KdiH

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80.2.1. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. n. 2652

Bearbeitet von Franziska Stephan

KdiH-Band 8

Datierung:

Um 1370.

Lokalisierung:

Mittelrheinisch-hessischer Raum (Limburg an der Lahn?) (MeSch II [2002] S. 17).

Besitzgeschichte:

Aufgrund eines eingeklebten Urkundenfragments auf dem Hinterspiegel wird die Handschrift in den hessischen Bereich zwischen Rhein-Main und Lahn-Westerwald verortet. Nach Abraham könnte der Text in der gräflichen Kanzlei am Hof des Limburger Bischofs geschrieben worden sein, auch Schreibsprache und Ausstattung deuten in diese Richtung (Abraham [1971] S. 82; Petschar [2000] S. 230f.; MeSch II [2002] S. 24). Ein aus dem 15. Jahrhundert stammender Nachtrag macht einen adeligen Besitzer wahrscheinlich: dem Edlen hochgeborn furisten hen[rich?] (3r). Spätestens im 16. Jahrhundert war die Handschrift Teil der Zimmern’schen Bibliothek, die durch Johann Werner d. Ä. (1454–1495) und Wilhelm Werner von Zimmern (verstorben 1575) um altdeutsche Handschriften bereichert worden war. Die Zimmern’sche Sammlung kam 1576 durch eine Schenkung des Grafen Wilhelm von Zimmern an den Erzherzog Ferdinand II. von Tirol (1529–1595) in die Ambraser Sammlung (Menhardt [1952] S. 56f.). 1806 wurde diese zur Sicherung vor den Franzosen nach Wien in die kunsthistorische Sammlung des Kaiserhauses überführt. Die Handschrift verblieb bis 1936 im Besitz des Kunsthistorischen Museums (Vorderspiegel mit dem Stempel Nr. 4985, auf dem zweiten Feld des Rückens 78 E. G. sowie unten ein gedruckter violetter Zettel 03) und wurde dann in die ›Series nova‹ der Österreichischen Nationalbibliothek integriert.

Inhalt:
1r–22r Losbuch in deutschen Reimpaaren
1r Tabelle mit Buchstaben-Zahlen-Konkordanz: Zahlen IXXXVI, ihnen zugeordnet Kombinationen aus zwei Buchstaben; 1v Tabelle mit drei Spalten: (1) 36 Fragen – (2) heidnisch-antike Autoritäten – (3) jüdisch-alttestamentliche Autoritäten, die Spalten sind durch zwei rote Querlinien mit Paragrafenzeichen in drei Abteilungen mit je zwölf Zeilen unterteilt; 2r–v ganzseitige Illustrationen; 3r unvollendetes Kreisschema mit zwei mal zwölf Namen (vgl. 1v, unterer Abschnitt in der zweiten und dritten Spalte); 4r Tabelle mit sechs Spalten: (1) 36 Himmelsrichtungen – (2) sieben Planeten – (3) Zahlen ixxxvi – (4) zwölf Monate, Tierkreiszeichen und Apostel – (5) Buchstaben bzw. Kombinationen aus zwei Buchstaben in Rot (vgl. 1r) – (6) Zahlen ixviii in Rot (gedoppelt); 4v–22r 36 Losrichter (vgl. 4r vierte Spalte) mit je 36 Lossprüchen in Reimpaaren, verteilt auf zwei Spalten pro Seite
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, 22 + I* Blätter (I* eingeklebte Einzelblätter, moderne Foliierung des 19. Jahrhunderts, zudem ab 4v originale Foliierung der Doppelseiten jeweils oben gegenüber in Rot IXVIII, Blattzählung a, b, c, d auf einigen recto-Seiten der vorderen Blätter der einzelnen Lagen erhalten), 290–295 × 195–200 mm, dreispaltig (1v), sechsspaltig (4r), zweispaltig (4v–22r), 36 Zeilen, drei Schreiber (I: 1v, 4r–22r; II: 1r, 3r oben; III: 3r unten, 22v–23r, I*), I: sorgfältige, abgerundete Textualis, die Satzmajuskeln leicht vergrößert und z. T. mit Binnen- und Schaftstricheln versehen, II: ältere Form der gotischen Kursive, III: Einträge und Federprobe, im ganzen Text einzeilige rote Lombarden, Fleuronné-Cadellen, Seitentitel in schlichten Schriftbandrahmungen, Rubrizierung, Strichelung.

