KdiH

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59.4.10. London, The British Library, Add. 24917

Bearbeitet von Ulrike Bodemann

KdiH-Band 7

Datierung:

Um 1420 (Wasserzeichendatierung Saurma-Jeltsch) oder etwas jünger.

Lokalisierung:

Umfeld der Werkstatt von 1418.

Besitzgeschichte:

1711 durch Kauf (auf der Deldener kermis) aus dem Besitz Coenraat Moryaans und Anna Myenhuys in denjenigen des Johannes Warnaars gelangt (Vorsatzblatt IIIr, dazu ein aufgeklebter Ausschnitt aus einem französischen Antiquariatskatalog); 361r Verzeichnis der niederländischen Schatzkammer des Ludolf Schmidt; 1862 aus dem Buchhandel durch das British Museum erworben (Vorsatzblatt IIr: Purchased of M. Boone 12th July 1862).

Inhalt:
1. 2ra–292vb Historienbibel IIa: Alte Ee
2ra–10ra Register
11ra–12vb Prolog
12vb–292vb Prosaauflösung der ›Weltchronik‹ des Rudolf von Ems
bis Kap. Wie Atonias zuo hulde kam gegen kunig Salomon
2. 293ra–360vb ›Buch der Könige‹
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, III + 359 + III Blätter (der alte Blattbestand neuzeitlich 2–360 foliiert, Vorsatz- und Nachstoßblätter [361–363] im 17./18. Jahrhundert ergänzt, Blatt 2 defekt), 465 × 265 mm, zweispaltig, 24–29 Zeilen, Bastarda, ein Schreiber (Saurma-Jeltsch vermutet Identität mit dem Schreiber der Handschrift Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs 973: ›Buch von Troja 1‹); gelegentlich – 119r, 307rb – ist die Überschrift nicht in Textschrift, sondern in Textura ausgeführt, abwechselnd rote und blaue Lombarden über zwei Zeilen, z. T. fehlend.

Schreibsprache:

elsässisch.

II. Bildausstattung:

200 kolorierte Federzeichnungen (188 zu Text 1, 12 zu Text 2, der Wechsel wurde zumindest im Bildprogramm nicht speziell markiert, so dass man annehmen kann, dass die Texte als zusammengehörend verstanden wurden; zum ›Buch der Könige‹ siehe künftig auch Stoffgruppe 135. Weltchroniken). – 11ra R-Initiale mit Rankenwerk. Gruppe III der elsässischen Werkstatt von 1418.

Format und Anordnung:

halbseitig, in den Schriftspiegel eingepasst, eine Bildeinfassung beschränkt sich dabei auf die lineare Umfassung des Bodenstücks in der unteren Bildpartie, selten auch Ansätze linearer Einfassung seitlich. Mit der Kapitelüberschrift, die zugleich als Bildüberschrift dient, dem Text eines Kapitels vorangehend. Vorzugsweise an den Kopf einer Seite platziert. Für manche Themen (Tod Saras 62vb, der goldene Leuchter 142vb) scheint ein Bild vorgesehen gewesen zu sein (Freiraum nach der Überschrift), für das dann aber doch kein passender Bildraum freigelassen wurde (unter Umständen auch für ein ganzseitiges Eingangsbild 10v). Planungsunsicherheiten auch 115v/116r, 117r, 157r, 197r/v (hier ausnahmsweise wegen der üppigen Raumzuweisung zwei Bilder). – 11ra R über 14 Zeilen, die gesamte Spaltenbreite einnehmend.

Bildaufbau und -ausführung:

Zeichnung mit schwarzer Tusche, Kolorierung mit schmaler Farbpalette. Die Szenen entwickeln sich auf nach unten nahezu rechteckig abschließenden, flächig grün lavierten (oft durch braune Übermalung abgetönten) Bodenstücken, darauf agieren die Figuren, die sich durch kringelige Haartrachten, stereotype Gesichter mit weit aufgerissenen Augen und sehr beredte Gestik auszeichnen. Charakteristisch unter den Kopfbedeckungen eine immer wieder auftauchende opulente Zaddelmütze (20v, 22r, 41r u. ö.). Statt eines Hintergrundes Pinselranken und -blüten (ebenfalls in Dresden A 50 [Nr. 59.4.6.]), die den Bildern auch ohne Rahmung Geschlossenheit verleihen. Architekturen (räumlich modelliert mit Hilfe von Pinselstreifen entlang der Vertikalkonturen) nur, wenn sie eine den Raum definierende Funktion haben (Bewegung von einem Ort weg oder zu einem Ort hin), Innenraum wird gelegentlich durch ein Architekturelement als Rahmen signalisiert. Charakteristisch die Gestaltung der Bäume mit strahlenförmigen Kronen. Es dürften mehrere Zeichner beteiligt gewesen sein, die Physiognomien 80v und 82r etwa weichen deutlich von denen der benachbarten Bilder ab (vgl. dazu das Blatt der Graphischen Sammlung München [Nr. 59.4.15.]!). Manche Darstellungen sind stark überarbeitet: 60v, 71v, 77v, 83v (Rückenansichten, Haartrachten, Gesichtszüge), die Überarbeitungen erinnern Saurma-Jeltsch an Maler B und C der Lauber-Werkstatt.

