59.4.2.Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Hdschr. 382
Bearbeitet von Ulrike Bodemann
KdiH-Band 7
Datierung:
Um 1444 (Wasserzeichen) bzw. 1455 (Saurma-Jeltsch: Stil).
Lokalisierung:
Hagenau, Werkstatt Diebold Laubers.
Besitzgeschichte:
Um 1700 im Besitz eines Nicolaus Klein Diac[onus] (Exlibris im Vorderdeckel), aus dieser Zeit Notiz einer Grußformel (44vb), später in der Sammlung der Grafen von Ortenburg, Tambach/Coburg. Seit 1985 im Kunsthandel (Katalog zur 49. Auktion bei Hartung und Karl, München 7. bis 9. Mai 1985. München 1985, S. 7 f., Nr. 71), 1993 aus der Sammlung Dr. Jörn Günther, Hamburg (Exlibris mit Signatur Ms. 1) für die Staatsbibliothek zu Berlin erworben.
Inhalt: Historienbibel IIa
1ra–125rb
Alte Ee: Prosaauflösung der ›Weltchronik‹ Rudolfs von Ems
Register, Prolog und Anfang fehlen; Text bricht ab im Kap. Wie Salomon Amptlut satzt die im sin zinß insameltent
I. Kodikologische Beschreibung:
Papier, 216 Blätter (gezählt A, B + 212 + Y, Z; vor 1 fehlt mindestens eine Lage, weitere fehlende Blätter: je ein Blatt vor 3, 67, 80, 87 [zwei], 99, 125, 156, 164, 165, 194, 199 [zwei?], 206, 212; nach 212 fehlen mehrere Blätter), in normalen Bogen gebunden, 365 × 271 mm, zweispaltig, ca. 35 Zeilen, Bastarda, Saurma-Jeltsch vermutet zwei Hände, wobei eine Hand eventuell diejenige des Diebold Lauber sein könnte, trotz mancherlei Duktuswechsel wäre auch die Annahme nur einer Hand möglich (am ehesten könnten die Kapitelüberschriften von unterschiedlichen Händen geschrieben sein: hier wird die Schriftgröße gewechselt und gelegentlich anstelle der Bastarda auch eine Texturaschrift gewählt: 154vb), rote Überschriften, Kapitelzählung, Strichel, Lombarden über drei bis vier Zeilen.
Korrektur: Die Blattangabe im Inhalt ist falsch, die Alte Ee ist vollständig, Bl. 212 ist nicht an seiner ursprünglichen Position.
Schreibsprache:
elsässisch, mit schwäbischen Merkmalen.
II. Bildausstattung:
69 von vermutlich ursprünglich 80 kolorierten Federzeichnungen. Maler R der Lauber-Werkstatt (Saurma-Jeltsch).
Format und Anordnung:
halbseitig über beide Textspalten (nur ausnahmsweise einspaltig: 5vb), ungerahmt, mit vorangehender Bildbeischrift, die zugleich als Kapitelüberschrift fungiert, dem Text eines Kapitels vorangestellt.
Bildaufbau und -ausführung:
Die Szenen spielen auf einem selten durch Bewuchs, landschaftliche Verformung oder ähnliches strukturierten, grün lavierten Bodenstück, Architekturen werden nur wenn vom Text gefordert (Josua erobert Jericho) zugefügt; keine Innenraumdarstellungen (auch nicht bei Geburtsszenen, Festmahlen u. ä.); großzügige Konturzeichnung mit Parallel- und Kreuzschraffen zur Schattierung; gezeichnet wird in mindestens zwei Arbeitsschritten: Grundzeichnung vor der Lavierung und Nachzeichnung nach dieser. Kennzeichnend für den Zeichenstil der Hand R ist die auffallend vibrierende Spannung der Linien und das komplexe System ganz verschieden abgestufter Schraffuren. Die Figuren lebendig gestaltet: große Köpfe, abwechslungsreiche Gewandungen, oftmals mit bemühtem, raumgreifendem Faltenwurf, der metallisch wirkt, differenziert gezeichnete Gesichter mit großen Augen. Bemühungen, durch Mimik, Gestik und Körperhaltung Gefühle, Stimmungen auszudrücken, gelingen manchmal überzeugend ( 20r Kummer Abrahams, dem der Pharao die Frau nimmt, 138r Angst der Israeliten vor dem Engel u. ä.). Flächige Lavierung mit nur wenigen Farben, Farbaussparungen tragen zur Modellierung bei.