Einband: Holzdeckel, 300 × 200 mm, braunes Leder mit Blindpressung, Vorder- und Rückendeckel besetzt mit Eisensternen und Messing-Halbmond; unten mittig auf der Vorderseite mit einer dünnen Blechscheibe als Gleitunterlage für einen darauf genagelten, drehbaren Stern. Dessen Achse ist mit einem Zahnrad auf der Innenseite des Deckels verbunden, das ursprünglich eine große Scheibe antrieb. Diese lag in einer kreisförmigen Aussparung im Innendeckel und lief auf einem Mitteldorn aus Eisen (erhalten). In einer zweiten, kreisförmigen Aussparung in der linken oberen Ecke bewegte sich ein kleineres Mitläuferrad (Drehdorn nicht erhalten). Die Innenseite liegt bis auf die schmalen Überklebungen durch den Ledereinband entlang dem Rand frei, die Schleifspuren in den Aussparungen weisen auf die ehemalige Existenz der Drehscheiben hin. Der Einband wurde im 19. Jahrhundert restauriert (Unterkircher [1951] S. 14; Abraham [1973] S. 10f.).

Schreibsprache:

rhein- oder moselfränkisch (Palmer/Speckenbach [1990] S. 176).

II. Bildausstattung:

Unvollständiger Losmechanismus mit ursprünglich zwei Scheiben im inneren Vorderdeckel, zwei ganzseitige Darstellungen, ein Kolumnenbild, 72 Kopfleisten-Miniaturen in kräftiger Deckfarbenmalerei, ein unvollständiges Kreisschema. Insgesamt aufwendige Textgestaltung mit rot gestrichelten Tabelleneinträgen und Versanfängen, Paragrafenzeichen und Zeilenschlusspunkten (1v, 4r), Fleuronné-Cadellen sowie einzeiligen Lombarden (1v, 4r). Der Haupttext (4v–22r) mit Randglossen und Seitentiteln in schlichten Schriftbandrahmungen sowie Foliierung der Doppelseiten IXVIII in Rot, einer Fleuronné-Lombarde in Rot (4v), zahlreichen Fleuronné-Cadellen als Spalten-Initialen. Diese mit Profilköpfen als Schaftbesatz und Gesichtern im Dreiviertelprofil sowie Palmettenblättern als Füllung (8ra zudem mit einem Fisch besetzt), die Köpfe sind durch verschiedene Kopfbedeckungen variiert, sind mal bärtig, mal bartlos, haben Blümchen zwischen den Lippen oder gebleckte Raubtiergebisse, zudem schwarzer und roter Perlenbesatz, vereinzelt verästelte Fadenfortsätze, einheitlich in Rot (Ausnahme 22r in blassem Grün) sowie in einer Versalienspalte herausgerückte Anfangsbuchstaben der Verspaare. Hochwertige, stilistisch variierende Ausstattung von drei Händen: zwei Miniatoren sowie der vorrangig aus Cadellen bestehende Initial-Schmuck von einer dritten Hand. Dabei ist durch die enge Verschränkung von Text und Bild von einer Zusammenarbeit der Künstler auszugehen (MeSch II [2002] S. 19). In der älteren Forschung wurde die Handschrift als böhmische Arbeit aus der Wenzelswerkstatt eingeordnet (Stange 2 [1936] S. 48, 53; Unterkircher [1957] S. 177). Dieser Einordnung ist jedoch stilistisch und zeitlich zu widersprechen, zudem unternimmt Stange keine Händescheidung bei den deutlich von zwei Meistern stammenden Voll- und Kopfleistenbildern.

Für eine ausführliche Auflistung, Beschreibung und stilistische Diskussion der Illustrationen siehe: MeSch II (2002) S. 17–27 (Nr. 4).

Format und Anordnung:

2r–v: zwei ganzseitige, ungerahmte Darstellungen, jeweils in der oberen Hälfte eine Himmelsscheibe mit den sieben Planeten (157 mm Durchmesser) und darunter zwölf Figuren. 3r: ein unvollendetes, frei mit der Feder gezogenes Kreisschema (149 mm Durchmesser); Größe und Positionierung entspricht den Himmelsscheiben auf 2r–v. Laut Unterkircher (1963, S. 251) läge es daher nahe, dass auch hier unterhalb des Kreises die Darstellung von zwölf Figuren geplant war, jedoch gibt es hierfür keine konkreten Hinweise. 4v: sechs systematische Spalten von unterschiedlicher Breite, in der zweiten Spalte befindet sich ein in der Kontur unregelmäßiges Kolumnenbild (ca. 199 × 40 mm). Dieses ist rot gerahmt, darin befinden sich auf blauem Grund untereinander angeordnet die sieben Planeten (dargestellt wie auf 2r–v), oben beginnend bei Sonne und Mond, dann nach unten kleiner werdend die restlichen fünf Planeten mit Beischriften. 4r–22r: 72 Kopfleisten-Miniaturen im ca. 45 mm hohen, oberen Seitenrand, verteilt auf 36 Seiten mit je zwei Spalten, über jeder Spalte ein Bild ohne Rahmung und Farbgrund. Jede Textspalte beginnt mit einer aufwendig gestalteten, kolorierten Cadelle von ca. 30–40 mm Höhe, die Cadellen überragen jeweils die erste Zeile und dienen so als Gliederungselement für die über dem Haupttext befindlichen Bildmotive (14r zusätzlich zwei Cadellen am unteren Rand).

Bildaufbau und -ausführung, Bildthemen:

2r–v: jeweils in der oberen Hälfte eine Himmelsscheibe, darin locker verteilt die sieben Planeten, ausgeführt in Blattgold bzw. -silber auf blauem Grund. Die Sonne als sechszackiger Stern mit rotem Strahlenkranz und eingezeichnetem Menschengesicht, der Mond in Form eines Kreises aus einem goldenen Halbmond und einem silbernen Menschengesicht, die übrigen fünf Planeten entsprechend ihrer Reihenfolge als immer kleiner werdende sechszackige, rot umrandete Sterne mit beigesetztem Namen. Sie sind durch schwarze Linien mit zwölf Figuren verbunden, die in der unteren Hälfte des Blattes auf einer Rasenbank gedrängt sitzen bzw. stehen und die Sterne beobachten. Die Figuren sind mit lebhaften Zeige- und Disputgesten, Tuniken und Mänteln, langen Bärten in Braun und Weiß typenhaft als weise Propheten dargestellt, Kopfbedeckungen sind z. T. charakterisierend eingesetzt (z. B. Judenhüte, Kronen). Durch Beischriften können sie als Autoritäten der heidnischen Antike identifiziert werden (die Bezeichnungen stehen über gleichlautenden, radierten Namen, davon einige noch lesbar): Putifar, olibrios, Nacharel, Gedeon, Nabu[chodono], Virgilius, Aristotilis, Seneca, Zacoris, Alan (Alanus ab Insulis?), Teodosi, Ismahel. In der Mitte der Gruppe liegt auf einem Pult ein aufgeschlagenes Buch, darin zu lesen putifar oly (links) und Gedeon in luna Iupiter (rechts). Um das Pult stehen Seneca, Aristoteles und Vergil mit einem Quadranten. 2v wie 2r, die Figuren sind durch Beischriften diesmal als alttestamentliche Autoritäten ausgewiesen. In der Mitte David im Zwiegespräch mit Abraham, vorne links diskutieren Israhel und Josaphat, letzterer hält ein aufgeschlagenes Buch, rechts liest der gehörnte Moses in einem auf seinem Schoß liegenden Buch (beide ohne Text). Während Mazal (2001, S. 85) die ganzseitigen Darstellungen mit beobachtenden und disputierenden heidnisch-antiken und jüdisch-christlichen Autoritäten als »Bildprooimion« charakterisiert, werden diese von Pirkheimer-Aurenhammer als integrativer Teil der Schicksalsbefragung gewertet: »Tabellen und Illustrationen beziehen sich aufeinander und bilden eine inhaltliche Einheit, sodaß die Miniaturen des Vorspanns keine Titelbilder im üblichen Sinn, sondern ›optische Behelfsmittel‹ zur Schicksalsbefragung darstellen« (MeSch II [2002] S. 19). Die Verbindungslinien zwischen den Figuren und Planeten verdeutlichen deren wissenschaftliche Beobachtung und Disputation über die mikrokosmischen und makrokosmischen Zusammenhänge als das den Losmechanismus begründende Bezugssystem, sie dienen nicht als Veranschaulichung des Einflusses der Planeten auf den Menschen im Sinne von Planetenkinderbildern wie bei Klibansky/Panofsky/Saxl (1964, S. 305) ausgeführt.

