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74.1.1. Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. Bos. q. 3

Bearbeitet von Kristina Freienhagen-Baumgardt

KdiH-Band 8

Datierung:

Um 1275.

Lokalisierung:

Thüringen.

Besitzgeschichte:

Das ›Jenaer Martyrologium‹ ist nur in Ms. Bos. q. 3 überliefert. Die Handschrift, deren Einband über 200 Jahre jünger ist als der Buchblock, weist auf dem hinteren Buchdeckel Spuren einer Kette auf, die sie in den 1530er Jahren in Wittenberg erhalten hat. Dort gehörte die Handschrift zur um 1500 vom sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen (1463–1525) begründeten Schloss- und Universitätsbibliothek (Bibliotheca Electoralis). Wann und wie die Handschrift nach Wittenberg gekommen war, lässt sich nicht rekonstruieren. Friedrich der Weise hatte mehrere Klöster aufheben lassen und deren Bibliotheken weitgehend umverteilt oder in seine Bibliothek integriert. Aus einem dieser Klöster könnte auch das ›Jenaer Martyrologium‹ stammen. Im Jahr 1549 gelangte die Bibliotheca Electoralis und damit auch die Handschrift nach Jena. Die heutige Ms. Bos.-Signatur der Handschrift verweist auf den Juristen und Historiker Johann Andreas Bose (1626–1674), aus dessen Besitz viele Handschriften in die Jenaer Bibliothek gelangten. Das ›Jenaer Martyrologium‹ stammt jedoch nicht aus Boses Bibliothek. Die historisch unzutreffende Signierung erklärt sich daraus, dass von Jenaer Bibliothekaren um 1702/04 das Martyrologium irrtümlich den »Manuscripta Bosiana« zugeordnet wurde (vgl. https://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/receive/HisBest_cbu_00011660).

Inhalt:
1. 1r–109v ›Jenaer Martyrologium‹, deutsch
2. 110r–112v Unterweisung zur Vollkommenheit
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, 113 Blätter (Schlussblatt der ersten Lage [Bl. 7] Gegenblatt zum vorderen Spiegel, Bl. 113 Gegenblatt zum hinteren Spiegel, von Bl. 25 unten rechts ein Stück herausgeschnitten, die Blätter 9, 30, 57 am Rand durchlöchert, teilweise auch im Innern), 234 × 185 mm, gotische Minuskel, eine Hand, einspaltig (nur 110r–112v zweispaltig), 23 Zeilen (bis Bl. 15), 29 Zeilen (ab Bl. 16), oberste Zeile des Liniensystems unbeschrieben, die Tagesdaten sind rot und blau gezeichnet, sechs- bis achtzeilige rote und blaue Initialen (1r, 19r, 41v, 49v, 67r, 85v, 97v), 1v–33r hat eine (spätere?) Hand zu den Bildern die Silben des Cisiojanus hinzugefügt. Zur Orientierung im kalendarischen Ablauf sind zu Beginn jedes Monats mehrere Zeilen hoch KL (lateinisch kalendae) in Rot und Blau mit gegenfarbigem Fleuronné, zu Beginn eines jeden Elogiums durchgängig abwechselnd in Rot und Blau die Tagesbuchstaben A–G eingefügt.

Schreibsprache:

mitteldeutsch mit niederdeutschen und oberdeutschen Elementen (Text 1); thüringisch (Text 2) (zur Schreibsprache vgl. Manuwald [2008] S. 105–112).

II. Bildausstattung:

366 kolorierte Federzeichnungen, zwei Illustratoren: Maler 1 von 1v–37r, Maler 2 von 37v–109v. Möglicherweise zwei Koloristen. Die Illustrationen sind wohl um 1300 anzusetzen, also wenig später als der Text (Kroos [1991] S. 242, Kratzsch [2001] S. 41, Manuwald [2008] S. 498).

Format und Anordnung:

Die kolorierten Federzeichnungen sind als ungerahmte Streifenbilder angelegt, drei bis fünf Zeilen hoch, zwischen einem und vier Bilder auf einem Blatt, platziert nach den Elogien zu den Heiligen. Zum 17. Dezember sind zwei Bildstreifen vorhanden (103r, 103v). Wenn das Ende des Elogiums mit dem Seitenende zusammenfällt, befindet sich die Illustration entweder auf dieser Seite unter dem Text oder es ist ein Freiraum am Kopf der nächsten Seite dafür vorgesehen (verstärkt ab 69r). Der durch Illustrationen ausgefüllte Raum ist liniert. Fünf Illustrationen zu sehr kurzen Elogien nehmen nur die Hälfte des Schriftraums ein (3r, 16v, 20r, 21r, 72r). Auf 19 Seiten befindet sich ausschließlich Text (1r, 3v, 8r, 12r, 28v, 32r, 35r, 48r, 49r, 67r, 82v, 86v, 95r, 96v, 97r, 99r, 102r, 104v, 109r).

