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37.2.6. ehem. Konstanz, Privatbesitz

Bearbeitet von Ulrike Bodemann

KdiH-Band 4/1

Datierung:

1453.

Lokalisierung:

(Südwest-)Bayern?

Besitzgeschichte:

Aus dem Besitz des Jean-Baptiste-Joseph Barrois (1784–1855): »Ms. Barrois 487«; dessen Handschriftensammlung wurde 1848 an Bertram Earl of Ashburnham verkauft (alte Signaturen auf dem vorderen Spiegelblatt 2258 und auf dem rückwärtigen Spiegelblatt 396); 1901 bei Sotheby’s (Ashburnham Sale, 10–14 June 1901, lot 20) an Bernard Quaritch verkauft, 1902 bei Bernard Quaritch (Catalogue 211: A Catalogue of Ancient, Illuminated, & Liturgical Manuscripts Ranging from the VIIth to the XVIIIth Century […]. London 1902, S. 55, Nr. 118) angeboten; 1921 im Versteigerungskatalog der Sammlung Rudolf Busch, Mainz (II. Teil: Illuminierte Manuscripte, Buchminiaturen, Incunabeln, Einbände, illustrierte Bücher. Versteigerung zu Frankfurt a. M. im Hause Joseph Baer & Co. 4. Mai 1921, S. 19, Nr. 259 mit Abb.), von Bruno Leiner, Konstanz, erworben (Stange [1955] S. 53, Konrad [1997] S. 280). Bis 2008 in Konstanzer Privatbesitz (Sigrid von Blanckenhagen). Am 4. Juni 2008 in der Auktion ›Valuable manuscripts and printed books‹ bei Christies in London angeboten (Lot 45) und an unbekannten Besitzer verkauft.

Inhalt:
1ra–88vb Ulrich von Pottenstein, Cyrillusfabeln, deutsch

Hs. P; Prolog, Buch I–III, dazu Fabel IV,1 (vor III,27 eingeschoben)

I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, I + 88 + I Blätter (moderne Foliierung 1–88, die Vorsatzblätter mit dem Einband im 18. Jahrhundert ergänzt; ein Blatt fehlt nach 10: Textverlust I,11–I,12), 262 × 194 mm, zweispaltig, 36–37 Zeilen, ein Schreiber Johannes Mör de Constancia, datiert 1453 (88v), markante Bastarda mit gespaltenen Schäften und gestrichelten Zierausläufern der Oberlängen in der obersten Zeile einer Seite, rote Überschriften, diese gelegentlich in Textura (15v–16v), Lombarden über zwei Zeilen, Strichel.

Schreibsprache:

bairisch mit geringem alemannischen Einschlag.

II. Bildausstattung:

84 von ehemals 85 (Blattverlust s. o.) kolorierten Federzeichnungen (Blattangaben siehe Bildthemen und Bildstellenübersicht). 1ra Eingangsinitiale D über fünf Zeilen: Buchstabenkörper Silber auf Purpurgrund, grüner Rahmen, Rankenausläufer.

Format und Anordnung:

spaltenbreit (ca. 66–68 mm), gerahmt, die äußere Rahmenlinie stimmt mit der Schriftspiegeleinfassung überein (Ausnahme: Blatt 31v zu II,6 [Affe am Mastbaum] eineinhalb Spalten breit); die Höhe schwankend (ca. 40–90 mm). Zwischen Überschrift und Fabelbeginn eingefügt. Versehen des Schreibers beim Freilassen von Bildräumen wurden von ihm schnell bemerkt und korrigiert (3r Schrift gelöscht; 37r Zeichnung über roter Lombarde).

