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37.1.17. St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 643

Bearbeitet von Ulrike Bodemann

KdiH-Band 4/1

Datierung:

Drittes Viertel 15. Jahrhundert bis 16. Jahrhundert.

Lokalisierung:

Nordschweiz.

Besitzgeschichte:

Die Handschrift besteht aus mehreren, ursprünglich separaten Teilen, die jedoch komplett (außer dem Nachtragsfaszikel des 19. Jahrhunderts) mit dem Nachlaß des Aegidius Tschudi (1505–1572) in die Stiftsbibliothek gelangten (1768). Im Bild S. 51a ist auf den Galgen mit einem Gehenkten (Fabel Nr. 57) mit feiner Tinte I.v.A. eingetragen: Ildefons von Arx, Stiftsbibliothekar 1827–1833 (zu allen Einträgen und Indizien für die Besitzgeschichte von Scarpatetti [2003] S. 269).

Inhalt:
1. S. 1a–89a Ulrich Boner, ›Der Edelstein‹

Hs. SG 1 (Bestandsklasse III), Anfang fehlt

2. S. 89a–128b Schweizer Anonymus: Reimpaargedichte

unvollständig; darunter das nachträglich notierte Lied Vnser herr der pfarer in ein kesboren S. 112

Vgl. Johannes Janota: Schweizer Anonymus. In: 2VL 8 (1992), Sp. 931–942, hier Sp. 932

3. S. 131–201 ›Chronik der Stadt Zürich‹ mit Fortsetzungen, darunter die Glarner Chronikfortsetzung von Rudolf Mad

Johannes Dierauer (Hrsg.): Chronik der Stadt Zürich. Basel 1900 (Quellen zur Schweizer Geschichte, Bd. 18), S. 3–158. 226–232. 233–271

4. S. 215–231 Nachträge des 19. Jahrhunderts

philologischer Vergleich der St. Gallener ›Edelstein‹-Fassung mit derjenigen der Edition Oberlin, Straßburg 1782, und weiterer durch Ildefons von Arx, mit Ergänzungen von Anton Henne (Stiftsbibliothekar 1855–1861)

5. S. 240–241 Aegidius Tschudi, Namensliste von Adeligen
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 242 Seiten (zeitgenössische Foliierung in Teil I: iii–lxvii; Paginierung des frühen 18. Jahrhunderts 1 [= iiir] bis 260, wohl von Ildefons von Arx, der den Faszikel S. 215–230 einlegte; maßgeblich ist jedoch die neuzeitliche Paginierung bis 242 [= alt 260], die die nach der Benutzung durch von Arx verlorenen Blätter nicht berücksichtigt: vier Blätter vor S. 233 [alt 245], drei Blätter vor S. 237 [alt 255]; älter sind die Blattverluste vor S. 1, vor S. 17, und nach S. 242 [je zwei Blätter]; S. 3/4 bis auf kleinen Rest herausgerissen; unbeschrieben bis auf wenige Federproben: 129–130, 202–214, 232–239, 242), 300 × 220 mm.

Die Handschrift besteht aus mehreren Faszikeln, Teil I (S. 1–130): zweispaltig, 28–35 Zeilen, Schriftspiegel vorliniert, Bastarda (von Scarpatetti: »got. Halbkursive«), ein Schreiber (nicht, wie von Ziegeler und Schulz-Grobert [siehe unten: Literatur] vermutet, identisch mit Rudolf Mad); an den Textanfängen Lombarden über zwei bis vier Zeilen vorgesehen, nicht ausgeführt, keine Rubrizierung, S. 129–130 unbeschrieben; Teil II (S. 131–204, 231–242): bis S. 201 einspaltig, 31–37 Zeilen, zahlreiche (von Scarpatetti: sechs!) Hände, zahlreiche Randnotizen späterer Benutzer, S. 202–214 und S. 232–239 unbeschrieben, S. 231 ursprünglich ebenfalls unbeschrieben, später von den Schreibern von Teil III mitbenutzt, S. 240–241 von Aegidius Tschudi; Teil III (S. 215–230): später eingelegt, beschrieben von Ildefons von Arx (signiert I.v.A. S. 228) und anderen.

Schreibsprache:

Teil I: alemannisch.

II. Bildausstattung:

Text 1: Erhalten sind 79 von ursprünglich wohl 89 Federzeichnungen (Blattangaben siehe S. 200–205), nicht koloriert; dazu ein Bildfreiraum (S. 87); Text 2: Illustrationen vorgesehen, nicht ausgeführt.

Format und Anordnung:

quadratisch bis rechteckig, der vorgezeichnete Schriftspiegel dient als seitliche Rahmenlinie (Breite ca. 70–80 mm), wird jedoch nicht selten überschritten; stets vor Fabelbeginn, ohne Beischrift; in den Fällen, in denen eine zweite Illustration in den Text eingefügt wird, ist hier zuweilen ein Textanschluß mit Lombarde vorgesehen (S. 26a, S. 45b). Eine Teilnumerierung mit Tinte (16. Jahrhundert) zählt die Zeichnungen (einschließlich des Freiraums S. 47a, der jedoch nur als potentieller Ersatz für den recht klein bemessenen Bildraum S. 46b unten freigelassen wurde) fortlaufend Nr. 10–37; eine Numerierung mit Bleistift (18./19. Jahrhundert) zählt ab S. 5 Nr. 4–93. Gelegentlich erstreckt sich ein Bildraum über beide Spalten: S. 44a–b, S. 45a–b, auch S. 8 war offenbar zunächst ein Bild über zwei Spalten geplant, realisiert wurde jedoch nur ein spaltenbreites Bild, der Bildraum S. 8b blieb leer. S. 87 (zu Fabel Nr. 94) Zeichnung nicht ausgeführt, Bildraum bleibt leer, wie in den unmittelbar anschließenden Bispeln, die offenbar die gleiche Ausstattung erhalten sollten wie die Fabeln.