Bildaufbau und -ausführung:

Die einzelnen Szenen zu im Elogium berücksichtigten Heiligen (nicht immer vollständig) sind hintergrundlos nebeneinander in den Bildstreifen gezeigt. Einzelbilder stehen ohne klare Trennung unverbunden nebeneinander. Die dadurch schwierige Entschlüsselung der Bilder wird dem Leser durch die strukturierende Platzierung von architektonischen Elementen wie Säulen, Häusern, Kreuzen erleichtert sowie durch die Kennzeichnung der Personen beispielsweise durch Kronen und Nimben für Heilige, verzerrte Gesichter und Waffen für Folterknechte, Gebende für Frauen, Tonsuren für Mönche. Da der Platz für die teilweise recht komplexen Bildfolgen knapp bemessen ist, weichen beide Illustratoren immer wieder auf den Rand aus und platzieren hier die in unterschiedliche Gewänder gekleideten Schergen mit hoch erhobenem Schwert (z. B. 2r, 2v, 3r, 7r, 8v, 10r, 11r) oder zeichnen die Figuren im Bildstreifen in schräger, liegender oder kniender Körperhaltung. Gefangene Personen werden platzsparend durchgängig als Kopf- oder Brustbild in einem Rundbogenfenster oder auch in drei- oder mehrzinnigen Türmen gezeigt (54v Kolorierungsfehler: Unter den Eingekerkerten befindet sich gegen den Text ein bärtiger Mann [Justa und Rufina]). Diese Methode der Abbreviatur wird auch zur Darstellung von Eremiten verwendet, zu deren Kennzeichnung um einen Kopf mit Heiligenschein ein Felsen gezeichnet ist. Die Figuren sind bis auf die teilweise zwergenhaften Folterknechte gelängt, sie agieren mit großer Dynamik. Die Schergen scheinen zu springen (10r) und alle Kraft in die Schläge zu konzentrieren (10v, 11r, 13v, 14v). Die Heiligen signalisieren durch die Haltung der Köpfe oder auch durch die kniende Körperhaltung ihre Bereitschaft zu sterben. Mimik als Mittel der Darstellung wird nicht eingesetzt, allerdings typisiert vor allem der zweite Illustrator die Figuren durch Frisuren und Physiognomie (Folterknechte: struppiges Haar oder Kahlkopf mit Stoppeln, offener Mund, wulstige Lippen). Für Landschaften und Meere werden auf das Wesentliche reduzierte Bildformeln verwendet. Meere werden als klar umrissene blaue oder graue Flächen in Wellenform mit zusätzlich aufgemalten dunklen Wellen gezeichnet (z. B. 27r, 29r, 30v, 35r, 42v, 50v), Berge und Inseln sind zum Teil aus bunten Einzelsegmenten (91v) zusammengesetzt. Die Heiligen sind mit goldenen Nimben ausgestattet (79r Kolorierungsfehler: Scherge mit Nimbus). Der erste Illustrator zeichnet mit feiner Feder mit flüchtig-zartem Strich, setzt mehrere Linien nebeneinander (Neumeister [1958] S. 31). Die feinen Binnenzeichnungen sind teilweise durch deckende Farben übermalt, die Konturen danach nicht noch einmal nachgezogen. Dieser Maler legt wenig Wert auf die Individualisierung der Figuren in der Physiognomie, versucht aber durch verbindende Gesten und Haltungen die Figuren zueinander in Beziehung zu setzen. Gesichter sind mit wenigen Strichen gezeichnet, das Haar nur angedeutet. Den geringen Raum versucht er optimal zu nutzen, indem er die Figuren sehr klein und gedrängt zeichnet. Er hält sich weitgehend an den Satzspiegel. Geschickt nutzt er auch geringe Lücken (30v Mitte: Der Scherge stellt seinen Fuß in die kleine Lücke vor Textbeginn). Die Basilika von Tours (28r) ist sehr klein, aber genau gezeichnet. Der zweite Illustrator zeichnet mit dickerer Feder und festerem Strich größere Figuren. Der für die Illustrationen zur Verfügung stehende Platz ist ihm eindeutig zu knapp bemessen. Die Schergen stehen groß neben dem Text, obere und untere Bildränder sind häufig als Zeichenfläche einbezogen (z. B. 39r, 47r, 48v, 49v, 50r, 65r, 77v, 83v). Details wie Folterwerkzeuge, Waffen, Pflanzen und Architekturen nehmen breiteren Raum ein, die Physiognomien sind individualisierter (z. B. 96r Bischöfe, 99v Heilige). Als Beispiel für Detaildarstellung bei Architekturen kann der karolingische Dom von Köln (?) gelten (vgl. das Widmungsbild des Hillinus-Codex [Kölner Diözesan- und Dombibliothek, Codex 12]). Eine spätere Stadtansicht von Köln findet sich in der Darstellung zur Georgs-Legende in den ›Mitteldeutschen Predigten‹ (Berlin, Ms. germ. quart. 2025, 267r vgl. Nr. 103.1.1.). Die Martyrien sind im gesamten Bildteil, wenn auch nicht unblutig, so doch relativ zurückgenommen gezeichnet, so dass eher nicht von »drastischer Realistik« (Kratzsch [2001] S. 40) gesprochen werden kann. Die Brutalität des Vorgangs drückt sich am stärksten in der dynamischen Körperhaltung der Schergen aus, die gerade im Begriff sind zu foltern (z. B. 45r, 47r). Die Kolorierung mit wenigen Farben ist durchgängig flächig, modelliert wird durch abgestufte Farbtöne und Schraffuren. Neumeister (1958, S. 34) geht davon aus, dass der zweite Illustrator mit dem Koloristen identisch ist. Motivisch durch das ganze Werk zieht sich die Darstellung von Szenen mit Tieren (Löwen: 7r [im Text: zwei Löwen; im Bild: ein Löwe und ein Bär], 10r, 11v, 17r, 20r, 25v, 29r, 59r, 73r, 74v, 81r, 87r, 102v, 103r; Bären: 7r, 20r, 25v, 87r; Kamele: 18v).

