was nicht zuletzt die eigenhändigen Notizen Albrechts beweisen – viel stärker als alle anderen Heiltumsbücher eine persönliche Funktion gehabt zu haben. Albrecht, der exzessive Sammler, wünschte sich offenbar eine Dokumentation seines Schatzes für sich allein im Medium der Handschrift.

Der Druck des Heiltumsbuchs im Jahr 1520 fiel genau in die Zeit, in der Martin Luther seine reformatorischen Glaubenssätze verbreitete. 1517 hatte er in Wittenberg seine Thesen angeschlagen, und bis 1520 waren bereits 25 Auflagen seiner Schrift ›Ein Sermon von Ablaß und Gnade‹ erschienen. Im Dezember 1521 forderte er Albrecht nachdrücklich auf, die Heiltumsweisungen in Halle einzustellen; Albrecht, der sich nicht in einen offenen Konflikt mit Luther begeben wollte, fügte sich seinen Forderungen in einem Brief vom 21. Dezember 1521. Die Handschrift, die er sich kurz nach 1525 anfertigen und höchst kunstvoll und luxuriös ausstatten ließ, legt Zeugnis ab von diesem Rückzug ins Private, der gleichwohl nicht einen Verzicht auf das Weitersammeln prunkvoller Reliquien bedeutete, wie der gegenüber dem nur fünf Jahre zuvor erschienenen Druck deutlich erweiterte Reliquienbestand erweist. Dass sich in der Handschrift noch Reminiszenzen auf die vormalige Weisung finden (so sind Worte des Heiltumsschreiers in der Vorrede aufgeführt), kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zusammenstellung von Reliquiaren in dieser Handschrift nur noch einen privaten Zweck erfüllte.

Der Blick auf die illustrierten Heiltumsbuch-Handschriften ergibt, dass dieser Typus ohne den Buchdruck nicht denkbar ist. Keinen unmittelbaren Bezug zum Druck haben allein die Beispiele von Andechs, wo die späteren Drucke die Reliquienliste noch stärker in die Chronik inkorporieren, und Salmanskrichen, der privaten Sammlung mit allenfalls dynastischer Funktion. Demgegenüber ist die Handschrift des Bamberger Heiltumsbuchs im Rückbezug auf vorangegangene Drucke und ihrerseits als Vorlage für einen Druck entstanden (wenn auch Größe und farbliche Gestaltung der Zeichnungen über eine reine Druckvorlagenfunktion hinausweisen). Die Wittenberger Handschrift geht hingegen in der Vorlagenfunktion für den Druck völlig auf, ebenso wie die Handschrift aus Hall, die mit zahlreichen Anweisungen an den Drucker und eingeklebten Holzschnitten geradezu als Hybridmedium anzusehen ist. Die Handschrift des Halleschen Heiltumsbuchs schließlich lebt durch ihren Rückbezug auf den Druck, von dem sie sich gleichwohl in ihrem privaten Anspruch abgrenzt. Die Abwendung vom Druck zu einer Zeit, als Luthers Ideen sich wie ein Lauffeuer gerade mithilfe des Buchdrucks verbreiteten, kann hier nur als programmatisch verstanden werden.

Unabhängig vom Medium stellt sich die Frage, welchen Stellenwert die Darstellung einer Reliquie oder, auf sie verweisend, eines Reliquiars hatte (zum Abbilden von Reliquien Cordez [2006a] und [2006b]). Die Tatsache, dass Menschen bei Heiltumsweisungen Spiegel verwendeten, um die Abbilder von Reliquien einzufangen und mitzunehmen (grundlegend Kurt Köster: Gutenbergs Straßburger Aachenspiegel-Unternehmen von 1438/1440. Gutenberg-Jahrbuch 58 [1983], S. 24–44), deutet darauf, dass man auch abgebildeten Reliquien eine Heilswirksamkeit zuschrieb. Seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts waren Pilgerfahrten zum Massenphänomen geworden, was die Berührung der Reliquien durch die Pilger unmöglich machte. Die Heilswirksamkeit musste also auf anderem Weg gewährleistet werden, nämlich indem man den Spiegelzauber aus heidnischen Zauberpraktiken auf die Heiltumsweisungen übertrug und so ein Spiegelbild der Reliquien mit sich nehmen konnte. Auch wenn dieses Brauchtum von Theologen als Aberglaube verurteilt wurde, scheint doch der nächste Schritt, mit dem man Pilger am Heiltum teilhaben ließ, eine konsequente Weiterentwicklung genau dieses Gedankens zu sein: das Bannen des Heiltums auf Papier und seine schnelle und effiziente Verbreitung durch den Buchdruck, die es den Pilgern erlaubte, das (zunächst nur schriftlich, bald aber auch bildlich eingefangene) Heiltum mit nachhause zu nehmen. Auch der durch ein Abbild vermittelte Kontakt zum Heiltum wurde also als heilswirksam angesehen.

