KdiH

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73.10.6. Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 70

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 8

Datierung:

1450–1452 (nach Wasserzeichen).

Lokalisierung:

Text: Zisterzienserinnenkloster Lichtenthal (Vorderspiegel).

Besitzgeschichte:

Im 19. Jahrhundert durch Fridegar Mone aus Lichtenthal entwendet, Rückkauf und Übergabe an die Bibliothek durch den Badischen Staat 1899.

Inhalt:
1. 1r–187v Michael de Massa, ›Vita Christi‹, deutsch
Zweite (moselfränkische) Übersetzung, Anfang fehlt: gelopt hat da er spricht also. wer mir dienet (vgl. de Bruin [1980] S. 8)
2. 189r–235vb Lektionar für die Fastenzeit
3. 236ra–323vb Evangeliar
4. 323vb–328vb Perikopenverzeichnis
5. 332r–391vb ›Elsässische Legenda Aurea‹
Auszug, bildet eine Einheit mit Straßburg, Ms. 2542, 4r–227v
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 391 Blätter + 1 Pergament (Kustoden zu Lagenbeginn zunächst in Rot), 290 × 205 mm, Bastarda, Hand der Schwester Regula, Schreibmeisterin, nur auf 328vb–329vb, 334vb–338vb, 342r–343v drei weitere, etwa zeitgleiche Hände, Eintragungen für die Tischleserin 236v, 312r, einspaltig, 199v–329r, 332r–338v, 344r–391v zweispaltig, 24–35 Zeilen, rote Überschriften, Rubrizierung.

Schreibsprache:

niederalemannisch.

II. Bildausstattung:

40 kolorierte Federzeichnungen erhalten von vermutlich 41 zum ›Leben Jesu‹. Zwei Hände.

Format und Anordnung:

Die Federzeichnungen von annähernd quadratischem Format (72–95 × 72–78 mm) nehmen in der Breite gut die Hälfte bis zwei Drittel des Schriftspiegels ein. Zu Beginn der Abschnitte eingefügt, begleitet von roten Überschriften, die gewöhnlich auf eine Betrachtung hinweisen: Hie betrachte wie [...]. Die nicht illustrierten Abschnitte meist überschrieben hie lieset man wie [...]. Der Vergleich mit den verwandten Handschriften in Chantilly, Lüttich und Karlsruhe (Nr. 73.10.2., Nr. 73.10.7., Nr. 73.10.5.) legt nahe, dass mit dem Textbeginn eine Illustration verlorengegangen ist, die in Analogie zu den anderen Handschriften die Bekehrung des Paulus gezeigt haben dürfte.

Bildaufbau und -ausführung:

Unter den Manuskripten von der Hand der Schwester Regula, die sie im Kloster Lichtenthal zwischen 1450 und 1465 anfertigte, ist diese als einzige mit Illustrationen ausgestattet. An der sehr sorgfältig ausgeführten Bildausstattung, die sich auf das ›Leben Jesu‹ beschränkt, waren mindestens zwei, an ihrer Figurenauffassung zu unterscheidende Hände beteiligt. Aufgrund der einheitlichen Bildkonzeption und der gleichbleibenden Kolorierung ist daher auf die Anfertigung in einer professionellen Werkstatt zu schließen, für deren Situierung innerhalb des Klosters jeder Hinweis fehlt. Überwiegend schmale Handlungsbühnen, bei Außenräumen meist ein Rasenstreifen, von atmosphärisch abschattiertem Himmel überwölbt, dabei intensive Farbigkeit am oberen Bildrand, die Tiefe durch zunehmend hellere Tönung bis zum durchscheinenden Blattgrund über dem Horizont angegeben. Die Innenräume meist nur wenig spezifiziert, durch einige architektonische Elemente, Bögen und Zwickel am oberen Bildrand – in seltenen Fällen auch eingestellte Säulen an den Bildrändern – gekennzeichnet. Schlüssige Wiedergabe der Tiefenräumlichkeit durch Fluchtlinien, Figurenstaffelung, schräggestellte Throne. Die wenigen Landschaften mit nahem, steil hochgezogenem Horizont aus begrünten Erdschollen. Die Figuren insgesamt kompakt und von draller Körperlichkeit, eher untersetzte als überlängte Proportionen, gekonnt variierte Bewegungsmotive und differenzierte Gesichtsausdrücke. An den Gewändern geradliniger Fall, eckig umbrechende Falten, zurückhaltende Schraffuren, um Plastizität zu modellieren. Differenzierung der beteiligten Personen in erster Linie anhand der Gesichtstypen möglich, die der zweiten Hand ab 30r deutlich kindhafter. Mit kleinem Gesichtsfeld, runden Augen, Stupsnasen, geschürzten Lippen, großen Köpfen besitzen sogar die Peiniger Christi in den Szenen der Passion eine gewisse Niedlichkeit. Sorgfältig ausgeführte, oftmals sehr deckende Kolorierung, bei der die Farben nur wenig abgetönt werden, dafür aber der Papiergrund für lichte Stellen freigelassen wird.