Bildaufbau und -ausführung:

schlichte Zeichnung mit schwarzer Tinte, die gelegentlich auch als Füllfarbe benutzt wird; deshalb bleibt es unklar, ob überhaupt eine Kolorierung vorgesehen war. Weiche, klare Linienführung, modelliert wird lediglich durch kurze Strichelreihen entlang der Konturen; die Protagonisten agieren auf einem stereotyp mit aus drei Stricheln bestehenden Grasbüscheln besetzten Bodenstück, ohne Hintergrund, ohne zusätzliche Requisiten. Keine Innenraumdarstellung, auch Mobiliar (etwa das Bett der Äbtissin S. 38b) ist auf Wiesengrund plaziert. Ein räumlicher Eindruck entsteht nicht. Figuren oft in verzerrten Proportionen, Menschen in schlichter, meist eng taillierter Kleidung, nur die Kopfbedeckungen – bei Männern in der Regel runde Hüte mit Wulstrand – sind punktuell auffallend variantenreich (z. B. S. 80a, 82b); kleine Gesichter mit starren, mandelförmigen Augen. Tiere stets im Profil, durch ihre anatomischen Eigenarten (Hörner, Schwänze u. ä.) gekennzeichnet, jedoch wenig individualisiert (Ausnahme: die sehr realistisch gezeichneten Krebse S. 59b).

Gelegentlich Schriftbänder mit lateinischen Moralsprüchen von Schreiberhand im Bildraum (S. 18a, 30b, 31b), was darauf deuten dürfte, daß der Schreiber die Illustrationen eigenhändig anlegte. S. 58b, 74b spätere Nachzeichnung von Konturen und Details.

Bildthemen:

Zu jeder Fabel werden die Protagonisten vorgestellt, bei Tierfabeln vornehmlich in dialogischem Gegenüber, bei Menschenfabeln in Handlungsdarstellungen; mehrere Protagonisten- oder Handlungsbilder zu einer Fabel sind nur bei den nahezu regelhaft mit mehr als einem Bild versehenen Fabeln geboten (Nr. 37 [Fuchs und Storch], Nr. 47 [Löwe und Hirte], Nr. 51 [Pferd und Esel], Nr. 52 [Mann, Sohn und Esel]). Nur ausnahmsweise kontinuierende Darstellung innerhalb eines Bildraums: S. 11a (zu Nr. 17 [Adler und Schnecke]). Die Fabel Nr. 91 (Mensch und Satyr) fehlt in der Sammlung, somit auch das entsprechende Bild. Gelegentlich detaillierte thematische Zuspitzungen der Handlungsdarstellung, etwa zu Fabel Nr. 45 (Gefangenes Wiesel), wo das Wiesel gegen die sonstige Bildtradition in einer Falle steckend dargestellt ist (S. 34b: zwei Nagelbretter mit einer durch ein Zugseil zu bedienenden Schnappvorrichtung); zu Fabel Nr. 76 (Buckliger und Zöllner) stehen sich Buckliger und Zöllner in »falscher« Aufstellung gegenüber: nicht der Bucklige bewegt sich auf das Stadttor zu, sondern der Zöllner; der Zöllner hat dem Buckligen gerade seine Mütze vornüber vom Kopf gezogen (ähnlich das Donaueschinger Fragment [Nr. 37.1.11.] und verwandte Darstellungen); zu Fabel Nr. 58 (Drei römische Witwen) werden die drei Frauen, alle mit Rosenkränzen in Händen, als Gruppe auf einem gemauerten Turm stehend gezeigt (S. 53a); ungewöhnlich drastisch die Darstellung S. 38b zu Fabel Nr. 48 (Fieber und Floh): Die Magd sucht im Bett der nackten Äbtissin nach dem Floh, das Fieber in Menschengestalt schaut zu.

Literatur:

Scherrer (1875) S. 210 f.; von Scarpatetti (2003) S. 268–271. – Fischer (1965) Abb. nach S. XII (S. 89 und 124); Fouquet (1972) Abb. 12 (S. 20a); Rudolf Gamper: Die Zürcher Stadtchroniken und ihre Ausbreitung in die Ostschweiz. Zürich 1984 (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich 52,2), S. 188 f.; Hans-Joachim Ziegeler: Das Vergnügen an der Moral. Darbietungsformen der Lehre in den Mären und Bispeln des Schweizer Anonymus. In: Georg Stötzel (Hrsg.), Germanistik. Forschungsstand und Perspektiven. Vorträge des Deutschen Germanistentages 1984, 2. Teil. Berlin 1985, S. 88–109, bes. S. 89 f.; Peil (1985) S. 152, Abb. 8 (S. 54b); Bodemann/Dicke (1988) S. 432 u. ö.; Jürgen Schulz-Grobert: »Autoren gesucht«. Die Verfasserfrage als methodisches Problem im Bereich der spätmittelalterlichen Reimpaarkleindichtung. In: Joachim Heinzle (Hrsg.): Literarische Interessenbildung im Mittelalter. Stuttgart/Weimar 1993, S. 60–74; Geschichte und Hagiographie in St. Galler Handschriften. Katalog durch die Ausstellung in der Stiftsbibliothek St. Gallen von Ernst Tremp und Karl Schmucki. St. Gallen 2003, S. 112–114, Abb. S. 113 (S. 26).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 96: S. 53. Ulrich Boner, ›Der Edelstein‹: Drei Damen mit Rosenkränzen in Händen auf einem Turm (Fabel 58. Drei Römische Witwen).

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Abb. 96.