Der Eintrag in Textura 173r im Bild unten: Kuͦnrat (mit Grün übermalt), ferner 170r lanhontus/linhontus(?) könnten auf den Buchmaler zurückgehen; gelegentlich mit dem Pinsel flüchtig gefüllte Wappenschilde, deren Bilder Saurma-Jeltsch mit Orten des Straßburger Raums in Verbindung bringt (188v, 182v, 214v, 226r), weisen auf den Entstehungsraum hin. Unklar ist, warum zwei Wappenschilde (193v und 271v) auf sehr herausstechende Weise mit Gold gefüllt sind.

Die Eingangsinitiale 11ra umgeben von rot-blauen, kurzen Ranken, im Binnenraum des Blattgoldbuchstaben auf blauem Rautengrund oben Christus als Weltenrichter thronend, unten ein stehender Engel; beide weisen in Richtung der Gegenseite 10v, die unbeschriftet ist, für die jedoch ein ganzseitiges Eingangsbild vorgesehen war.

Bildthemen:

siehe Saurma-Jeltsch (2001) Bd. 2, S. 80–83, Bd. 1, S. 246–257 (Konkordanz). – Insgesamt üppige Bebilderung; vielfach werden Bildthemen gewählt, die in der Überlieferung der Historienbibel IIa unüblich sind (Noachs Tod 24v, Der Levit führt seine Frau heim 246r) oder erst später üblich werden, z. B. Deboras Weissagung (213r), taucht erst in München 2502 (1436) [Nr. 59.4.14.] wieder auf.

Auffallend großzügig sind die Themen Jakob als Hirte und Esau als Jäger behandelt (für jedes Motiv eine ganze Seite). Viele Illustrationen sind mit individuellen Motivdetails ausgestattet – z. B. 12v (Erschaffung Evas): Gott haucht Eva (und Adam) die Seele ein, 70v (Isaak verspricht Esau den Segen): Isaak mit Brille, um Blindheit anzudeuten, 291v (David lässt Salomo weihen): Salomo bekommt die Krone von Papst und Kaiser aufgesetzt! – bzw. wählen ein vom Gebräuchlichen abweichendes Erzählmoment, z. B. 191r (Einzug Josuas in Jericho): Jericho nicht im Bild, stattdessen der Engel, der Josua erscheint. Völlig singulär sind Darstellungen wie die des Ezechias, der die Schlange verbrennen lässt (170r), oder des Erichthonius, der das erste Rad herstellen lässt (186v). Insgesamt könnte die Londoner einen frühen, womöglich besonders textnahen Zustand der Historienbibel-Bebilderung repräsentieren, von dem vieles keine Spuren in der späteren Überlieferung, in der formelhaftere Bildthemen üblicher werden, hinterlassen hat (für Moses Verbot der Gaukler und unkeuschen Weiber z. B. wählt London 183v eine wenig spektakuläre, aber texttreue Ausweisungsdarstellung, während später – wie in Dresden A 50 [Nr. 59.4.6.], 176v – der auffallende Gauklerwagen gebräuchlich wird). Hierzu passt die Tatsache, dass in der Londoner Handschrift in vielleicht noch experimenteller Weise dem alttestamentlichen Teil der Historienbibel nicht die Prosaauflösung des ›Marienlebens‹, sondern das ›Buch der Könige‹ folgt.

Farben:

Grün, Violettbraun (rötliches Braun) – diese beiden Farben manchmal leuchtender: Braun mit mehr Violettanteilen, Grün mit Kupfer (176v u. ö., vgl. z.B. 154v matt mit 155v leuchtend) –, Graubraun (Hellumbra), Ockerbraun/-gelb, Schwarz, gelegentlich Tintenrot (Flammen 117v, Ziegel 131r u. ä.). – Initiale 11r mit Blattgold (Buchstabe, Nimben).

Literatur:

Priebsch 2 (1901) S. 213f. – Vollmer (1912) S. 113f., Nr. 42; Oppitz (1990) S. 654, Nr. 955; Kornrumpf (1992) S. 516f.; von Bloh (1993) S. 282–285 u. ö., Abb. 45 (11r); Saurma-Jeltsch (2001) Bd. 1, S. 53–56 u. ö., Bd. 2, S. 80–83, Nr. 55, Abb. 30 (110v). 35 (226r). 36 (106v).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 14: 291v. David lässt Salomo weihen.

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Abb. 14.