Die Illustrationen wurden bislang – wohl nicht zuletzt aufgrund der historischen Verbindungen des Klosters Lichtenthal zur Abtei Neuburg bei Hagenau – nach Straßburg oder in das Unterelsass lokalisiert und zum Vergleich Tafelmalerei des Oberrheins (Beer [1965]) oder Handschriften aus der Werkstatt Diebold Laubers (Heinzer [1987], mit Verweis auf Solothurn, S II 43, [Nr. 59.2.6.]) genannt. Unter Berücksichtigung der Bildformate, des Bildaufbaus und des ›niedlichen‹ Figurenstils kommt auch ein Vergleich mit schwäbischen Handschriften aus den Jahren 1450–1460 in Frage, wie New York, The Pierpont Morgan Library & Museum, MS. M.782, Augsburg 1450–1460, (Nr. 3.3.4.) oder München, Cgm 206 (Nr. 59.4.12.), Augsburg 1457, oder Heidelberg, Cod. Pal. germ. 4, datiert 1457 und 1458. Da die Reformation des Klosters Lichtenthal, das seit etwa 1440 der aus Königsbrück bei Hagenau stammenden Äbtissin Elisabeth Wiest unterstand, von dem Kloster Maulbronn geleitet wurde, bestanden zu der Zeit auch Kontakte in diese Richtung, wie nicht zuletzt die im Kolophon (Vorderspiegel) der Handschrift als Referenzen genannten Herren von Maulbronn, unter anderem der Konventuale Meister Berthold, bestätigen.

Bildthemen:

Siehe Bildthementabelle in der Einleitung zur Untergruppe 73.10. Gegenüber den anderen Zyklen werden hier einige zusätzliche Bildthemen dargestellt: Jesus belehrt seine Jünger (106v), die Entkleidung Christi (144r), während die Kreuzabnahme fehlt. Weitere Besonderheiten in der Ikonografie: Joseph schläft auf freiem Feld, als ihm der Engel erscheint (16r), bei der Geburt Christi liegt der Jesusknabe auf dem Umhang Mariens (19v). Ungewöhnliche narrative Momente bei der Anbetung der Könige und der Familie im Stall: Bettstatt Mariens hinter einem Vorhang verborgen, Joseph kocht Brei (24v, 27r). Rückkehr der Heiligen Familie aus Ägypten zu Fuß, Christus trägt einen Blumenkorb (35r). Bei der Darstellung zum ›Gehorsam Christi gegen seine Eltern‹ (40r) hilft Joseph mit einer Haspel beim Spinnen; bei der Kreuzigung nicht nur Christus blutüberströmt, sondern auch Maria und Johannes als Zeichen ihres Mitleidens (150v).

Farben:

Blau, Grün, Orangerot, Gelb, wenig Rosa, Grau- und Brauntöne.

Literatur:

Heinzer/Stamm (1987) S. 40–43, 175–179. – Beer (1965) Kat.-Nr. 66, S. 58; Molder (1980); Geith (1990) S. 29–37; Stamm (1995) S. 63–70, Kat.-Nr. 87, S. 255f.; Die Karlsruher Passion (1996) Kat.-Nr. 44, S. 229f.; Geith (2000) S. 284–288; Spätmittelalter am Oberrhein (2001) Kat.-Nr. 204, S. 364; Winston-Allen (2009); Stork (2013) S. 103, 112.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 17: 144r: Entkleidung Christi.

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Abb. 17.