Der französische Minorit Nikolaus von Lyra (um 1270/75–1349) war einer der bekanntesten Exegeten des Spätmittelalters, der zwischen 1322 und 1331 den wichtigsten Bibelkommentar seiner Zeit verfasste (›Postillae perpetuae in Vetus et Novum Testamentum‹). Der Teil zu den Psalmen wurde, teils gekürzt, teils mit Zusätzen ergänzt, durch den in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts tätigen Österreichischen Bibelübersetzer ins Mittelhochdeutsche übersetzt (vgl. Kornrumpf [2004c] Sp. 1100–1103), ein Text, der aufgrund eines nur in der Handschrift in Rein (Nr. 104.3.3.) enthaltenen Hinweises (von dem getrewen Mann Heinreichen vom Muͤgellein In dewczsch gepracht) früher Heinrich von Mügeln zugeschrieben und zwischen 1365 und 1370 datiert wurde (so noch Karl Stackmann, in: 2VL 3 [1981], Sp. 817f.; Kurt Ruh, in: 2VL 6 [1987], Sp. 1118f.). Die wohl noch zu Lebzeiten des Nikolaus von Lyra angefertigte Übersetzung ist in über 70 Handschriften und Fragmenten überliefert (Ratcliffe [1960/61]; Kibelka/Hilgers [1970]), der in der Regel eine Vorrede (in einer von drei bekannten Redaktionen) vorausgeht. Wegen Vollständigkeit und Qualität des Textes sind die Handschriften in Rein (Nr. 104.3.3.) und Wien (Nr. 104.3.7.) Leithandschriften bei der Neuedition des Textes (frdl. Hinweis Projekt ›Der Österreichische Bibelübersetzer. Gottes Wort deutsch‹). Etliche Handschriften enthalten historisierte Initialen, einige nur Zierinitialen zur Gliederung des Textes (z. B. Karlsruhe, Cod. Donaueschingen 187, datiert 1455).
Die in einigen Handschriften (Nr. 104.3.3.; Nr. 104.3.4.) durch historisierte Initialen erfolgte Hervorhebung von Psalmen gemäß der Achtteilung bietet Motive, die aus der französischen Psalterillustration seit dem 13. Jahrhundert bekannt sind (Haseloff [1938]), und ist wohl Reflex der aufwendigeren Ausstattung von Handschriften mit dem Originaltext.