87.1.9. München, Universitätsbibliothek, 2º Cod. ms. 578
Bearbeitet von Pia Rudolph
KdiH-Band 9
1474/75 (31r, 75r).
Süddeutscher, wohl schwäbischer Raum (siehe II.).
Zur Entstehung der Handschrift ist nichts bekannt. Das auf den Einband aufgeklebte Holzschnittwappen könnte auf Anton Sänftl verweisen, dessen Exlibris dasselbe Wappen zeigt und Mitte des 16. Jahrhunderts in München nachweisbar ist (vgl.
3r–31v |
›Iatromathematisches Hausbuch‹
Text bricht auf 31r ab: wer vngern lass der trinck von Gamandria drey tag das hillffet wol anno domini 1474
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32r–75r |
Verschiedene medizinische Texte, z. T. nicht vollständig
darunter 56r–75r Bearbeitung von Ortolfs von Baierland ›Arzneibuch‹
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Pergament, 76 Blätter (als Bl. 1 und 76 sind die Pergamentspiegel vorne und hinten gezählt; vierte und fünfte Lage beim Binden vertauscht; Textverlust zu Beginn: Kalender mit Monatsversen und -regeln; ein Blatt fehlt nach Bl. 3 und 11, zwei vor Bl. 4, fünf vor Bl. 10; vier wohl leere Blätter nach Bl. 31 und 75 herausgeschnitten; fehlende Lagen am Ende wohl ohne Textverlust), 260 × 172 mm, Bastarda, eine Hand, einspaltig, 25–34 Zeilen, rote Lombarden, Rubrizierung.
bairisch.
40 Deckfarbenminiaturen (Farbe teilweise stark beschädigt). Eine Hand.
Durch zahlreiche Textverluste (siehe I.) und das Vertauschen einer Lage ist der ursprüngliche Aufbau der Handschrift nur schwer zu rekonstruieren, weshalb er lediglich durch den Vergleich mit den anderen Handschriften dieser Untergruppe nachvollzogen werden kann. Die Seiten des Kalenderteils sind verloren, die noch erhaltenen Illustrationen wurden an verschiedenen Stellen im Codex eingeklebt: siehe Bildthementabelle (Nr. 87.1.). Demnach waren im Kalenderteil die Monatsarbeiten (etwa halbseitig) und die Tierkreiszeichen (max. acht Zeilen hoch) abgebildet, jeweils in Medaillons. Im Kapitel zu den Tierkreiszeichen (Lage ist heute hinter den Planeten und den Sternsehern) sind noch zwei Tierkreiszeichen erhalten (Wassermann und Fische), der Steinbock wurde ausgeschnitten und auf 75r eingeklebt; alle in Medaillons (ca. zwölf Zeilen hoch, etwa die Hälfte des Schriftspiegels breit). Es sind noch 14 von ursprünglich 24 Tierkreiszeichen vorhanden und elf von zwölf Monatsarbeiten (eventuell ist die Heuernte im Juli verloren). Die Planeten nehmen in ihren rechteckigen Feldern etwas weniger als eine halbe Seite ein, fünf sind noch an ihrer ursprünglichen Position (Saturn um 90 Grad gedreht auf 23r eingeklebt, hier eigentlich eine Lücke zum Kapitel zum Baden, er ist weniger breit als die restlichen Planetenbilder, weil er auf den Medaillons mit den Tierkreiszeichen steht, die sonst neben den Planeten angebracht wurden; Jupiter auf 27r eingeklebt, hier wäre ein Lücke für den Aderlassmann). In einem rechteckigen Bildfeld, 29 Zeilen hoch, zwei Drittel des Schriftspiegels breit: Zodiakusmann. In fast quadratischen Bildfeldern (ca. 16 Zeilen hoch): Sternseher, Temperamente, Aderlass, Badeszene, Harnschau.
Die Abbildung zum Melancholiker ist nicht mehr erhalten, das Kapitel zu den Temperamenten zeigt zu Beginn die Phlegmatiker beim Text zum Melancholiker und am Ende einen Aderlass beim Text zum Choleriker, so dass es hier, wie in München, Cgm 28 (Nr. 87.1.6.), eine Verschiebung gegeben haben muss. In den vermutlich in einer Werkstatt entstanden Codices wurde ein zusätzliches Bildfeld in einem Kapitel zum Aderlass eingefügt (in dieser Handschrift nicht mehr erhalten), was die Verschiebung im Bildprogramm herbeigeführt hat (vgl. Bildthementabelle Nr. 87.1.). Auch in München, Cgm 730 (Nr. 87.1.8.) waren zwei Aderlass-Szenen vorgesehen, die hier aber nicht ausgeführt wurden.
Alle Darstellungen in einer tiefen, detaillierten, nach hinten verblauten Landschaft (im Hintergrund z. T. mit kleinen Stadtansichten, Wäldern, Seen). Die Figuren sind modisch gekleidet, schmal und wirken dennoch in den kleinen Bildfeldern, deren Höhe sie fast sprengen, etwas gedrungen. Der Faltenwurf, Schattierungen und Weißhöhungen bzw. Schlaglichter schaffen Plastizität.
siehe Bildthementabelle in der Untergruppeneinleitung 87.1. Ikonografisch ist auffällig, dass die Planeten nicht wie in den anderen Handschriften dieser Untergruppe durch nackte, stehende Figuren repräsentiert, sondern bekleidet gezeigt werden und auf einem Thron sitzen (stehend nur: Saturn, Jupiter, Mars; Luna kniet auf zwei Rädern). Dies ist nur noch in München, Cgm 28 (Nr. 87.1.6.) und Philadelphia, LJS 463 (Nr. 87.1.11.) der Fall. Daneben ist Jupiter in diesen drei Codices bekleidet, mit abgeschlagenem Haupt und Schwert in den Händen dargestellt statt mit seinen üblichen Attributen, den Blitzen/Pfeilen. Zwischen diesen wohl sämtlich im schwäbischen Raum entstandenen Handschriften scheint es daher einen engeren Zusammenhang zu geben. Für diese Handschrift und München, Cgm 28 könnte man sogar eine gemeinsame Vorlage annehmen: In beiden Codices waren zwei Aderlass-Szenen angelegt, außerdem haben sie ähnliche Kompositionen oder Details, wie z. B. der Bildaufbau der Weinlese und der Weintreter mit kahlem Kopf verdeutlichen (75v; München, Cgm 28, 10v).
Abb. 52: 75v. Weinlese, Essen und Trinken.
Abb. 56: 27r. Jupiter.