Bildaufbau und -ausführung:

in doppelter, rot gefüllter Einfassungslinie (Kastenrahmen), die seltener Teile des Dargestellten abschneidet (3rb, 14vb) als daß sie selbst von Figuren(-teilen) überschnitten wird. Die Fabelprotagonisten agieren auf einem Bodenstück mit hochgezogenem Horizont, der Hintergrund ist flächig in Blau oder Rot ausgemalt, manchmal ist eine Figur auch einfach in die Farbfläche plaziert. Auf szenische Ausstattung durch Landschafts- oder andere Elemente wird gänzlich verzichtet. Der Zeichner wirkt bemüht, doch wenig geschult; er arbeitet bedachtsam und sehr umrißbetont in klaren, an- und abschwellenden Linien, die flächige Kolorierung ist ebenfalls sorgfältig ausgeführt. Das Personal wird in Nahsicht auf vorderster Bildebene präsentiert, sowohl bei Darstellungen einzelner Figuren (exemplarisch 64vb Drache) als auch bei Figurenansammlungen (3rb, 22vb) wird stets Höhe und Breite des Bildraums völlig ausgenutzt; räumlicher Eindruck entsteht auch bei gelegentlicher Schrägstellung oder durch Hintereinanderstaffeln der Figuren nicht. Die Proportionen sind sehr unstimmig, Körper werden kaum plastisch modelliert, Fell- und Gefiederstrukturen allenfalls in groben Stricheln angedeutet. Versuche, artentypische Spezifika naturgetreu wiederzugeben, scheitern häufig. Menschliche Figuren gedrungen, Physiognomien wenig ausgeprägt, weibliche Personen manchmal mit üppigen Hauben ( 58va, 36vb).

Stanges Vermutung, der Zeichner der Konstanzer Handschrift sei an den Zeichner I der Konstanzer ›Vita Sancti Augustini‹ (Konstanz, Rosgartenmuseum, Hs. 3) anzuschließen (Stange [1955] S. 53) wird von Bernd Konrad (rosgartenmuseum Konstanz. Die Kunstwerke des Mittelalters. Bestandskatalog. Konstanz 1993, S. 93) vor allem anhand der Gesichtszeichnung menschlicher Figuren zurückgewiesen; das vollrunde Kinn der Köpfe, die in einem Strich beschriebene Gesichtskontur, das parallel-horizontale Abstehen der Haare vom Gesichtsrund komme in der Augustinus-Handschrift nicht vor. Ungeachtet der Konstanzer Herkunft des Schreibers fehlen bislang Anhaltspunkte dafür, daß die Zeichnungen auch im Raum Konstanz entstanden sind.

Dem Schreiber lag offenbar eine bebilderte Vorlage vor, anhand derer er für den Maler z. T. sehr detaillierte Anweisungen in unmittelbarem Anschluß an die Überschriften notierte: z. B. Item von will vnd von vernunfft was sind czway pild vnd schüllen gemalt werden ains mann und ainer frauen pild (II,8); Von der lufft vnd von der erden das schüllen czway angesicht sein vnd das ain schol oben gemalt werden mit plo und das annder vnden mit ainer andern varib (II,19); Von ainem Affenn vnd von aynem Spilman mit ainer lauten gemalt gegen einander (III,12).

Bildthemen:

Die Zeichnungen fungieren als einleitende Vorstellung des Personals in der im Text beschriebenen Konstellation, zusätzliche textgliedernde Illustrationen kommen nicht vor. Simultandarstellungen zu den dafür prädestinierten Fabeltexten II,5, II,6, II,11 und II,15, jedoch nicht darüber hinaus. Die Verständlichkeit mehrszeniger Darstellungen wird dadurch beeinträchtigt, daß sich die Bezüge der dicht zusammengedrängten Figuren zueinander nicht ohne weiteres erschließen: 30va zeigt ein Streitroß, auf dem ein geharnischter Ritter sitzt, hinter ihm ein Mann, der mit einem Spieß auf einen Bären einsticht, im Vordergrund ein Maulesel mit gesenktem Kopf (zu II,5 Streitroß und Maulesel; siehe oben S. 272 und S. 274 f.); 31va zeigt am rechten und linken Bildrand einen Affen und einen König, sich jeweils auf einem Thron gegenüber sitzend, dazwischen in der Mitte den an einem Mastbaum hochkletternden Schiffsmann (auch als Affe deutbar), am unteren Bildrand Fuchs und Rabe gegenüber (zu II,6 Affe am Mastbaum; siehe oben S. 272).