Offen bleiben muss in diesem Zusammenhang die Frage, ob man einen Unterschied zwischen dem gezeichneten und dem gedruckten Abbild empfunden hat. Das Format des gezeichneten Bamberger Heiltumsbuchs könnte nahelegen, dass man es zum Zeigen der Reliquiare in kleinem Kreis verwendet und es hierbei dem Druck, der ja vorlag, vorgezogen hat. Auch Albrechts von Brandenburg privates, handschriftliches Exemplar des Halleschen Heiltumsbuchs könnte in diesem Zusammenhang gesehen werden. Deutet sich hier an, dass man dem Medium Handschrift um 1500 im Vergleich zum Druck eine größere Unmittelbarkeit zugeschrieben hat? Wenn auch der Holzschnitt für die Verbreitung der Reliquien und der Druck für die mediale Vermarktung der Heiltumsweisungen zentral war, so besaßen Zeichnungen in handgeschriebenen Büchern – weil sie Unikate waren? – möglicherweise eine andere Heilswirksamkeit.

Bild und Text erweisen somit in ihrem spezifischen Zusammenspiel eine Doppelfunktion des Heiltumsbuchs: Es ist einerseits (und von dort leitet es sich her) ein Dokumentationsmedium, zunächst wesentlich für die besitzende Institution. Auf der anderen Seite weist es aus der Sammlung heraus auf eine wie auch immer geartete Öffentlichkeit, erfüllt also die Funktion der Repräsentation verbunden mit der Verbreitung der Heilswirksamkeit durch das Abbild. Diesen Aspekt bedient wesentlich der Druck, der in seiner Reproduzierbarkeit genau auf eine solche breite Öffentlichkeit zielt. Aber dies tut auch, in unterschied-licher Ausprägung, die Handschrift. So wissen wir bereits für Andechs, dass politische Gönner zur Zielgruppe gehörten; und die Größe mancher Zeichnungen lässt vermuten, dass auch Handschriften nicht nur von Einzelpersonen rezipiert werden sollten (Bamberg, auch Halle?).

Im Anschluss an die ältere, noch ganz am Text ausgerichtete Tradition entwickelte sich in einer sehr kurzen Zeitspanne – zwischen 1487, dem Jahr des ersten gedruckten Nürnberger Heiltumsbuchs (Nürnberg: P. Vischer, GW M27302), und kurz nach 1525, als das Hallesche Heiltumsbuchs in einer Handschrift festgehalten wurde – der Typus mit engem Bild-Text-Nexus. Auch wenn hier der Primat des Bildes galt, so kam auch dem Text eine wesentliche Funktion zu: die Kenntlichmachung der Reliquien. Eine vergleichbare Rolle hatten Texte schon früh auch für die Realien gespielt: Man gab Zettel (cedulae) in die Reliquiare, auf denen die Namen der entsprechenden Heiligen vermerkt waren, und diese wurden zu einem wesentlichen Bestandteil der Reliquien (grundlegend Cordez [2015] S. 58–81). Die zentrale Funktion solcher Zettel wird in manchen Heiltumsbüchern gespiegelt, wenn sie in die Abbildungen der Reliquiare hineingenommen sind, und vor allem dann, wenn Reliquien ohne Zettel zwar aufgenommen, aber als unvollständig markiert werden. Am Salmanskirchener Heiltumsbuch lässt sich anschaulich zeigen, dass auch im Buch nur der Nexus von Bild und Text jene Heilswirksamkeit hatte, die in der Wirklichkeit durch die Kombination von Reliquie und Zettel zustande kam. Der letzte Eintrag dieses Heiltumsbuchs lautet nämlich: Und etlich Stúck Heiltúm gepayn der nomen nit wissent ist doúon die zetele sein werwessenn (S. 50). Hier und nur hier fehlt eine Illustration des Eintrags – wo keine Zettel die Heiligkeit der Reliquien bezeugen, ist der Eintrag auch keines Bildes würdig.

Literatur zu den Illustrationen:

Hartmut Kühne: Ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum. Berlin / New York 2000 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 65), S. 32–50. – Falk Eisermann: Heiltumsbücher. In: 2VL 11 (2001) Sp. 604–609. – Philippe Cordez: Reliquien und ihre Bilder: Zur Ablassvermittlung und Bildreproduktion im Spätmittelalter. In: Bild und Körper im Mittelalter. Hrsg. von Kristin Marek, Raphaèle Preisinger, Marius Rimmele und Katrin Kärcher. München 2006, S. 273–286. – Livia Cárdenas: Die Textur des Bildes. Das Heiltumsbuch im Kontext religiöser Medialität des Spätmittelalters. Berlin 2013.