Die Illustrationen wirken heterogen, sowohl was den Zustand der Ausarbeitung als auch was das Schwanken zwischen Anpassung an Zeitgenössisches und Anknüpfen an Älteres angeht (Älteres wird sichtbar in dem Wiederaufgreifen von Bildmustern der 20er Jahre, z. B. im Bild Jakobs und Esaus, in dem die Konzeption der Kölner Handschrift [Nr.59.4.9.] anklingt).
Bildthemen:
siehe Saurma-Jeltsch (2001) Bd. 2, S. 2–4, Bd. 1, S. 246–257 (Konkordanz). – Das Bildprogramm ist seiner Konzeption nach völlig identisch mit dem der Frauenfelder Handschrift (Nr.59.4.7.), Motivauswahl und Bildplatzierung stimmen gänzlich überein, auch bei der Ausführung der Bildthemen gibt es zunächst deutliche Parallelen bis ins Detail, wobei die beiden Handschriften mitunter seitenvertauschte Varianten eines Bildes bieten (Jupiter; Schlangenwunder, Tanz ums goldene Kalb, Weihe des Bundeszelts etc.). Generell setzt Frauenfeld mehr Requisiten, Architekturausstattung und Assistenzfiguren ein, gelegentlich nimmt aber auch Berlin Erweiterungen in der Ausstattung vor (z.B. 28r Lot und seine Töchter, anders als Frauenfeld zusätzlich zwei Bäume). Ungefähr ab der Mitte des Bildzyklus werden die Differenzen deutlich größer: Es gibt sowohl Formulierungsunterschiede in den Bildbeischriften wie Gestaltungsunterschiede der Bildthemen. Dies beginnt mit dem ersten Josuabild: Gegen Berlin 121vHie gat an von Josue vnd von sinem kuonn vnd wye die welt darnach gezelt vnd geziert ward (Bild: Josua und vier Juden) hat Frauenfeld 154vhie gap moyses josue sin zepter das ysrahelsche volg furer zu regieren wann er krang vnd alt was worden (Bild: Mose übergibt Zepter an Josua). Die Berliner Handschrift hält sich dabei in der Ausführung der Bildthemen enger an eingeführte Bildmuster als die Frauenfelder; so zeigt sie 131v zum Tod der fünf heidnischen Könige fünf Könige am Galgen hängend, vor einer Stadtkulisse im rechten Hintergrund, darüber Sonne und Mond (dagegen Frauenfeld: Hie battt josue das er suonn vnd man ließ solle stan vnd dz es tag blibe vncz dz die haiden erschlagen wurten als ouch beschach mit Bild: Krieger erschlagen Heiden unter Sonne und Mond).
Farben:
Grün (leicht olivfarben), Violettrot, Blassgelb, sehr durchscheinendes Graubraun.
Literatur:
von Bloh (1993) S. 299 f. u. ö.; Mittealterliche Handschriften und Miniaturen. Katalog und Retrospektive. Hrsg. von Jörn Günther, Antiquariat Hamburg. Hamburg [1993], S. 227–230, Art. H mit Abb. (84v); Schätze aus Berliner Museen. Erwerbungen aus Lottomitteln 1975–1995. Katalog zur Ausstellung im Alten Museum am Lustgarten und im Kunstforum der Grundkreditbank in Berlin 11. Februar bis 5. Juni 1995. Berlin 1995, S. 246 f. mit Abb.; Becker/Brandis (1995) S. 24–28, Abb. 6 (30v). 7 (51v); Saurma-Jeltsch (2001) Bd. 2, S. 2–4, Nr. 34 u. ö., Abb. 163 (112r). 164 (77r). 165 (35v). 166 (28r), Taf. 29/1 (33v).