Bildthemen:

Alle Bildthemen sind erfasst unter http://martyrologium.thulb.uni-jena.de/book/index.html. Schwerpunktmäßig werden die Martyrien gezeigt, aber auch typische Szenen aus den Legenden. Die Sieben Schläfer im Berg bzw. in angedeuteter Felslandschaft sind hier wie in allen anderen illustrierten Handschriften mit der Legende (Nr. 74.7.3., Nr. 74.7.7., Nr. 74.9.2., Nr. 74.9.3., Nr. 74.9.11.) schlafend dargestellt, im Text hierzu wird die Legende im Vergleich zu anderen Einträgen in der Handschrift breit ausgeführt. Die Illustration zu Nikolaus von Myra zeigt den Heiligen als Bischof, der nachts Gold in das Haus reicht, in dem zwei Frauen schlafen, die er vor der Prostitution bewahren möchte. Damit ist der Text nur teilweise erfasst, in dem von dri tochtire (100r) die Rede ist. Die Kennzeichnung als Bischof begründet sich hier, anders als in den übrigen Legendentexten, in der Festlegung am Textanfang: der was bischof (100r). Was sonst als Simultandarstellung aufzufassen ist, weil die Ernennung zum Bischof erst nach der Goldschenkung erwähnt wird, ist hier durch die Position als Einleitungssatz in ein chronologisch neues Verhältnis gesetzt. Die Goldschenkung wird auch in der ›Elsässischen Legenda aurea‹ (Nr. 74.7.1., Nr. 74.7.7.), in ›Der Heiligen Leben‹ (Nr. 74.9.2., Nr. 74.9.6.) sowie in den ›Mitteldeutschen Predigten‹ (Berlin, Ms. germ. quart. 2025) illustriert. Als schlafende Frauen werden die drei Töchter sonst nur im Cgm 504 (Nr. 74.9.6.) gezeigt. Dass der Vater der Frauen ebenfalls einen Heiligenschein erhalten hat, könnte ein Versehen in der Kolorierung sein. Der Eintrag zu Maria Aegyptiaca umfasst eine breite Darstellung der Legende, der folgende Bildstreifen zeigt zur Hälfte die Begräbnisszene mit Zosimus und dem Löwen (28v), ergänzt durch eine Beischrift Maria van egipte lant. Eine derartige Beischrift ist in der Handschrift singulär. Es ist nicht klar, ob diese zum ursprünglichen Bildbestand gehört oder es sich um einen Nachtrag handelt. Die Begräbnisszene ist innerhalb der Stoffgruppe ansonsten nur im Cgm 6 (Nr. 74.7.7.), der ältesten Handschrift der ›Elsässischen Legenda aurea‹, überliefert (78v). Von beiden Illustratoren werden immer wieder auch Szenen abgebildet, die nicht auf den Text rekurrieren und in denen möglicherweise Vorlagen des Martyrologiums ihren Ausdruck finden (Merten [2012a] S. 157f.). Dieser gegenüber dem Text vorhandene »Informationsüberschuss« (Manuwald [2008] S. 502) legt eine Deutung der Bilder als »Kommentarillustrationen« (S. 503) nahe. Merten (2012a, S. 164) hält die strukturierenden Elemente wie Säulen, Häuser, Kreuze als Orientierungshilfe für den Leser für untauglich, doch bietet gerade die damit verfolgte Typisierung ein