Abstrakte Protagonisten werden vermenschlicht; 27vb (zu II,2): Körper und Seele als nackte jugendliche Figuren unbestimmten Geschlechts, eine liegend, die andere stehend; 33va (zu II,8): Wille und Vernunft als Mann und Frau; 35vb (zu II,10): Begierde und Verständigkeit ebenso; 60vb (zu III,4): Fortuna in Männergestalt, die ein auf den Boden abgestütztes Wagenrad hält. Die Natur (zu III,2 Maulwurf und Natur) ist in Frauengestalt personifiziert (58va). Auch nicht belebte Naturelemente als Protagonisten erhalten meist menschliches Antlitz: 15vb (zu I,17 Sonne und Merkur): zwei Gestirne mit Gesicht; 38va (zu II,12 Wolke und Erde): zwei menschliche Köpfe strecken sich aus Erde und Wolkenband heraus, ähnlich 79rb (zu III,19 Erde und Luft) und 82ra (zu III,22 Tag und Nacht), vgl. auch 77rb (zu III,17 Eule und Tageslicht): Tageslicht als menschliches Gesicht, das sich aus einem Strahlenkranz heraus der Eule zuwendet, und 81rb (zu III,21 Erde und Firmament): durch ein Wolkenband mittig geteilter Zirkel, in dem sich menschliche Gesichter gegenüberstehen. Dagegen 27ra (zu II,1 Luft und Erde): Planetenzirkel umgibt Rundbild eines Kirchengebäudes, ähnlich 50rb (zu II,24 Firmament und Saturn), hier die Rundscheibe in der Mitte nur farbig gefüllt.

Dafür, daß Schreiber (und Zeichner) der Handschrift Bildinhalte der Vorlage mißverstanden haben, spricht bereits das erste Bild des Zyklus, in dem – wie in London (Nr. 37.2.7.) und Eger (Nr. 37.2.4.) die Darstellung der vier Laster (Vorrede) mit der Illustration der ersten Fabel (Fuchs und Rabe) kombiniert ist. Der Zeichner setzt die Bildüberschrift mit der Anweisung das merkch gar eben von aynem Raben vnd fuchs vnd von szwain nackhunden chindern etc sehr schlicht um und stellt Fuchs, Rabe und zwei nackte Kinder (statt des gemeinten Liebespaars) nebeneinander: Zur Lasterthematik der Vorrede fehlt nun jeglicher Bezug (ähnlich 24rb zu I,25 [Ohr und Auge]: Von ainer Junckfrawen mit czwaynn augenn praten []: Dem Mißverständnis der Anweisung folgend zeichnet der Illustrator zwei Augen [statt Ohr und Auge], die rechts und links einer Frauengestalt in der Luft schweben).

Farben:

Grün, Blaßrot, Himmelblau, Hellbraun, Schwarz.

Literatur:

Priebsch I (1896) S. 4 f., Nr. 3. – Scharf (1935a) S. 26 f.; Müller (1955) S. 290; Stange (1955) S. 53; Einhorn (1975) S. 390; Bodemann (1988) S. 67–69 u. ö.; Konrad (1997) S. 280, Nr. KO 31 mit Abb. (22vb).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Farbabbildungen (Wikimedia Commons)

Taf. XXIXa: 41v. Ulrich von Pottenstein, Cyrillusfabeln, deutsch: Fuchs und im Baum sitzender Hahn im Gespräch; Fuchs beißt den Kopf des sich hinunterbeugenden Hahns (Fabel II,15. Hahn und schmeichelnder Fuchs).

Abb. 107: 46v. Ulrich von Pottenstein, Cyrillusfabeln, deutsch: Aufrecht stehender Affe und Fuchs im Gegenüber, dazu je zwei Tauben und Hühner (Fabel II,20. Selbstgefälliger Fuchs und nackter Affe).

Abb. 108: 47r. Ulrich von Pottenstein, Cyrillusfabeln, deutsch: Igel zu Füßen eines sich abwendenden Pfaus (Fabel II,21. Überheblicher Pfau und Igel).

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Taf. XXIXa.
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Abb. 107.
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Abb. 108.