Die Illustrationen im ersten Teil stammen von Meister I, der sich durch dicht gestaffelte und abwechslungsreich gestaltete Figuren mit gedrungenen Körpern, unproportional großen Köpfen und groben, realistischen Gesichtern auszeichnet. Die farbliche Gestaltung des ersten Meisters zeichnet sich durch eine ausgewogene Verteilung der kräftigen Farbtöne in einem malerischen Farbauftrag mit schwacher Konturierung und Hell-Dunkel-Schattierung aus (MeSch II [2002] S. 19f., 23f.).

4v–22r Losrichter: 72 Kopfleisten-Miniaturen, vier pro Doppelseite. Diese sind entweder einem Monat, repräsentiert durch eine Monatsarbeit und das dazugehörige Tierkreiszeichen, oder einem Apostelpaar zugewiesen und nach einem regelmäßigen Schema angeordnet: auf zwei Monate folgt immer ein Apostelpaar, dabei befindet sich über der linken Spalte der verso-Seite der Mond in Silber, über der rechten Spalte eine Monatsarbeit oder ein Apostel; auf der recto-Seite befindet sich dementsprechend über der linken Spalte die Sonne in Gold und über der rechten Spalte ein Tierkreiszeichen oder ein Apostel. Es handelt sich meist um einfigurige Darstellungen in der Art von traditionellen, gotischen Gewandfiguren mit Tuniken und Mänteln (Ausnahme 6v Petrus im Messgewand), Nimben und Attributen in Gold oder dem Genre entsprechenden, realienkundlichen Details und standesgemäßen Kostümen, z. B. Feldarbeiter mit breitkrempigem Hut (11v, 13v, 16v). Einige Figuren sind durch modische Gewänder und Frisuren nobilitiert (MeSch II [2002] S. 21). Die Apostel stehen sich über die Doppelseite hinweg gegenüber und blicken sich an (Ausnahme 19r Judas Thaddäus in einem Boot, den Betrachter traurig anblickend). Die Darstellungen der Monatstätigkeiten und Tierkreiszeichen bei den Lossprüchen gehen motivisch auf Kalenderillustrationen zurück, haben jedoch im Kontext der Schicksalsbefragung keine konkret zeitliche, sondern eine primär symbolisch-funktionale Bedeutung für die Auffindung des richtigen Losspruches.

Die Illustrationen bei den Lossprüchen stammen von Meister II, der sich durch kompakte Figuren mit gestauchten Beinen und übergroßen Köpfen auszeichnet, die in ihren Proportionen puppenhaft wirken, jedoch in agilen Bewegungen dargestellt sind. Das Kolorit ist ähnlich dem von Meister I, die kräftigen Deckfarben weisen jedoch eine größere Bandbreite an Mischtönen auf. Die kräftige Modellierung der Figuren und ihrer Gewänder erfolgt durch feine Pinselstriche und Lichthöhungen in Deckweiß. Deutlich wird dies auch bei den Aposteln als traditionelle Gewandfiguren (MeSch II [2002] S. 24f.).

Farben:

kräftige Deckfarbenmalerei mit breiter Palette und reicher Verwendung von Blattgold und Blattsilber. Meister I: Mittelblau, Orangerot, Kirschrot, Lindgrün, gedecktes Rosa, lichtes Gelb, Mittelbraun, Ocker, Blau-Grau, Weiß, Schwarz. Meister II: Rot-Violett, Mauve, Rosa, Hellblau, Mittelgrün mit Grau- oder Blaustich, Mittelblau, Hellblau, gedecktes Mittelrot, Rotbraun, Graubraun, Grau, Weiß, Schwarz. Meister III (Initialen): Buchstaben in Schwarz und Rot, Blattverzierungen in Blassgrün.

Faksimile:

Abraham (1973).

Literatur:

Unterkircher (1957) S. 177; Menhardt 3 (1961) S. 1469; Mazal/Unterkircher (1963) S. 329f.; MeSch II (2002) S. 17–27 (Nr. 4). – Sotzmann (1851) S. 341f. (Nr. 6); Bolte (1903) S. 318f. (G); Stange 2 (1936); Unterkircher (1951); Unterkircher (1963); Abraham (1971); Abraham (1973); Brévart (1985); Palmer/Speckenbach (1990) S. 158, 176–178, 197 (D II Nr. 4); Petschar (2000) S. 230f.; Mazal (2001) S. 84f.; Heiles (2018) Nr. 4.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

manuscripta.at 23140

Abb. 143: 2r. Himmelsscheibe mit Planeten und zwölf Propheten.

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Abb. 143.