durchgängiges, klar verständliches Gerüst für die Beziehung zwischen Text und Bild und entspricht dem zugrunde liegenden durchgängigen Prinzip der Wiederholung von Bildformeln und Kompositionsschemata (Manuwald [2008] S. 499). Da die meisten Attribute der Heiligen fehlen, dürfte das Vorwissen des Lesers zur Legende und Passio der/des Heiligen bei der Erschließung der Bilder eine wichtige Rolle gespielt haben. Das Format der Handschrift macht eine Rezeption in großer Runde unwahrscheinlich und legt die Lektüre im Rahmen »privater Frömmigkeit« (Manuwald [2008] S. 503) nahe. Auf diesem Hintergrund sowie wegen der komplexen Text-Bild-Beziehung kann die Rezeption als »schauende[...] Lektüre« (Merten [2012a] S. 158) oder »meditative[...] Versenkung« (Manuwald [2008] S. 503) gedacht werden. Die Ausgestaltung der Motive fällt sehr unterschiedlich aus. Sie reicht von der genauen Umsetzung des Textes bis zur Darstellung einer heilsgeschichtlichen Szene, die mit dem Heiligen nur übergeordnet zu tun hat (z. B. 52r Taufszene bei Kilian; hierzu Denissenko [2004] S. 42f.). In der ersten, als programmatisch aufzufassenden Illustration (1v) wird eine Bildfolge zu den Heiligen Almachius, Martina und Dreißig Ritter präsentiert, die am Sturz der Götzenbildnisse den Sieg des Christentums über die Heiden markiert. Ein in dieser Weise die Motive der Einzelelogien verbindender Aufbau ist selten und findet sich vor allem beim ersten Illustrator. Teilweise zeigt der gesamte Bildstreifen nur Motive zu einem einzigen Heiligen oder zu einem Feiertag (z. B. 4v Legende des Paulus Eremita, Rabe bringt Brot; 6v Stuhlfeier Petri; 14r Apollonia im Massenmartyrium; 21r Martyrium der Vierzig von Sebaste, mit Märtyrerkronen; 48v Sieben Schläfer, schlafend im Berg; 62v Simultandarstellung zu Laurentius [im Kerker und Martyrium auf dem Rost]; 63v Simultandarstellung zu Hippolytus [geschleift und geschlagen]; 78r Legende [Vogelpredigt] und Martyrium des Franziskus).

Farben:

Rot, Braun, Blau, Grün (beim zweiten Illustrator vermehrt), Silber, Gold.

Literatur:

Pensel (1986) S. 35f.; Tönnies (2002) S. 18 mit Anm. 39. – Neumeister (1958) S. 15–18, 62–70; Rothe (1966) S. 251; Karpe (1976) S. 19–21; Schneider (1987) Textbd., S. 273–275; Kroos (1991) S. 241f.; Kratzsch (2001) S. 39–44; Denissenko (2004); Manuwald (2008) S. 495–504; Aufbruch in die Gotik (2009) Bd. 2, S. 278–280 [Martin Schubert, Beate Braun-Niehr]; Merten (2012a) S. 39–57, 63–67, 157–178.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 65: 100r. Nikolaus von Myra reicht Gold ins Haus, Dank des Vaters. Vier Heilige hinter einer Zinnenmauer (Eutychianus?, Agathon?, Martin?, Ambrosius).

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Abb. 65.